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BGH Urteil vom 11.07.1984 - IVa ZR 171/82 - Zum Ausschluss von sog. Groteskfällen bei der Anwendung eines Teilungsabkommens
BGH v. 11.07.1984: Zum Ausschluss von sog. Groteskfällen bei der Anwendung eines Teilungsabkommens
Der BGH (Urteil vom 11.07.1984 - IVa ZR 171/82) hat entschieden:
Die Anwendung eines Teilungsabkommens setzt die Anwendung des Abkommens voraus, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem eingetretenen Schaden besteht. Würde aber ein Verletzter gar nicht auf den Gedanken kommen, den Haftpflichtversicherten oder seine Versicherung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, so braucht der Haftpflichtversicherer auch nach dem Teilungsabkommen nicht einzutreten. Damit sind die sogenannten "Groteskfälle", bei denen die Einbeziehung des Schadensereignisses in die Eintrittsregelung mit dem Grundgedanken des Teilungsabkommens schlechthin unvereinbar wäre, von der Anwendung des Teilungsabkommens ausgenommen.
Tatbestand:
Zwischen den Parteien besteht folgendes Teilungsabkommen:
"§ 1
(1) Die BKK erhält bei Ersatzansprüchen nach § 1542 RVO aus Schadenfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen, die von ihr gegen eine bei der "Vers." haftpflichtversicherte natürliche oder juristische Person erhoben werden können, im Falle der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung 55 (fünfundfünfzig) v.H. der Aufwendungen ohne Prüfung der Haftungsfrage erstattet.
(2) Die Erstattung erfolgt auch, wenn der Schaden durch eigenes Verschulden des Versicherten,
ausgenommen Vorsatz, entstanden ist sowie beim Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses im
Sinne von § 7 Abs. 2 StVG.
§ 2
(1) Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Teilungsabkommens ist, dass nach dem Tatbestand
objektiv die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherten gegeben ist. Damit fallen z.B. solche Schäden nicht unter das Teilungsabkommen, bei denen es an einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Schadenereignis fehlt."
Am 16. Januar 1980 benutzte der bei der klagenden Betriebskrankenkasse versicherte S D den bei der Beklagten versicherten Pkw des F S. Er geriet auf der Fahrt nach B auf der B 490 auf die Gegenfahrbahn und stieß dort mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen, dessen Fahrer getötet wurde. S D wurde bei dem Unfall verletzt. Die Klägerin wendete für stationäre Behandlung 59.319,50 DM auf. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der von D benutzte Pkw mangelfrei und verkehrssicher war und dass D den Unfall verschuldet hat.
Die Klägerin begehrt aufgrund des Teilungsabkommens 55% des darin vorgesehenen Höchstbetrages von 20.000,- DM = 11.000,- DM. Die Klage blieb in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht versteht das Teilungsabkommen dahin, dass ein adäquat ursächlicher Zusammenhang des einzelnen Schadensfalles mit dem versicherten Haftpflichtgefahrenbereich erforderlich sei. Nötig sei ein innerer Zusammenhang mit dem versicherten Wagnis. Es komme also darauf an, ob die aufgewendeten Kosten die Folgen eines Unfalls beträfen, der durch den Gebrauch des versicherten Kraftfahrzeugs verursacht worden sei. Unter den Haftpflichtversicherungsschutz fielen auch etwaige Ansprüche des Fahrers gegen den Halter. Der Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und dem versicherten Wagnis sei hier gegeben.
Eine Teilung habe aber nicht stattzufinden, wenn es schon aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes unzweifelhaft und offensichtlich sei, dass eine Schadensersatzpflicht des Versicherten gar nicht in Frage komme. Hier handele es sich um einen solchen "Groteskfall". Ein Anspruch des Fahrers gegen den Halter aus Gefährdungshaftung scheide nach § 8 a StVG aus. Ein Anspruch gegen den Halter komme nur in Betracht, wenn das Fahrzeug mangelhaft sei. Dafür lägen aber keinerlei Anhaltspunkte vor.
Das Berufungsgericht hat richtig entschieden.
Das vorliegende Teilungsabkommen ist ein typischer Vertrag, dessen Anwendungsbereich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausreicht. Es ist daher vom Revisionsgericht frei auszulegen (st.Rspr.).
Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Teilungsabkommens setzt die Anwendung des Abkommens voraus, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem eingetretenen Schaden besteht. Im übrigen soll nach § 1 Abs. 1 eine Prüfung der Haftungsfrage unterbleiben. Sinn und Zweck dieser Bestimmungen ist es, die Erstattungspflicht des Haftpflichtversicherers davon abhängig zu machen, dass zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Wagnis ein innerer und nicht nur ein äußerlicher und zufälliger Zusammenhang besteht (BGH, Urteil vom 19.9.1979, IV ZR 87/78 = LM Teilungsabkommen Nr. 12 = VersR 1979, 1093). Dass dieser innere Zusammenhang hier besteht, nimmt der Tatrichter zu Recht an. Der Schaden ist beim Gebrauch eines bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs entstanden. Nach § 10 AKB umfasst die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung u.a. die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Schadensersatzansprüche, die gegen den Versicherungsnehmer erhoben werden, wenn durch den Gebrauch des Fahrzeugs ein Schaden entstanden ist. Dazu gehören auch etwaige Ansprüche des Fahrers gegen den Halter. Da eine Prüfung der Haftungsfrage unterbleiben soll, führt die Bejahung eines derartigen inneren Zusammenhangs regelmäßig dazu, dass der Haftpflichtversicherer auch in Fällen eintreten muss, in denen kein begründeter Haftungsanspruch gegen eine bei ihm versicherte Person besteht.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Teilungsabkommens ist jedoch generelle Voraussetzung der Anwendung des Teilungsabkommens, "dass nach dem Tatbestand objektiv die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherten gegeben ist". Das ist dann der Fall, wenn nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit besteht, dass - auch unbegründete - Haftpflichtansprüche gegen den Haftpflichtversicherten aus Anlass des Schadensereignisses erhoben werden (so für eine wortgleiche Klausel: Senatsurteil vom 6.10.1982, IVa ZR 54/81 = VersR 1983, 26 = LM Teilungsabkommen Nr. 18). Würde aber unter den gegebenen Umständen ein Verletzter gar nicht auf den Gedanken kommen, den Haftpflichtversicherten oder seine Versicherung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, so braucht der Haftpflichtversicherer auch nach dem Teilungsabkommen nicht einzutreten. Damit sind die sogenannten "Groteskfälle", bei denen die Einbeziehung des Schadensereignisses in die Eintrittsregelung mit dem Grundgedanken des Teilungsabkommens schlechthin unvereinbar wäre, von der Anwendung des Teilungsabkommens ausgenommen (vgl. BGHZ 20, 385; BGH, Urteile vom 19.9.1979, IV ZR 87/78 = LM Teilungsabkommen Nr. 12 = VersR 1979, 1093; vom 2.10.1980, IVa ZR 19/80 = LM Teilungsabkommen Nr. 13 = VersR 1980, 1170 = MDR 1981, 214; vom 26.5.1982, IVa ZR 78/81 = LM Teilungsabkommen Nr. 16 = VersR 1982, 774 = MDR 1982, 997; vom 15.6.1983, IVa ZR 209/81 = NJW 1984, 41 = VersR 1983, 771).
Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Nach dem unstreitigen Sachverhalt kommt eine Haftung des Halters des Unfallfahrzeugs oder der Beklagten für die Verletzungen des Fahrers offensichtlich schlechthin nicht in Betracht. Eine Gefährdungshaftung des Halters gegenüber dem Fahrer ist nach § 8 a StVG - ausgenommen die entgeltliche, geschäftsmäßige Personenbeförderung - ausgeschlossen. Eine an sich denkbare Verschuldenshaftung des Halters nach § 823 Abs. 1 oder 2 BGB ist bei einem verkehrssicheren Fahrzeug, um das es hier unstreitig geht, eine so fernliegende, eigentlich nur theoretische Möglichkeit, dass kein vernünftiger Fahrer unter den gegebenen Umständen eine Klage gegen den Halter auch nur in Erwägung ziehen würde (ebenso gerade für diesen Fall: Wussow, Teilungsabkommen 4. Aufl. S. 97). Die Vorinstanzen haben danach die Klage zu Recht abgewiesen.