Das Verkehrslexikon

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OLG München Urteil vom 21.03.2012 - 10 U 3927/11 - Zum Haftungsprivileg des Unternehmers bei gemeinsamer Beförderung von Arbeitnehmern

OLG München v. 21.03.2012: Zum Haftungsprivileg des Unternehmers bei gemeinsamer Beförderung von Arbeitnehmern


Das OLG München (Urteil vom 21.03.2012 - 10 U 3927/11) hat entschieden:
Ein Werksverkehr, bei dem der Unternehmer Betriebsangehörige laufend mit dem werkseigenen Fahrzeug zur Betriebsstätte bringen lässt, wird schon seit langem als zu der versicherten Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII) zählender Betriebsweg beurteilt. Dies kann nicht anders gesehen werden, wenn der Arbeitgeber einen einzurichtenden Werksverkehr an Fremd- oder Subunternehmen vergibt. Sind Schädiger und Geschädigter Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen, greift der Haftungsausschluss des § 105 I SGB VII dennoch ein, wenn sich der Unfall bei einer vorübergehenden Tätigkeit an einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 III SGB VII ereignet. Die Fahrt des eingesetzten Werksbusses einschließlich der Ein- und Aussteigevorgänge stellt sich hinsichtlich der Arbeitnehmer und dem bei dem Drittunternehmen beschäftigten Busfahrer als vorübergehende Tätigkeit in einer gemeinsamen Betriebsstätte dar.


Gründe:

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall vom 22.06.2009 geltend.

Der Beklagte zu 1) war am Schadenstag bei der Beklagten zu 2) als Busfahrer angestellt. Die Beklagte zu 2) ist Halterin des Fahrzeugs, in welchem der Kläger zu Schaden kam. Das Fahrzeug war zum Schadensfall bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert. Die Beklagte zu 2) ist ein von der Firma B. beauftragtes Busunternehmen, das von der Firma B. mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse beauftragt wurde. Der Kläger ist bei der Firma B. angestellt und arbeitet in deren Werk in D. Er wird an Arbeitstagen von einem sog. Werksbus der Fa. B. (so der unstreitige Tatbestand des Ersturteils) von seinem Wohnort in E. abgeholt und von diesem an seine Arbeitsstelle gebracht.

Am 22.06.2009 wurde der Kläger gegen 4.10 Uhr in E. abgeholt und kam gegen 4.40 Uhr in D. im Werk 2 der Fa. B. mit dem Bus der Beklagten zu 2) an. Der Bus der Beklagten zu 2) hielt an der sich außerhalb des Werkstores der Fa. B. befindlichen Ausstiegsstelle für den Werksbus. Der Kläger stieg an der hinteren Türe des Busses aus, kam dabei zu Sturz und lag anschließend auf dem Boden. Bei dem Sturz zog sich der Kläger eine distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung zu und war infolgedessen für den Zeitraum vom 22.06.2009 bis 12.07.2009 zu 100% arbeitsunfähig. Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall, Bezirksverwaltung M., erkannte mit Bescheid vom 23.09.2010 den Unfall vom 22.06.2009 bestandskräftig als Arbeitsunfall an. Der Beklagte zu 1) ist im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beklagten zu 2) gesetzlich unfallversichert.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil vom 01.09.2011 (Bl. 199/210 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG Landshut hat nach Beweisaufnahme die Beklagten verurteilt, an den Kläger samtverbindlich 25,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten und ein Teilschmerzensgeld von 9.000,00 € zu bezahlen. Weiter wurde festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, weiteren materiellen und immateriellen Schaden des Klägers aus dem Unfallereignis samtverbindlich zu tragen; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Nach Ansicht des Landgerichts sei die Haftung der Beklagten nicht nach § 105 I SGB VII ausgeschlossen. Es handle sich hier um einen Wegeunfall i.S.d. § 8 II SGB VII, da sich die Bushaltestelle außerhalb des Werkstors der Fa. B. befand und der Unfall sich dort ereignete. Bei der Fahrt mit dem Werksbus zum Betriebsgelände gehe es nicht um eine Tätigkeit, die der betrieblichen Tätigkeit gleichsteht, sondern um den Weg des Arbeitnehmers zur Arbeit. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses den Beklagten am 05.09.2011 zugestellte Urteil haben diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 26.09.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 221/222 d. A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht München am 07.12.2011 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 228/234 d. A.) begründet.

Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, ggf. die Revision zuzulassen.
Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 20.01.2012 (Bl. 238/242 d. A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 17.02.2012 (Bl. 244/246 d. A.) Bezug genommen.


B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

I.

Das Landgericht hat nach Auffassung des Senats die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung zu Unrecht bejaht. Die Geltendmachung dieser Ansprüche ist entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts hier ausgeschlossen, da Schädiger und Geschädigter zwar Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen waren, der Unfall sich jedoch bei einer vorübergehenden Tätigkeit an einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 III SGB VII ereignete, der Beklagte zu 1) - unstreitig entsprechend dem Vortrag der Parteien und der nicht angegriffenen Feststellungen des Erstgerichts - nicht vorsätzlich handelte und ein Wegeunfall im Sinne des § 8 II SGB VII nicht vorlag (§ 105 I SGB VII - Haftungsprivileg bei Arbeitsunfällen -).

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts Landshut lag kein Wegeunfall im Sinne des § 8 II SGB VII vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2001, 442) liegt es zwar bei wörtlichem Verständnis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII nahe, dass bei Unfällen, die der Versicherte beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit erleidet, stets unbeschränkt gehaftet wird. Indessen ist bei der Auslegung der obigen Vorschrift (auf die mehrere Haftungsausschlusstatbestände verweisen, vgl. §§ 104 ff. SGB VII) davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine dem bis dahin geltenden Recht (§ 636 Abs. 1 Satz 1 RVO) entsprechende Regelung hat schaffen wollen (vgl. Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch BT-Drucks. 13/2204 S. 100). An die Stelle des gemäß § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO maßgeblichen Abgrenzungsmerkmals, dass "der Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist", trat die Entsperrung der Haftungsbeschränkung für den Fall, dass der Unfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt worden ist (vgl. BGH, a.a.O.). Die vom Unternehmer "herbeigeführten" Wegeunfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII sind von der Haftungsbeschränkung ausgenommen worden, weil die betrieblichen Risiken dort keine Rolle spielen und dem Versicherten unter diesen Voraussetzungen möglicherweise bestehende weitergehende Ansprüche nicht abgeschnitten werden sollten (BGH, a.a.O. m.w.N.). Folgerichtig umfasst die Ausnahme von der Haftungsbeschränkung (hier §§ 106 III, 105 I i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII) andererseits nicht die Betriebswege, die Teil der den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit und damit bereits gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII versicherte Tätigkeit sind (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N.).

Für die Unterscheidung, ob der Versicherungsfall bei einem Betriebsweg oder einem - von der Haftungsbeschränkung ausgenommenen - nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg eingetreten ist, kann nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) hinsichtlich der Kriterien innerbetrieblicher Vorgänge die zu § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO ergangene Rechtsprechung herangezogen werden. Denn es ging auch bei der Abgrenzung des innerbetrieblichen Vorgangs gegenüber der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" darum, ob sich ein betriebliches Risiko oder ein "normales" Risiko verwirklichte, das nach dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu einem Haftungsausschluss gegenüber dem Schädiger führen sollte (vgl. BGHZ 116, 30, 35).

Der vom Kläger erlittene Unfall ist unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof bestimmten Abgrenzungskriterien als Unfall auf einem Betriebsweg - und damit nicht als Unfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg - einzuordnen. Dem entspricht die Tatsache, dass die Berufsgenossenschaft - ohne Bindungswirkung für das Zivilgericht - den Unfall vom 22.06.2009 bestandskräftig als Arbeitsunfall anerkannt hat.

Auf Grund des unstreitigen Tatbestands des Ersturteils steht für das Berufungsverfahren bindend fest, dass es sich bei dem Busverkehr um den „sog. Werksbus der Fa. B.“ handelt. Davon ist auszugehen, weil der Tatbestand des Ersturteils den für das Berufungsgericht nach § 529 I Nr. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalt bestimmt (BVerfG NJW 2005, 657 [i. Erg.]; RGZ 2, 401; BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160 = JurBüro 1984, 379; BGHZ 140, 335 [339]; NJW 2001, 448; NJW-RR 2002, 1386 [1388]; NJW 2004, 1381; MDR 2007, 853; NJW-RR 2009, 981 = MDR 2009, 833; BAGE 8, 156 = NJW 1960, 166 = MDR 1960, 81; BFH BFH/NV 1999, 1609; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); OLG Rostock OLGR 2004, 61). Mit der Berufung kann eine Tatbestandsberichtigung grundsätzlich nicht herbeigeführt werden (BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160 = JurBüro 1984, 379; BGHZ 122, 297 = NJW 1993, 1851 [1852] = MDR 1993, 863; NJW 1994, 517 = MDR 1994, 254 = VersR 1994, 319; BGHZ 182, 76 [unter II 1] = MDR 2009, 231 = NJW-RR 2010, 975 = WM 2009, 1597 [1598] = VersR 2010, 775; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 [in MDR 1984, 321 insoweit nicht abgedruckt] und Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); Eichele/Hirtz/Oberheim a.a.O. Kap. IV Rz. 106; Thomas/Putzo/Reichold a.a.O. § 320 Rz. 1). Wenn der Kläger die erstgerichtliche Feststellungen nicht hätte hinnehmen wollen, hätte er ein - fristgebundenes - Tatbestandsberichtigungsverfahren nach § 320 ZPO durchführen müssen (Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434). Der Transport der Arbeitnehmer vom Wohnort zur Arbeitstelle ist im vorliegenden Fall in den Arbeitsbetrieb eingegliedert gewesen. Die Arbeitnehmer haben nicht die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt. Sie wurden täglich wie am Unfalltag mit einem nur für sie bestimmten Bus an den jeweiligen Wohnorten abgeholt und von einem eigenen vom Arbeitgeber B. durch Beauftragung der Beklagten zu 2) organisierten Bus zur Arbeitsstätte gebracht und wieder zurückgefahren. Dem hat der Kläger in der Verhandlung vor dem Senat nicht widersprochen.

Die Beförderung ist somit integraler Bestandteil der Organisation des Arbeitsbetriebs der Fa. B. gewesen. Wie schon die Abholungszeiten zeigen, wäre die Durchführung eines Mehrschichtbetriebes, wie in der mündlichen Verhandlung besprochen, ohne den Busbetrieb erschwert, da die Arbeitnehmer - mit für sie wesentlich höheren Kosten - sonst nur mit Privatfahrzeugen anreisen müssten.

Ein Werksverkehr, bei dem der Unternehmer Betriebsangehörige laufend mit dem werkseigenen Fahrzeug zur Betriebsstätte bringen lässt, wird schon seit langem als zu der versicherten Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII) zählender Betriebsweg beurteilt (vgl. BGH, a.a.O.; BGHZ 8, 330, 337 f; 19, 114, 119; 116, 30, 35). Dies kann nach Auffassung des Senats nicht anders gesehen werden, wenn der Arbeitgeber einen einzurichtenden Werksverkehr an Fremd- oder Subunternehmen vergibt (sog „Outsourcing“). Denn entscheidend ist die Frage, ob der Busverkehr ausschließlich auf die Bedürfnisse der Fa. B. und deren Arbeitnehmer ausgerichtet ist oder ob es sich um die Teilnahme an einem öffentlichen Verkehr zusammen mit anderen handelt, bei der der Arbeitgeber lediglich Erleichterungen (etwa besondere Haltestellen oder verbilligter Fahrpreis) organisiert hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten, dass der hier streitgegenständliche Bus ausschließlich die Arbeitnehmer der Fa. B. befördert (so schon der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 17.08.2010 [Bl. 25 d.A.], den der Kläger im Schriftsatz vom 06.09.2010 [Bl. 34/45 d.A.] nicht bestritten hat) und der Fahrbetrieb dementsprechend den Bedürfnissen des Werks angepasst wurde. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Organisationsanweisung (Route, Fahrgäste, Haltestellen etc.) direkt an einen eigenen Angestellten oder an ein Drittunternehmen, das seinerseits diese Anweisung an den eigenen Busfahrer weitergibt, gerichtet ist. Soweit der Kläger pauschal bestritten hat, die Fa. B. habe die Fahrten organisiert (vgl. Schriftsatz vom 06.09.2010, Seite 2 (= Bl. 35 d.A.), ist das unerheblich, denn der Kläger hat zuvor auf Seite 1 dieses Schriftsatzes selbst vorgetragen, dass die Fahrten „im Auftrag der Fa. B.“ durchgeführt wurden. Angesichts dieser Ausgangslage ist ein Zweifel, die Fa. B. hätte in diesem Auftrag nicht auch den Fahrtablauf in den entscheidenden Punkten (Haltestellen, Fahrtzeiten, etc.) vorgegeben oder zumindest, dass von der Beklagten zu 2) der Fahrbetrieb alleine auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten von B. bzw. deren Arbeitnehmer abgestimmt gewesen wäre, nicht veranlasst. Der Kläger hat auch nichts anderes behauptet. Auf die Frage, ob die Bushaltestelle, die hier vor dem Werk 2 der Fa. B. in D. für den sog. Werksverkehr eingerichtet war, innerhalb oder außerhalb des Werksgeländes liegt, kommt es nicht an, solange der Werksverkehr, was hier eben nicht der Fall war, nicht Teil des öffentlichen Nahverkehrs ist.

2. Schädiger und Geschädigter waren Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen. Der Haftungsausschluss des § 105 I SGB VII greift hier dennoch ein, da sich der Unfall bei einer vorübergehenden Tätigkeit an einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 III SGB VII ereignete. Beide (Kläger und Beklagter zu 1) waren zum Unfallzeitpunkt Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung (zu dieser Voraussetzung vgl. BGH VersR 2011, 1567 m.w.N.).

Der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte erfasst betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst oder gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf bezüglich „konkreter Arbeitsvorgänge“ (vgl. BGH VersR 2011, 1567 m.w.N.), das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. BGH VersR 2008, 642; BGHZ 145, 331, 336; 157, 213, 216 f.; BAG VersR 2003, 1177, 1178). Die notwendige Arbeitsverknüpfung kann im Einzelfall selbst dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen oder unterstützen, etwa nur auf rein vertraglichen Beziehungen beruhen, welche für die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte nicht ausreichen würden (vgl. BGH VersR 2011, 1567), wenn die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete Absprachen getroffen werden, etwa wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. BGHZ 152, 7, 9; BGH VersR 2003, 904; OLG Schleswig r+s 2001, 197, 198 mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 10. Juli 2001 - VI ZR 53/01). Der in § 106 III SGB VII enthaltene Haftungsausschluss beruht nur auf dem Gedanken der sog. Gefahrengemeinschaft (vgl. BGH VersR 2011, 1567; BGHZ 148, 209, 212; 148, 214, 220; 151, 198, 202; 157, 213 ff.), es bedarf eines wechselseitigen Bezugs der betrieblichen Aktivitäten (vgl. BGH NJW 2004, 947) oder zumindest die Möglichkeit wechselseitiger Verletzungen durch das enge Zusammenwirken (BGH NJW 2008, 2116).

Bei Heranziehung der vorstehenden Grundsätze stellt sich die Fahrt des hier eingesetzten Werksbusses (s.o.) einschließlich der Ein- und Aussteigevorgänge hinsichtlich der Arbeitnehmer der Fa. B. (wie dem verunfallten Kläger) und dem bei der Beklagten zu 2) beschäftigten Busfahrer (Beklagter zu 1) als vorübergehende Tätigkeit in einer gemeinsamen Betriebsstätte dar. Die Gefahr, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger einen Schaden zufügen könnte, war nicht nur theoretischer Natur. Beim Betrieb des Busses sind Verletzungen während der Fahrt, aber auch beim Zu- oder Aussteigen nicht fernliegend, wie der Senat als Spezialsenat für Verkehrsunfälle aller Art im Hinblick auf eine Vielzahl sog. Busunfälle feststellen kann. Das Vorliegen einer wechselseitigen Gefahrengemeinschaft zeigt sich darin, dass auch die Werktätigen von B. (wie der Kläger) Gefährdungen des Beklagten zu 1) vermeiden müssen, die dadurch entstehen können, dass etwa der Fahrer während der Fahrt angesprochen wird, dadurch abgelenkt wird und die Gefahr eines Unfalls besteht. Hält sich ein Fahrgast nicht fest, kann ein Busfahrer durch schleudernde Gegenstände (Aktentaschen etc.) oder Fahrgäste verletzt werden. Der Werksbusbetrieb war in den Arbeitsablauf der Fa. B. eingebunden (s.o.), so dass wegen der in der Natur liegenden räumlichen Nähe konkrete Absprachen getroffen werden mussten und wurden (welche Haltestellen fährt der Bus an, wie lange dauert die Fahrt, wie ist zu fahren, ist ausreichend Platz im Bus vorhanden, etc.). Das Miteinander der Beteiligten stellt sich nicht nur als zufälliges Zusammentreffen dar, sondern bedurfte gegenseitiger Absprache und Ergänzung. Auch die Arbeitnehmer von B. mussten dafür sorgen, rechtzeitig an den jeweiligen Haltestellen anwesend zu sein, damit der Fahrtbetrieb so durchgeführt werden kann, dass der jeweilige Schichtbeginn eingehalten werden kann. Gerade die modernen Fertigungen, die ein minutiöses Ineinandergreifen von Arbeitsabläufen vorsehen, erfordern eine sichere Anwesenheit der erforderlichen Fachkräfte. Dies soll der Werksbusverkehr gewährleisten.

Schon grundsätzlich ist der Senat der Auffassung, dass regelmäßig in all den Fällen, in denen ein Unternehmen bezüglich der eigenen betrieblichen Abläufe einzelne Arbeitsschritte nicht mehr von eigenen, sondern von fremden Arbeitnehmern (Leiharbeitsverhältnisse) oder von anderen Unternehmen („Outsourcing“) durchführen lässt, sich der Charakter der Betriebsstätte und damit auch der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 III SGB VII dadurch nicht ändert, da das Ineinandergreifen des einen Arbeitsablaufs mit dem anderen in der Natur der Sache, also im vom Unternehmen vorgegebenen Arbeitsablauf und der vorhandenen Organisationsstruktur liegt. Geht man bei einem Werksverkehr nach ständiger Rechtsprechung, wie oben ausgeführt, von einem Teil der Betriebsorganisation und damit der Arbeitstätigkeit aus, wenn es sich um den Bus des Arbeitgebers des Verunfallten und um einen bei diesem angestellten Fahrer handelt, muss zwingend dieser Werksbus als betriebliche Stätte angesehen werden. An dieser Einschätzung kann sich jedoch nicht dadurch etwas ändern, dass der Arbeitgeber des Klägers diesen Teil des Betriebsablaufs fremd vergibt, die Einbindung des Busbetriebs aber in gleicher Weise erfolgt, als wenn das Unternehmen den Werksverkehr selbst durchführen würde, wovon hier auszugehen ist. Hier treffen die beiden Arbeitnehmer unterschiedlicher Unternehmen nicht zufällig bei der Erstellung eines Werks für einen Dritten zusammen, sondern die vorhandene Gefahrengemeinschaft innerhalb des Werks bleibt bestehen, nur mit dem Unterschied, dass dasselbe Werk nunmehr nicht nur von den eigenen Arbeitskräften, sondern auch von Arbeitnehmern anderer Unternehmen im eigenen Haus gefertigt wird. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von der Zulieferung oder der zufälligen Anwesenheit mehrerer an Arbeitsstätten, die außerhalb der betriebsinternen Werkstätten liegen.

3. Auf die sonstigen Einwände der Berufungsführer gegen die Entscheidung des Landgerichts kommt es daher nicht mehr an, weil die Haftung der Beklagten schon wegen des Haftungsprivilegs aus §§ 106 III, 105 I SGB VII ausscheidet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Revision war zuzulassen, weil die Sache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat, als bislang von der ober- bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt wurde, ob es sich bei einem Werksbus, der vom Unternehmen des Verunfallten ausschließlich zum Transport der eigenen Arbeitnehmer von Zuhause zum Werk und zurück eingerichtet, aber an ein drittes Unternehmen zur Durchführung übertragen wurde (sog. „Outsourcing“), um eine gemeinsame Betriebsstätte für den Busfahrer/das Busunternehmen und dem verunfallten gesetzlich unfallversicherten Arbeitnehmer handelt mit der Folge des Haftungsausschlusses i.S.d. §§ 106 III, 105 I SGB VII, wenn kein Vorsatz oder Wegeunfall i.S.d. § 8 II SGB VII vorliegt.