Das Verkehrslexikon
OLG Nürnberg Beschluss vom 21.03.2012 - 2 St OLG Ss 272/11 - Zum Kennzeichenmissbrauchs bei Gebrauch Führen Kfz mit einem österreichischen Händlerkennzeichen im Inland
OLG Nürnberg v. 21.03.2012: Zum Kennzeichenmissbrauchs bei Gebrauch Führen Kfz mit einem österreichischen Händlerkennzeichen im Inland
Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 21.03.2012 - 2 St OLG Ss 272/11) hat entschieden:
Ein Kennzeichenmissbrauch nach § 22 StVG scheidet aus, wenn ein Fahrzeug, das im Inland keinen regelmäßigen Standort (mehr) hat, im Inland auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt wird und dieses mit einem Kennzeichen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum versehen ist, sowie der Betreiber für das Fahrzeug eine gültige Zulassungsbescheinigung hat, die den Anforderungen in § 20 Abs. 1 Satz 2 FZV entspricht.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tirschenreuth hat den Angeklagten am 11.5.2011 wegen fahrlässigen Gebrauchs eines nicht zugelassenen Fahrzeugs in Tatmehrheit mit Kennzeichenmissbrauch zu einer Geldbuße von 100,00 € und zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagten Revision eingelegt.
Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt die Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
Die Revision ist zulässig (§§ 331, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) und hat - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Revision ist mit der Sachrüge begründet; sie führt wegen des Vorliegens eines Rechtsfehlers zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts und zur Zurückverweisung.
Gegenstand der Prüfung im Revisionsverfahren ist, da nur die Verletzung materiellen Rechts gerügt wurde, allein die Urteilsurkunde.
1. Im Urteil des Amtsgerichts wird zum festgestellten Sachverhalt und zur Beweiswürdigung folgendes ausgeführt:
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1.1. Feststellungen zum Sachverhalt (Urt. S. 2) u.a.:
„Der Angeklagte versah zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt am 13.11.2011 einen PKW D... C..., ..., den er an diesem Tag in Berlin erworben hatte, mit dem österreichischen Händlerkennzeichen ...
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Eine Zulassung in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte nicht. ...“
1.2. Rechtsausführungen (Urt. S. 3, 4) u.a.:
„... Das vom Angeklagten geführte Fahrzeug war objektiv nicht ordnungsgemäß zur Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen.
Die Benutzung eines Kraftfahrzeugs mit ausländischen Kennzeichen in der Bundesrepublik Deutschland ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn für das Fahrzeug kein regelmäßiger Standort in der Bundesrepublik Deutschland begründet ist (§ 20 Abs. 1 FZV).
Das vom Angeklagten genutzte Fahrzeug hatte jedoch zum Zeitpunkt der Zulassung seinen regelmäßigen Standort in der Bundesrepublik Deutschland, da es der Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland erworben hatte.
Somit war die Anbringung der Händlerkennzeichen zur Zulassung in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig. ...“
2. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen einen Verstoß gegen § 20 Abs. 1 FZV nicht.
Nach § 20 Abs. 1 FZV dürfen Fahrzeuge, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (...) zugelassen sind, vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedsstaates (...) eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Die Zulassungsbescheinigung muss mindestens die Angaben enthalten, die im Fahrzeugscheinheft für Fahrzeuge mit roten Kennzeichen nach Anlage 10 vorgesehen sind.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts nicht ausgeschlossen werden.
1. Der Senat folgt der von den Oberlandesgerichten Bamberg, München und Karlsruhe vertretenen Auffassung, dass bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Fernzulassung, das heißt die Zulassung eines im Inland befindlichen Fahrzeugs durch eine zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums grundsätzlich möglich ist (OLG Bamberg, Urteil vom 25.9.2007, Az.: 2 Ss 1/07; OLG München, Beschluss vom 21.2.2008, Az.: 4St RR 028/08; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.12.2010, Az.: 2 (9) Ss 268/10 - AK 107/10).
2. Der „regelmäßige Standort (Heimatort)“ (...) wird durch die tatsächliche Verwendung des Kraftfahrzeugs bestimmt; das ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht (BVerwG VRS 66, 309).
Die alleinige Feststellung, dass im vorliegenden Fall das Fahrzeug seinen regelmäßigen Standort in der Bundesrepublik Deutschland hatte, weil es der Angeklagte hier erworben hat, genügt zur Bestimmung des regelmäßigen Standorts nicht. Es bleibt offen, ob das Fahrzeug im Inland überhaupt genutzt wurde, oder, wenn dies der Fall gewesen ist, ob der regelmäßige Standort möglicherweise zwischenzeitlich aufgegeben wurde. Der Angeklagte wollte ersichtlich im Sinne der dargestellten Definition keinen regelmäßigen Standort in der Bundesrepublik Deutschland begründen, er wollte das Fahrzeug ausführen.
3. Feststellungen, ob eine den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 FZV entsprechende gültige Zulassungsbescheinigung vom Angeklagten mitgeführt wurde, enthält das Urteil des Amtsgerichts ebenfalls nicht.
III.
Wegen der aufgezeigten Mängel (§ 337 StPO) wird das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (§ 353 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tirschenreuth zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO); dort wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein.
Der Senat weist darauf hin, dass im neuerlichen Verfahren zum einen zu klären sein wird, ob das fragliche Fahrzeug unter Zugrundelegung der obigen Definition und den Ausführungen der Oberlandesgerichte Bamberg, München und Karlsruhe in den ge-nannten Entscheidungen im Zeitpunkt der Zulassung seinen regelmäßigen Standort im Inland hatte. Zum anderen, ob der Angeklagte gegebenenfalls eine österreichische Zulassungsbescheinigung, die den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 FZV entsprochen hat, hatte (vgl. Beschluss des Senats vom 21.3.2012, Az.: 2 St OLG Ss 243/11, unter Bezugnahme auf die genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte München und Karlsruhe).