Das Verkehrslexikon
OLG Düsseldorf Beschluss vom 05.06.1996 - 5 Ss 160/96 - 49/96 I - zum Anhaltezeichen eines Polizeibeamten zum Zweck einer Verkehrskontrolle
OLG Düsseldorf v. 05.06.1996: zum Anhaltezeichen eines Polizeibeamten zum Zweck einer Verkehrskontrolle
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 05.06.1996 - 5 Ss 160/96 - 49/96 I) hat entschieden:
Der Führer eines Kraftfahrzeuges, der von Polizeibeamten zur Durchführung einer Verkehrskontrolle angehalten wird, deren Aufforderung, aus dem Fahrzeug auszusteigen aber nicht nachkommt und stattdessen die Fahrzeugtüren von innen verriegelt, leistet bei der Vornahme der rechtmäßigen Diensthandlung der Polizeibeamten mit Gewalt Widerstand im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,- DM verurteilt. Seine Berufung hat das Landgericht mit der Maßgabe verworfen, dass dem Angeklagten gestattet wird, die Geldstrafe in monatlichen Raten von je 100,- DM zu zahlen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am Freitag, dem 28. Juni 1991, wurde der von dem Angeklagten gesteuerte Pkw Ford Sierra mit dem amtlichen Kennzeichen ... gegen 2.50 Uhr von Beamten einer Polizeizivilstreife verfolgt und auf dem beleuchteten Parkplatz der Bahnpolizei am Hauptbahnhof in Düsseldorf angehalten, weil er zeitweilig ohne Licht fuhr und beschleunigt wurde. Einer der Beamten hielt seinen als solchen erkennbaren Dienstausweis vor die Windschutzscheibe des Fahrzeugs. Der Angeklagte und sein Beifahrer, der Zeuge M. L., wurden von den Zivilbeamten lautstark aufgefordert, den Pkw zu verlassen. Daraufhin verriegelte der Angeklagte von innen die Fahrzeugtüren des Wagens und blieb zusammen mit L. im Pkw sitzen. Erst als die Beamten androhten, die Seitenscheibe des Fahrzeugs einzuschlagen, öffnete der Zeuge L. die Beifahrertür. Der Angeklagte und L. wurden durchsucht und zur Feststellung der Personalien in eine Polizeiwache verbracht.
II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch für die Sachrüge. Der Angeklagte hat den zur Vollstreckung von Gesetzen und Verfügungen berufenen Polizeibeamten bei der Vornahme einer rechtmäßigen Diensthandlung im Sinne des § 113 StGB mit Gewalt Widerstand geleistet, indem er nach Aufforderung zum Aussteigen die Türen des Pkw von innen verriegelt hat. Die Ausführungen der Revisionsbegründung geben lediglich Anlass zu folgenden Bemerkungen:
1. Bei den Anordnungen der Beamten der Zivilstreife handelt es sich um rechtmäßige Vollstreckungshandlungen hierzu berufener Amtsträger im Rahmen einer Verkehrskontrolle gemäß § 36 Abs. 5 StVO.
a) Eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn ein Amtsträger mit seiner Tätigkeit den konkretisierten, also auf einen bestimmten Fall anzuwendenden und nach Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die in § 113 StGB bezeichneten Staatsorgane begrenzten staatlichen Willen notfalls zwangsweise durchzusetzen bezweckt (BGHSt. 25, 313, 314; OLG Celle NJW 1973, 2215; von Bubnoff in: Leipziger Kommentar zum StGB, 4. Band, 10. Aufl., § 113, Rn. 11; Eser in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 113, Rn. 10 und 13). Auch die unmittelbare Vollstreckung des in einem Gesetz zum Ausdruck gekommenen Staatswillens durch den hierzu berufenen Amtsträger ohne vorausgegangene gerichtliche oder behördliche Anordnung genießt den Schutz des § 113 StGB (RGSt. 41, 82, 85 ff.; BGHSt. 25, 313, 315; Dreher-Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 113, Rn. 3).
§ 36 Abs. 5 Satz 1 StVO ermächtigt die Polizeibeamten, Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle anzuhalten. Der Vollstreckung dieser gesetzlichen Ermächtigung im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36 Abs. 5 S. 2 StVO in der zur Tatzeit gültigen Fassung der Neunten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung vom 22. März 198B (BGBl. I S. 405; nach der Neufassung durch die Elfte Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung vom 19. März 1992 [BGBl. I S. 678) jetzt Satz 4) von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist (BGH a.a.O.; Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 36 StVO, Rn. 24; Mühlhaus-Janiszewski, StVO, 14. Aufl., § 36, Rn. 12). Ein Polizeibeamter, der einen Verkehrsteilnehmer bei einer Verkehrskontrolle im Sinne des § 36 Abs. 5 StVO anhält, nimmt deshalb eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 StGB vor (BGH a.a.O.; OLG Celle NJW 1973, 2215; von Bubnoff a.a.O., Rn. 11; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 4; Eser a.a.O., Rn. 11 und 13; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 25; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 14). Die Zivilkleidung des Beamten ist für seine Befugnisse als Amtsträger oder den Charakter seiner Tätigkeit als Diensthandlung ohne Bedeutung (OLG Hamburg VRS 24, 193, 195; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 16; Eser a.a.O., Rn. 13).
b) Der Angeklagte war nach § 36 Abs. 5 S. 2 StVO a.F. verpflichtet, der Aufforderung der Polizeibeamten zum Anhalten und Aussteigen zu folgen. Diese Anweisungen waren nach Inhalt und Zweck durch jene Bestimmung gedeckt und deshalb rechtmäßig im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.
§ 36 Abs. 5 StVO ermächtigt die Polizeibeamten zur Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen, d.h. zur Prüfung der Fahrtüchtigkeit der Fahrzeugführer, der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere sowie des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung des Fahrzeugs (BGHSt. 32, 248, 254 f.; Senatsbeschluss vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 1; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24). Diese Bestimmung ist vorliegend nicht etwa deshalb unanwendbar, weil sich die Polizeibeamten nach den Feststellungen des Landgerichts wegen der zeitweilig ausgeschalteten Beleuchtung des Fahrzeugs und damit wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 17 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 Nr. 17 StVO, 24 Abs. 1 StVG zum Anhalten des Pkw entschlossen haben. Abs. 5 des § 36 StVO gestattet - anders als Abs. 1 dieser Vorschrift (BGHSt. 32, 248, 251 ff.; Senatsbeschluss vom 30. März 1994 in DAR 1994, 330 = NZV 1994, 408 [L] = JMBI. NW 1994, 238 = VM 1994, 76; jeweils m.w.N.) - auch Anhalteweisungen wegen Zielen, die über die konkrete Verkehrsregelung und die Beseitigung aktueller Verkehrsbeeinträchtigungen hinausgehen (BGHSt. 32, 248, 253; Senatsbeschluss vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 I). Nicht erfasst sind lediglich Weisungen, die ausschließlich zum Zwecke der Verfolgung des Betroffenen wegen einer Straftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit dienen (BGH a.a.O., S. 255; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 12; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Es ist jedoch gerichtsbekannt, dass Polizeibeamte in solchen Fällen auch prüfen, ob der betroffene Verkehrsteilnehmer im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist. Die Aufforderung zum Anhalten sollte damit zugleich eine Kontrollmaßnahme im Sinne des § 36 Abs. 5 StVO ermöglichen; es handelte sich deshalb um eine von dem Angeklagten zu befolgende Weisung (Senatsbeschluss vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 I; OLG Düsseldorf [3. Strafsenat] VRS 73, 387, 388; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24 mwN.; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O.).
Gleiches gilt - entgegen der Auffassung der Revisionsbegründung - für die Anweisung zum Verlassen des Fahrzeugs. Die sich aus § 36 Abs. 5 StVO ergebende Weisungsbefugnis des Polizeibeamten deckt alle mit der Verkehrskontrolle verbundenen und ihrer Durchführung dienenden Anweisungen (Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 12). Hierzu gehört auch die Aufforderung zum Aussteigen (Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 25).
2. Der Angeklagte hat den Polizeibeamten bei dieser Diensthandlung durch das Verriegeln der Türen im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB mit Gewalt Widerstand geleistet.
a) Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte setzt eine aktive Tätigkeit voraus, die nach der Vorstellung des Täters geeignet ist, die Vollziehung der Diensthandlung zu verhindern oder zu erschweren; rein passives Verhalten oder bloßer Ungehorsam genügen nicht (BGHSt. 18, 133, 134; OLG Karlsruhe NJW 1974, 2142 f.; Eser a.a.O., Rn. 40 und 42; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 18 und 19; von Bubnoff a.a.O., Rn. 15). Durch das Verriegeln der Türen hat der Angeklagte eine aktive Tätigkeit in diesem Sinne entfaltet, die bestimmt und geeignet war, die Polizeibeamten an einer Verkehrskontrolle zu hindern (vgl. OLG Celle NSTE Nr. 6 zu § 113 StGB = OLGSt. StGB § 113 Nr. 8).
b) Das Verriegeln der Türen stellt sich auch als Ausübung von Gewalt im Sinne des § 113 StGB dar.
aa) Der Begriff der Gewalt wird im StGB gebraucht; sein Inhalt ist deshalb nach Struktur und Ziel des jeweiligen Tatbestandes gesondert zu ermitteln (BGHSt. 23, 46, 49 f.). § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB verlangt als Gewalt weder einen tätlichen Angriff (Alt. 2) im Sinne einer unmittelbar auf den Körper des Beamten zielenden feindseligen Einwirkung (Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 21 m.w.N.), noch eine durch ein aggressives Verhalten gekennzeichnete (BGHSt. 23, 46, 51 ff.) Gewalttätigkeit im Sinne von Abs. 2 Nr. 2 dieser Vorschrift (von Bubnoff a.a.O., Rn. 14); auch die zu § 240 Abs. 1 StGB entwickelten Kriterien (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 18. März 1996 in JMBI. NW 1996, 120 m.w.N.) sind nicht übertragbar (Eser a.a.O., Rn. 42). Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB ist vielmehr eine durch tätiges Handeln (oben a) unmittelbar oder mittelbar gegen die Person des Vollstreckungsbeamten gerichtete Kraftäußerung, für die bei einer gegen Sachen gerichteten Einwirkung erforderlich ist, dass sie von dem Beamten körperlich empfunden wird und er seine Amtshandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen (BGHSt. 18, 133, 134 f.; OLG Karlsruhe NJW 1974, 2142 f.; von Bubnoff a.a.O., Rn. 14; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 19; Eser a.a.O.).
bb) Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn der Täter durch das Verschließen von Türen den Austritt (RGSt. 27, 405, 406) oder Eintritt des Amtsträgers verhindert und damit die Amtshandlung zumindest erschwert (BGH a.a.O.; von Bubnoff a.a.O., Rn 15; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 19). Dem steht das Verriegeln eines Kraftfahrzeugs zur Verhinderung einer Verkehrskontrolle gleich (OLG Celle NSTE Nr. 6 zu § 113 StGB = OLGSt. StGB § 113 Nr. 8). Dem Polizeibeamten wird hierdurch ein körperlich wirkendes Hindernis bereitet, durch das ihm die Ausführung der Diensthandlung ganz oder jedenfalls ohne erheblichen Kraftaufwand unmöglich gemacht wird. Insoweit besteht zwischen dem Ein- und dem Aussperren eines Vollstreckungsbeamten kein Unterschied (aA. Eser a.a.O., Rn. 42), da sich dieser auch im letzteren Fall der physischen Zwangswirkung nur dadurch entziehen kann, dass er von der Amtshandlung absieht. Ein solches Verlangen wäre aber mit dem Zweck des § 113 StGB unvereinbar, den in Gesetz, Rechtsverordnung, Urteil, Gerichtsbeschluss oder Verfügung zum Ausdruck gebrachten Staatswillen und die zu seiner Ausführung berufenen Organe zu schützen (RGSt. Al, 82, 85; OLG Karlsruhe NJW 1974, 2142, 2143; Eser a.a.O., Rn. 2; von Bubnoff a.a.O., Rn. 2).
c) Der Angeklagte hat den Polizeibeamten bei ihrer Diensthandlung Widerstand geleistet.
Voraussetzung hierfür ist, dass sich der Täter einer bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht beendeten Vollstreckungshandlung widersetzt (RGSt. 41, 181, 183; BGHSt. 25, 313, 314; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 9 m.w.N.; von Bubnoff a.a.O., Rn. 12; Eser a.a.O., Rn. 15). Dies war vorliegend der Fall, da die Polizeibeamten den Angeklagten zur Durchführung der Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO schon vor der Verriegelung der Fahrzeugtüren zum Anhalten und Aussteigen aufgefordert hatten und bereits das Haltegebot den Beginn der Amts- und Vollstreckungshandlung darstellte, zu deren Zweck die Anweisung erteilt wurde (BGHSt. 25, 313, 315; OLG Köln VRS 35, 344, 345 f. m.w.N.; von Bubnoff a.a.O., Rn. 11; Eser a.a.O., Rn. 16).
Es bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung, ob und unter welchen Umständen eine lediglich zur Verhinderung und -Erschwerung einer - noch nicht begonnenen - zukünftigen Amtshandlung vorgenommene Tätigkeit als "vorweggenommene" Widerstandsleistung tatbestandsmäßig im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB ist (dazu BGHSt. 18, 133, 135; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 9; von Bubnoff a.a.O., Rn. 12; Eser a.a.O., Rn. 16) und inwieweit dies auch für das Verriegeln eines Kraftfahrzeugs in Erwartung späterer Diensthandlungen der Polizeibeamten gilt (vgl. OLG Celle NSTE Nr. 6 zu § 113 StGB = OLGSt. StGB § 113 Nr. 8). Ebenso kann dahinstehen, ob § 113 Abs. 1 StGB unanwendbar ist, wenn der Täter in solchen Fällen unmittelbar nach der Aufforderung des Polizeibeamten, das Fahrzeug zu öffnen und auszusteigen, die bereits zuvor vorgenommene Handlung wieder rückgängig macht (so OLG Celle a.a.O.), da hier der Angeklagte das Fahrzeug erst nach diesen Anweisungen und in bewusstem Widerspruch zu ihrem Inhalt verriegelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.