Das Verkehrslexikon

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Amtsgericht Siegen Urteil vom 30.11.2012 - 14 C 2166/12 - Zur Höhe der Regressforderung bei relativer Fahruntüchtigkeit

AG Siegen v. 30.11.2012: Zur Höhe der Regressforderung bei relativer Fahruntüchtigkeit des Versicherungsnehmers


Das Amtsgericht Siegen (Urteil vom 30.11.2012 - 14 C 2166/12) hat entschieden:
Unterläuft dem mit 0,7 ‰ alkoholisierten Versicherungsnehmer ein alkoholbedingter Fahrfehler, der zu einem Fremdschaden von über 8.000,00 € geführt hat, steht dem Versicherer eine Regressforderung von 75% zu, wobei der Regress auf die Höchstsumme von 5.000,00 € begrenzt ist.


Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten im Wege des Regresses im Innenverhältnis aufgrund eines Verkehrsunfalles in Anspruch.

Die Klägerin war Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen ...Dieses war im Februar 2011 in einen Verkehrsunfall verwickelt. Zu diesem Zeitpunkt führte der Beklagte dieses als mitversicherte Person.

Am 24.02.2011 kam es zu einem Verkehrsunfall, bei welchem ein durch den Beklagten verursachter Fremdschaden in Höhe von 8.952,43 € entstand. Der Unfallhergang ereignete sich wie folgt:

Der Beklagte fuhr mit dem Fahrzeug bei glatter Straße auf eine Unfallstelle zu, die weithin sichtbar durch ein Einsatzfahrzeug der Polizei mit eingeschaltetem Blaulicht abgesichert war. Zu diesem Zeitpunkt wies der Beklagte eine Alkoholisierung von mindestens 0,7 Promille auf. Der Beklagte fuhr ohne abzubremsen an dem Fahrzeug vorbei, welches vor der Unfallstelle mit eingeschaltetem Blaulicht abgestellt war und näherte sich dann mit hoher Geschwindigkeit dem dahinter abgesperrten Unfallbereich. Dort befand sich der POK , welcher dem Beklagten Handzeichen gab, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Nachdem der Beklagte die Unfallstelle wahrgenommen und ein Bremsmanöver eingeleitet hatte, verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und rutschte auf die Unfallstelle und den Polizeibeamten zu. Er kollidierte mit dem am Unfallort stehenden weiteren Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... .

Mit Schreiben vom 02.03.2012 wurde der Beklagte unter Fristsetzung zum 02.04.2012 zur Zahlung aufgefordert. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Die Klägerin behauptet, der Unfall sei auf die Alkoholisierung des Beklagten zurückzuführen. Ein nüchterner Verkehrsteilnehmer wäre anstelle des Beklagten nicht an dem bei der Gefahrenstelle zur Absicherung eingesetzten Polizeifahrzeug mit unverminderter Geschwindigkeit vorbeigefahren, sondern hätte die Geschwindigkeit angepasst, wäre notfalls auch in Schrittgeschwindigkeit unter Berücksichtigung des vorhandenen Glatteises auf die Unfallstelle zugefahren.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2012 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verkehrsunfall auf die Fahruntüchtigkeit des Beklagten zurückzuführen sei. Der Unfall wäre auch ohne Alkoholisierung des Beklagten geschehen. Dies sei deshalb der Fall, weil die Fahrbahn abschüssig und winterglatt gewesen sei. Der Unfall sei allein auf die Winterglätte zurückzuführen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 5.000,00 € gemäß § 426 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag und D.3.1 Satz 2 AKB 2008.

Die Klägerin war Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen.... Der Beklagte führte zum Unfallzeitpunkt das Fahrzeug und war mitversicherte Person im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung.

Am 24.02.2011 kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem ein Fremdschaden in Höhe von 8.952,34 € entstand. Die Klägerin hat diesen Schadensbetrag unstreitig beglichen.

Die Klägerin ist auch berechtigt, bei dem Beklagten bis zum Höchstbetrag gemäß D.3.3 der AKB 2008 Regress zu nehmen, da im Innenverhältnis zu dem Beklagten als Versicherungsnehmer die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung vorliegen. Gemäß Ziffer D.3.1 AKB 2008 ist der Versicherer berechtigt, entsprechend der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers die Leistung zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten grob fahrlässig verletzt. Eine Pflichtverletzung liegt gem. D.2.1 vor, wenn der Fahrer durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Beklagte war im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles alkoholbedingt fahruntüchtig. Er wies zum Unfallzeitpunkt unstreitig eine BAK von mindestens 0,7 Promille auf. Bei einer unter 1,1 Promille liegenden Alkoholisierung (relative Fahruntüchtigkeit) folgt die Fahruntüchtigkeit nicht allein aus dem Grad der Alkoholisierung; hier müssen zur Feststellung der relativen Fahruntüchtigkeit, die etwa bei 0,3 Promille beginnt, zusätzliche Anzeichen für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hinzukommen, insbesondere alkoholtypische Fahrfehler oder Ausfallerscheinungen. Die relative Fahruntüchtigkeit ist vom Versicherer zu beweisen, ohne dass kraft Anscheinsbeweis auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen werden könnte; erforderlich sind individuelle Feststellungen. Die Anforderungen an die Beweiszeichen für das Vorliegen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen sind jedoch umso geringer, je stärker sich der Blutalkoholgehalt der Grenze von 1,1 Promille annähert (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2010 - 20 O 74/10 = NJW 2011, 85). Es kann allerdings der Anscheinsbeweis für die Frage der Ursächlichkeit der Fahruntüchtigkeit für den Unfall herangezogen werden (OLG Hamm, Urteil vom 27.10.1993 - 20 U 197/93 = NJW 1994, 1662).

Anhand dieser Voraussetzung steht fest, dass dem Beklagten ein alkoholbedingter Fahrfehler vorgeworfen werden kann. Nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin fuhr der Beklagte auf winterglatter Fahrbahn an einem mit Blaulicht am Straßenrand abgestellten Polizeiwagen ungebremst vorbei und leitete das Bremsmanöver erst ein, als er die Unfallstelle wahrnahm. Darin liegt eine typische alkoholbedingte Ausfallerscheinung. Es ist allgemein anerkannt, dass das nicht rechtzeitige Wahrnehmen von Warnsignalen durch einen alkoholisierten Fahrer bei einfacher Fahrsituation für eine relative Fahruntüchtigkeit des Fahrers spricht. Aus rechtsmedizinischer Sicht sind gerade das zu späte Erkennen solcher Warnsignale und die Fehleinschätzung als alkoholtypische Fehlleistungen anzunehmen (vgl. Knappmann in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage, 2010, AKB 2008 A.2.16 Rdnr. 45).

Der Beklagte hat den Versicherungsfall infolge des Genusses alkoholischer Getränke grob fahrlässig herbeigeführt.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH, Urteil vom 29. 1. 2003 - IV ZR 173/01 = NJW 2003, 1118). Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer, § 28 Abs. 2 S. 2 VVG. Grob fahrlässig handelt jedenfalls, wer in fahruntüchtigem Zustand ein Fahrzeug führt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2010 - 20 U 74/10).

Der Beklagte hat den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht erschüttert. Dem Beklagten ist nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht ein gesteigerter Vorwurf zu machen, denn es ist ihm jedenfalls der Vorwurf mangelnder Selbstprüfung zu machen. Soweit der Beklagte ausführt, er habe nur deshalb nicht bremsen können, weil sich sein Fahrzeug auf winterglatter und abschüssiger Straße befunden habe, ist dies nicht geeignet, den Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen zu lassen. Vielmehr wäre der Beklagte gehalten gewesen, seine Fahrweise diesen Bedingungen anzupassen, zumal er durch das sich vor Ort befindliche Polizeifahrzeug hinreichend auf etwaige Gefahren aufmerksam gemacht worden ist.

Unter Abwägung aller Umstände, die zur Schwere des Verschuldens des Beklagten hinzugezogen werden können, ist im vorliegenden Fall eine Kürzung des Leistungsanspruchs des Beklagten um 75 % gerechtfertigt. Die Kürzung im Verhältnis der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers hat unter wertender Betrachtung der maßgeblichen Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu erfolgen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2010 - 20 O 74/10 = NJW 2011, 85).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die hier gegebene relative Fahruntüchtigkeit keine mildere Form der Fahruntüchtigkeit darstellt, weil es bei der Unterscheidung zur absoluten Fahruntüchtigkeit allein um die Frage des Nachweises geht. Insoweit steht unstreitig fest, dass der Beklagte in dem vorangegangenen Strafverfahren gemäß § 315 c StGB im Strafbefehlswege verurteilt worden ist. Dabei hat das Gericht zu berücksichtigen, dass dem Beklagten lediglich ein fahrlässiger Verstoß vorgeworfen worden ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Obliegenheitsverletzung im vorliegenden Fall über einen längeren Zeitraum andauerte. Schließlich ist der Grad der Alkoholisierung von 0,7 Promille zu berücksichtigen, der im mittleren Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit einzuordnen ist. Umstände, die vorliegend das Verschulden des Beklagten in einem milderen Licht erscheinen lassen, vermag das Gericht nur insofern anzunehmen, als der Beklagte noch versucht hat, den Unfall zu vermeiden, dies ihm jedoch aufgrund objektiver Umstände, nämlich einer winterglatten abschüssigen Fahrbahn, nicht gelungen ist.

Unter Berücksichtigung aller Umstände sieht das erkennende Gericht deshalb eine Leistungskürzung um 75 % als dem Verschulden des Beklagten entsprechend an.

Der Höhe nach ist der entstandene Fremdschaden von 8.952,43 € unstreitig, so dass der Beklagte bei einer Quote von 75 % verpflichtet ist, den auf 5.000,00 € gedeckelten Betrag der Klägerin zu ersetzen.

Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.