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OLG Schleswig Urteil vom 30.08.2012 - 7 U 146/11 - Zur Dauer der Nutzungsausfallentschädigung bei verzögerter Erstellung bzw. Übersendung des Schadengutachtens
OLG Schleswig v. 30.08.2012: Zur Dauer der Nutzungsausfallentschädigung bei verzögerter Erstellung bzw. Übersendung des Schadengutachtens durch den Sachverständigen und zur Prüfungsfrist des KFZ-Haftpflichtversicherers bei eindeutiger Haftungslage
Das OLG Schleswig (Urteil vom 30.08.2012 - 7 U 146/11) hat entschieden:
Die ungewöhnlich lange Dauer zwischen der Beauftragung des Sachverständigen am Unfalltage und dem Zugang des Gutachtens genau einen Monat später geht nicht zulasten des Geschädigten, denn der vom Unfallgeschädigten beauftragte Sachverständige ist nicht dessen Erfüllungsgehilfe, sodass sich der Geschädigte ein Verschulden des Sachverständigen grundsätzlich nicht zurechnen lassen muss. Dem Geschädigten steht Nutzungsausfall für diesen Zeitraum zusätzlich zu.
Gründe:
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch um vom Kläger geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung, die Ersatzfähigkeit von Verbringungskosten bei Abrechnung auf Gutachtenbasis sowie die Kosten nach teilweiser übereinstimmender Erledigungserklärung bzw. teilweiser Rücknahme wegen Zahlungen des Beklagten zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit.
Dem zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 27.03.2011, wobei die volle Haftung des Beklagten, der in der Sache für einen bulgarischen Korrespondenzversicherer eintritt, dem Grunde nach unstreitig ist.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage, soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt haben bzw. der Kläger wegen Zahlungen zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit die Klage zurückgenommen hat, abgewiesen und dem Kläger die Kosten insgesamt auferlegt.
Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er seinen zuletzt in I. Instanz gestellten Antrag – nämlich
den Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere 1.464,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit (16.07.2011) zu zahlen
– weiterverfolgt und auf deren Zurückweisung der Beklagte anträgt, hat weitgehend Erfolg.
Das angefochtene Urteil leidet an Rechtsfehlern, die zugrunde zu legenden Tatsachen gebieten eine in weiten Teilen andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger weiteren Nutzungsausfall für 31 Tage zu zahlen; der Tagessatz von 43,00 € ist unstreitig, mithin hat der Kläger Anspruch auf Zahlung weiterer 1.333,00 €.
Der Senat hatte bereits mit Verfügung vom 30.05.2012 darauf hingewiesen, dass die ungewöhnlich lange Dauer zwischen der Beauftragung des Sachverständigen S. am Unfalltage und dem Zugang des Gutachtens genau einen Monat später (27.04.2011) nicht zulasten des Klägers geht. Denn der vom Unfallgeschädigten beauftragte Sachverständige ist nicht dessen Erfüllungsgehilfe, sodass sich der Geschädigte ein Verschulden des Sachverständigen grundsätzlich nicht zurechnen lassen muss. Einer der Ausnahmefälle, in denen der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten sein kann, einen anderen Sachverständigen zu beauftragen, liegt ersichtlich nicht vor. Wie durch den Ausdruck der E-Mail des Prozessbevollmächtigten des Klägers an den Sachverständigen vom 27.04.2011 und dessen Rückmail zweitinstanzlich dargelegt, beruhte die verzögerte Versendung des auf den 12.04.2011 datierten Gutachtens offenbar auf einem Versehen des Sachverständigen.
Da dem Kläger auch im Zeitraum der Gutachtenerstattung sowie darüber hinaus für die in dem Gutachten aufgeführte Reparaturdauer sein Fahrzeug nicht zur Verfügung stand, hat er – unter Abzug des Zeitraumes, in dem er einen Mietwagen in Anspruch genommen hatte – Anspruch Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung. Für den Zeitraum vom 28.03. bis 05.04.2011 hat der Kläger einen Mietwagen in Anspruch genommen, der Beklagte hat diese Kosten reguliert. Für den Zeitraum vom 06.04. bis zum 27.04.2011 (Zugang des Gutachtens), zuzüglich der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturdauer von ca. 8 – 9 Arbeitstagen – anzusetzen ist dabei nur die Mindestzeit von 8 Arbeitstagen – sowie zwei Wochenendtage, führen zu 31 Tagen, für die der Kläger Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung hat. Der Kläger war dabei nicht gehalten, sein nicht fahrbereites Fahrzeug im Wege einer Notreparatur fahrbereit zu machen; dies scheitert allein schon daran, dass das Fahrzeug auf der Richtbank montiert, das Fahrzeugheck und die rechte Fahrzeugseite maßhaltig zurückverformt und abschließend Achsvermessungsarbeiten vorgenommen werden mussten. Dies ist einer Notreparatur nicht zugänglich. Der Kläger war auch nicht gehalten, schon gar nicht vor Zugang des Gutachtens, seine eigene (Voll-)Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um die Reparaturkosten vorzufinanzieren. Jedenfalls in Fällen der vollen Haftung des Unfallgegners – wie hier – trifft den Geschädigten eine derartige Schadensminderungsobliegenheit nicht (vgl. OLG Düsseldorf, 1 U 52/07, Urteil vom 15.10.2007).
Dass der Kläger auch ansonsten nicht zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten in der Lage gewesen wäre, worauf er den Beklagten hingewiesen hatte und was (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2012, S. 253 f.) ggf. auch zulasten des Beklagten gegangen wäre, spielt mithin keine Rolle.
Zinsen auf den zuerkannten Betrag gebühren dem Kläger gem. § 291 BGB.
Hingegen steht dem Kläger ein weiter geltend gemachter Tag (offenbar der 9. Reparaturtag) als Nutzungsausfallentschädigung nicht zu, ebenso wenig kann er bei fiktiver Abrechnung die im Sachverständigengutachten angesetzten Verbringungskosten geltend machen. Der Senat folgt insoweit den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils, wobei ergänzend anzumerken ist, dass der Anfall von Verbringungskosten keinesfalls zwangsläufig ist, sondern eher vom Zufall abhängt, wie der Senat als Spezialsenat für Verkehrsunfallsachen aus einer Vielzahl von Verfahren weiß.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2, 91 a und 269 Abs. 3. S. 3 ZPO.
Es entspricht der Billigkeit unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage, dass der Beklagte sowohl die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Teiles als auch des zurückgenommenen Teils, der sich zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit faktisch „erledigt“ hat, trägt. Denn der Beklagte befand sich bereits bei Eingang der Klage am 21.06.2011 in Verzug.
Dabei steht es außer Frage, dass dem in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer auch bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen ist, vor deren Ablauf eine Klage nicht veranlasst ist. Ob man diese – wie z. B. das OLG Koblenz im Beschluss vom 20.04.2011 (12 W 195/11) mit 4 – 6 Wochen bemessen will, kann dahinstehen.
Denn bei dem Unfallgeschehen vom 27.03.2011 handelte es sich um einen recht simplen Auffahrunfall, die volle Haftung des über den Beklagten bzw. dessen Korrespondenzversicherer versicherten Schädigers lag auf der Hand.
Entgegen dem recht undifferenzierten Vortrag des Beklagten, ihm sei erst „Mitte Juni“ die Ermittlungsakte zur Verfügung gestellt worden, hat der Kläger bereits in I. Instanz substanziiert dargelegt, dass dem von dem Beklagten mit der Regulierung beauftragten Schadenbüro bereits mit E-Mail vom 26.05.2011 (Ausdruck Bl. 61 d.A.) die Ermittlungsakte als pdf.-Datei zur Verfügung gestellt worden ist. Da der Beklagte bzw. das Regulierungsbüro zu diesem Zeitpunkt alle sonstigen Unterlagen bereits in Händen hatte, zudem auch verpflichtet gewesen wären, zuvor über den bulgarischen Korrespondenzversicherer eine Schadensdarstellung einzuholen, befand sich der Beklagte jedenfalls ab Anfang Juni 2011 in Verzug. Die Klageinreichung erfolgte damit nicht verfrüht, sodass – bei der eindeutigen Haftungslage – der Beklagte sowohl die Kosten des erledigten als auch des zurückgenommenen Teils zu tragen hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.