Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin (Urteil vom 27.02.2012 - 22 U 166/11 - Zur Haftung beim Anfahren aus einem Taxihalteplatz

KG Berlin v. 27.02.2012: Zur Haftung beim Anfahren aus einem Taxihalteplatz


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 27.02.2012 - 22 U 166/11) hat entschieden:
Beim Anfahren von einem Taxistand in den öffentlichen Verkehr sind die besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO zu berücksichtigen. Der Vorgang des Ausfahrens in die öffentliche Straße ist erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat; dies gilt auch dann, wenn der Vorgang kurzfristig unterbrochen wird und das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat (Fortführung KG Berlin, 27. November 2006, 12 U 181/06, NZV 2007, 359). Kollidiert ein von einem Taxistand kommendes Taxifahrzeug mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs, das nach einem Ampelstopp wieder anfährt, trifft den Taxifahrer das Alleinverschulden.


Gründe:

I.

Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nummer 1 ZPO wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1, Satz 1 ZPO abgesehen (vgl. § 26 Nummer 5 EGZPO).


II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Gemäß § 513 ZPO ist das angefochtene Urteil durch das Berufungsgericht nur darauf zu überprüfen, ob dem Erstgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, oder ob auf Rechtsfehler beruhende Irrtümer in der Tatsachenfeststellung die Entscheidungsfindung beeinflusst haben.

Beides vermag der Senat nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festzustellen.

Der Senat teilt das Ergebnis der landgerichtlichen Wertungen und folgt in der rechtlichen Würdigung den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug genommen wird.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass gegen den Fahrer des Fahrzeugs des Klägers, den Drittwiderbeklagten und jetzigen Zeugen A, der Beweis des ersten Anscheins streitet, er habe bei dem Vorhaben, von dem neben der Straße befindlichen Taxi-Halteplatz in den Verkehr auf der M...straße einzufahren, nicht die ihm durch § 10 StVO auferlegten, besonderen Sorgfaltspflichten beachtet. Die Anwendung dieser Vorschrift ist hier nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Fahrer nach Darstellung des Klägers den Vorgang des Einfahrens auf halben Wege unterbrochen und angehalten habe, so dass sein Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Selbst wenn diese Darstellung des Klägers den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse zutreffend wiedergäbe, ist darauf hinzuweisen, dass der Vorgang des Ausfahrens im Sinne von § 10 StVO nicht schon durch das Anhalten des Fahrers beendet worden wäre. Vielmehr ist der Vorgang des Ausfahrens in die öffentliche Straße erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat; dies gilt auch dann, wenn der Vorgang kurzfristig unterbrochen wird (Kammergericht, Beschluss vom 27. November 2006 – 12 U 181/06 – NZV 2007, 359).

Diesen mithin gegen seinen Fahrer streitenden Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht zu erschüttern vermocht.

Der von dem Kläger als Zeuge benannte Fahrer seines Fahrzeugs, der im zweiten Rechtszug nicht mehr Partei des Rechtsstreits ist uns deshalb als Zeuge zu hören war, hat schon nicht die Behauptung des Klägers bestätigt, das Fahrzeug habe mehrere Sekunden gestanden als der Beklagte zu 1) gegen das stehende Fahrzeug gefahren sei. Vielmehr hat der Zeuge A angegeben, er habe das von ihm gesteuerte Fahrzeug des Klägers schon wieder in Bewegung gesetzt gehabt als sich die Kollision ereignete. Dieser Vorgang soll sich nach Erinnerung des Zeugen allerdings abgespielt haben, nachdem er das Fahrzeug aus der Reihe der wartenden Taxen heraus und so in die M...straße hinein manövriert hatte, dass es bereits mit mehr als dem halben Wagen (Motorhaube einschließlich Fahrertür) quer zu der Fahrtrichtung in der M...straße gestanden habe. In dieser Position will der Zeuge einige Zeit – auf eine bestimmte Anzahl von Sekunden konnte er sich nicht festlegen – gestanden haben und mit einem Auge die Ampel beobachtet, mit dem anderen seinen gerade erhaltenen Auftrag nochmals gelesen haben.

Diese Erinnerung des Zeugen wird dem tatsächlichen Geschehen jedoch erkennbar nicht gerecht.

Gegen diese Darstellung spricht nicht allein die dokumentierte Beschädigung des Fahrzeugs des Klägers, die ausweist, dass die Tür des Fahrzeugs im Wesentlichen unbeschädigt geblieben ist, insbesondere der Anstoß erst in Höhe des linken vorderen Kotflügels, beginnend am Radausschnitt erfolgte. Dass die Erinnerung des Zeugen den Vorgang nach nunmehr annähernd zwei Jahren nicht mehr zuverlässig wieder spiegelt wird insbesondere durch das von den Beklagten eingereichte Foto belegt, das der Beklagte zu 1) unmittelbar nach der Kollision mit seinem Handy fertigte (Blatt 160 der Akten). Der Zeuge hat zwar zunächst mit Bestimmtheit bekundet, er habe sein Fahrzeug in einem Winkel auf der Straße in Position gebracht, dass nicht einmal mehr ein PKW hätte daran vorbeifahren können, sonder allenfalls noch ein Moped habe passieren können. Diese Darstellung hat er auch auf wiederholtes Befragen bekräftigt und auch grafisch dargestellt, wie aus der Anlage zum Protokoll ersichtlich (Blatt 173 der Akten). Diese Darstellung ist aber unvereinbar mit der auf dem Foto Blatt 160 ersichtlichen Kollisionstellung der Fahrzeuge. Der Zeuge A hat – vom Senat mit diesem Bild konfrontiert – ausdrücklich bestätigt, dass die Stellung der Fahrzeuge darauf tatsächlich zutreffend wiedergegeben wird. Der zunächst von dem Senat gewonnene Eindruck, er habe behaupten wollen, das Fahrzeug sei durch den Anprall insgesamt in die Taxispur zurückgedreht worden, ist auf Nachfrage von ihm ausdrücklich dementiert worden. Es war nach den Bekundungen des Zeugen vielmehr so, dass das Foto Blatt 160 die Endstellung der Fahrzeuge zutreffend darstellt. Dann aber kann die zuvor aus der Erinnerung gegebene Beschreibung der Situation nicht zutreffen. Bezieht man in die Betrachtung ein, dass der Beklagte zu 1) mit dem von ihm gelenkten LKW auch nach den Bekundungen des Zeugen nicht etwa gegen ein schon länger dort stehendes Hindernis gefahren ist, sondern auch das Taxi des Klägers in Richtung Kollisionsort in Bewegung war, kann keinesfalls angenommen werden, dass der Beweis des ersten Anscheins, der beweist, dass der Zeuge A bei der Ausfahrt aus dem Taxihalteplatz in die M...straße die besonderen Vorsichtsmaßnahmen des § 10 StVO nicht beachtet hat, auch nur erschüttert ist.

Mit Rücksicht auf die Bekundungen des Zeugen zu der Bewegung des von ihm gesteuerten Fahrzeugs des Klägers bedurfte es auch nicht der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu dieser Frage.

Eine Mithaftung der Beklagten für die bei der hier im Streit befindlichen Kollision entstandenen Schäden scheidet mithin schon nach den Bekundungen des Zeugen A zweifelsfrei aus.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nummer 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1ZPO).