Das Verkehrslexikon

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OLG Bamberg Beschluss vom 22.02.2012 - 2 Ss OWi 143/12 - Zu den Anforderungen an die Feststellung der Übereinstimmung eines Radarfotos mit dem Betroffenen

OLG Bamberg v. 22.02.2012: Zu den Anforderungen an die Feststellung der Übereinstimmung eines Radarfotos mit dem Betroffenen


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 22.02.2012 - 2 Ss OWi 143/12) hat entschieden:
Ist ein bei einem Verkehrsverstoß gefertigtes Frontfoto nicht uneingeschränkt zur Identifizierung der Betroffenen geeignet, muss der Tatrichter näher darlegen, warum er trotz der eingeschränkten Bildqualität die Betroffene als Fahrerin identifizieren konnte. Es sind die - auf dem Foto erkennbaren - charakteristischen Merkmale der Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, in einem solchen Fall zu benennen und zu beschreiben.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Landsberg am Lech sprach die Betroffene mit Urteil vom 08.11.2011 schuldig, als Führer eines Kraftfahrzeugs fahrlässig bei einer Geschwindigkeit von 107 km/h einen ungenügenden Sicherheitsabstand eingehalten zu haben, wobei der Abstand weniger als 3/10 des halben Tachowertes betrug, und verurteilte sie deshalb zu einer Geldbuße von 160,00 €. Zugleich verhängte es ein mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2 a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.


II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – zumindest vorläufig – Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf. Die Urteilsgründe sind lückenhaft (§§ 267 Abs. 1, 337 StPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

1. Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt (UA S. 3):
"Die Betroffene fuhr am 29.04.2011 um 14.45 Uhr mit dem Pkw der Marke Audi, mit dem amtlichen Kennzeichen …, auf der Bundesautobahn A96 im Gemeindebereich S. in Fahrtrichtung L.. Bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 107 km/h betrug bei km 3.499 ihr Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug 15,75 Meter und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes. Bei Anwendung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt hätte die Betroffene erkennen können und müssen, dass sie zu nah auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgeschlossen hatte. Dieses Fehlverhalten war für sie auch vermeidbar."
Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Amtsgericht zur Fahrereigenschaft der Betroffenen aus (UA S. 3):
"Hinsichtlich ihrer Fahrereigenschaft kann ein Tatnachweis geführt werden aufgrund der auf Blatt 16 und 29 der Akte befindlichen Frontfotos, welche die Fahrerin des Tatfahrzeuges zeigen. Auf die genannten Lichtbilder wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG ausdrücklich Bezug genommen. Die Lichtbilder wurden seitens des Gerichts im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Sämtliche Bilder sind von guter Qualität und zur Identifizierung der Fahrzeugführerin ohne Weiteres geeignet. Das Gericht hat keinerlei Zweifel daran, dass es sich bei der hierauf abgebildeten weiblichen Person am Steuer des Tatfahrzeuges um die Betroffene handelt. Das Gericht hat die Betroffene in der Hauptverhandlung im Wege des Augenscheines eindeutig als Fahrzeugführerin identifiziert."
Zur Geschwindigkeits- und Abstandsmessung führt das Amtsgericht u.a. aus (UA S. 4):
"Nach der Aussage des Zeugen K. wurde die Abstandsunterschreitung im vorliegenden Fall im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens mit einer Videoabstandsmessanlage (VAMA), ausgestattet mit dem geeichten Zeichengenerator JVC/Piller, Gerätetyp CG-P50E/TG-3, festgestellt (vgl. hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 16.11.2009 - 2 Ss OWi 1215/09). Eingesetzt habe er den der Verkehrspolizeiinspektion F. zugeordneten bis 31.12.2010 geeichten Charaktergenerator mit der Nr. 12xxxx. Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, dass die Messung, wie von ihm im Messprotokoll bestätigt, ordnungsgemäß durchgeführt wurde."
2. Die Feststellungen zur Fahreridentität halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die Urteilsgründe insofern lückenhaft sind.

Für die Identifizierung eines Betroffenen anhand bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit gefertigter Lichtbilder gilt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich Folgendes (vgl. grundlegend BGHSt 41, 376/ 380 ff.):

Ob ein Lichtbild im Rahmen der Fahreridentifizierung die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat – zunächst – allein der Tatrichter zu entscheiden. Es kann daher mit der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht mit Erfolg beanstandet werden, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der in der Bildaufzeichnung abgebildeten Person identisch. Die Überprüfung dieser tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht prinzipiell untersagt.

Auch bei der Identifizierung eines Betroffenen anhand von Lichtbildern – mit oder ohne sachverständige Beratung – sind aber der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter Grenzen gesetzt. Je nach Qualität und Inhalt der verfügbaren Beweisbilder können sich ein Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vorneherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betroffenen in einem solchen Fall aufgrund von Lichtbildern als überführt an, ist dies rechtsfehlerhaft und das Urteil kann insoweit im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden. Deshalb müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob die Aufnahmen überhaupt zur Identifizierung einer Person geeignet sind und somit zur Identifizierung eines Betroffenen als Fahrer beitragen können.

Diese Forderungen kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf bei den Akten befindliche Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nimmt oder die Lichtbilder selbst näher beschreibt. Bei einer Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO bedarf es – jedenfalls in der Regel – keiner näheren Ausführungen zu Lichtbildern, weil das Rechtsbeschwerdegericht die Lichtbilder aus eigener Anschauung würdigen und beurteilen kann.

Da das Amtsgericht im vorliegenden Fall prozessordnungsgemäß auf die in den Akten befindlichen Lichtbilder verwiesen hat, ermöglicht es dem Senat die Überprüfung, ob das Frontfoto des Fahrzeugführers zur Fahreridentifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Nur in diesem Fall reicht die Feststellung des Tatrichters aus, dass der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene mit dem abgebildeten Fahrzeugführer identisch ist (BGHSt 41, 376/383).

Nach Auffassung des Senats ist das vom Verkehrsverstoß vom 29.04.2011 gefertigte Frontfoto nicht uneingeschränkt zur Identifizierung der Betroffenen geeignet. Die Kinnpartie wird durch Armaturenbrett und Lenkrad verdeckt, die Augenpartie einschließlich der Augenbrauen durch eine große Sonnenbrille. Die Ohren sind aufgrund der Haartracht der abgebildeten Person nur teilweise erkennbar. Schließlich weist das Frontfoto auch eine gewisse Unschärfe auf.

Angesichts dessen hätte der Tatrichter näher darlegen müssen, warum er trotz der eingeschränkten Bildqualität die Betroffene als Fahrerin identifizieren konnte (OLG Hamm NZV 2006, 162). Die – auf dem Foto erkennbaren – charakteristischen Merkmale der Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind in einem solchen Fall zu benennen und zu beschreiben (BGHSt 41, 376/384). Dies fehlt im amtsgerichtlichen Urteil.

3. Auch die Feststellungen zur Geschwindigkeits- und Abstandsermittlung sind lückenhaft.

Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils lag eine Eichung des im vorliegenden Fall zum Einsatz gekommenen Charaktergenerators nur bis 31.12.2010 vor. Nach dem Urteil ist die verfahrensgegenständliche Messung daher mittels eines nicht mehr geeichten Charaktergenerators erfolgt. Mit diesem Umstand setzt sich das amtsgerichtliche Urteil aber nicht mehr weiter auseinander, obgleich die Grundsätze der vereinfachten Beweisführung in Fällen standardisierter Messverfahren nur dann gelten, wenn das Gerät vom Bedienungspersonal auch standardmäßig, d.h. u.a. in gültig geeichtem Zustand, verwendet worden ist (vgl. Burhoff/Böttger Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 3. Auflage Rn. 648).

4. Auf diesen Darstellungsmängeln beruht die Entscheidung. Das Urteil ist daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Landsberg am Lech zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).


III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Überführung eines Betroffenen als Fahrzeugführer kann insbesondere dann, wenn Lichtbilder zur Identifizierung nur eingeschränkt geeignet sind, auf einer Gesamtwürdigung aller Umstände beruhen. Eventuell verbleibende Zweifel an der Identifizierung eines Betroffenen mittels Lichtbildes können durch weitere Indizien ausgeräumt werden, beispielsweise durch Feststellungen zur Überlassung des Besitzes am Tatfahrzeug.

Schließlich ist zu den Feststellungen des tatrichterlichen Urteils noch anzumerken, dass als Tatort im Urteil S. angegeben wird, während der Bußgeldbescheid vom 06.07.2011 insofern den Ort P. ausweist.