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Kammergericht Berlin Beschluss vom 28.06.2012 - 22 U 56/12 - Zur Haftung beim grundlosen Bremsen nach Ampelstart bei Grün

KG Berlin v. 28.06.2012: Zur Haftung beim grundlosen Bremsen nach Ampelstart bei Grün


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 28.06.2012 - 22 U 56/12) hat entschieden:
Ein Kfz-Führer, der unvermittelt ohne von außen erkennbare Ursache grob verkehrswidrig unmittelbar nach dem Anfahren bei grünem Ampellicht erneut bis zum Stillstand auf der Kreuzung abbremst, verursacht das Auffahren des dahinter befindlichen Busses derart überwiegend allein, dass dessen Betriebsgefahr dahinter vollständig zurücktritt.


Siehe auch Auffahrunfall nach Ampelstart bei Grün und Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle


Gründe:

Der Senat hat die Erfolgsaussicht der Berufung der Klägerin gegen das am 26. Januar 2012 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 41 O 298/11 – eingehend beraten und aus den nachstehenden Gründen einstimmig verneint:

Gemäß § 513 ZPO ist das angefochtene Urteil durch das Berufungsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides vermag der Senat nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festzustellen.

Der Senat teilt vielmehr das Ergebnis der landgerichtlichen Wertungen und folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug genommen wird.

Auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigenden Sach- und Streitstandes hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass der Klägerin kein Anspruch auf Schadensersatz auf Grund des Verkehrsunfalls vom 31. Oktober 2010 auf der Mühlenstraße, Ecke Tamara-Danz-Straße in Berlin zusteht. Die Berufung zeigt keine Umstände auf, die Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben könnten. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei der gemäß §§ 17 Abs. 1 StVG, 254 Abs. 1 BGB gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge die Klägerin für die Unfallfolgen allein haftet.

Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin durch ihr unvermitteltes, ohne von außen erkennbare Ursache erfolgtes und gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßendes, grob verkehrswidriges Bremsmanöver, durch das sie ihr Fahrzeug unmittelbar nach dem Anfahren erneut bis zum Stillstand auf der Kreuzung abbremste, den Unfall derart überwiegend allein verursacht hat, dass die Betriebsgefahr des von dem Beklagten zu 1. gesteuerten Busses dahinter vollständig zurücktritt.

Es ist anerkannt, dass der gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StVO in der Regel einzuhaltende Sicherheitsabstand beim Anfahren an einer Lichtzeichenanlage im geballten Großstadtverkehr nicht gefordert werden kann (so schon die amtliche Begründung zu § 4 Abs. 1 StVO, zitiert etwa bei König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 4 StVO Rn. 2, 11; OLG Hamm, Urteil vom 4. Juni 1998, 6 U 150/97, Juris Rn. 12; Senat, Urteil vom 10. September 2007, 22 U 224/06, Juris Rn. 6). Während des Anfahrens bei Grünlicht darf ausnahmsweise so angefahren werden, wie die Fahrzeuge gestanden haben, weil anderenfalls die Grünphase nicht ausgenutzt und der Verkehr behindert würde. Das stellt auch die Klägerin nicht in Abrede. Soweit damit einher geht, dass der in zulässiger Weise unter Einhaltung eines geringeren Sicherheitsabstands Anfahrende deshalb besondere Aufmerksamkeit und eine erhöhte Bremsbereitschaft an den Tag legen muss, führt dies vorliegend nicht zu einer Mithaftung der Beklagten. Denn das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beklagte zu 1. angesichts der leeren Kreuzung und der konkreten Verkehrssituation nicht mit einem unvermittelten und für ihn grundlosen vollständigen Abbremsen durch die Klägerin rechnen musste. Die volle Einstandspflicht der Klägerin bei dieser Sachlage entspricht der - von dem Landgericht bereits mit Verfügung von 28. November 2011 zitierten - Rechtsprechung des erkennenden Senats wie auch der im erstinstanzlichen Urteil angeführten Rechtsprechung des 12. Zivilsenats und des OLG Frankfurt (so auch König in Hentschel/König/ Dauer, § 4 StVO Rn. 33; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 4 Rn. 13; ferner LG München, DAR 2005, 690), mit der sich die Klägerin nicht auseinandersetzt.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin langsam angefahren sein will. Abgesehen davon, dass sie nicht näher dargelegt hat, was sie unter einem langsamen Anfahren konkret versteht - immerhin ereignete sich der Unfall ausweislich der in der polizeilichen Ermittlungsakte befindlichen Skizze nur ca. 10 Meter hinter der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, so dass die Fahrzeuge naturgemäß noch keine hohe Geschwindigkeit aufgewiesen haben können -, erschließt sich dem Senat auch nicht, weshalb dies eine untypische Verkehrssituation begründen soll, die zu einer Mithaftung der Beklagten führt. Soweit die Klägerin mit der Berufung ferner meint, der Beklagte zu 1. habe jederzeit mit plötzlich auftretenden, den Verkehrsfluss beeinträchtigenden oder behindernden Ereignissen rechnen müssen, verkennt sie, dass derartige Umstände nicht unfallursächlich geworden sind. Dieser beruhte vielmehr allein auf dem grob verkehrswidrigen Verhalten der Klägerin, die - selbst wenn sie den von den Beklagten bestrittenen Krampf im Bereich des rechten Fußes erlitten hat - nicht in der von ihr gezeigten unsachgemäßen Weise hätte reagieren dürfen, sondern an den Fahrbahnrand hätte steuern und dort halten müssen. Dass und aus welchem Grund ihr dies angesichts der Verkehrslage nicht möglich gewesen sein soll, so dass sie zur Abwendung einer Gefährdung für sich oder andere Verkehrsteilnehmer abrupt auf der Kreuzung anhalten musste, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Vielmehr ist unstreitig, dass die Kreuzung vollständig leer war und sich - mit Ausnahme des hinter ihr befindlichen Fahrzeugs des Beklagten zu 1. - keine Fahrzeuge in der Nähe befanden, die sie gefährden konnte.

Soweit die Klägerin schließlich nunmehr behauptet, in dem Auffahrunfall habe sich die erhöhte Betriebsgefahr des Busses realisiert, weil dieser wegen seiner Masse einen längeren Bremsweg benötige, fehlt es, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, bereits an ausreichendem Sachvortrag zur Entfernung des Busses vor dem Unfall, ferner zu den vor dem Unfall gefahrenen Geschwindigkeiten.

Da der Senat die Abweisung der Klage durch das Landgericht deshalb für offensichtlich zutreffend erachtet, eine erneute mündliche Erörterung und Verhandlung nicht angezeigt ist und die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts im Urteilsverfahren erfordert, beabsichtigt der Senat, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich aussichtslos zurückzuweisen, sofern sie nicht im Kosteninteresse zurückgenommen wird (insoweit wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass im Falle der Rücknahme des Rechtsmittels sich die in vierfacher Höhe bereits angefallene gerichtliche Verfahrensgebühr um die Hälfte verringert – Kostenverzeichnis Nummer 1222).

Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu der beabsichtigten Vorgehensweise innerhalb eines Monats Stellung zunehmen.