Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 29.03.2012 - 22 U 131/11 - Zu den gekennzeichneten Fahrstreifen auf den großen Kreisverkehren in Berlin

KG Berlin v. 29.03.2012: Zu den gekennzeichneten Fahrstreifen auf den großen Kreisverkehren in Berlin


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 29.03.2012 - 22 U 131/11) hat entschieden:
Ist der rechte von zwei nebeneinander liegenden Fahrstreifen im Kreisverkehr mit einem Pfeil nach rechts gekennzeichnet, der links daneben liegende Fahrstreifen mit Pfeilen, die alternativ sowohl nach rechts als auch nach links zeigen, so haben diese Pfeile nicht die Bedeutung von Ge- bzw. Verbotspfeilen im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 StVO (Zeichen 297). Vielmehr handelt es sich bei den im Kreisverkehr angebrachten Pfeilen um bloße Empfehlungen (vgl. auch KG, Urteil vom 26. Januar 2009 – 12 U 255/07, juris Rn. 6 f, NZV 2009, 923), sofern sie sich nicht zwischen ununterbrochenen Leitlinien befinden. Allerdings muss der auf dem rechten Fahrstreifen Fahrende damit rechnen, dass der links daneben Fahrende den Kreisverkehr abbiegend verlassen will.


Siehe auch Kreisverkehr und Fahrstreifenwechsel - Spurwechsel


Gründe:

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) abgesehen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie auch Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 2. wegen der ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 02. Juli 2009, gegen 09.00 Uhr auf dem Jakob-Kaiser-Platz in Berlin entstandenen Schäden über den bereits vorprozessual in Höhe einer Quote von 50% geleisteten Betrag hinaus kein weiterer Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 115 Abs. 1 VVG in Verbindung mit §§ 7, 17 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB zu.

Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht ergibt die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile (§ 17 Abs. 1 und 2 StVG), dass der Kläger den Unfall zumindest in gleichem Maße verursacht hat wie der Beklagte zu 1.. Demgemäß scheidet eine 50% übersteigende Haftung der Beklagten zu 2. aus.

Insbesondere hat der Beklagte zu 1. mit dem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug der Berliner Stadtreinigung im Bereich der Ausfahrt Siemensdamm den von ihm befahrenen Fahrstreifen nicht gewechselt im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob der Beklagte zu 1. vom Goerdelerdamm oder vom Kurt-Schumacher-Damm in den Kreisverkehr eingefahren ist. Selbst wenn das Stadtreinigungsfahrzeug, wie der Kläger behauptet, vom Goerdeler Damm aus in den Kreisverkehr eingefahren sein und vor dem Unfall rechts neben dem Klägerfahrzeug an der roten Ampel vor der Einmündung des Kurt-Schumacher-Dammes gestanden haben sollte, würde ein Fahrstreifenwechsel nicht vorliegen. Vielmehr setzt sich der an dieser Ampel noch als zweiter Fahrstreifen von rechts im Kreisverkehr gekennzeichnete Fahrstreifen, wie sich insbesondere auch aus den im Kreisverkehr im Bereich der Ausfahrt Siemensdamm vorhandenen Fahrbahnmarkierungen in Form sich schräg kreuzender Leitlinien ergibt, alternativ sowohl im zweiten Fahrstreifen des Siemensdammes fort als auch im ersten Fahrstreifen im Kreisverkehr hinter der Ausfahrt Siemensdamm.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht trifft den Beklagten zu 1., auch wenn man, wie der Kläger behauptet, unterstellt, dass er vom Goerdeler Damm aus in den Kreisverkehr eingefahren ist, auch nicht deshalb ein überwiegendes Verschulden an dem im Streit befindlichen Verkehrsunfall, weil er seine Fahrt nicht im Siemensdamm fortsetzen, sondern hinter der Einmündung im Kreisverkehr verbleiben wollte, wodurch es zu der Kollision mit dem links versetzt vor ihm fahrenden Klägerfahrzeug gekommen ist, als dieses den Kreisverkehr vom dritten Fahrstreifen aus in den Siemensdamm verlassen wollte. Insbesondere hat der Beklagte zu 1. den Unfall auch nicht deshalb überwiegend verschuldet, weil er entgegen § 41 Abs. 1 StVO gegen das durch Richtungspfeile ausgesprochene Gebot verstoßen hätte, aus dem von ihm befahrenen Fahrstreifen den Kreisverkehr nach rechts in den Siemensdamm zu verlassen.

Zwar war der vom Beklagten zu 1., die Behauptungen des Klägers als richtig unterstellt, befahrene Fahrstreifen vor der Ampel im Kreisverkehr mit einem Pfeil nach rechts gekennzeichnet, der vom Kläger befahrene links daneben liegende Fahrstreifen mit Pfeilen, die alternativ sowohl nach rechts als auch nach links zeigten. Jedoch haben diese Pfeile nicht die Bedeutung von Ge- bzw. Verbotspfeilen im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 StVO (Zeichen 297). Dazu müssten sie zwischen Leitlinien (Zeichen 340) und dort aufgebracht gewesen sein, wo oder von wo an die Anordnung zu befolgen ist (vgl. Anl. 2 zu § 41 StVO - insoweit auch BGH Urteil vom 12.12.2006 – VI ZR 75/06, juris Rn. 5). An Letzterem fehlt es hier jedoch. Ausweislich der eingereichten Lichtbilder, die den Jakob-Kaiser-Platz von oben darstellen, waren die Pfeile zwar vor der Ampel zwischen Leitlinien aufgebracht. Jedoch befindet sich zwischen der Ampel und der Ausfahrt Siemensdamm noch die Einfahrt Kurt-Schumacher-Damm, von der aus Fahrzeuge in alle Fahrstreifen des Kreisverkehrs einfahren und dort verbleiben können, wie sich aus den in diesem Bereich eingezeichneten Leitlinien ergibt. Richtungspfeile sind zwischen diesen Leitlinien nicht angebracht. Vielmehr befindet sich zwischen der Einfahrt Kurt-Schumacher-Damm und der Ausfahrt Siemensdamm lediglich im äußersten rechten Fahrstreifen des Kreisverkehrs, in dem unstreitig keine der Parteien gefahren ist, noch ein Richtungspfeil, der das Rechtsabbiegen in den Siemensdamm anordnet. Bei den vor der Einfahrt Kurt-Schumacher-Damm vor der Ampel im Kreisverkehr angebrachten Pfeilen handelt es sich daher um bloße Empfehlungen (vgl. auch KG, Urteil vom 26. Januar 2009 – 12 U 255/07, juris Rn. 6 f, NZV 2009, 923).

Allerdings hat der Beklagte zu 1., das Vorbringen des Klägers als richtig unterstellt, beim Befahren des Kreisverkehrs hinter der Einfahrt Kurt-Schumacher-Damm, das er über die Ausfahrt Siemensdamm hinaus im Kreisverkehr fortsetzen wollte, seine aus § 1 Abs. StVO folgenden Sorgfaltspflichten verletzt. Er musste damit rechnen, dass entsprechend der alternative Fahrtrichtungen anzeigenden Empfehlungspfeile aus dem linken (dritten) Fahrstreifen neben ihm Fahrzeuge nach rechts in den Siemensdamm abbiegen würden. Auch wenn im Kreisverkehr grundsätzlich das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO gilt und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO die Pflicht des Rechtsabbiegers besteht, sich möglichst weit rechts einzuordnen, haben die Empfehlungspfeile hier im Interesse der Erweiterung des Verkehrsraumes, die Bedeutung, dass der Kreisverkehr auch aus dem dritten Fahrstreifen verlassen werden durfte (so auch KG, a.a.O., juris Rn 8). Hierauf musste sich der Beklagte zu 1. durch besondere Aufmerksamkeit einstellen, wenn er selbst der Empfehlung, was zulässig ist, nicht folgen wollte.

Jedoch hat auch der Kläger seine sich aus § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO ergebende Pflicht verletzt, vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten (so auch KG, a.a.O., juris Rn. 3). Davon durfte er nicht deshalb absehen, weil er davon ausgehen konnte, dass auch der Beklagte zu 2. den Kreisverkehr am Siemensdamm verlassen würde. Vielmehr musste der Kläger, bevor er sein Abbiegemanöver aus dem dritten Fahrstreifen begann, damit rechnen und sein Fahrverhalten darauf einstellen, dass das im zweiten Fahrstreifen rechts versetzt hinter ihm fahrende Fahrzeug der Stadtreinigung möglicherweise seine Fahrt im Kreisverkehr fortsetzen würde, was, wie ausgeführt, zulässig war, und sich daher die Fahrtrichtungen beider Fahrzeuge, jeweils den Leitlinien folgend, kreuzen könnten.

Demgemäß hat, das Vorbringen des Klägers als richtig unterstellt, der Beklagte zu 1. sei vom Goerdeler Damm aus in den Kreisverkehr eingefahren, nicht nur der Beklagte zu 1., sondern auch der Kläger gegen ihm obliegende Sorgfaltspflichten verstoßen. Beide Pflichtenverstöße sind in gleicher Weise für das Unfallgeschehen ursächlich. Sie sind daher im Rahmen der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung die beiderseitigen Verursachungsanteile etwa gleich schwer zu gewichten, mit der Folge, dass jeweils eine hälftige Haftung des Klägers und der Beklagten zu 2. angemessen erscheint (so auch KG, a.a.O. für den dort zu beurteilenden vergleichbaren Fall). Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht ist auch die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1. gefahrenen LKW nicht unabhängig von den konkreten unfallverursachenden Umständen ohne weiteres mit der Folge erhöht, dass der Halter des LKW und damit die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer bei etwa gleich schwerwiegendem Verschulden der Fahrer einen höheren Haftungsanteil zu tragen hätte. Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges wird durch die Gesamtheit aller Umstände definiert, die geeignet sind, Gefahr in den Verkehr zu tragen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. März 2005 – 4 U 102/04, juris Rn. 43, MDR 2005, 1287 f zu § 17 Abs. 1 StVG a.F. m. w. N.). Zwar kann in der Masse eines LKW ein Umstand liegen, der die Betriebsgefahr beeinflusst (vgl. dazu die Nachweise in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 8 m. w. N.). Jedoch ist die Höhe der Betriebsgefahr nicht abstrakt zu beurteilen. Gemäß § 17 Abs. 1 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Daraus ergibt sich, dass die Betriebsgefahr als Faktor bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge nicht abstrakt, sondern bezogen auf den konkreten Schadensfall zu beurteilen ist, zumal sich die Betriebsgefahr erst im Unfallgeschehen manifestiert. Die Höhe der Betriebsgefahr kann demgemäß nicht losgelöst von der konkreten Unfallsituation bestimmt werden (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.; König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG Rn. 6 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass sich der Umstand, dass es sich bei dem vom Beklagten zu 1. gefahrenen Fahrzeug um einen LKW handelt, in besonderer Weise unfallursächlich oder schadenserhöhend ausgewirkt hätte. Demgemäß war die Betriebsgefahr des vom Beklagten gefahrenen LKW nicht bereits unabhängig von der Fahrweise der Unfallbeteiligten erhöht. Da, wie ausgeführt, das jeweilige Verschulden des Klägers und des Beklagten zu 1. etwa gleich schwer wiegt, ergibt die Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG, dass der Kläger nur 50% seines Schadens von der Beklagten zu 2. ersetzt verlangen kann, also nicht mehr, als diese vorprozessual bereits gezahlt hat. Entsprechend war die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Revision ist nicht zugelassen worden, da keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären sind und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).