Das Verkehrslexikon

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Landgericht Limburg Urteil vom 09.10.2009 - 4 O 341/08 - Zu den Sorgfaltspflichten des aussteigenden Fzg-Führers beim Öffnen seines Regenschirms

LG Limburg v. 09.10.2009: Zu den Sorgfaltspflichten des aussteigenden Fzg-Führers beim Öffnen seines Regenschirms


Das Landgericht Limburg (Urteil vom 09.10.2009 - 4 O 341/08) hat entschieden:
Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 14 Abs.1 StVO). Dies gilt auch dann, wenn der Fahrer eines geparkten Fahrzeuges im Fahrzeug einen Regenschirm öffnen will. Das Öffnen eines Regenschirms in einem am Rande einer Bundessstraße geparkten Fahrzeug bei geöffneter Tür ist eine latent gefährliche Handlung, weil eine unbeabsichtigte weitere Türöffnung droht. Kommt es zu einem Zusammenstoß eines Fahrzeuges, das zur Rushhour auf einer Bundesstraße in einer Ortsdurchfahrt fährt, und der Tür eines am Seitenstreifen haltenden Fahrzeuges, dann spricht angesichts der hohen Sorgfaltsanforderung, die § 14 Abs.1 StVO stellt, der Anscheinsbeweis für Verschulden des Aussteigenden.


Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten im hier vorliegenden Rechtsstreit auf Ersatz des ihm durch das aus der Urteilsformel ersichtliche Unfallereignis entstandenen Schadens in Anspruch. Die Beklagte zu 2. ist der Haftpflichtversicherer des Nissan Almera. Die Beklagte parkte ihr Fahrzeug zur Unfallzeit in einem Parkstreifen. Der Beklagte befuhr die … Richtung …. Die Beklagte zu 1. öffnete die Tür ihres Fahrzeuges. Der Kläger stieß mit seinem Fahrzeug gegen Tür, das beschädigt wurde. Die Beklagten wurden mit Anwaltsschreiben vom 20.8.2008 unter Fristsetzung zum 5. September 2008 zur Zahlung aufgefordert.

Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1. habe ihr Fahrzeug nicht in der dafür vorgesehenen Parkmarkierung angehalten, sondern vielmehr mit den rechten Reifen ihres Fahrzeuges unmittelbar an der Bordsteinkante und mit den linken Reifen auf der asphaltierten Fahrbahn der ... Als er sich mit seinem Fahrzeug fast in Höhe des Heck des Fahrzeuges der Beklagten zu 1. befunden habe, habe diese die Fahrertür ihres Fahrzeuges fast vollständig geöffnet, weil sie wegen des herrschenden Regens vor dem Aussteigen ihren Regenschirm noch habe öffnen wollen, was letztendlich dazu geführt habe, dass die Fahrertür des Beklagtenfahrzeuges über die komplette Fahrzeuglänge des klägerischen Fahrzeuges Streifschäden verursacht habe. Durch den Unfall seien gemäß dem Gutachten des Sachverständigen … vom 18.8.2008 (Anlage zur Klageschrift Bl. 5 bis 19 d.A.) Reparaturkosten von netto 5.174,80 Euro entstanden, die die Beklagten ersetzen müssten. Ferner sei eine Wertminderung von 880,00 Euro eingetreten. Diese Kosten nebst die Sachverständigenkosten von 402,57 Euro und eine Unkostenpauschale von 25,00 Euro, insgesamt 6.482,37 Euro, hätten die Beklagten zu erstatten.

Der Kläger beantragt, wie folgt zu erkennen:
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 6.482,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2008 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 603,93 € zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, nachdem sich die Beklagte zu 1. durch Blicke in den Rück- und Seitenspiegel und Blick über die linke Schulter vergewissert habe, dass nachfolgender Verkehr sehr weit entfernt gewesen sei, habe sie die Fahrertür einen Spalt breit geöffnet. Als sie gerade im Begriff gewesen sei, ihren Regenschirm zu öffnen, sei das Fahrzeug des Klägers so nahe an dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. vorbeigefahren, dass dabei die nur einen Spalt breit geöffnete Fahrertür von dem Klägerfahrzeug angestoßen und beschädigt worden sei. Der Unfall sei daher durch den Kläger dadurch verursacht worden, dass er an dem geparkten Fahrzeug der Beklagten zu 1. in einem zu geringen Abstand vorbeigefahren und dabei gegen die erkennbar nur leicht geöffnete Fahrertüre gestoßen sei. Der mögliche und notwendige Mindestabstand von 50 bis 75 cm zum Beklagtenfahrzeug sei vom Kläger nicht eingehalten worden. Gemäß dem … Gutachten vom 4.9.2008 (Anlage 2 zur Klageerwiderung, Bl. 34 bis 48 d.A.) seien nur Reparaturkosten von netto 3.504,85 Euro entstanden. Als Wertminderung sei nur ein Betrag von 300,00 Euro angemessen. Die Sachverständigenkosten stünden dem Kläger nicht zu, da das Gutachten nicht geeignet sei, die unfallkausalen Beschädigungen festzustellen. Im Übrigen habe der Kläger am 12.8.2008 die Kostenforderung an den Sachverständigen abgetreten.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 23.2.2009 (Bl. 64/65 d.A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen … vom 3.7.2009 (Bl. 94 bis 107 a d.A.) Bezug genommen. Die Akten … des Regierungspräsidiums in Kassel lagen vor. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist überwiegend begründet. Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger den gesamten durch das streitige Unfallereignis entstandenen Schaden zu ersetzen (§§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1 Abs.2, 14 Abs. 1 StVO, 7, 17 StVG). Die Beklagten schulden mindestens die Nettoreparaturkosten gemäß dem … Gutachten und die 300,00 Euro Wertminderung, die Schadenspositionen, die sie für gerechtfertigt halten.

Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 14 Abs.1 StVO). Dies gilt auch dann, wenn der Fahrer eines geparkten Fahrzeuges im Fahrzeug einen Regenschirm öffnen will. Das Öffnen eines Regenschirms in einem am Rande einer Bundessstraße geparkten Fahrzeug bei geöffneter Tür ist eine latent gefährliche Handlung, weil eine unbeabsichtigte weitere Türöffnung droht. Kommt es zu einem Zusammenstoß eines Fahrzeuges, das zur Rushhour auf einer Bundesstraße in einer Ortsdurchfahrt fährt, und der Tür eines am Seitenstreifen haltenden Fahrzeuges, dann spricht angesichts der hohen Sorgfaltsanforderung, die § 14 Abs.1 StVO stellt, der Anscheinsbeweis für Verschulden des Aussteigenden.

Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, der Kläger sei zu nahe am Fahrzeug der Beklagten zu 1. vorbeigefahren. Der Sachverständige … hat überzeugend ausgeführt, dass der seitliche Abstand zur Zeit der Kollision etwa 75 bis 80 cm betragen habe. Dies entspricht genau dem notwendigen Mindestabstand oder ist sogar etwas mehr als der, den die Beklagten nach der Klageerwiderung für erforderlich halten.

Im Übrigen kann nach Auffassung des erkennenden Gerichtes bei der konkreten Unfallörtlichkeit hier nicht verlangt werden, dass ein Fahrzeugführer, der zur Rushhour diese belebte Bundesstraße befährt, in erster Linie sein Augenmerk auf parkende Fahrzeuge richtet, ob dort jemand unter Verletzung des § 14 Abs. 1 StVO möglicherweise aussteigen will. Er muss dafür Sorge tragen, dass er einen ausreichenden Abstand zur Mittellinie einhält, damit nicht so Gefahrensituationen heraufbeschworen werden. Dies ist den Parteien im Einzelnen mit Beschluss vom 23.2.2009, auf den Bezug genommen wird, mitgeteilt worden. Aus den beigezogenen Ermittlungsakten ergibt sich, dass die … die … ist. Die Bilder zeigen auch die Örtlichkeit, dass die Parkstreifen letzten Endes zu schmal sind, um ein Fahrzeug komplett dort abzustellen. Dies hat sich auch bei der Beklagten zu 1. hier gezeigt. Wenn auf beiden Seiten Fahrzeuge parken, dann kann dies für den Begegnungsverkehr kompliziert werden. Die Bilder Bl. 36 und 37 des Sachverständigengutachtens und auch die Skizze Bl. 38 d.A. belegen anschaulich die Örtlichkeit. Auf den Bildern Bl. 36 des Gutachtens. sieht man auch einen gelben Lastwagen, der parkt. Das obere Bild zeigt vorbeifahrende Fahrzeuge unter Benutzung der Gegenfahrbahn. Dies ist eine typische Verkehrssituation an der fraglichen Stelle. Dies ergibt schon die Lebenserfahrung, wenn man die Maße der Straße nimmt, die Maße der Parkbucht und die Maße von Fahrzeugen, die der Sachverständige … dargelegt hat, sowie dem Zeitpunkt und der Art der Straße, um die es dort geht. Es muss daher nicht auf privates Wissen zurückgegriffen werden.

Die Beklagten haben Verschulden des Klägers an dem Unfall (Unaufmerksamkeit; § 1 Abs. 2 StVO nicht bewiesen. Ein Gutachter kann nicht klären, wie lange eine Autotür offen stand, bevor ein vorbeifahrendes Fahrzeug mit der geöffneten Tür eines parkenden Fahrzeugs kollidiert. Der Vortrag, der nachfolgende Verkehr sei „sehr weit“ entfernt gewesen, ist auch sehr vage.

Angesichts der hohen Anforderungen des § 14 Abs. 1 StVO ist es in aller Regel gerechtfertigt, das bei der Abwägung des § 17 StVG die Betriebsgefahr des vorbeifahrenden Fahrzeugs in aller Regel zurücktritt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO.