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Amtsgericht Böblingen Urteil vom 04.12.2009 - 1 C 2048/09 - Zur Haftung beim Einparken und Beschädigung einer sich öffnenden Tür

AG Böblingen v. 04.12.2009: Zur Haftung beim Einparken und Beschädigung einer sich öffnenden Tür des daneben geparkten Fahrzeugs


Das Amtsgericht Böblingen (Urteil vom 04.12.2009 - 1 C 2048/09) hat entschieden:
Die konkrete Unfallsituation des Einparkens neben einem geparkten Fahrzeug fordert besondere Umsicht durch eine vollständige Konzentration auf die gesamte Umgebung. Dies gilt sowohl für ankommende und einparkende Fahrzeuge als auch für ein- und aussteigende Personen. Ungeachtet besonderer Umstände im Einzelfall sind daher an die Sorgfalt des Fahrers eines Fahrzeugs, der auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz in eine rechtwinklig zur Durchfahrtrichtung angeordnete Parklücke einparken will, sowie an die Sorgfaltspflicht des Fahrers oder Mitfahrers eines neben dieser Parklücke abgestellten weiteren Fahrzeugs beim Aussteigen gleich hohe Anforderungen zu stellen, so dass in der Regel bei einer Kollision des einparkenden Fahrzeugs mit einer teilweise geöffneten Fahrzeugtür eines geparkten Fahrzeugs eine hälftige Schadenaufteilung angemessen erscheint.


Tatbestand:

Der Kläger begehrt Zahlung von Schadenersatz für einen Unfall, der sich am 08.06.2009 ereignet hat.

Der Kläger parkte sein Fahrzeug am 08.06.2009 auf dem Parkplatz des "R."-Supermarktes in B. Die Parkplätze sind im 90-Grad-Winkel zur Fahrbahn angeordnet. Im Zeitpunkt des Einparkens war der links vom klägerischen Fahrzeug Toyota Celica ( Kennzeichen ) befindliche Parkplatz frei. Als die Beklagte Ziff. 1 später mit ihrem Fahrzeug VW Golf ( Kennzeichen ) auf diesen Parkplatz einfuhr, kollidierte sie im Bereich der rechten vorderen Stoßstange mit der Tür des klägerischen Fahrzeugs. Hierdurch entstand am klägerischen Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 2.629,98 Euro netto, zzgl. 404,60 Euro Sachverständigenkosten und 25,00 Euro Unkostenpauschale. Diese Beträge hat der Beklagtenvertreter unstreitig gestellt (Bl. 24 d.A.). Streitig ist indes die Verteilung der Haftung für den Unfall. Die Versicherung des Klägers hat den Schaden der Beklagten Ziff. 1 vollumfänglich reguliert.

Der Kläger trägt vor, er habe die Fahrertür seines Fahrzeugs bereits zuvor geöffnet gehabt. Diese sei im ersten Einrastpunkt arretiert gewesen und er habe sich nach rechts gebeugt, um nach Kleingeld zu suchen. Im Zeitpunkt der Kollision sei die Türe mithin bereits einige Zeit offen gestanden.

Der Kläger beantragt daher, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
  1. an ihn 3.059,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.08.2009 sowie

  2. weitere 359,50 Euro zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Türe sei erst geöffnet worden, als sie bereits in den Parkplatz eingefahren gewesen sei. Trotz ihrer geringen Geschwindigkeit habe sie auf das plötzliche Öffnen der Türe nicht mehr reagieren können. Das Gericht hat mit den Parteien zur Sache verhandelt und den Sachverständigen R. angehört. Auf das Protokoll sowie die eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

2. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs plötzlich und unvermittelt während des Einparkvorgangs der Beklagten Ziff. 1 geöffnet worden ist.

a) Nach den unangegriffen gebliebenen und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen ist der Unfallhergang aus technischer Sicht nicht aufklärbar. Zwar spreche ein gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Fahrertür im Zeitpunkt der Kollision nicht in Bewegung befunden hat; allerdings könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Türe in einer Öffnungsbewegung befand. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Türe nicht in Bewegung befand, ist unklar, wie lange die Türe bereits offen stand. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die Öffnungsgeschwindigkeit der Türe konstruktiv nicht begrenzt ist. Sie kann mithin entweder schon länger offen gestanden haben, oder auch unmittelbar vor der Kollision erst geöffnet worden sein.

Feststellen konnte der Sachverständige, dass die Beklagte Ziff. 1 mit einer Geschwindigkeit von 3 bis max. 5 km/h in den Parkplatz eingefahren ist.

b) Da Zeugen für den Unfall nicht benannt wurden, kommt damit den Aussagen der Parteien besonderes Gewicht zu. Das Gericht hält indes beide Aussagen für glaubhaft und plausibel und sieht sich mangels weiterer Anhaltspunkte außerstande, den einen oder anderen Geschehensablauf mit Gewissheit auszuschließen.

aa) Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, er habe die Türe bereits geöffnet gehabt und sie sei in der ersten Einrastposition gestanden, als ihm eingefallen sei, dass er noch Kleingeld benötige. Er hat hierzu anschaulich auf eine in seinem Fahrzeug befindliche Vorrichtung hierfür verwiesen. Dieser Geschehensablauf erscheint plausibel und alltäglich.

bb) Die Beklagte Ziff. 1 hat ebenso plausibel angegeben, sie sei im ersten Gang langsam in den Parkplatz eingefahren, da sie hier immer besondere Vorsicht walten lasse. Dies deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen zur Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs. Auch der weitere Vortrag, die Türe sei plötzlich und unvermittelt geöffnet worden, war absolut glaubhaft und erscheint ebenfalls durchaus denkbar.

c) Im Ergebnis ist daher von einem non liquet auszugehen und es stellt sich die Frage, wie die Verursachungsbeiträge zu gewichten sind.

3. a) Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei dem Unfallort zwar um einen Supermarktparkplatz handelt, der jedoch bestimmungsgemäß für jedermann zugänglich ist. Daher ist die Anwendbarkeit der StVO eröffnet und die Verteilung der Haftungsanteile hat gemäß §§ 7, 17 StVO zu erfolgen. (Vgl. jüngst OLG Frankfurt, NJW 2009, 3038 ff.)

b) Danach gilt für den Haftungsanteil des Klägerfahrzeugs § 14 Abs. 1 StVO, wonach von einer aus einem Kraftfahrzeug aussteigenden Person gefordert wird, dass durch ihr Verhalten eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, konnte nicht festgestellt werden. Während der Kläger vorgetragen hat, er habe sich im Zeitpunkt des Öffnens der Türe vergewissert, dass kein Fahrzeug neben ihm einparkt, hat die Beklagte Ziff. 1 ausgesagt, die Türe sei unvermittelt geöffnet worden (s.o.).

c) Für die Bewertung des Haftungsanteils der Beklagten Ziff. 1 ist § 1 StVO maßgeblich, wonach das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gilt, das ein Verhalten erfordert, durch das kein anderer geschädigt oder gefährdet wird. Hierbei ist insbesondere maßgeblich, mit welcher Geschwindigkeit die Beklagte Ziff. 1 in die Parklücke eingebogen ist und wiederum, ob die Türe bereits geöffnet war und sie den Unfall durch Achtsamkeit hätte vermeiden können.

4. Die Haftungsverteilung anhand der vorgenannten Kriterien richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Das Gericht ist der Ansicht, dass nur eine hälftige Haftungsverteilung angemessen ist. (So auch OLG Frankfurt a.a.O.)

a) Hierfür ist ausschlaggebend, dass die konkrete Unfallsituation besondere Umsicht durch eine vollständige Konzentration auf die gesamte Umgebung fordert. Dies gilt sowohl für ankommende und einparkende Fahrzeuge als auch für ein- und aussteigende Personen. Ungeachtet besonderer Umstände im Einzelfall sind daher an die Sorgfalt des Fahrers eines Fahrzeugs, der auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz in eine rechtwinklig zur Durchfahrtrichtung angeordnete Parklücke einparken will, sowie an die Sorgfaltspflicht des Fahrers oder Mitfahrers eines neben dieser Parklücke abgestellten weiteren Fahrzeugs beim Aussteigen gleich hohe Anforderungen zu stellen, so dass in der Regel bei einer Kollision des einparkenden Fahrzeugs mit einer teilweise geöffneten Fahrzeugtür eines geparkten Fahrzeugs eine hälftige Schadenaufteilung angemessen erscheint. (So OLG Frankfurt a.a.O.)

b) Da im vorliegenden Fall die konkreten Umstände des Geschehensablaufs nicht aufklärbar sind, war die Haftung entsprechend dieses Regelfalls zu verteilen. Hierfür spricht auch, dass - je nach tatsächlichem Geschehensablauf - die eine oder die andere Partei ein überwiegendes Verschulden treffen würde.

c) Besondere Umstände, die den Haftungsanteil einer Partei erhöhen bzw. verringern könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist das Gericht der Auffassung, dass die Betriebsgefahr des in Bewegung befindlichen Fahrzeugs der Beklagten Ziff. 1 nicht höher zu veranschlagen ist, da diese eine angemessene Geschwindigkeit eingehalten hat. (Vgl. hierzu LG Saarbrücken, NJW-RR 2009, 1250 ff., das sogar von einer Haftung von 1/3 des Einfahrenden ausgeht.) Daher bleibt es dabei, dass die Aufmerksamkeitspflicht beider Parteien gleichgelagert war.

5. Daher war die Hälfte des dem Kläger entstandenen und aus dem Tatbestand ersichtlichen unstreitigen Schadens zu ersetzen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wurden entsprechend dieses Betrags in Ansatz gebracht.

6. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.