Das Verkehrslexikon

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Landgericht Berlin Urteil vom 20.09.2011 - 42 S 248/10 - Zur Haftung bei einer Kollision eines Fahrzeugs des fließenden Verkehrs mit einer geöffneten Fahrzeugtür

LG Berlin v. 20.09.2011: Zur Haftung bei einer Kollision eines Fahrzeugs des fließenden Verkehrs mit einer geöffneten Fahrzeugtür


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 20.09.2011 - 42 S 248/10) hat entschieden:
Wer ein- oder aussteigt oder die Tür öffnen will, von innen wie von außen, hat den Verkehr vorher mit äußerster Sorgfalt zu beobachten und sich danach einzurichten. Naht Verkehr von hinten, der vor Beendigung des Ein- oder Aussteigens herangekommen sein kann, so bedingt äußerste Sorgfalt, dass solange jedes Türöffnen unterbleibt. Auf Ausweichbewegungen anderer darf nicht vertraut werden. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden.


Tatbestand:

Entfällt gem. § 540 ZPO.


Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit gemäß den §§ 511 ff ZPO zulässig. Sie kann jedoch sachlich keinen Erfolg haben.

Das Gericht folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Zwar hat der Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge M. T., das klägerische Fahrzeug nicht besteigen wollen, sondern nach dem klägerischen Vortrag die Fahrertür nur geöffnet, um auf dem Sitz Papiere abzulegen. Für ihn gelten jedoch nicht nur die Grundsätze des § 1 StVO, sondern auch die in § 14 Abs. 1 StVO niedergelegten Grundsätze (Hentschel/König Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. Rn. 9 zu § 14).

Beim Ein- und Aussteigen hat sich ein Verkehrsteilnehmer gemäß § 14 Abs. 1 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Diese erhöhten Sorgfaltspflichten werden in der Regel nur dann gewahrt, wenn ein Öffnen der Tür während des Vorbeifahrens anderer Fahrzeuge, mit deren Annäherung zu rechnen ist, unterbleibt (BGH VM 1956 Nr. 88 = VRS 11, 249; VRS 61, 26 f.; KG, 12.U.3780/84 vom 9. Mai 1985). Einen Vertrauensgrundsatz zugunsten des Ein- oder Aussteigenden auf Einhalten eines ausreichenden Sicherheitsabstandes des Vorbeifahrenden gibt es, nachdem die Sorgfaltsanforderungen durch § 14 Abs. 1 StVO verschärft wurden, nicht mehr; die zu § 1 StVO ergangene Rechtsprechung ist daher nur noch bedingt anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf, VM 1973, 31, Nr. 45; KG, DAR 1973, 156), die die volle Haftung des mit zu geringem seitlichen Sicherheitsabstand Vorbeifahrenden für den Anstoß an die teilweise geöffnete Tür eines parkenden Fahrzeuges angenommen hatte. Wer ein- oder aussteigt oder die Tür öffnen will, von innen wie von außen, hat den Verkehr vorher mit äußerster Sorgfalt zu beobachten und sich danach einzurichten. Naht Verkehr von hinten, der vor Beendigung des Ein- oder Aussteigens herangekommen sein kann, so bedingt äußerste Sorgfalt, dass solange jedes Türöffnen unterbleibt (vgl. auch KG, VRS 69, 98 = StVE Nr. 7). Auf Ausweichbewegungen anderer darf nicht vertraut werden. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden (vgl. KG, VM 1986, 20).

Dieser ist beispielsweise dadurch zu entkräften, dass der Ein- bzw. Aussteigende darlegt und gegebenenfalls beweist, dass der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat, wobei dieser sich nach den Umständen des Einzelfalles bemisst.

Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin und nach den Wahrnehmungen des Einzelrichters am Vorabend des Tages der mündlichen Verhandlung am 16.08.2011 sowie den von ihm angefertigten und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 16.08.2011 gemachten Fotos ist am Unfallort die rechte Spur, die vom Beklagtenfahrzeug benutzt worden ist, erheblich verengt und deshalb schmaler als die daneben gelegene linke Spur.

Unter diesen Umständen durfte der Lebensgefährte der Klägerin nicht damit rechnen, dass das Beklagtenfahrzeug einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten würde und der Beklagte zu 1. aufgrund der Verkehrsverhältnisse angesichts des beginnenden Berufsverkehrs um 15.00 Uhr hierzu überhaupt in der Lage war. Er hätte deshalb zur eigenen Sicherheit und um den fließenden Verkehr auf der rechten Spur nicht zu gefährden, darauf verzichten müssen, die Fahrertür zu öffnen, denn dies war nur möglich, indem sie in den Luftraum über der rechten Fahrspur geöffnet wurde und damit eine Gefährdung des fließenden Verkehrs eintrat. Hinzu kommt, dass der Zeuge nach dem klägerischen Vortrag zum Unfallzeitpunkt gar nicht die Absicht gehabt hatte, das Fahrzeug zu besteigen, dann aber außer aus rücksichtsloser Gedankenlosigkeit und/oder Bequemlichkeit kein nachvollziehbarer und billigenswerter Grund dafür ersichtlich ist, die Fahrertür zu öffnen, denn der Zeuge hätte die Papiere mit nur geringem zusätzlichen Aufwand gefahrlos von der Beifahrertür aus in das klägerische Fahrzeug legen können.

Zu besonderer Rücksichtnahme auf den ordnungsgemäß fließenden Verkehr bestand auch deshalb besonderer Anlass, weil das klägerische Fahrzeug verbotswidrig auf dem Bürgersteig abgestellt war. Der Parkstreifen auf dem Gehweg in der ...straße endet an der Einfahrt zu der ... Villa. Von dort an bis zur Einmündung der ...straße in die ...straße dient der Gehweg allein dem Fußgängerverkehr, ohne dass ein Parken auf dem Gehweg durch entsprechende Zeichen (Zeichen 315) erlaubt wäre.

Dass sich das klägerische Fahrzeug in diesem Bereich befand, erhellt auch die Äußerung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 16.08.2011, nach der ein Einkaufszentrum dem klägerischen Pkw gegenüber lag. Ein Einkaufszentrum befindet sich nämlich nach der Zufahrt zur ... Villa in südöstlicher Richtung etwas zurückgesetzt an der Ecke zur ...straße, also außerhalb des als Parkhafen ausgewiesenen Bereichs.

Unter Berücksichtigung all dessen ist der Klägerin nach § 17 StVG die alleinige volle Haftung aufzuerlegen, so dass das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat und die Berufung zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).