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Landgericht Wiesbaden Urteil vom 02.12.2011 - 9 S 16/11 - Zur Haftung bei einem Unfall durch Öffnung der Fahrzeugtür zur Fahrbahn hin
LG Wiesbaden v. 02.12.2011: Zur Haftung bei einem Unfall durch Öffnung der Fahrzeugtür zur Fahrbahn hin
Das Landgericht Wiesbaden (Urteil vom 02.12.2011 - 9 S 16/11) hat entschieden:
Wer die linke Wagentür zur Fahrbahn hin öffnen will, darf diesnur langsam und nur spaltweise tun, wobei dem regelmäßig nur bei einer Spaltbreite von bis zu 10 cm Genüge getan wird und die Tür nur dann überhaupt geöffnet werden darf, wenn sich mit Gewissheit kein Verkehr nähert.
Gründe:
Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 1) als Fahrer und Halter und die Beklagte zu 2) als Kfz-Haftpflichtversicherer aus einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.
In tatsächlicher Hinsicht wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO vollumfänglich auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen. Das Amtsgericht Bad Schwalbach hat mit Urteil vom 01.03.2011 zu 3 C 617/10 (2) nach Vernehmung der Zeugen E. und F. die auf Zahlung von 4.238,38 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, zwar sei das klägerische Kraftfahrzeug bei dem Betrieb eines anderen Kraftfahrzeugs, namentlich des Daimler-Chrysler des Beklagten zu 1), beschädigt worden. Die Ersatzpflicht des Beklagten zu 1) sei aber gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall für den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis dargestellt habe. Unabwendbar sei ein Unfallereignis aber dann, wenn auch ein Idealfahrer an Stelle des Beklagten zu 1) selbst bei besonders sorgfältiger, umsichtiger, reaktionsschneller und geistesgegenwärtiger Fahrweise den Unfall nicht hätte vermeiden können. Letzteres sei vorliegend zu bejahen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Amtsgerichts fest, daß der Zeuge E. die Fahrertür an dem klägerischen Kraftfahrzeug erst unmittelbar vor dem herannahenden Beklagtenfahrzeug weit in die Fahrbahn hinein geöffnet habe, so daß es dem Beklagten zu 1) trotz sogleich eingeleiteter Vollbremsung nicht mehr möglich gewesen sei, den Zusammenstoß mit der Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs zu vermeiden. Dies ergebe sich aus den Bekundungen des glaubwürdigen Zeugen F., der glaubhaft kundgetan habe, der Beklagte zu 1) sei mit Schrittgeschwindigkeit auf die fragliche Engstelle zugefahren, wobei die Fahrertür am Klägerfahrzeug zuvor nicht geöffnet gewesen und die Innenraumbeleuchtung nicht eingeschaltet gewesen sei. Vielmehr sei nach den Bekundungen des Zeugen F. die Fahrertür an dem Klägerfahrzeug erst geöffnet worden, als das Beklagtenfahrzeug das Klägerfahrzeug bereits erreicht habe. Auch sei das Beklagtenfahrzeug weder gerutscht noch geschlittert; vielmehr habe der Beklagte zu 1) den Daimler-Chrysler auf Grund der sofort eingeleiteten Vollbremsung auf Höhe des VW Polo zum Stehen gebracht, wobei die Fahrbahn an der fraglichen Stelle weder glatt noch rutschig gewesen sei. Die Bekundungen des Zeugen E. seien demgegenüber als unglaubhaft zu werten. Es sei schon nicht nachvollziehbar, wie der Zeuge E. das Beklagtenfahrzeug bereits aus einer Entfernung von rund 100 m im Rückspiegel und in der Dunkelheit allein an den Scheinwerfern erkannt haben wolle. Selbst wenn der Zeuge E. entgegen aller Lebenserfahrung das Beklagtenfahrzeug allein an den Scheinwerfern erkannt haben würde, sei nicht nachvollziehbar, wieso der Zeuge E. die Fahrertür bereits zu einer Zeit weit geöffnet haben solle, zu welcher das Beklagtenfahrzeug noch rund 100 m entfernt gewesen sei, so daß mit dessen Eintreffen erst in fünf bis acht Sekunden zu rechnen gewesen sei. Die klägerische Darstellung, wonach der Zeuge E. bei geöffneter Fahrertür auf das Beklagtenfahrzeug gewartet habe, sei lebensfremd. Viel näher hätte es gelegen, daß der Zeuge E. entweder bei geschlossener Tür das Eintreffen des Beklagtenfahrzeugs auf Höhe des VW Polo abwarte oder aber sogleich aussteige und außerhalb des VW Polo auf das Eintreffen des Beklagtenfahrzeugs warte, zumal der Zeuge E. und der Beklagte zu 1) in der Straße Am E. nicht an einer bestimmten Stelle verabredet gewesen seien, der Beklagte zu 1) demgemäß nach dem Zeugen E. habe Ausschau halten müssen. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen E. bestünden im übrigen deshalb Bedenken, weil er als unmittelbar Unfallbeteiligter je nach Ausgang dieses Rechtsstreits sich Regreßansprüchen der Klägerin ausgesetzt sehen könne, wohingegen es sich bei dem Zeugen F. um einen unbeteiligten Dritten handele, der am Ausgang des Rechtsstreits kein Interesse habe. Schließlich stehe nicht fest, daß der Beklagte zu 1) mit unangepaßter oder gar überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Ausgehend von der Bekundung des Zeugen F., wonach der Beklagte zu 1) den Bremsvorgang auf Höhe des Hecks des VW Polo eingeleitet habe und der Daimler-Chrysler sodann auf Höhe der vorderen Stoßstange des VW Polo zum Stehen gekommen sei, sei zu konstatieren, daß der Beklagte zu 1), was sich aus dem kurzen Bremsweg und den bei nasser oder glatter Fahrbahn erzielbaren Bremsverzögerungen ergebe, mit keiner überhöhten Geschwindigkeit gefahren sein könne. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehle es im übrigen an objektiven und unstreitigen Anknüpfungstatsachen. Weder sei unstreitig, ob die Fahrbahn glatt oder aber frei von Schnee gewesen sei. Noch lasse sich feststellen, wo genau und in einer welchen relativen Kollisionsposition die Fahrzeuge zusammengestoßen seien. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, wieso der Öffnungswinkel der Fahrertür an dem PKW der Klägerin Rückschlüsse darauf erlauben können solle, in einem welchen Abstand zu dem Klägerfahrzeug das Beklagtenfahrzeug sich befunden haben solle, als der Zeuge E. die Fahrertür geöffnet habe, weshalb die Klage nach allem ohne die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens abzuweisen gewesen sei.
Mit ihrer hiergegen frist- und formgerecht eingelegten Berufung rügt die Klägerin die Würdigung der erhobenen Beweise als tendenziös und macht geltend, daß das Erstgericht, indem es eigene Bremswegberechnungen angestellt habe, sich die Sachkunde eines Sachverständigen angemaßt habe. Ohne die Einholung des bereits erstinstanzlich beantragten Sachverständigengutachtens sei die Beweiserhebung aber als unvollständig und damit als fehlerhaft anzusehen.
Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen, namentlich die Berufungsbegründung vom 20.05.2011 sowie die Berufungserwiderung vom 11.07.2011. Wegen der in der Berufungsinstanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 02.12.2011.
Der zulässigen Berufung blieb der Erfolg versagt. Sie ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden, sie ist allerdings unbegründet, weil das Erstgericht die Klage mit Recht abgewiesen hat. Es kann dahinstehen, ob man in dem streitgegenständlichen Unfall ein für den Beklagten zu 1) unabwendbares Ereignis erblicken will, mit der Folge, daß bereits die Voraussetzungen des § 7 StVG zu verneinen wären. Entscheidend ist, daß eine mögliche Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs wegen des von dem Zeugen E. begangenen Verstoßes gegen die Verhaltensmaßregeln des § 14 StVO in jedem Fall hinter der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurücktritt. Denn wegen des von dem Zeugen E. an den Tag gelegten Verhaltens, welches darin bestanden hat, die Fahrertür zur Fahrbahn hin zu öffnen, streitet gegen die Klägerin zunächst einmal der Anschein, der Unfall sei allein darauf zurückzuführen, daß der Zeuge E. in dem Klägerfahrzeug die Verhaltensmaßregeln des § 14 StVO nicht beobachtet habe. Denn es ist anerkannt, daß derjenige, der die linke Wagentür zur Fahrbahn hin öffnen wolle, eben diese Tür nur langsam und nur spaltweise öffnen dürfe, wobei Letzterem regelmäßig nur bei einer Spaltbreite von bis zu 10 cm Genüge getan sei und die Tür obendrein nur dann überhaupt geöffnet werden dürfe, wenn sich mit Gewißheit kein Verkehr nähert. Letzteres ist selbst nach dem Vortrag der Klägerin zu verneinen, die vortragen ließ, der Zeuge E. habe bereits das bloße Auftauchen des Beklagtenfahrzeugs in einer Entfernung von rund 100 m zum Anlaß genommen, die Fahrertür so weit wie nur möglich in die Fahrbahn hinein zu öffnen. Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, ein Verstoß gegen die Verhaltensmaßregeln des § 14 StVO könne hier schon deshalb und ausnahmsweise nicht angenommen werden, weil der Zeuge E. die Tür lange vor dem Eintreffen des Beklagten zu 1) an der späteren Kollisionsstelle weit geöffnet und der Beklagte zu 1) dieserhalb gewissermaßen sehenden Auges auf eine weit geöffnete Wagentür zugefahren sei. Denn es ist anerkannt, daß die Sorgfaltsanforderungen des § 14 StVO für die Dauer des gesamten Aus- und Einsteigevorgangs gelten, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Ein- oder Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Spricht der erste Anschein aber, wie dargetan, gegen die Klägerin, so wäre es an dieser gewesen, eben diesen zu entkräften. Eben diesen Beweis konnte die Klägerin ersichtlich nicht führen. Selbst wenn man mit der Klägerin – und entgegen dem Amtsgericht – einmal annimmt, daß den Bekundungen des Zeugen E. kein geringeres Gewicht zukomme als denjenigen des Zeugen F., so bleibt festzuhalten, daß hier Aussage gegen Aussage ficht, mit der Folge, daß der von der Klägerin zu führende Beweis, wonach der Zeuge E. entgegen dem ersten Anschein gerade nicht gegen § 14 StVO verstoßen habe, nicht als geführt gelten kann, weil den Bekundungen des Zeugen E., wonach der Beklagte zu 1) sich schlicht verbremst habe, die Bekundungen des Zeugen F. gegenüberstehen, wonach der Beklagte zu 1) auf eine unvermittelt und unmittelbar vor der Kollision sich vor seinem PKW öffnende Wagentür reagiert habe, ohne daß er den Zusammenstoß noch hätte verhindern können. Die in diese Richtung weisende Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist mit dem Mittel der Berufung nur eingeschränkt überprüfbar. Daß sie schlicht nicht mehr nachvollziehbar wäre, kann aber nicht festgestellt werden. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Ansicht des Amtsgerichts, wonach es keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für die Einholung eines Sachverständigengutachtens gebe. Auf Grund der von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen kann in der Tat nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob die Fahrbahn um das Klägerfahrzeug herum nun schwarz, glatt oder schneebedeckt war. Ebenfalls unbekannt ist der genaue Kollisionsort beziehungsweise die relative Kollisionsposition der unfallbeteiligten Kraftfahrzeuge. Insgesamt erscheint bereits zweifelhaft, ob die Klage überhaupt schlüssig ist. Denn das klägerische Vorbringen einmal für wahr unterstellt, gelangt man nach Ansicht der Kammer erst recht zu einem evidenten Verstoß des Zeugen E. als dem Insassen in dem Klägerfahrzeug gegen die Verhaltensmaßregeln des § 14 StVO. Denn nach dem – bestrittenen – Klägervorbringen hat der Zeuge E. dem sich in der Dunkelheit bei Eis- beziehungsweise Schneeglätte auf eine durch parkende Kraftfahrzeuge gebildete Engstelle mit seinem PKW zubewegenden Beklagten zu 1) durch das Öffnen der Fahrertür zur Fahrbahn hin ein Hindernis bereitet, was zu verhindern gerade die Intention des § 14 StVO ist. Jedenfalls ist es der Klägerin aber selbst auf Grund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht gelungen, den gegen sie sprechenden Anschein eines Verstoßes gegen § 14 StVO zu entkräften, weshalb das Erstgericht die Klage mit Recht abgewiesen hat. Vor diesem Hintergrund konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels der Berufung zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.238,38 EUR festgesetzt. In diesem Umfang ist die Klägerin durch das klageabweisende erstinstanzliche Urteil beschwert.