Das Verkehrslexikon
Landgericht München Urteil vom 28.11.2006 - 2 S 4550/06 - Sichtfahrgebot bei schwer erkennbaren Hindernissen
LG München v. 28.11.2006: Zum Sichtfahrgebot bei schwer erkennbaren Hindernissen - Haftung bei Reifenverlust
Das Landgericht München (Urteil vom 28.11.2006 - 2 S 4550/06) hat entschieden:
- Löst sich während der Fahrt ein Reifen eines Omnibusses, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrzeugführers. Dieser ist gemäß § 23 Abs. 1 S.2 StVO für den verkehrssicheren Zustand des von ihm geführten Fahrzeugs verantwortlich. Hierzu gehört auch, dass sich der Fahrer vor Fahrtantritt überzeugt, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß gewartet ist und sich die Räder und Reifen in einem vorschriftsmäßigen Zustand befinden. Da sich ein Zwillingsreifen des Busses löste, ist zu vermuten, dass dies unterblieben ist.
- Zwar gilt das Sichtfahrgebot bei Dunkelheit auf der Autobahn, jedoch kann dem Kfz-Führer bei schwer erkennbaren Hindernissen, wie etwa einem verlorenen Reifen, kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn sich die Geschwindigkeit nicht kausal auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat.
Gründe:
I.
1
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Wesentliche Änderungen oder Ergänzungen haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Kammer folgt den Gründen des angefochtenen Urteils, die sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens als zutreffend erweisen.
Zu Recht ist das Amtsgericht Dachau von einem Verschulden des über die Beklagte versicherten Omnibusfahrers ausgegangen. Löst sich während der Fahrt ein Reifen, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrzeugführers. Dieser ist gemäß § 23 Abs. 1 S.2 StVO für den verkehrssicheren Zustand des von ihm geführten Fahrzeugs verantwortlich.
Hierzu gehört auch, dass sich der Fahrer vor Fahrtantritt überzeugt, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß gewartet ist und sich die Räder und Reifen in einem vorschriftsmäßigen Zustand befinden. Da sich ein Zwillingsreifen des Busses löste, ist zu vermuten, dass dies unterblieben ist. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht entkräftet.
Die hier vertretene Ansicht wird auch vom OLG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 13.10.1998 (1 U 2812/98) geteilt.
Da sich der Reifen 500 m vom Bus entfernt befand und zwar auf dem linken Fahrstreifen, hätte auch eine Geschwindigkeitsreduzierung der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs, während sie den Bus passierte, den Unfallverlauf nicht verändert.
Zu Recht ist das Amtsgericht Dachau auch davon ausgegangen, dass zwar auch auf Autobahnen bei Dunkelheit die "Goldene Regel" des Sichtfahrgebots gilt, hier aber, weil das Hindernis ungewöhnlich schwer erkennbar war, die Haftung der Klagepartei aus Betriebsgefahr hinter dem Verschulden des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt (so auch BGH, Urteil vom 15.5.84, VersR 1984, 741-742 und OLG Nürnberg vom 13.10.98).
Zu Recht hat das Amtsgericht auch Mietwagenkosten für die Dauer von 18 Tagen zugesprochen. Angesichts des Totalschadens des klägerischen Fahrzeugs und der hierzu vorgetragenen Schwierigkeiten bei der Ersatzbeschaffung ist dies angemessen, insbesondere nachdem der Zeitraum nur unwesentlich über den "ca." – Zeitangaben des Gutachtens liegt.
Kosten: § 97 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO entsprechend.