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OLG Oldenburg Urteil vom 23.04.1999 - 13 U 1/99 - Zur Mithaftung der Bahn bei unterlassenen Sicherungsmaßnahmen an einem Bahnübergang
OLG Oldenburg v. 23.04.1999: Zur Mithaftung der Bahn bei unterlassenen Sicherungsmaßnahmen an einem Bahnübergang
Das OLG Oldenburg (Urteil vom 23.04.1999 - 13 U 1/99) hat entschieden:
An viel befahrenen Bahnübergängen mit industriellem Umfeld, an denen es in der Vergangenheit bereits zu mehreren tödlichen Unfällen gekommen ist, muss die Bahn in Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflichten über die in EBO vorgesehenen Sicherungen hinaus geeignete weitere Sicherungsmaßnahmen ergreifen, um den Bahnübergang ausreichend zu sichern, wenn dieser unbeschrankt und lediglich mit Blinklicht und akustischem Signal ausgestattet ist.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls vom 31.8.1995 auf dem Bahnübergang in C.
Am Unfalltag befuhr der Kläger mit einem beladenen Lkw nebst Anhänger den ... in C. stadtauswärts in östliche Richtung. An dem Bahnübergang kam es zum Unfall.
Der Bahnübergang liegt an der eingleisigen Strecke O.-O. innerhalb des Bahnhofs C. Er war unbeschrankt, die Sicherung des Überwegs erfolgte durch eine vom Bahnhof C. fernüberwachte Blinklichtanlage und durch ein akustisches Signal mittels "Wecker". Vor dem Bahnübergang war ein Hinweisschild auf den unbeschrankten Bahnübergang aufgestellt. Unterhalb der Blinklichtanlage befand sich ein "Andreas-Kreuz", Warnbaken waren vor dem Übergang nicht aufgestellt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit für den Straßenverkehr betrug 50 km/h und für den Schienenverkehr 100 km/h. Auf der stadtauswärts gelegenen Seite der Bahnlinie befindet sich das Industriegelände der Firma P. Der Kläger wollte zu dieser Firma und dort seinen Lkw entladen.
Als sich der Kläger dem Bahnübergang näherte, blinkte das Blinklicht, und das akustische Signal ertönte. Der Kläger hat dies nicht wahrgenommen und versuchte, den Bahnübergang zu überqueren. Als er mit seiner Zugmaschine auf den Gleisen des Bahnübergangs war, sah er, aus seiner Sicht von links, einen Zug auf sich zukommen. Er versuchte, mit seiner Zugmaschine und dem Anhänger von dem Bahnübergang herunterzukommen, was ihm aber nicht mehr gelang. Der Lkw wurde von dem Zug an der Hinterachse getroffen, wobei die Zugmaschine und der Anhänger auseinandergerissen wurden und neben den Bahngleisen liegen blieben. Die Lok entgleiste, schleuderte gegen einen auf einem Abstellgleis stehenden Waggon, schob diesen vor sich her und kam nach etwa 80 m zum Stillstand. Bei dem Unfall sind der Kläger, der Lokführer und mehrere Fahrgäste teils lebensgefährlich verletzt worden.
Wegen des Verkehrsunfalls vom 31.8.1995 ist gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und wegen fahrlässiger Körperverletzung durchgeführt worden (3 Ds 127 Js 35569/95). Durch Beschluss des Amtsgerichts Cloppenburg vom 3.4.1997 ist das Verfahren gemäß § 153 a StPO nach Erfüllung der erteilten Auflagen eingestellt worden.
Der Kläger hat behauptet, er habe, als er an den Bahnübergang herangefahren sei, kein Blinklicht gesehen und kein akustisches Warnsignal gehört. Er sei sehr langsam und vorsichtig an den Bahnübergang herangefahren, weil ihn sein Arbeitgeber vor Antritt der Fahrt gerade vor diesem unbeschrankten Bahnübergang gewarnt habe. Er habe vor dem Bahnübergang gehalten und nach rechts und links gesehen. Er habe den herannahenden Zug erst gesehen, als er auf den Bahnübergang gefahren sei. Die Blinklichtanlage sei zum Zeitpunkt des Unfalls von Zweigen und Laub verdeckt gewesen, so dass das Blinklicht für ihn nicht zu erkennen gewesen sei. Die Schwierigkeit, das Blinklicht zu erkennen, sei noch dadurch verstärkt worden, dass er in die - etwa in gleicher Höhe mit der Lichtzeichenanlage - tiefstehende Sonne gesehen habe. Die Beklagte habe den Bahnübergang letztmalig am 29.5.1995 kontrolliert. In der Zwischenzeit seien Zweige gewachsen, und das Laub habe sich herausgebildet. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung, die Zweige zu entfernen, nicht nachgekommen.
Er hat weiter behauptet, der Regionalzug sei schneller als 100 km/h gefahren und der Lokführer habe die erforderliche Bremsung zu spät eingeleitet. Aus dem Ausmaß der Schäden ergebe sich schon, dass der Zug zu schnell gefahren sei. Allein der Gesamtschaden der Beklagten betrage weit über 1,5 Mio. DM. Im übrigen sei auch der Bahnübergang nicht entsprechend den Vorschriften der Eisenbahnbetriebsordnung (EBO) gesichert gewesen. Die Beklage sei verpflichtet gewesen, an diesem besonders gefährlichen Bahnübergang für zusätzliche, erhöhte Sicherheitsstandards Sorge zu tragen. Bereits im Dezember 1994 habe sich ein Verkehrsunfall auf dem Bahnübergang ereignet, bei dem drei Autoinsassen tödlich verletzt worden seien. Die Beklagte habe zunächst geplant, eine Halbschrankenanlage vor dem Bahnübergang zu installieren. Aus dem Inspektionsbericht vom 29.5.1995 ergebe sich, dass der Bau einer sicheren Überwegungsanlage, einer sog. EbÜt-80-Anlage, geplant gewesen sei. Der Kläger hat gemeint, die Beklagte treffe eine Mithaftung von 50 %, und von der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,- DM, Ersatz des materiellen Schadens von 19.530,- DM sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden bei einer Haftungsquote von 50 % zu ersetzen.
Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger vor dem Kreuzungsbereich seinen Lkw vollständig abgebremst habe und dass sein Sichtfeld eingeschränkt gewesen sei. Der Lokführer sei nicht zu schnell gefahren. Sie habe auch nicht gegen die Sicherheitsvorschriften der EBO verstoßen.
Mit dem am 27.11.1998 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dass bei dem Schienenfahrzeug der Beklagten nur die Betriebsgefahr vorgelegen habe, ohne dass diese durch ein falsches Verhalten des Lokführers oder die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte erhöht worden sei. Nach der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung trete die Betriebsgefahr hinter dem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers zurück. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger vor dem Bahnübergang gehalten und nach links gesehen habe. Wenn der Kläger tatsächlich durch die Sonne geblendet gewesen sein sollte, sei er verpflichtet gewesen, sein Fahrzeug vor dem Bahnübergang vollständig abzubremsen und erst dann den Übergang zu befahren, wenn er sicher ausschließen konnte, dass sich kein Schienenfahrzeug näherte. Die Lichtzeichenanlage sei, wie die Fotos der Ermittlungsakte ergeben, ohne weiteres erkennbar gewesen. Zweige und Laub hätten das Sichtfeld der Verkehrsteilnehmer nicht beeinträchtigt. Es sei auch nicht bewiesen, dass der Regionalzug zu schnell gefahren sei. Ein Verstoß gegen § 11 der EBO komme ebenfalls nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf dieses Urteil Bezug genommen.
Mit seiner Berufung beantragt der Kläger,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 25.000,- DM, nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19.530,- DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen und
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden, resultierend aus dem Unfall vom 31.8.1995 gegen 7.20 Uhr auf dem Bahnübergang "Niedriger Weg" in C., bei einer Haftungsquote von 50 % zu ersetzen, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger wendet sich gegen die Annahme des Landgerichts, er habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Er habe das rote Blinklicht nicht aus Nachlässigkeit übersehen, sondern weil ihn die tiefstehende Sonne, die sich in Blickrichtung zur Signalanlage befunden habe, geblendet habe. Die Blendwirkung sei durch die nasse Straßenoberfläche verstärkt worden.
Er beruft sich für seine Behauptung, dass sich der Zug mit einer Geschwindigkeit, die erheblich über den zulässigen 100 km/h gelegen habe, bewegt habe, auf Sachverständigengutachten. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h hätte der Triebwagen keine 80 m bis zum vollständigen Stillstand mehr zurückgelegt, nachdem er zunächst gegen den Lkw des Klägers und dann gegen den abgestellten Güterwagen geprallt war.
Darüber hinaus wiederholt er sein Vorbringen, dass die Beklagte den Bahnübergang "Niedriger Weg" anders hätte sichern müssen, nachdem es bereits im Dezember 1994 zu einem Unfall gekommen war. Die besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere die unübersichtliche Kreuzung, hätten eine andere Sicherung verlangt. An der Unfallstelle befänden sich unmittelbar nacheinander ein beschrankter und ein unbeschrankter Bahnübergang. Die Beklage hätte zumindest eine Halbschranke anbringen lassen müssen. Im übrigen trägt er weiter zu den Folgen des Unfalls vor.
Die Beklagte bestreitet, dass der Zug die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten gehabt habe. Im übrigen könne ein Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit auch nicht unfallursächlich gewesen sein. Der Zug wäre bei geringerer Geschwindigkeit lediglich etwas weiter hinten gegen den Lkw mit Anhänger geprallt.
Der Kläger, der von seinem Chef auf die angebliche Gefährlichkeit des Bahnübergangs hingewiesen worden sei, habe sich falsch verhalten. Die Beklagte bestreitet, dass er derartig durch die Sonne geblendet worden sei, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, das Blinklicht zu erkennen. Er habe auch im Ermittlungsverfahren nicht geltend gemacht, dass er durch die Sonne geblendet worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers führt zur Änderung des angefochtenen Urteils. Der Kläger kann von der Beklagten Ersatz eines Drittels seines gegenwärtigen und zukünftigen materiellen Schadens verlangen. Ihm ist außerdem ein Schmerzensgeld unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 2/3 zu gewähren. Zur Höhe ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Die Beklagte hat sich im ersten Rechtszug dazu ihr Vorbringen vorbehalten und um Erlass eines Grundurteils gebeten, ohne dass sie darauf hingewiesen wurde, dass ein Vortrag zu den Unfallfolgen bereits erforderlich sei. Der Senat hat danach nur durch Grundurteil in der Sache entschieden. Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs ist der Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 1 Ziffer 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine Entscheidung des Senats ist insoweit, da der Prozessstoff noch nicht aufgearbeitet ist, nicht sachdienlich (§ 540 ZPO).
I.
Hinsichtlich des materiellen Schadens ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass nach Annahme der grundsätzlichen Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz für die Berücksichtigung der Mitverursachung durch den Kläger eine Abwägung der Verursachungsanteile nach § 17 StVG vorzunehmen ist.
Diese Abwägung ergibt, dass der Klägerin 1/3 seines materiellen Schadens von der Beklagten ersetzt verlangen kann.
1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger seiner in § 19 Abs. 1 und 2 StVO geregelten Verpflichtung, sich mit größter Aufmerksamkeit vor Erreichen eines Bahnüberganges der vorliegenden Art zu vergewissern, dass sich kein Schienenfahrzeug nähert, nicht nachgekommen ist.
§ 19 Abs. 1 und 2 StVO regelt das Verhältnis zwischen Schienenverkehr und Straßenverkehr an unbeschrankten Bahnübergängen dahingehend, dass die Schienenfahrzeuge bei Beschilderung mit einem "Andreas-Kreuz" den Vorrang haben und dass die Straßenverkehrsteilnehmer vor diesem Verkehrszeichen warten müssen, wenn sich ein Schienenfahrzeug nähert. Weil der Kraftfahrzeugführer stets mit Bahnverkehr rechnen muss, ist er vor unbeschrankten Bahnübergängen zur erhöhten Aufmerksamkeit verpflichtet. Er hat so zu fahren, dass er auf kürzester Entfernung anhalten kann, jedenfalls solange er die Sicherungen des Überganges nicht ausmachen kann. Er muss notfalls mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder vor dem Übergang anhalten und sich vergewissern, dass sich keine Schienenbahn nähert.
Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass der Kläger sich nicht so verhalten hat, wie er es in diesem Verfahren vorträgt. Er will danach vor der Blinklichtanlage angehalten haben, um festzustellen, ob das Blinklicht in Betrieb war. Das kann, dafür spricht jedenfalls der Anscheinsbeweis, schon objektiv nicht so gewesen sein, weil er dann trotz Sonne das Blinklicht hätte sehen müssen, dem er gerade seine besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben will. Seine Behauptung, die Blinklichtanlage sei von Zweigen und Laub verdeckt gewesen, hat er in zweiter Instanz nicht mehr wiederholt, nachdem das Landgericht diese Behauptung als nachweislich unzutreffend zurück-gewiesen hat.
Der objektiv schwere Verstoß gegen seine Pflichten als Fahrzeugführer führt vorliegend dazu, dass von einem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH VVGE § 61 VVG Nr. 19) gilt allerdings für den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht ein ausschließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite des Verantwortlichen betreffen. Diese Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Entlastung vom schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen.
Nach der Rechtsprechung des BGH kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH a.a.O.). In diesem Zusammenhang spricht auch subjektiv die Gefährlichkeit der Handlung eine Rolle, denn mit der Größe der möglichen Gefahr wächst auch das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (BGH a.a.O.), ein Kraftfahrer muss es unter allen Umständen vermeiden, bei rotem Blinklicht einen Bahnübergang zu überqueren. Danach ist vorliegend der Schluss zu ziehen, dass der Kläger auch subjektiv unentschuldbar handelte, als er das Blinklicht und das akustische Warnsignal nicht beachtete. Nach seiner eigenen Darstellung hatte ihn sein Chef sogar noch vor Fahrtantritt vor der Gefährlichkeit des unbeschrankten Bahnübergangs gewarnt. Nach seiner eigenen Darstellung hat er der Blinkanzeige besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn ihn gerade an dieser Stelle - so seine Darstellung - das Sonnenlicht blendete, musste er notfalls anhalten, um genau festzustellen, ob die Blinklichtanlage blinkte. Denn das Überqueren der Bahngleise an einem unbeschrankten Bahnübergang ohne klare Feststellungen, ob das Blinklicht blinkt, stellt ein höchst gefährliches Verhalten dar. Auch schlechte Sichtverhältnisse oder mangelnde Konzentration rechtfertigen es danach allein noch nicht, das Verschulden geringer als grob fahrlässig zu bewerten.
2. Gegenüber diesem Verhalten des Klägers fällt die erhöhte Betriebsgefahr und die unzureichende Sicherung des Bahnüberganges ins Gewicht. Die Beklagte war aufgrund der besonderen örtlichen Situation und der Gefährlichkeit des Bahnübergangs verpflichtet, diesen besser zu sichern.
In der Berufungsinstanz ist unstreitig geworden, dass es an diesem Bahnübergang nicht nur im Jahre 1994 zu einem Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang gekommen war. Bereits 1991 war ein Radfahrer auf dem Bahnübergang zu Tode gekommen. 1991 war bei einem weiteren Unfall ein Beifahrer in einem Pkw bei einem Zusammenstoß mit einem Personenzug schwer verletzt worden. Damals hatte die örtliche Presse vermutet, dass die Fahrerin das intakte Blinklicht infolge der grellen Mittagssonne nicht gesehen habe. Hinzu kommt ein weiterer Unfall im Jahr 1993, bei dem ein Autofahrer unter nicht ganz geklärten Umständen bei einem Abbiegemanöver gegen einen Eilzug gefahren war.
Angesichts dieser Umstände - jedenfalls seit Ende 1991 - konnte die Beklagte nicht mehr davon ausgehen, dass die Sicherung des Bahnüberganges den tatsächlichen Bedürfnissen entsprach, insbesondere weil infolge der industriellen Nutzung des anschließenden Grundstücks (P. Werk) mit einem erheblichen landwirtschaftlichen Verkehr gerechnet werden musste. Die Beklagte ist aber - auch bei Einhaltung der in der EBO vorgegebenen Sicherung - gehalten, die Bahnübergänge den Erfordernissen des dort herrschenden Verkehrs anzupassen und ausreichend zu sichern (vgl. BGH VRS 6/92, 93). Dass sie das in hinreichendem Maße getan hat, ergibt ihr Vorbringen nicht. Soweit sie in dem Schriftsatz vom 12.04.1999 vorträgt, dass sie bereits vor 1992 versucht habe, entsprechend den Vorschriften des Eisenbahnkreuzungsgesetzes eine Vereinbarung über den Umbau des Bahnüberganges zu erreichen, dies jedoch zunächst an der Stadt C. gescheitert sei, spricht dieser Vortrag eher dafür, dass die Beklagte selbst erkannt hat, dass der Bahnübergang anders gesichert werden musste, oder jedenfalls andere Maßnahmen getroffen werden mussten. Dass es nach der Unterzeichnung des Vertrages durch die Stadt C. am 15.03.1993 bis zu dem Unfall am 31.08.1995 noch weitere fast 2 1/2 Jahre dauerte, ohne dass sich an den Sicherungsmaßnahmen etwas änderte, gereicht der Beklagten auch dann zum Verschulden, wenn die Bezirksregierung Weser-Ems erst am 27.07.1994 mitteilte, dass das Nds. Landesamt für Straßenbau die Vereinbarung mit dem Prüfvermerk versehen habe. Wenn die Beklagte nicht schon von sich aus eine andere Sicherung vornehmen wollte, dann konnte sie andere Maßnahmen ergreifen, die die Gefährdung Dritter herabminderte. Ohne Zustimmung Dritter hätte sie z.B. die zulässige Geschwindigkeit für die diesen Bereich passierenden Züge herabsetzen können.
Bedingt durch diese Umstände war auch die Betriebsgefahr der in dem Bereich dieses Übergangs fahrenden Züge der Beklagten erhöht. Das ergibt sich zum einen aus der örtlichen Situation. Wie die in der Ermittlungsakte (127 Js 35569/95 Staatsanwaltschaft Oldenburg) befindlichen Lichtbilder ergeben (insbesondere Seite 21 und 24), war für die Verkehrsteilnehmer, die die Straße in östlicher Richtung benutzten, die Sicht auf die Schienen nach links bis kurz vor Erreichen des Andreas-Kreuzes durch Bäume und Büsche längst der Gleise erheblich beeinträchtigt. Hinzukommt die erhebliche Masse des Zuges, der mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h auf den Bahnübergang zufuhr. Nicht unberücksichtigt bleiben kann im Rahmen der Bewertung der Betriebsgefahr, die der Beklagten bekannte Tatsache, dass bei tiefstehender Sonne am frühen Morgen die Gefahr einer Blendung der Verkehrsteilnehmer die stadtauswärts den Bahnübergang passierten, bestand.
3. Die Abwägung der Betriebsgefahr des Lkw, den der Kläger fuhr und dessen grobes Verschulden auf der einen Seite und der erheblichen Betriebsgefahr des Regionalzuges der Beklagten im Bereich des Bahnüberganges sowie deren Verstoß gegen die bestehende Verkehrssicherungspflicht führt zu einer Haftung der Beklagten für den materiellen Schaden des Klägers zu 1/3.
4. Soweit der Kläger daneben behauptet, die Beklagte habe für das Verschulden ihres Lokführers einzustehen, weil der Regionalzug schneller als die zugelassenen 100 Stundenkilometer gefahren sei, ist diese Behauptung nicht bewiesen. Tatsächliche Anhaltspunkte sind nicht gegeben. Auch wenn der Regionalzug Verspätung gehabt haben mag, folgt daraus nicht, dass die Geschwindigkeit des Zuges kurz vor Erreichen des Bahnhofs mehr als 100 km/h betragen hat. Eine Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt nicht in Betracht, denn es fehlt an den notwendigen Anknüpfungstatsachen. Bremsspuren sind nicht vorhanden. Allein die Lage der Fahrzeuge und die vorhandene Beschädigung der Fahrzeuge geben nicht genügend Anhaltspunkte für die Ermittlung der Geschwindigkeit.
II.
Schmerzensgeld kann der Kläger gemäß §§ 823, 847 BGB von der Beklagten verlangen, weil diese ihrer Verkehrssicherungspflicht nur ungenügend nachgekommen ist (s. I, 2). Der schwere Verstoß des Klägers gegen seine Verpflichtung aus § 19 Abs. 1 und Abs. 2 StVO übersteigt den Verstoß der Beklagten gegen ihre Verkehrssicherungspflichten erheblich. Der Senat hält danach ein Schmerzensgeld unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers in Höhe von 2/3 für angemessen.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 und 546 ZPO.