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Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück Urteil vom 04.01.2001 - Zu einem Fußgängerunfall beim Halten eines Fahrzeugs im Bedarfsverkehr
AG Rheda-Wiedenbrück v. 04.01.2001: Zu einem Fußgängerunfall beim Halten eines Fahrzeugs im Bedarfsverkehr
Das Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück (Urteil vom 04.01.2001 - 3b C 166/99) hat entschieden:
- Grundsätzlich stellt es ein verkehrsrichtiges Verhalten des querenden Fußgängers dar, wenn er ab Straßenmitte nach rechts schaut und dabei auch an der Straßenmitte wartet. Auf außerörtlichen schmalen Straßen mit einer höheren zulässigen Geschwindigkeit darf hingegen bei Dunkelheit nicht in der Mitte gewartet werden, vor allem nicht, wenn sie schlecht ausgeleuchtet sind.
- Angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 20 Absatz 4 StVO kann dessen Regelung nicht auf einen Bedarfsverkehr mit nicht vorher feststehenden Anhalteorten analog angewandt werden. Einem Fahrzeugführer ist deshalb nicht anzulasten, wenn er an einem Omnibus, der bei einer Sonderfahrt nach dem Anhalten "auf freiem Feld" mit eingeschalteter Warnblinkanlage wieder anfährt, nicht mit Schrittgeschwindigkeit sondern mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h vorbeifährt.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 23.02.1998 gegen 23:27 Uhr in R auf der B Straße ereignet hat. Zum Unfallzeitpunkt fuhr der Kläger mit seinem Taxi Mercedes Benz mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der B Straße aus Richtung L kommend in Fahrtrichtung R. Im Gegenverkehr befand sich ein 18 Meter langer Gelenkbus der TWE, der im Wege einer Sonderfahrt wegen einer Karnevalsveranstaltung in R die B Straße in Fahrtrichtung L befuhr. Der Gelenkbus hielt am Fahrbahnrand der B Straße gegenüber der Einmündung der Nebenstraße G an und ließ den Beklagten aussteigen. An diesem Haltepunkt befindet sich keine als solche bezeichnete Bushaltestelle. Der Beklagte schickte sich dann an, hinter dem abfahrenden Bus die B Straße zu überqueren. Auf der Fahrbahn der B Straße wurde der Beklagte von der linken vorderen Ecke des Pkw des Klägers erfasst. An der Unfallstelle bestand für Kraftfahrzeuge die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Auf Grund des Unfalls wurde der Beklagte verletzt und das Taxi des Klägers beschädigt. Dem Kläger ist ein Gesamtschaden in Höhe von 6.794,67 DM entstanden, der sich aus 6.133,67 DM Reparaturkosten, 621,00 DM Sachverständigenkosten und einer Kostenpauschale von 40,00 DM zusammensetzt. Zur Zahlung dieses Schadensbetrages wurde dem Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 08.04.1999 gesetzt.
Der Kläger behauptet, er habe nicht wahrgenommen, dass der Bus in Höhe der Einmündung G angehalten habe um den Beklagten aussteigen zu lassen. Der Kläger bestreitet, dass an dem Bus die Warnblinkanlage eingeschaltet gewesen sei. Als er den Bus wahrgenommen habe, sei die Warnblinkanlage nicht eingeschaltet gewesen. Er habe den im Gegenverkehr fahrenden Bus mit einer eigenen Geschwindigkeit von 50 km/h passiert, als plötzlich der Beklagte von links auf die Fahrbahn der B Straße getreten sei. Auf seiner Fahrbahnseite sei dann auch der Beklagte von dem Pkw erfasst worden. Der Beklagte sei auf Grund seiner dunklen Kleidung erst so spät zu bemerken gewesen, dass die Kollision für ihn unvermeidbar gewesen sei. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe die B Straße erst erhebliche Zeit nach der Abfahrt des Busses überquert.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 6.794,67 DM nebst 9% Zinsen seit dem 09.04.1999 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, der Busfahrer habe beim Anhalten die Warnblinkanlage auf dem Dach und an allen vier Ecken des Busses eingeschaltet. Der Bus sei mit noch in Betrieb befindlicher Warnblinkanlage wieder abgefahren. Er sei nach dem Aussteigen entlang des Busses nach hinten gegangen und habe dann hinter dem inzwischen abfahrenden Bus die Fahrbahn betreten. Er habe dann noch vor der Mittellinie angehalten um nach rechts Überblick zu gewinnen. Von dort habe sich das Taxi des Klägers mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h genähert. Ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren sei es dann zu einer Streifkollision gekommen, weil der Kläger auf Grund der leichten Linkskurve seine Fahrspur nicht eingehalten habe, sondern etwas auf die Gegenfahrbahn geraten sei. Dabei sei der Kläger mit seinem Taxi über den linken Fuß des Beklagten gefahren. Er sei dabei erheblich verletzt worden, wobei er komplizierte Brüche an der linken Elle und am linken Unterschenkel davongetragen habe.
Der Beklagte behauptet, der Bus mit der eingeschalteten Warnblinkanlage sei für den Kläger bereits aus einer Entfernung von mindestens 180 Meter ohne weiteres erkennbar gewesen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben, durch uneidliche Vernehmung der Zeugen H, S, Y und S sowie Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Dipl. Ing. W B von der D Niederlassung in B, das dieser in der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2000 erläutert hat. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 14.10.1999 (Blatt 38 - 42), 09.12.1999 (Blatt 54 - 57) und 23.11.2000 (Blatt 141 - 143) sowie auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 14.09.2000 (Blatt 96 - 127 der Akte) Bezug genommen. Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft B mit dem Aktenzeichen 73 Js 549/98 wurde zu Beweiszwecken verwertet.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß § 823 Absatz 1 BGB die Erstattung von 70 % seines unstreitigen Gesamtschadens verlangen. Der Kläger hatte sich die von seinem Pkw ausgehende allgemeine Betriebsgefahr mit 30 % anrechnen zu lassen.
Der Beklagte ist dem Kläger zu 70 % schadensersatzpflichtig, da er als Fußgänger unter fahrlässigem Verstoß gegen § 25 Absatz 3 StVO die Fahrbahn der B Straße betreten hat. Der Beklagte war berechtigt, die B Straße an der fraglichen Stelle auf direktem Wege zu überqueren. Eine derartige Fahrbahnüberquerung dürfte aber nur unter besonderer Vorsicht erfolgen, da der Fahrzeugverkehr und damit der Kläger Vorrang hatte. Insoweit war der Beklagte verpflichtet, sich erst durch Blicke nach links und anschließend durch Blicke nach rechts davon zu vergewissern, dass sich kein bevorrechtigter Querverkehr näherte. Der Beklagte ist nach seiner eigenen Einlassung hinter dem anfahrenden Bus auf die Fahrbahn getreten ohne zu diesem Zeitpunkt bemerken zu können, ob sich von rechts ein Fahrzeug nähert. Wie der Beklagte selbst einräumt, ist er bis kurz vor die Mittellinie gegangen um von dort einen Überblick nach rechts zu gewinnen. Grundsätzlich stellt es ein verkehrsrichtiges Verhalten des querenden Fußgängers dar, wenn er ab Straßenmitte nach rechts schaut und dabei auch an der Straßenmitte wartet. Auf außerörtlichen schmalen Straßen mit einer höheren zulässigen Geschwindigkeit darf hingegen bei Dunkelheit nicht in der Mitte gewartet werden, vor allem nicht, wenn sie schlecht ausgeleuchtet sind. (Jagusch/Hentschel Straßenverkehr recht 31. Auflage Randziffer 37 mit weiten Nachweisen) Von daher wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, zunächst abzuwarten bis sich der Gelenkbus der TWE soweit von dem Anhaltepunkt entfernt hatte, bis der Beklagte auch vom Fahrbahnrand aus feststellen konnte, ob sich aus beiden Fahrtrichtungen kein bevorrechtigtes Fahrzeug nähert. Hierbei hätte der Beklagte auch in Rechnung stellen müssen, dass sich für den Kläger beim Passieren des beleuchteten Busses hinsichtlich eines dunkel gekleideten Fußgängers eine sehr eingeschränkte Wahrnehmungsmöglichkeit ergibt. Hierzu hat der Sachverständige festgestellt, dass der Kläger beim Passieren des Busses in einen Streulichtbereich hereingefahren ist, was die gleiche optische Wirkung hat, als wenn der Kläger in ein dunkles Loch hineinfährt. Der Sachverständige hat auch festgestellt, dass der Kläger bei der von ihm angegebenen gefahrenen Geschwindigkeit von 50 km/h letztmöglich bei einer Wahrnehmung des Beklagten in einer Entfernung von 27 Metern die Möglichkeit einer rechtzeitigen Reaktion gehabt hätte. Tatsächlich war eine Erkennbarkeit des Fußgängers bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h nur aus einer Entfernung von etwa 15 bis 20 Metern gegeben.
Dagegen konnte dem Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB nicht angelastet werden. Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass von dem Fahrzeug des Klägers eine gesteigerte Betriebsgefahr dadurch ausging, dass der Kläger schuldhaft gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verstoßen hat. Insbesondere konnte nicht bewiesen werden, dass der Kläger unter fahrlässigem Verstoß gegen § 2 StVO gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hat und dabei den Beklagte jenseits der Mittellinie angefahren hat. Durch den Sachverständigen B konnte auf Grund der fehlenden Anknüpfungstatsachen der genaue Kollisionsort nicht festgestellt werden.
Dem Kläger war auch kein fahrlässiger Verstoß gegen § 20 Absatz 4 StVO deshalb anzulasten, weil er an einem Omnibus des Linienverkehrs mit eingeschalteter Warnblinklichtanlage nicht mit Schrittgeschwindigkeit vorbei gefahren ist. Der Tatbestand des § 20 Absatz 4 StVO ist insoweit nicht verwirklicht worden. Zunächst handelt es sich bei dem Gelenkbus der TWE bereits nicht um einen Omnibus des Linienverkehrs, der die B Straße im Rahmen eines festen Fahrplanes befährt. Es handelte sich vielmehr um einen Omnibus, der im Wege einer Sonderfahrt Besucher einer Karnevalsveranstaltung in R nach Hause brachte. Der Omnibus hat auch nicht, wie es § 20 Absatz 4 StVO voraussetzt an einer mit Zeichen 224 zu § 41 StVO bezeichneten Haltestelle angehalten. Der Bus hatte vielmehr auf freiem Feld am rechten Fahrbahnrand der B Straße angehalten. Der Anhalteort war auch offensichtlich so gewählt, dass der Beklagte nur noch einen möglichst kurzen Fußweg bis zu seiner in der Nebenstraße G befindlichen Wohnung hatte. Damit war allein auf Grund der Tatsache, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Warnblinkanlage des Busses eingeschaltet war und dieses von dem Kläger auch aus ausreichend weiter Entfernung über ausreichend lange Zeit bemerkbar war, der Kläger nicht verpflichtet, beim Passieren des wieder angefahrenen Busses Schrittgeschwindigkeit einzuhalten. Angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 20 Absatz 4 StVO kann dessen Regelung nicht auf den hier vorliegenden Bedarfsverkehr mit nicht vorher feststehenden Anhalteorten analog angewandt werden. Unbeachtlich ist deshalb auch, dass für den Kläger, sofern er nicht ortskundig gewesen sein sollte, beim Herannahen an den Bus nicht voraussehbar war ob es sich um eine gekennzeichnete Haltestelle eines Linienbusses handelte. Mit einem Schulbus musste er angesichts der Unfallzeit ohnehin nicht rechnen.
Es ist auch kein fahrlässiger Verstoß des Klägers gegen § 1 Absatz 2, 3 StVO darin zu sehen, dass der Kläger den entgegenkommenden Bus mit einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h passiert hat. Der Beklagte konnte im Wege der Beweisaufnahme nicht nachweisen, dass der Kläger eine höhere Fahrgeschwindigkeit als 50 km/h eingehalten hat. Vielmehr sprechen nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen B die Schäden am Pkw des Klägers und die von dem Beklagten erlittenen Verletzungen dafür, dass die Kollisionsgeschwindigkeit nicht höher als bei 50 km/h gelegen hat.
Diese Fahrgeschwindigkeit ist aber auch im Hinblick darauf, dass der Kläger von weitem und ausreichend lange den Bus mit eingeschalteter Warnblinkanlage wahrnehmen konnte, als angemessen anzusehen. Insbesondere ist darin nicht ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht zu sehen. Dies gilt obwohl der Kläger bei der eingehaltenen Geschwindigkeit von 50 km/h nicht mehr die Möglichkeit hatte, rechtzeitig auf das plötzliche Erscheinen des Beklagten zu reagieren. Das Sichtfahrgebot betrifft nur Sicht vor dem Fahrzeug. Grundsätzlich muss der Kraftfahrer mit Fahrbahnhindernissen, auch nachts mit unbeleuchteten rechnen, aber nicht mit solchen, die unvermittelt von der Seite oder von oben her in die Fahrbahn gelangen. (Jagusch/Hentschel § 3 StVO Randziffer 25 mit weiteren Nachweisen) Nach den geschilderten Umständen brauchte der Kläger auch in Anbetracht dessen, dass sich der Unfall in der Nähe des Anhalteortes des Busses befunden hatte nicht damit rechnen, dass plötzlich von links aus dem dunklen heraus noch ein Fußgänger die B Straße überquert.
Andererseits hat aber auch der Kläger nicht den Nachweis geführt, dass der Verkehrsunfall für ihn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 StVG war. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein besonders vorsichtiger und umsichtiger Kraftfahrer an Stelle des Klägers durch besonders umsichtige und zurückhaltende Fahrweise diesen Unfall hätte vermeiden können. Dies gilt hier um so mehr, als letztlich nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, an welcher Stelle der Fahrbahn sich die Kollision ereignet hat. Unter Abwägung des Verschuldens des Beklagten mit der von dem Fahrzeug des Klägers ausgehenden Betriebsgefahr hielt das Gericht eine Haftungsverteilung von 30 zu 70 zu Lasten des Beklagten für angemessen.
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Der Verzugszinsanspruch ist gemäß § 284 ff. BGB in Höhe von 4 % auf Grund des Mahnschreibens vom 24.03.1999 seit dem 09.04.1999 begründet. Der Kläger hat keinen Sachverhalt dargelegt, aus dem er einen Zinssatz von 9 % zu fordern berechtigt wäre.
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Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 92 Absatz 1 ZPO, die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziffer 11, 709, 711 ZPO.