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BGH Urteil vom 25.03.1980 - VI ZR 61/79 - Zur Beschränkung der Revisionszulassung auf den Einwand des Mitverschuldens

BGH v. 25.03.1980: Zur Beschränkung der Revisionszulassung auf den Einwand des Mitverschuldens


Der BGH (Urteil vom 25.03.1980 - VI ZR 61/79) hat entschieden:
Das Oberlandesgericht kann die Revisionszulassung wirksam auf den Einwand des Mitverschuldens beschränken, sofern es befugt gewesen wäre, zunächst ein Grundurteil zu erlassen und den Einwand des Mitverschuldens dem Nachverfahren über den Betrag vorzubehalten.


Tatbestand:

Die Ehefrau des Klägers parkte am 22. Februar 1978 gegen 10.15 Uhr dessen Kraftwagen (Peugeot 504 TI) auf einem zur öffentlichen Straßenfläche gehörenden Stellplatz am Fahrbahnrand des im Zentrum der Stadt L. gelegenen Hauptplatzes vor dem Anwesen des Beklagten. Auf dem Dach dieses 5-geschossigen Hauses waren zwei Schneefanggitter angebracht, die aber nicht verhindern konnten, dass sich eine Schneelawine vom Dach, das eine Neigung von mehr als 45 Grad hatte, löste und das Fahrzeug des Klägers erheblich beschädigte. Der Beklagte hatte weder ein auf die Gefahr einer Dachlawine hinweisendes Schild noch Warnstangen aufgestellt.

Der Kläger hat den Beklagten auf Ersatz des Reparaturschadens nebst Nutzungsausfall und Wertminderung, insgesamt auf Zahlung von 5.866,26 DM in Anspruch genommen.

Der Beklagte hat in Abrede gestellt, die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben; hilfsweise hat er sich auf eine Mithaftung des Klägers berufen.

Das Landgericht hat die Haftung des Beklagten bejaht, den Ersatzanspruch des Klägers jedoch dem Grunde nach wegen Mitverschuldens seiner Ehefrau von 10% gekürzt und auch zur Höhe der Forderung einen Teilbetrag nicht zuerkannt. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf das Rechtsmittel des Klägers nach seinem Klageantrag erkannt. Es bejaht die Haftung des Beklagten wegen schuldhafter Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht, weil die örtlichen Verhältnisse eine über den gewöhnlichen Umfang hinausgehende Verkehrsgefährdung durch von seinem Haus niederstürzende Schneemassen dargestellt hätten. Es hält jedoch - abweichend von der Ansicht des Landgerichts - einen Abzug von der Klageforderung wegen des die Ehefrau des Klägers treffenden Mitverschuldens (das es an sich bejaht) rechtlich nicht für möglich.

Der Beklagte verfolgt mit der Revision seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.


Entscheidungsgründe:

A.

Das Berufungsgericht hat in der Urteilsformel die Revision "in dem aus den Gründen ersichtlichen Umfang" zugelassen, also, wie am Schluss der Gründe gesagt ist, nur zu der Frage, ob der Grundstückseigentümer dem geschädigten Halter des Kraftfahrzeugs das Verhalten des Fahrzeugführers schadensmindernd entgegenhalten kann (BU S 18/19).

Eine solche Beschränkung der Zulassung der Revision ist zulässig, bindet daher das Revisionsgericht (§ 546 Abs 1 ZPO).

1. Der Bundesgerichtshof hat schon immer die Beschränkbarkeit der Revisionszulassung sowohl auf einen von mehreren selbständig zu bescheidenden Klageansprüchen (so BGHZ 48, 134, 136; vgl auch BGHZ 69, 93, 94) als auch bei Geltendmachung nur eines Anspruchs auf einen Teil desselben (Urteile vom 6. Dezember 1979 - VII ZR 19/79 = VersR 1980, 264 und vom 10. Januar 1979 - IV ZR 76/78 = NJW 1979, 767) anerkannt; das beruht auf § 301 ZPO, wonach dann, wenn der Anspruch oder ein Teil desselben abtrennbar ist, der Richter den gesamten Prozessstoff durch ein Teilurteil zerlegen kann (vgl Senatsbeschluss vom 7. November 1978 - VI ZR 4/77 - NJW 1979, 550). Darüberhinaus hat der Bundesgerichtshof auch die Beschränkung der Zulassung auf eines von verschiedenen Verteidigungsmitteln, das einen tatsächlichen und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs betrifft (so BGHZ 53, 152, 154) als wirksam anerkannt. Diese Rechtsprechung hat, jedenfalls im Ergebnis, weitgehend Zustimmung gefunden (für viele: Prütting, Die Zulassung der Revision 1977 S 235 mwN; Pawlowski JZ 1970, 506; Sell, Probleme der Rechtsmittelbegründung im Zivilprozess 1973 S 142ff). Darum geht es zwar im Streitfall nicht. Jedoch muss auch bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch eine auf den Betrag beschränkte Zulassung der Revision möglich sein. Denn auch in einem solchen Fall erlaubt es die Zivilprozessordnung, hier in § 304 ZPO, den Rechtsstreit durch ein Grundurteil in ein Grundverfahren und ein Höhenverfahren zu zerlegen (vgl Tiedtke WM 1977, 666, 674; Grunsky, ZPO, 20. Aufl § 546 RdNr 18). Dann aber kann die Zulassung der Revision auf solche Teile des Streitgegenstandes beschränkt werden, über die das Berufungsgericht durch Zwischenurteil hätte gesondert entscheiden dürfen; ob es tatsächlich ein Grundurteil erlassen hat, ist unerheblich (so mit Recht schon der Beschluss des V. Zivilsenats vom 15. Dezember 1978 - V ZR 214/77 = LM ZPO § 554b Nr 6 = NJW 1979, 551 - wonach die Ablehnung der Revisionsannahme bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch auf den Grund beschränkt werden kann).

2. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf den Einwand des Mitverschuldens (§ 254 BGB) beschränken konnte.

Dies ist zu bejahen, wenn und soweit dem Berufungsgericht die prozessuale Möglichkeit gegeben ist, bei Erlass eines Grundurteils die Frage des Mitverschuldens dem Nachverfahren über den Betrag vorzubehalten. Das trifft unbedenklich auf den Einwand nach § 254 Abs 2 BGB zu. Aber auch wenn ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens (Abs 1 des § 254 BGB) geltend gemacht wird, ist es nicht unzulässig, die Entscheidung darüber dem Nachverfahren vorzubehalten. Zwar wird es in vielen Fällen - zumal wenn sich die Bewertung der Quote des beiderseitigen Verschuldensbeitrages (Verursachungsbeitrages) aus einem einheitlich zu würdigenden Schadensereignis ableitet - zweckmäßiger sein, das Mitverschulden zusammen mit dem Verschulden zu bescheiden; die Praxis rechnet die Frage eines solchen Mitverschuldens überwiegend dem Grund des Anspruchs zu (für viele: Stein/Jonas/ Schumann/Leipold ZPO 19. Aufl § 304 I 2bß S 1243). Sie kann jedoch ausnahmsweise (s Senatsurteil vom 15. Mai 1979 - VI ZR 70/77 = NJW 1979, 1933, 1935 mwN) auch dem Nachverfahren vorbehalten werden, wenn das mitwirkende Verschulden des Geschädigten zweifellos nur zu einer Minderung, nicht aber zu einer Beseitigung der Schadenshaftung führen kann (BGHZ 1, 34, 36; BGH Urteil vom 11. Januar 1974 - I ZR 89/72 - MDR 1974, 558, 559 und vom 24. Oktober 1974 - VII ZR 80/73 - NJW 1975, 106,108).

Im Streitfall hat das Berufungsgericht die Frage des Mitverschuldens zwar nicht dem Nachverfahren vorbehalten, sondern bereits eine Entscheidung zur Höhe des Anspruchs getroffen, also den Einwand des Mitverschuldens mitbeschieden. Da es wegen des auf jeden Fall verbleibenden Haftungsanteils des Beklagten aber nicht unzulässig gewesen wäre, ein Zwischenurteil nur über den Grund des Anspruchs zu erlassen und die Frage des Mitverschuldens dem Nachverfahren vorzubehalten, muss im Hinblick darauf, dass die Rechtsprechung schon die Möglichkeit einer selbständigen Bescheidung für eine Beschränkung der Revision als genügend erachtet hat, auch hier die Beschränkung der Revisionszulassung auf diese Frage zulässig sein. Dies erscheint zudem wegen des damit verbundenen Entlastungseffekts für das Revisionsgericht wünschenswert.

3. Somit war die Revision insoweit, als sie sich gegen den Grund der Haftung des Beklagten wendet, als unzulässig zu verwerfen, weil die Beschränkung der Zulassung wirksam ist.


B.

I.

Das Berufungsgericht vertritt den Standpunkt, der Kläger brauche sich auf seinen Schadensersatzanspruch weder die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges noch ein - an sich zu bejahendes - Mitverschulden seiner Ehefrau anrechnen zu lassen. Seine Ausführungen halten nicht in allen Punkten den Angriffen der Revision stand.

1. Zu Recht rechnet das Berufungsgericht dem Kläger eine Betriebsgefahr seines Fahrzeuges nicht als schadensmitursächlichen Umstand zu.

Die Halterhaftung des § 7 StVG tritt nach ihrem Wesen und Schutzzweck nur dann ein, wenn sich ein mit dem Betrieb des Kraftverkehrs zusammenhängender Unfall ereignet hat; der Halter muss den mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs verbundenen Gefahrenkreis veranlasst haben (BGHZ 23, 90, 94ff; 37, 311, 315; Senatsurteile v 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 = VersR 1972, 1074, 1075 und v 27. Mai 1975 - VI ZR 95/74 = VersR 1975, 945). Im Streitfall hat sich aber bei der Beschädigung des parkenden Wagens nicht eine durch dessen Betrieb bedingte erhöhte Gefahr als mitwirkende Ursache ausgewirkt. Zwar war das Fahrzeug an den Ort bewegt worden, an dem die Dachlawine niederging. Auch beschränkt sich die Halterhaftung nicht auf in Bewegung befindliche Fahrzeuge; vielmehr kann sich die Betriebsgefahr auch bei einem liegengebliebenen oder geparkten Kraftfahrzeug verwirklichen, jedenfalls wenn dieses sich in dem öffentlichen Verkehr dienenden Raum befindet (BGHZ 58, 162, 165). Stets muss sich aber eine Gefahr verwirklicht haben, die von dem Fahrzeug selbst ausgeht (BGHZ 75, 45, 49). Stände im Streitfall die Beschädigung des Fahrzeugs mit dessen vorangegangener Bewegung im Zusammenhang, so könnte eine Mitverursachung nach § 7 StVG in Erwägung gezogen werden. Die Dachlawine war aber nicht durch den Straßenverkehr ausgelöst worden. Auch war nicht gerade der Straßenverkehr vorwiegend durch Dachlawinen gefährdet. Vielmehr oblag dem Beklagten als Hauseigentümer die Verkehrssicherungspflicht schlechthin gegenüber allen vor seinem Hausanwesen befindlichen Personen und Sachen, die durch niedergehende Schneemassen beschädigt werden konnten.

2. Zutreffend verneint das Berufungsgericht auch eine Anwendung des § 9 StVG, wonach, wenn bei der Entstehung des Schadens, für den nach §§ 7 oder 18 StVG zu haften ist, ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat, § 254 BGB mit der Maßgabe Anwendung findet, dass im Falle der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht. Diese Vorschrift kommt nur zur Anwendung, wenn der Beklagte nach dem Straßenverkehrsgesetz haftet. Dies hat der Senat für den Fall entschieden, dass der Schädiger auch nach den allgemeinen Vorschriften der unerlaubten Handlung haftet (Urteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63 = VersR 1965, 523 - zustimmend Jagusch StVR 24. Aufl § 9 StVG Rdz 24).

3. Das Berufungsgericht hält auch eine Kürzung der Klageforderung nach § 254 BGB nicht für gerechtfertigt. Es ist zwar der Meinung, dass die Ehefrau des Klägers den Schaden mitverschuldet hat, weil sie der ihr obliegenden Pflicht, die winterlichen Gefahren zu berücksichtigen und das Fahrzeug nicht an einer erkennbar gefährdeten Stelle zu parken, nicht nachgekommen sei. Dieses Verschulden, das es mit 20% bewertet, glaubt es jedoch dem Kläger aus Rechtsgründen nicht anrechnen zu können. Dem aber kann der Senat nur teilweise zustimmen.

a) Zutreffend ist es allerdings, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 278 BGB nicht für gegeben hält, weil im Zeitpunkt des Schadensereignisses zwischen den Parteien weder eine vertragliche Beziehung noch eine rechtliche Sonderverbindung bestanden habe. Das steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Das verkennt auch die Revision nicht, die diese lediglich erneut zur Überprüfung stellt. Der Senat sieht indes keine Veranlassung, davon abzugehen (zuletzt BGHZ 73, 190, 192).

b) Die Revision verweist jedoch mit Recht darauf, dass dann, wenn die Anwendbarkeit des § 254 Abs 1 BGB nicht über § 278 BGB (Erfüllungsgehilfe) möglich ist, zu prüfen ist, ob nicht über § 831 BGB (Verrichtungsgehilfe) die Vorschrift des § 254 Abs 1 BGB anwendbar werden kann. Das Berufungsgericht hat dies erörtert, indes der Ehefrau des Klägers eine Gehilfenstellung nach § 831 BGB nicht zuerkannt. Es meint, da der Kläger ihr das Fahrzeug zur selbständigen Benutzung überlassen gehabt habe, fehle es selbst dann an dem nach dieser Vorschrift erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis, wenn sie sich, als der Wagen beschädigt wurde, beim Einkaufen im Rahmen der ihr obliegenden Führung des gemeinschaftlichen Haushaltes befand, was unterstellt werde.

Ob die hiergegen von der Revision vorgebrachten Rügen hätten Erfolg haben können, kann offen bleiben. Im Streitfall muss sich nämlich der Kläger ein Verschulden gegen sich selbst nach § 823 Abs 1, § 254 BGB entgegenhalten lassen, da er sein Fahrzeug nicht so vor Schaden bewahrt hat, wie es im Hinblick auf die besonderen Umstände erforderlich gewesen wäre.

Nach seinem eigenen Vortrag war seine Ehefrau, die Südfranzösin ist, mit den von Dachlawinen ausgehenden Gefahren überhaupt nicht vertraut, da sie solche aus ihrer Heimat nicht kennt; sie hatte vor dem hier streitigen Schadensereignis noch keinen Winter in Deutschland erlebt gehabt und noch nie eine Dachlawine niedergehen sehen. Angesichts dieser völligen Unerfahrenheit seiner Ehefrau in der Vorsorge gegen Lawinenschaden wäre aber der Kläger verpflichtet gewesen, sie vor Überlassung des Fahrzeugs auf die von Dachlawinen ausgehenden besonderen Gefahren hinzuweisen und sie darüber zu belehren, wie man sich gerade beim Abstellen des Wagens über die Gefahrenlage des Abstellplatzes unterrichten kann und muss. Hierzu hatte er um so mehr Veranlassung, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dem Tag, an dem der Schaden entstand, starke Schneefälle vorausgegangen waren und ein Wetterumschwung eingesetzt hatte, also akute Gefahr bestand, dass von Steildächern, wie sie in L. an mehreren Häusern am Hauptplatz vorhanden waren, Dachlawinen niedergehen konnten. Das Berufungsgericht hat sich in nicht zu beanstandender Weise davon überzeugt, dass die Beschädigung des Fahrzeugs verhindert worden wäre, wenn die Ehefrau des Klägers sich wie ein mit winterlichen Gefahren dieser Art vertrauter, umsichtiger Fahrzeugführer verhalten gehabt hätte. Die mangelnde Voraussicht des Klägers war also Mitursache des Schadens geworden.

Die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände ermöglichen es dem Revisionsgericht, die Höhe dieses Mitverursachungsbeitrages des Klägers selbst festzusetzen. Er entspricht der Quote, die das Berufungsgericht (offenbar vorsorglich) für das Verhalten der Ehefrau mit 20% bewertet hat.

II.

Demgemäß war das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Beklagte nur zu 4/5 des eingeklagten Betrages - welcher der Höhe nach nicht mehr im Streit ist - zu verurteilen war. Im übrigen konnte seine Revision keinen Erfolg haben.