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OLG Bamberg Beschluss vom 04.10.2007 - 3 Ss OWi 1364/07 - Zur beharrlichen Pflichtverletzung bei Zusammentreffen von unerlaubter Handybenutzung und mehrfacher Geschwindigkeitsüberschreitung
OLG Bamberg v. 04.10.2007: Zur beharrlichen Pflichtverletzung bei Zusammentreffen von unerlaubter Handybenutzung und mehrfacher Geschwindigkeitsüberschreitung
Das OLG Bamberg (Beschluss vom 04.10.2007 - 3 Ss OWi 1364/07) hat entschieden:
Aus einem einmaligen Verstoß gegen das Verbot der Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons (§ 23 Abs. 1a StVO) kann bei der Beurteilung einer (wiederholten) Geschwindigkeitsüberschreitung als "beharrlich" im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV nicht ohne weiteres auf den für einen beharrlichen Pflichtenverstoß unabdingbaren inneren Zusammenhang im Sinne einer auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhender Unrechtskontinuität geschlossen werden.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer als Führer eines Pkw am 15.02.2007 auf einer Autobahn fahrlässig begangenen Überschreitung der durch Zeichen 274 auf 120 km/h beschränkten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt sowie gegen ihn ein mit der Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt.
Mit der ausweislich der Rechtsmittelanträge auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts; mit seinem Rechtsmittel erstrebt er den Wegfall des Fahrverbots.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde erweist sich als erfolgreich, weil das Amtsgericht zum Nachteil des Betroffenen zu Unrecht einen wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne der §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzenden beharrlichen Pflichtenverstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG angenommen hat.
1. Von Beharrlichkeit im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ist auszugehen bei Verkehrsverstößen, die zwar objektiv (noch) nicht zu den groben Zuwiderhandlungen zählen (Erfolgsunwert), die aber durch ihre zeit- und sachnahe wiederholte Begehung erkennen lassen, dass es dem Täter subjektiv an der für die Straßenverkehrsteilnahme notwendigen rechtstreuen Gesinnung und Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer oder mehrerer Vorwarnungen wiederholt verletzt (Handlungsunwert). Selbst eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann unter diesen Umständen mangelnde Rechtstreue offenbaren (BGHSt 38, 231/234 f; BayObLGSt 2003, 132/133; st.Rspr. des Senats).
Die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines – hier allein in Betracht kommenden - beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls ist wegen der Vorahndungslage des Betroffenen angezeigt, wenn die (neuerliche) Geschwindigkeitsüberschreitung zwar die Voraussetzungen des Regelfalls nicht erfüllt, der Verkehrsverstoß jedoch wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzen ist. Eine derartige Gleichsetzung kann – wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht - im Einzelfall aufgrund der Rückfallgeschwindigkeit auch bei einer Unterschreitung des Grenzwertes von 26 km/h der verfahrensgegenständlichen oder aber der früheren Geschwindigkeitsverstöße geboten sein (st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt insbesondere Senatsbeschluss vom 29.03.2007 – 3 Ss OWi 422/07 = BeckRS 2007 08728 = VRR 2007, 318 f. m. Anm. Deutscher = OLGSt StVG § 25 Nr. 36 m. zahlr. weit. Nachw.).
Dem Zeitmoment kommt, wie sich § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV entnehmen lässt, Bedeutung für das Vorliegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes insoweit zu, als der Zeitablauf zwischen den jeweiligen Tatzeiten (Rückfallgeschwindigkeit) und des jeweiligen Eintritts der Rechtskraft zu berücksichtigen ist. Daneben sind insbesondere Anzahl, Tatschwere und Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße im Einzelfall zu gewichten (OLG Bamberg a.a.O.).
Der Begriff der Beharrlichkeit ist prinzipiell nicht nur losgelöst von der konkreten Schuldform zu bestimmen. Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzung eines Fahrverbots, darunter die Wertung eines Pflichtenverstoßes als beharrlich im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, ist auch unabhängig von dem gegebenenfalls auf einer späteren Stufe zu erörternden Eingreifen des Übermaßverbotes mit der Folge eines ausnahmsweisen Wegfalls des Fahrverbots zu beurteilen (OLG Bamberg a.a.O.).
2. Nach diesen Maßstäben kann anhand der seitens des Amtsgerichts seiner Rechtsfolgenbemessung zugrunde gelegten Vorahndungen des Betroffenen nicht von einem wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzenden Pflichtenverstoß ausgegangen werden, der die Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigen könnte:
Danach wurde gegen den Betroffenen zuletzt wegen einer am 05.05.2006 begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h eine Geldbuße von 40 Euro verhängt; Rechtskraft trat am 23.08.2006 ein. Wegen unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Kraftfahrzeugführer (Tatzeit: 16.03.2006) war gegen den Betroffenen ferner eine Geldbuße von 40 Euro verhängt worden; Rechtskraft trat hier am 02.06.2006 ein. Wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h (Tatzeit: 28.09.2004) wurde gegen den Betroffenen zuvor eine weitere Geldbuße von 40 Euro festgesetzt; Rechtskraft trat insoweit am 08.12.2004 ein.
Zwar ergibt sich hieraus, dass der Betroffene in einem Zeitraum von knapp zweieinhalb Jahren in vier Fällen, davon in drei Fällen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen in Erscheinung getreten ist, wobei seit Rechtskrafteintritt der letzten Vorahndung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h weniger als 6 Monate vergangen sind. Andererseits wurde mit der verfahrensgegenständliche Tat der Grenzwert von 26 km (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV) erstmalig überschritten. Hinzu kommt, dass – bezogen auf den Rechtskrafteintritt - seit der ersten Vorahndung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 km mehr als zwei Jahre und 2 Monate, und – bezogen auf den Begehungszeitpunkt – sogar mehr als zwei Jahre und 4 Monate verstrichen sind, so dass allein die Vorahndungssituation des Betroffenen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, das Gewicht des verfahrensgegenständlichen Verkehrsverstoßes entspreche wertungsmäßig demjenigen eines Regelfalls im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV. Nachdem das Amtsgericht sonstige Feststellungen für einen beharrlichen Pflichtenverstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, etwa für die Annahme eines auch subjektiv auf Gleichgültigkeit beruhenden besonders verantwortungslosen Verkehrsverhaltens, nicht getroffen hat, kann die Fahrverbotsanordnung keinen Bestand haben.
An diesem Ergebnis vermag die 9 Monate zurückliegende und bislang einmalig gebliebene verbotswidrige Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons (§ 23 Abs. 1a StVO) auch unter Berücksichtigung ihrer erst seit dem 02.06.2006 rechtskräftigen Ahndung mit einem (Regel-) Bußgeld nichts zu ändern. Zwar kann ein wiederholter Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO im Einzelfall für sich selbst die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer beharrlichen Pflichtenverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG rechtfertigen (OLG Thüringen DAR 2007, 157/158 = VRS 111, 205 ff.). Aus einem lediglich einmaligen und mit einem Bußgeld geahndeten Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO kann allerdings ohne das Hinzutreten sonstiger erschwerender Umstände bei der Beurteilung einer (wiederholten) Geschwindigkeitsüberschreitung als "beharrlich" im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht ohne weiteres auf den für einen beharrlichen Pflichtenverstoß unabdingbaren inneren Zusammenhang im Sinne einer auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhender Unrechtskontinuität geschlossen werden. Auch wenn beide Verstöße jeweils als Indiz mangelnder Rechtstreue des Betroffenen zu werten sein mögen, erscheint eine pauschale Gleichsetzung nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Wie nicht zuletzt die in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 BKatV enthaltenen tatbestandlichen Umschreibungen ganz bestimmter, jeweils einen groben Pflichtenverstoß indizierender Regelbeispiele des Bußgeldkatalogs zeigt, hat der Verordnungsgeber selbst bestimmte Verkehrsverstöße, darunter Geschwindigkeits-, Abstands- und Rotlichtverstöße, besonders hervorgehoben. Treffen Verstöße dieser Gruppe, etwa Geschwindigkeitsüberschreitungen und Abstandsverstöße jeweils unterhalb der Fahrverbotsschwelle des Bußgeldkatalogs (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BKatV) im Rahmen der Prüfung eines beharrlichen Pflichtenverstoßes zusammen, wird ein "innerer Zusammenhang" häufig ohne weiteres zu bejahen sein. Denn die – wenn auch verschiedenartigen - Verstöße belegen regelmäßig hinreichend, dass sich der Betroffene wiederholt in dem Bestreben, möglichst rasch voranzukommen, über seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer bedenkenlos hinwegsetzt.
3. Demgegenüber besteht für den Senat keine Veranlassung, die festgesetzte Geldbuße zu reduzieren. Das Amtsgericht durfte aufgrund der Vorahndungen des Betroffenen die Verhängung lediglich der Regelbuße als offensichtlich unzureichende Rechtsfolge ansehen und deshalb die Regelgeldbuße verdoppeln.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG.
Wegen der Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße kam eine weitergehende Beschränkung der Rechtsbeschwerde nur auf die Frage der Fahrverbotsanordnung aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Da der Betroffene gleichwohl sein mit der zulässigen Rechtsmittelbeschränkung erklärtes alleiniges Rechtsschutzziel, nämlich den Wegfall des Fahrverbots, erreicht hat, erweist sich die Rechtsbeschwerde als in vollem Umfang erfolgreich, so dass der Staatskasse die Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen waren (Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 473 Rn. 21 f.)
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.