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Amtsgericht Rosenheim Urteil vom 16.05.2007 - 13 C 888/06 - Zur Haftungsverteilung bei einem Unfall zwischen zwei rückwärts aus gegenüberliegenden Parkbuchten ausfahrenden Kfz

AG Rosenheim v. 16.05.2007: Zur Haftungsverteilung bei einem Unfall zwischen zwei rückwärts aus gegenüberliegenden Parkbuchten ausfahrenden Kfz


Das Amtsgericht Rosenheim (Urteil vom 16.05.2007 - 13 C 888/06) hat entschieden:
Kollidieren zwei rückwärts aus gegenüberliegenden Parkbuchten ausfahrende Fahrzeuge, wobei der Fahrer des einen Fahrzeugs infolge hoher Beladung schlechte Sicht nach hinten hat und das andere Fahrzeug nach 2 Metern Fahrt wieder - für geraume Zeit - angehalten hat, so ist eine Haftungsverteilung von 3/4 zu 1/4 zu Lasten des Fahrzeugs mit der sichtbehindernden Ladung angemessen.


Siehe auch Rückwärts Ausparken aus Parklücken und Stichwörter zum Thema Halten und Parken


Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen den Beklagten restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

Am 28.10.2006 gegen 17.25 Uhr kam es auf dem Gelände der ... zum Unfall zwischen dem klägerischen Fahrzeug, gesteuert vom Zeugen ... und dem Fahrzeug des Beklagten zu 1), das bei der Beklagten zu 2) versichert ist.

Beide Fahrzeuge waren auf dem Parkplatz des Geländes geparkt gewesen und zwar so, dass das klägerische Fahrzeug in der ersten Parkbucht in Richtung ... Straße hin stand, das Beklagtenfahrzeug praktisch genau gegenüber in einer Parkbucht in Richtung Tankstellengebäude.

Bei dem Unfall wurde das klägerische Fahrzeug im Heckbereich, das Beklagtenfahrzeug im Bereich des hinteren rechten Stoßstangenecks beschädigt.

Die Reparaturkosten betrugen 2.205,03 EUR, die Kosten für das Schadensgutachten 461,68 EUR, die Wertminderung 250,00 EUR, die Nutzungsausfallentschädigung für die Reparaturzeit 316,00 EUR und die Kostenpauschale 30,00 EUR.

Auf diesen Schaden von insgesamt 3.262,71 EUR hat die Beklagte zu 2) 50 %, mithin einen Betrag von 1.631,36 EUR reguliert.

Die Klägerin ist der Auffassung, der Unfall sei vom Beklagten zu 1) allein verursacht und verschuldet worden. Für den Zeugen ... sei der Unfall unvermeidbar gewesen. Der Zeuge ... sei unter ständiger Beachtung des rückwärtigen Verkehrs etwa 2 m aus der Parkbucht herausgefahren und habe sofort angehalten, als er bemerkt habe, dass der Beklagte zu 1) aus der gegenüberliegenden Parkbucht herausfahren wollte.

Beim Beklagtenfahrzeug sei die rückwärtige Sicht durch Getränkekisten verbaut gewesen. Auch sei bei diesem eine Atemalkoholkonzentration von 0,14 mg/l festgestellt worden. Zudem habe der Beklagte die Warnsignale seines Parkdistanzkontrollsystems ignoriert und sei rückwärts fahrend mit dem stehenden Fahrzeug der Klägerin kollidiert.

Der Zeuge ... habe darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagten das stehende Fahrzeug der Klägerin rechtzeitig bemerken und entweder anhalten oder die Fahrtrichtung ändern würde. Ein Zurückfahren in die Parkbucht sei dem Zeugen nicht zuzumuten gewesen. Die Beklagten seien daher verpflichtet, der Klägerin 100 % ihres Schadens, sowie die nicht anrechenbaren, vorgerichtlichen Kosten des Klägervertreters in Höhe von 186,82 EUR zu ersetzen. Die Tatsache, dass die Rechtsschutzversicherung diese Kosten bezahlt habe, habe auf den Anspruch des Klägers keinen Einfluss.

Verzug sei mit Datum des Mahnschreibens vom 27.11.2006 eingetreten.

Die Klägerin beantragt daher,
die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an sie 1.631,36 EUR nebst gesetzlichen Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 28.11.2006, sowie weitere 186,82 EUR außergerichtliche Kosten zu zahlen.
Die Beklagten beantragen
Klageabweisung.
Sie sind der Meinung, der Unfall sei von beiden Seiten zu gleichen Teilen verursacht und verschuldet worden.

Beide Fahrzeuge seien gleichzeitig aus der jeweiligen Parkbucht ausgefahren und dabei heckseitig miteinander kollidiert.

Im übrigen hätte der Zeuge ... als er die Ausparkabsicht des Beklagten zu 1) erkannte, in die Parkbucht zurückfahren können und müssen. Die festgestellte Atemalkoholkonzentration sei ohne Einfluss auf das Unfallgeschehen gewesen.

Darüber hinaus bestehe kein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Ein Verzugseintritt zum 28.11.2006 wird bestritten.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Angaben der Beklagtenpartei im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 25.4.2007 (Bl. 66 ff) verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen ... und ... sowie durch Beiziehung der polizeilichen Ermittlungsakte BY 1401-​015064-​06/0. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.4.2007 (Bl. 68 ff) sowie die beigezogenen Akten verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823, 249, 421 BGB, 3 Nr. 1 PflVG aus dem streitgegenständlichen Unfall ein weiterer Anspruch in Höhe des obigen Ausspruchs zu.

Die nach § 17 Abs. 1 und 3 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt zu einer Haftungsverteilung von 3/4 zu 1/4 zu Gunsten der Klagepartei.

Der Unfall war für den Zeugen ... weder auf höhere Gewalt, § 7 Abs. 2 StVG, zurückzuführen, noch stellte er ein unabwendbares Ereignis iSd § 17 Abs. 3 StVG dar. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der Zeuge ... jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt beobachtet hätte.

Dies war nicht der Fall.

Zwar ist das Gericht auf Grund der Zeugenaussagen davon überzeugt, dass das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision stand und der Beklagte zu 1) dem Zeugen Lederer ins stehende Fahrzeug gefahren ist.

Wie sich aber insbesondere aus den Aussagen des Zeugen ... ergibt, hätte der Zeuge ... wenn er sich wie ein Idealfahrer verhalten hätte- durchaus damit rechnen können, dass der Beklagte ihm ins Fahrzeug fahren würde und hätte durch rechtzeitige und richtige Reaktion dies auch verhindern können.

Der Zeuge ... hat geschildert, dass das Parkwarnsystem im klägerischen Fahrzeug bereits eine Zeitlang geblinkt und auch akustische Warnsignale von sich gegeben, während der Zeuge ... noch rückwärts fuhr. Nachdem das System aktiv wird, sobald in einer Entfernung von etwa 1 1/2 bis 2 m ein Hindernis auftaucht und nachdem die Intervalle zwischen den Warntönen – wie der Zeuge ... bekundet hat- während der Zeuge ... noch in Rückwärtsbewegung war -kürzer wurden, hätte ein Idealfahrer sofort angehalten und sich vergewissert, welches Hindernis angezeigt wird. Ein Idealfahrer hätte bei der dann gebotenen Rückschau erkannt, dass das Fahrzeug, das aus der gegenüberliegenden Parkbucht ausparkte, einerseits relativ hochbeinig war andererseits bis knapp unter der Oberkante der Heckscheibe mit Getränkekasten beladen war, so dass für dessen Fahrer die Sicht nach hinten auf das – deutlich niedrigere-​Fahrzeug der Klägerin erschwert war. Der in § 17 Abs. 3 S. 2 StVG unterstellte Idealfahrer hätte in diesem Fall nicht darauf vertraut, dass der andere Fahrer ohne weiteres rechtzeitig stehen bleiben oder stärker einschlagen würde, sondern wäre in diesem Fall stehen geblieben und hätte den Fahrer des gegenüberliegend ausparkenden Fahrzeugs zumindest mit Hupsignalen aufmerksam gemacht oder hätte vor einem weiteren Zurücksetzen durch Verständigung mit dem anderen Fahrer die unklare und unübersichtliche Situation geklärt.

Nachdem an keinem der beteiligten Fahrzeuge tiefere Eindringspuren vorhanden sind, vielmehr an beiden Fahrzeugen lediglich oberflächliche Streifspuren, geht das Gericht davon aus, dass der Unfall schon dann vermieden worden wäre, wenn der Zeuge Lederer seinen Rückfahrvorgang etwa 50 cm früherer abgebrochen hätte und zunächst stehen geblieben wäre, bis sich die Situation geklärt hatte. Dass dafür ausreichend Zeit war, ergibt sich aus der Aussage des Zeugen ..., dass das Warnsystem bereits längere Zeit Warnsignale von sich gegeben hatte und der Aussage beider Zeugen wie des Beklagten zu 1) dass der Beklagte zu 1) nur sehr langsam zurückgefahren ist.

Bei der nach § 17 Abs. 1 und 3 StVG vorzunehmenden Abwägung war zu Lasten der Beklagtenpartei ein nachgewiesenes Verschulden des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen.

Dieser hat gegen §§ 1 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen, indem er einerseits sein Fahrzeug sichtbehindernd beladen hatte und andrerseits beim Ausfahren aus der Parkbucht nicht ständig den gesamten Raum hinter seinem Fahrzeug ausreichend beachtet hat und auch das Warnsystem nicht berücksichtigt hat.

Dagegen konnte ein grobes Verschulden nach § 9 Abs 5 und 10 StVO nicht gefahrerhöhend berücksichtigt werden, da diese Vorschriften den fließenden Verkehr und nicht ein ebenfalls ausparkendes Fahrzeug schützen (vgl. Jagusch/Hentschel, § 9 StVO Rdnr. 51, 10 StVO Rdnr. 10 m. w. N).

Ebensowenig konnte die leichte Alkoholisierung des Beklagten zu 1) gefahrerhöhend berücksichtigt werden, da insoweit ein kausaler Zusammenhang zum Unfallgeschehen nicht nachgewiesen ist.

Ein konkretes Verschulden des Zeugen ..., das sich die Klägerin gefahrerhöhend zurechnen lassen müsste, wurde von der Beklagtenpartei nicht nachgewiesen. Vielmehr haben die Zeugen ... und ..., für das Gericht glaubhaft und nachvollziehbar bekundet, dass das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision stand und das nicht nur seit einem Sekundenbruchteil, sondern bereits solange, dass sich der Zeuge ... bereits Gedanken über die weitere Vorgehensweise gemacht hat. Auf Seiten der Klagepartei war daher lediglich die reine Betriebsgefahr des Fahrzeugs zu berücksichtigen, die in etwa der das Beklagtenfahrzeugs entspricht, während auf Seiten der Beklagten ein gefahrerhöhendes Verschulden des Beklagten zu 1) zusätzlich zu berücksichtigen war.

Dies führt zu der oben vorgenommenen Haftungsverteilung.

Obwohl den Beklagten zu 1) ein Verschulden am Unfall trifft, war dieses jedoch nicht als so grob einzuschätzen, dass die Haftung der Klagepartei aus reiner Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs dahinter vollständig zurücktreten würde.

Die Vorschriften der §§ 9, 10 StVO dienen vorrangig dem fließenden Verkehr und kommen daher der Klagepartei, die sich nicht im fließenden Verkehr befand, nicht zu Gute.

Der dem Beklagten zu 1) zu machende Schuldvorwurf besteht lediglich darin, sein Fahrzeug im Heckbereich zu hoch beladen zu haben und zu sehr darauf vertraut zu haben, dass auf dem Gelände der ..., auf dem zum Unfallzeitpunkt kein Werkstattverkehr mehr stattfand, nicht gleichzeitig aus einer direkt gegenüberliegenden Parkbucht ein Fahrzeug ausparken würde, das er im Außenspiegel nicht ausreichend würde erkennen können und auf dem ihm die Sicht infolge der Beschaffenheit und der Beladung seines Fahrzeugs versperrt war. Dieses Verschulden wiegt angesichts der Tatsache, dass auf Parkplätzen grundsätzlich das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gilt und grundsätzlich keine Partei auf irgend einen Vorrang vertrauen kann, nicht so schwer, dass die Haftung aus Betriebsgefahr dahinter vollständig zurücktreten müsste.

Nachdem die Schadenshöhe an sich nicht bestritten war, § 138 Abs. 3 ZPO, hatte daher die Beklagtenpartei der Klägerin 3/4 ihres Unfallschadens in Höhe von 3.262,71 EUR also 2.447,03 EUR zu ersetzen. Nach Abzug der von der Beklagten zu 2) bereits erfolgten Zahlung von 1.631,36 EUR verbleibt ein Restbetrag von 815,67 EUR.

Der Anspruch auf Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.

Dagegen besteht kein Anspruch der Klägerin auf Erstattung etwaiger vorgerichtlicher, nicht anrechenbarer Anwaltskosten, da diese keinen Schaden der Klägerin iSd § 249 BGB darstellen. Die Anwaltskosten wurden von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin bezahlt, so dass etwaige Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten insoweit gem. § 67 VVG auf die Rechtschutzversicherung übergegangen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.