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Landgericht Mönchengladbach Urteil vom 29.03.2012 - 1 O 1/06 - Zu den Sorgfaltspflichten für Fußgänger und motorisierte Verkehrsteilnehmer in einer zweispurigen Einbahnstraße
LG Mönchengladbach v. 29.03.2012: Zu den Sorgfaltspflichten für Fußgänger und motorisierte Verkehrsteilnehmer in einer zweispurigen Einbahnstraße
Das Landgericht Mönchengladbach (Urteil vom 29.03.2012 - 1 O 1/06) hat entschieden:
Ereignet sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn durch einen Fußgänger, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass ein Fußgänger ohne hinreichende Beachtung des Fahrzeugverkehrs auf die Fahrbahn getreten ist.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, an dem er am 02.04.2004 gegen 16:30 Uhr als Fahrer des Kraftrades Yamaha, amtliches Kennzeichen , auf der D. Straße in Mönchengladbach-Rheydt beteiligt war.
Zur angegebenen Zeit befuhr der Kläger den linken Fahrstreifen der D. Straße in Richtung Rheydt-Innenstadt. Die D. Straße verläuft als innerörtliche Einbahnstraße mit zwei Fahrstreifen in Richtung Stadtzentrum. Die Straße ist insgesamt 6,3 m breit. Die 3,0 m (rechts) und 3,3 m (links) breiten Fahrstreifen sind durch eine unterbrochene Linie voneinander getrennt. Neben dem linken Fahrstreifen befindet sich ein Parkstreifen, an den sich der Gehweg anschließt (Lichtbilder, Bl. 10 d. A.). Die Asphalt-Fahrbahnoberfläche war zum Unfallzeitpunkt trocken. Ob neben dem Kläger weitere Fahrzeuge auf der Straße fuhren, ist zwischen den Parteien streitig.
In Höhe des Hauses Nr. 66 kam es auf der Mitte des linken Fahrstreifens zu einer Kollision des Klägers mit der Beklagten, die die Fahrbahn der D. Straße überqueren wollte (Verkehrsunfallskizze, Bl. 11 d. A.).
Eine dem Kläger am Unfalltag gegen 18:40 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,23 Promille aus (Bl. 37 der Beiakte ). Eine am 08.04.2002 durchgeführte toxikologische Untersuchung ergab einen positiven Befund im Hinblick auf Tetrahydrocannabinol (THC), dessen Nachweis auf einen kürzlich erfolgten Cannabis-Abusus hinwies (Bl. 39 f. der Beiakte 40I Js 356/02).
Während die Beklagte lediglich Quetschungen, Hämatome und Schürfwunden an den linksseitigen Extremitäten (Knie, Oberschenkel, Oberarm) erlitt, wurde der zum Unfallzeitpunkt 26-jährige Kläger bei dem Unfallereignis schwer verletzt. Er erlitt ein Schädelhirntrauma 1. Grades, eine Rippenserienfraktur links, eine Claviculafraktur links, einen beidseitigen Hämatothorax sowie eine beidseitige Lungenkontusion. Daneben führten die unfallbedingten Verletzungen zu einer irreversiblen Querschnittslähmung ab dem 6. Brustwirbel mit einer neurogenen Harnblasen- und Darmentleerungsstörung, was eine hundertprozentige Invalidität zur Folge hatte. Die Lähmung und der vollständige Verlust der Sensibilität der unteren Körperhälfte reichen bis knapp über dem Nabel (Arztbrief vom 28.06.2002, Bl. 29-32 d. A.).
Der Kläger wurde vom 02.04. zum 01.07.2002 stationär in verschiedenen Krankenhäusern behandelt. Im Rahmen dieser Behandlung kam es zu einer beidseitigen periartikulären Ossifikation. Zudem mussten dem Kläger 11 hochkariöse Zähne entfernt werden (Arztbrief vom 28.06.2002, Bl. 29-32 d. A.). Vom 20.09. bis zum 06.12.2004 nahm der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme im neurologischen Reha-Zentrum Godeshöhe in Bonn teil.
Aufgrund der Querschnittslähmung ist der Kläger ständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Die dadurch bedingte Blasenentleerungsstörung führt zu Inkontinenz und erfordert einen ständigen Katheterismus. Das ständige Sitzen im Rollstuhl erhöht die Gefahr von Thrombosen und führt zeitweise zu Druckgeschwüren. Überdies ist die sexuelle Empfindsamkeit stark eingeschränkt. Durch die unfallbedingte Beschädigung der Lunge ist das Lungenvolumen des Klägers deutlich herabgesetzt, was Beschwerden beim Atmen zur Folge hat.
Der Kläger behauptet, er habe keine eigene Erinnerung an das Unfallgeschehen. Im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten mache er sich jedoch die Aussagen der Zeugen und im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu Eigen. Diese hätten übereinstimmend ausgesagt, aus Sicht des Klägers habe die Beklagte die D. Straße von links nach rechts überquert. Sie sei vom linken Gehweg zunächst zwischen die davor geparkten Fahrzeuge und anschließend auf die Straße getreten. Die herannahenden Fahrzeuge seien für die Beklagte erkennbar gewesen. Auf dem rechten Fahrstreifen hätten sich in Höhe der Unfallstelle mehrere Fahrzeuge befunden. Ausgehend von seinem üblichen Fahrverhalten könne er ausschließen, dass er mit einer überhöhten Geschwindigkeit gefahren sei.
Er behauptet weiter, am Unfalltag weder alkoholisiert noch unter Drogeneinfluss gefahren zu sein. Möglicherweise sei es bei der Blutentnahme zu „Verunreinigungen“ gekommen. Denkbar sei auch, dass infolge des erheblichen Blutverlustes am Unfallort die Blutalkoholkonzentration verfälscht worden sei. Er ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, die Blutprobe sei unverwertbar. Dies ergebe sich auch aus dem in der Strafakte befindlichen medizinischen Bericht.
Er ist weiter der Ansicht, die Beklagte hätte selbst bei überhöhter Geschwindigkeit seines Kraftrades dem fließenden Verkehr den Vorrang einräumen müssen. Dass die Beklagte unmittelbar vom linken Fahrbahnrand auf die Straße getreten sei, stelle für ihn ein unvermeidbares Ereignis dar.
Er ist ferner der Ansicht, das Ausmaß der erlittenen Verletzungen und die erheblichen gesundheitlichen Folgewirkungen rechtfertigten zumindest ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 € sowie die Zubilligung einer monatlichen Rente.
In dem der Klageerhebung vorgeschalteten Prozesskostenhilfeverfahren hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zu einem Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 250.000,00 € und einer monatlichen Rente in Höhe von mindestens 350,00 € begehrt (Entwurf der Klageschrift vom 30.12.2005, Bl. 4 d. A.). Nachdem sein Prozesskostenhilfeantrag teilweise abschlägig beschieden worden ist (Beschluss vom 19.03.2007, Bl. 38-43 d. A.), hat er seine Anträge in der Höhe reduziert.
Er beantragt (Schriftsatz vom 23.03.2007, Bl. 46 d. A.),
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 100.000,00 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 02.04.2002 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, monatlich im Voraus an ihn eine angemessene Rente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 200,00 € zu zahlen,
- estzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 02.04.2002 erwachsen sind und noch erwachsen werden, soweit diese nicht schon durch die Anträge zu 1. und 2. erfasst sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die D. Straße - aus Sicht des Klägers - von rechts nach links überquert zu haben. Etwa 10 m links von ihr habe der Zeuge ebenfalls die Straße überquert. Sie habe vor der Überquerung nach links in Richtung der herannahenden Fahrzeuge geschaut. Da sich die erkennbaren Fahrzeuge noch weit entfernt befunden hätten, habe sie zur Überquerung der Fahrbahn angesetzt. Sie habe die Fahrbahn im zügigen Tempo überquert. Sie sei bei der Kollision von dem Kraftrad des Klägers an der linken Körperhälfte erfasst worden. Der Kläger sei mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit zwischen 80 km/h und 100 km/h auf der linken Fahrspur gefahren, als es zur Kollision kam. Er habe keinerlei Ausweich- oder Bremsverhalten gezeigt. Die überhöhte Geschwindigkeit, die unterbliebene Bremsreaktion sowie der Alkohol- und Drogenkonsum des Klägers sprächen dafür, dass dieser den Unfall alleine verschuldet habe.
Sie ist der Ansicht, ihr könne der Vorwurf eines Sorgfaltsverstoßes nicht gemacht werden; der Unfall sei allein auf das verkehrswidrige Verhalten des Klägers zurückzuführen.
Die Kammer hat die Beklagte informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch Einvernahme von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 19.06.2008 (Bl. 94-104 d. A.) und vom 14.08.2008 (Bl. 130-136 der Akte) Bezug genommen.
Darüber hinaus hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung eines verkehrsunfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Wegen der Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen wird auf das Gutachten vom 08.12.2008 (Bl. 160-224 d. A.), das Ergänzungsgutachten vom 16.02.2010 (Bl. 387-412 d. A.) und die ergänzende Stellungnahme vom 03.03.2011 (Bl. 494-501 d. A.) Bezug genommen. Die Beklagte hat umfangreiche Privatgutachten des Sachverständigenbüros Schimmelpfennig und Becke, die sich mit den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen auseinandersetzen, zur Akte gereicht (vgl. Gutachten vom 23.01.2009, Bl. 243-289 d. A.; ergänzende Stellungnahme vom 16.06.2009, Bl. 314-325 d. A.; Anlage zum mündlichen Gutachten vom 20.08.2009, Bl. 337-363 d. A.; ergänzende Stellungnahme vom 16.04.2010, Bl. 431-453 d. A.; ergänzende Stellungnahme vom 29.07.2010, Bl. 467-470 d. A.). Vor diesem Hintergrund ist der Sachverständige zu seinen gutachterlichen Feststellungen mehrfach angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Sachverständigen wird auf die Sitzungsprotokolle vom 20.08.2009 (Bl. 332-336 d. A.), vom 03.12.2010 (Bl. 485-488 d. A.) und vom 23.02.2012 (Bl. 537-541 d. A.) Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat im Umfang des Tenors Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat insbesondere das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, da er wegen der drohenden Verjährung künftiger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Haftung der Beklagten dem Grunde nach rechtskräftig festgestellt wird.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe eines Kapitalbetrags von 50.000,00 € und einer lebenslangen Rente von monatlich 120,00 €.
1. Die Beklagte haftet dem Kläger nach §§ 823 Abs. 1, 2, 253 BGB i.V.m. § 25 Abs. 3 S. 1 StVO auf Schmerzensgeld wegen des sich am 02.04.2004 ereigneten Unfallgeschehens.
Die Beklagte hat ihre aus § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO folgende Sorgfaltspflicht beim Überqueren der D. Straße schuldhaft verletzt. Die Kammer geht nach der Beweisaufnahme davon aus, dass die Beklagte den bevorrechtigten Fahrzeugverkehr bei dem Überschreiten der Straße nicht hinreichend beachtet hat.
a) Wer die Fahrbahn außerhalb eines Fußgängerüberwegs überschreiten will, hat besondere Vorsicht zu wahren, insbesondere vorher den Fahrverkehr, dem das Vorrecht gebührt und der auch durch § 25 StVO geschützt wird, sorgfältig zu beobachten und ihm den Vorrang zu überlassen (BGH NJW 2000, 3069; OLG Rostock VersR 2006, 1703). Der Fußgänger muss darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines sich nähernden Fahrzeugs zu geraten. Er darf die Fahrbahn erst betreten, wenn er sich davon überzeugt hat, dass er keinen Fahrzeugführer gefährdet oder auch nur in der Weiterfahrt behindert. Der Fußgänger, der außerhalb geschützter Stellen die Fahrbahn überqueren will, muss besonders sorgfältig sein (KG NZV 2004, 579).
Ereignet sich ein Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überqueren der Fahrbahn durch einen Fußgänger, so streitet der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Fußgänger unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 25 Abs. 3 StVO ohne hinreichende Beachtung des Fahrzeugverkehrs auf die Fahrbahn getreten ist (OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525; OLG Hamm NJW-RR 2008, 1349; BGH NJW 1953, 1066). Der Anscheinsbeweis kann vom darlegungs- und beweisbelasteten Fußgänger erschüttert werden, wenn er Umstände darlegt, die für eine atypische Verkehrsunfallsituation sprechen (so z.B. OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525).
b) Aufgrund der Kollisionsstelle auf der Fahrbahn der D. Straße spricht der Beweis des ersten Anscheins zulasten der Beklagten für eine Verletzung der ihr nach § 25 Abs. 3 S. 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten. Unstreitig ist es auf der linken Fahrspur der Einbahnstraße zu einem Zusammenstoß zwischen dem vom Kläger geführten Kraftrad und der Beklagten gekommen. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den Angaben der Beklagten (Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 130-135 d. A.), den Schilderungen der Zeugen (Sitzungsprotokoll vom 19.06.2008, Bl. 94-104 d. A.; Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 135-136 d. A.) sowie den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen (Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 176 d. A.).
Nach den getroffenen Feststellungen geht die Kammer davon aus, dass der Anscheinsbeweis von der Beklagten weder erschüttert noch widerlegt worden ist. Umstände, die für einen atypischen Geschehensablauf und damit gegen die Annahme eines Anscheinsbeweises sprechen, wie z.B. eingeschränkte Sichtverhältnisse an der Unfallstelle (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525), hat die Beklagte nicht vorgetragen. Dass sie ihre aus § 25 Abs. 3 S. 1 StVO folgenden Sorgfaltspflichten bei der Überquerung einer Straße eingehalten hat, konnte sie nicht beweisen. Ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger darf sich nicht darauf beschränken, den fließenden Verkehr, gegenüber dem der Fußgänger wartepflichtig ist, bei Einleitung der Überquerung zu beobachten. Er ist spätestens ab der Straßenmitte gehalten, erneut in die Fahrtrichtung zu blicken, um sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Voranschreiten möglich ist (OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525). Die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte die D. Straße - aus Sicht des Klägers - von rechts nach links überquert hat. Die Angaben der hierzu befragten Zeugen waren teilweise unergiebig und darüber hinaus widersprüchlich. Die Zeugen und konnten keine Angaben zur Laufrichtung der Beklagten machen (Sitzungsprotokoll vom 19.06.2008, Bl. 94-104 d. A.). Der Zeuge , der die Straße unmittelbar vor der Beklagten selbst von rechts nach links überquert hatte, erinnerte sich indessen nicht daran, dass ihm die Beklagte beim Passieren der Straße entgegengekommen sei (vorgenannte Sitzungsprotokoll, Bl. 97-100 d. A.). Die Zeugen B... und ... gaben zwar an, die Beklagte habe die Straße ihrer Erinnerung nach von links nach rechts überquert. Jedoch gestand der Zeuge ein, den Überquerungsvorgang selbst nicht beobachtet zu haben (Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 130-136 d. A.). Als zuverlässig wertet die Kammer dagegen die überzeugenden und in sich schlüssigen Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Bereits in seinem ersten Gutachten bewertete er es als überwiegend wahrscheinlich, dass die Überquerung der Straße durch die Beklagte aus Sicht des Klägers von rechts nach links erfolgte. Dabei stützte er seine Feststellungen auf das Verletzungsbild der Beklagten und die vorgefundenen Beschädigungen an dem Kraftrad des Klägers, die zusammen für einen Impulsaustausch zwischen der linken Körperhälfte der Fußgängerin und der rechten Lenkerhälfte, der rechten Seite des Kraftrades und gegebenenfalls auch dem Kraftradfahrer sprächen (Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 173-176 d. A.). Hieran hielt er auch bei seinen folgenden ergänzenden Begutachtung fest (Gutachten vom 16.02.2010, Bl. 387, 391 d. A.).
Bei der Überquerung der D. Straße von rechts nach links hätte die Beklagte auf den aus ihrer Sicht ausschließlich von links kommenden Fahrzeugverkehr Rücksicht nehmen müssen. Vor Einleitung des Überquerungsvorgangs und während des Passierens der Straße hätte sie den herannahenden fließenden Verkehr wiederholt beobachten müssen, um sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Voranschreiten möglich ist. Zwar gab sie im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung an, dass sie vor Überquerung der Straße und an der Mittelspur jeweils in Fahrtrichtung nach links geschaut habe (Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 130-133 d. A.). Jedoch konnte diese Aussage durch keinen der vernommenen Zeugen bestätigt werden. Die Angaben des Zeugen sprechen vielmehr dafür, dass die Beklagte nicht ausreichend und nicht früh genug auf das herannahende, vom Kläger geführte Kraftrad reagierte. Der Zeuge schilderte glaubhaft, er habe kurz vor der Beklagten - ohne diese selbst wahrgenommen zu haben - die Straße von rechts nach links überquert. Er habe bei Erreichen der Mitte der D. Straße das herannahende Kraftrad zunächst nur gehört und anschließend gesehen. Er habe die linke Fahrbahnseite nur knapp vor dem von dem Kläger geführten Kraftrad erreicht (Sitzungsprotokoll vom 19.06.2008, Bl. 97ff. d. A.). Die Schilderungen des Zeugen wertet die Kammer als glaubhaft, insbesondere die Schilderung der zunächst akustischen und später optischen Wahrnehmung des von dem Kläger geführten Kraftrades ist nachvollziehbar und in sich schlüssig. Die Beklagte bestätigte, dass vor ihr eine andere Person die Straße überquert habe (Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 130 f. d. A.). Vor diesem Hintergrund zieht die Kammer ihre Aussage, sie habe bei Einleitung des Überquerungsvorgangs und bei Erreichen der Mittellinie nach links geblickt, in Zweifel. Denn hätte die Beklagte tatsächlich in der Mitte der Straße nach links in Richtung der herannahenden Fahrzeuge geschaut, hätte sie, die sich einige Meter hinter dem Zeugen befand, das herannahende, von dem Kläger geführte Kraftrad wie der Zeuge vor der Kollision erkennen und hierauf entsprechend reagieren können. Dies folgt auch aus dem ersten Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen, wonach die Beklagte das Unfallgeschehen hätte vermeiden können, wenn sie vor dem Betreten der linken Fahrspur den sich aus der Fahrtrichtung Eisenbahnstraße annähernden Kläger erkannt und auf das Überqueren der linken Fahrspur verzichtet hätte (Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 186 d. A.).
2. Der Kläger muss sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes jedoch einen Mitverschuldensanteil von 60% anrechnen lassen. Bei der Entstehung des Verkehrsunfalls hat ein Verschulden des Klägers mitgewirkt, das nach § 254 Abs. 1 BGB eine Kürzung der Haftung der Beklagten um 6/10 bedingt.
Der Kläger haftet selbst gegenüber der Beklagten nach §§ 18, 7 StVG. Neben der ihm zuzurechnende Betriebsgefahr des Kraftrades ist ihm auch der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung des aus § 3 Abs. 1, 3 Nr. 1 StVO folgenden Gebots zur Einhaltung der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu machen. Der Geschwindigkeitsverstoß war auch kausal für die Kollision mit der Beklagten, die zu seinen folgenschweren Verletzungen führte.
a) Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger die gesetzlich zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h deutlich überschritten hatte, als es zur Kollision mit der Beklagten kam. Die gesetzlich zugelassene Geschwindigkeit stellt die höchstzulässige Geschwindigkeit dar, die zwar unter normalen Umständen ausgenutzt, doch auch unter günstigsten Umständen nicht überschritten werden darf (OLG Oldenburg NZV 1990, 473). Unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit der Beklagten hatte das vom Kläger geführte Kraftrad eine Geschwindigkeit von annähernd 70 km/h. Dies ergibt sich aus den im Ergebnis schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, welchen sich das Gericht in eigener Würdigung (§ 286 ZPO) anschließt.
Der Sachverständige ermittelte zunächst eine Annäherungsgeschwindigkeit von 50-62 km/h, wobei er hierfür von einer Rutschverzögerung von a = 2,5-3,8 m/s² und einer kollisionsbedingte Geschwindigkeitsverzögerung von a = 2-4 km/h ausging (Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 178 d. A.). Dabei führte er aus, dass bei der kollisionsbedingten Verzögerung ein eher geringer Wert zugrunde gelegt worden sei (vorgenanntes Gutachten, Bl. 178 d. A.). In der Folge präzisierte er seine Berechnungen dahingehend, dass von einer Rutschverzögerung von a = 3,5 m/s² auszugehen sei (Gutachten vom 16.02.2010, Bl. 387, 395 f., 401 d. A.).
Nach dem er sich wegen der Unfallsimulation, die im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 03.12.2010 vorgenommen werden sollte (vgl. Sitzungsprotokoll vom 03.12.2010, Bl. 488 d. A.), mit Mitarbeitern des Crash-Test-Center in Neumünster ausgetauscht hatte, korrigierte er seine Berechnungen dahingehend, dass eine Kollisionsgeschwindigkeit von bis zu 70 km/h realistisch sei (Schreiben vom 03.03.2011, Bl. 494, 496 d. A.). Unter Berücksichtigung der vom Gericht als glaubhaft und plausibel zugrunde gelegten Aussage des Zeugen , wonach dieser als Berufskraftfahrer mit seinem Kleinlastwagen auf der rechten Spur mit 50 km/h unterwegs war und von dem Kläger auf der linken Spur mit entsprechend höherer Geschwindigkeit überholt wurde, sah der Sachverständige seine Einschätzung als bestätigt an (Sitzungsprotokoll vom 13.02.2012, Bl. 537 ff. d. A.). Die höhere Geschwindigkeit ermittelte er anhand einer Rutschverzögerung von a = 3,8 m/s² bzw. von a = 4 m/s² für die letzen sechs Meter der Rutschwegstrecke sowie einer kollisionsbedingten Verzögerung von a = 4 km/h (Schreiben vom 27.02.2012, Bl. 542 f. d. A.).
Der Sachverständige setzte sich detailliert und unvoreingenommen mit den Einwendungen der Parteien, insbesondere den umfassenden sachverständigen Ausführungen des von der Beklagten privat beauftragten Sachverständigenbüros Schimmelpfennig und Becke auseinander (vgl. z.B. Gutachten vom 16.02.2010, Bl. 387-412 d. A.). Die Kammer erachtet die Ausführungen des Sachverständigen als überzeugend, nachvollziehbar und in sich schlüssig. Auch wenn er im Laufe des Verfahrens seine Einschätzung der Kollisionsgeschwindigkeit des vom Kläger geführten Kraftrades modifizierte, vermag das Gericht hierin keine widersprüchlichen Feststellungen zu erkennen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige von Anfang an die in etwa gleichen Berechnungsparameter zugrundegelegt hat. Die ursprünglich zugrunde gelegte Rutschverzögerung von a = 3,5 m/s² hat er bei seiner letzten Einschätzung mit a = 3,8 m/s² bzw. mit a = 4 m/s² für die letzen sechs Meter der Rutschwegstrecke leicht höher angesetzt. Den kollisionsbedingten Geschwindigkeitsverlust hat er zunächst mit a = 2-4 km/h und später mit a = 4 km/h angesetzt, wobei er bereits in seinem ersten Gutachten betonte, dass ein eher geringer Wert zugrunde gelegt worden sei (Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 178 d. A.). Die Korrekturen hat er nachvollziehbar damit begründet, dass bei der ursprünglichen Berechnung relevante situationsbedingte Umstände und tatsächliche Unwägbarkeiten keine hinreichende Berücksichtigung gefunden hätten. Dies sei ihm erst bei der fachlichen Auseinandersetzung mit den sachverständigen Kollegen des Crash-Test-Centers in Neumünster hinreichend bewusst geworden. Bei der Berechnung der Rutschverzögerung sei z.B. nicht hinreichend bedacht worden, dass eine baustellenbedingte Verschmutzung der Fahrbahn bestanden und dass das unfallbeteiligte Kraftrad lediglich oberflächliche Beschädigungen an den Verkleidungsteilen aufgewiesen habe. Überdies sei bei der ersten Berechnung keine Verzögerung für die Kippphase einkalkuliert worden, obwohl eine solche sehr wahrscheinlich und daher zu beachten sei. Bei der Berechnung des kollisionsbedingten Abbaus der Geschwindigkeit sei daneben die tatsächliche Unsicherheit, dass die genaue Anstoßposition zwischen dem klägerseits geführten Kraftrad und der Beklagten als Fußgängerin nicht habe festgestellt werden können, zu berücksichtigen gewesen (Schreiben vom 03.03.2011, Bl. 494 f. d. A.; Sitzungsprotokoll vom 23.02.2012, Bl. 537-540 d. A.).
Die Kammer hat weder Zweifel an der für die Unfallanalyse und -rekonstruktion erforderlichen Sachkunde des gerichtlich bestellten Sachverständigen noch an seiner Unvoreingenommenheit und Objektivität gegenüber den Parteien. Der Einwand der Klägerseite, der Sachverständige sei unter dem Eindruck der Privatgutachten des von Beklagtenseite beauftragten Sachverständigenbüros Schimmelpfennig und Becke von seiner ursprünglichen Beurteilung abgerückt (vgl. Schriftsatz vom 14.04.2011, Bl. 514-519 d. A., Schriftsatz vom 10.06.2011, Bl. 523 d. A.), trägt nicht. Der Sachverständige hat sich mit den abweichenden Feststellungen des Privatgutachters dezidiert und sachlich auseinandergesetzt. Dabei bestand auch für die Klägerseite eine hinreichende Möglichkeit zur Stellungnahme und zur Nachfrage (vgl. Anhörungstermin vom 20.08.2009, Bl. 332-336 d. A.; Anhörungstermin vom 03.12.2010, Bl. 485-488 d. A.; Anhörungstermin vom 23.02.2012, Bl. 537-541 d. A.). Wegen der wenigen unstreitigen Anknüpfungstatsachen, der dürftigen Spurenlage und den zahlreichen tatsächlichen Unwägbarkeiten stellte es sich auch für einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen als schwierig dar, eine zuverlässige Einschätzung des Unfallhergangs, insbesondere der Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers, abzugeben. Vor diesem Hintergrund kann dem Sachverständigen nicht vorgehalten werden, dass er frühere Feststellungen konkretisiert und präzisiert hat, soweit sich neue Erkenntnisse tatsächlicher oder fachlicher Art ergaben. Einen unauflöslichen Widerspruch, der nach § 412 Abs. 1 ZPO zur Nichtberücksichtigung des Gutachtens führen müsste, vermag die Kammer in den Ausführungen des Sachverständigen nicht zu erkennen (s.o.).
b) Die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers hat den Unfall auch mit verursacht. Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Geschwindigkeitsüberschreitung und dem Verkehrsunfall ist zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (BGH VersR 2003, 783). Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (BGH VersR 2003, 783; OLG Düsseldorf VRS 1988, 268). Für einen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmer ist dies in Bezug auf seinen Vorrang zwar nicht bereits der Fall, wenn nur die abstrakte, stets gegebene Gefahr eines Fehlverhaltens anderer besteht, vielmehr müssen erkennbare Umstände eine bevorstehende Verletzung seines Vorrechts nahelegen (BGH VersR 2003, 783).
Der Kläger hätte bereits in dem Moment auf die Beklagte reagieren und sein Fahrverhalten, insbesondere seine Geschwindigkeit, anpassen müssen, als diese die Mitte der rechten Fahrspur überquerte. Auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich denjenigen, als die Beklagte die Fahrbahnmitte überschritt, ist nicht abzustellen. In dem Zeitpunkt, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrspur erreichte, lagen für den Kläger hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Gefahrensituation unmittelbar bevorsteht. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte lediglich mit Verkehr aus der Fahrtrichtung Eisenbahnstraße rechnen musste, da es sich bei der D. Straße um eine Einbahnstraße handelt. Bereits bei Betreten der Straße - unabhängig von der Straßenseite - konnte ein Fußgänger den herannahenden Straßenverkehr überblicken. Vor diesem Hintergrund musste der Kläger jedenfalls damit rechnen, dass ein Fußgänger die Straße in zügigem Schritttempo überqueren und nicht an der Mittellinie anhalten würde. Des Weiteren hätte der Kläger aufgrund des vor der Beklagten die Straße überquerenden Zeugen , der für ihn bereits zeitlich früher als die Beklagte erkennbar war, sein Fahrverhalten anpassen und einen Abbremsvorgang einleiten müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die Sichtverhältnisse des Klägers aufgrund einer sich auf der rechten Fahrspur stauenden Fahrzeugkolonne eingeschränkt waren, bestehen nicht. Nach den übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen befanden sich die weiteren, die D. Straße befahrenden Fahrzeuge hinter dem Kläger. Der Zeuge an, dass sich die Fahrzeuge auf der rechten Fahrspur noch etwa 120 m/150 m von ihm entfernt befanden (Sitzungsprotokoll vom 19.06.2008, Bl. 97 f. d. A.). Der Zeuge schilderte, dass der Kläger mit überhöhter Geschwindigkeit an ihm vorbeigefahren sei (vorgenanntes Sitzungsprotokoll, Bl. 101 f. d. A.). Die Zeugin gab an, dass sie sich zum Zeitpunkt des Unfalls ca. 10-15 m hinter einem Eisenbahntunnel befand, welcher sich ca. 150-200 m von der Unfallstelle entfernt befindet (Sitzungsprotokoll vom 14.08.2008, Bl. 133 f. d. A.).
Zwar kann von der Beklagten als Fußgängerin grundsätzlich erwartet werden, dass sie bei Überqueren einer Fahrbahn den Fahrzeugverkehr aufmerksam beobachtet und ihm den Vorrang einräumt (§ 25 Abs. 3 S. 1 StVO). Jedoch durfte der Kläger wegen seines eigenen verkehrswidrigen Verhaltens nicht darauf vertrauen, dass sich die Beklagte verkehrsgerecht verhalten würde. Ein Verkehrsteilnehmer, der sich regelgerecht verhält, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls die Verkehrsregeln einhalten, z.B. sein Vorfahrtsrecht beachten. Der Vertrauensgrundsatz kommt jedoch regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt. Der verkehrswidrige Verkehrsteilnehmer büßt den Schutz des Vertrauensgrundsatzes indessen nur gegenüber solchen Verkehrsteilnehmern ein, die an dem Verkehrsvorgang beteiligt sind, dessen typische Gefahren die verletzte Vorschrift begegnen soll (BGH VersR 2003, 783). Die Geschwindigkeitsbegrenzung innerhalb geschlossener Ortschaften (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) schützt alle Verkehrsteilnehmer, vorrangig andere Kraftfahrzeugführer. Die Einhaltung der innerörtlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h soll aber auch solche Gefahrensituationen verhindern, die durch ein Überschreiten der Fahrbahn durch einen Fußgänger geschaffen werden. Neben Fahrzeugführern sind auch nicht motorisierte Personen, wie Radfahrer und Fußgänger, Verkehrsteilnehmer. Die Benutzung von Fahrbahnen ist zwar dem fließenden Verkehr vorbehalten, Fußgängern jedoch nicht verboten (arg. ex. § 25 StVO). Sie haben bei der Überquerung von Fahrbahnen den fließenden Verkehr zu beobachten und ihm den Vorrang einzuräumen.
Nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen wäre das Unfallgeschehen aus Sicht des Klägers vermeidbar gewesen, wenn er in dem Moment, als die Beklagte die Mitte der rechten Fahrbahnspur erreichte, mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren wäre und nach einer Vorbremszeit von 1 Sekunde einen Abbremsvorgang eingeleitet hätte (ergänzende Stellungnahme vom 03.03.2011, Bl. 497 f. d. A.). Die Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer in eigener Würdigung (§ 286 ZPO) anschließt, sind nachvollziehbar, in sich schlüssig und überzeugend. Die Kammer vermag insbesondere keinen Widerspruch in den Ausführungen des Sachverständigen erkennen. Zwar ist er zu Beginn des Verfahrens von einer grundsätzlichen Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens zu Gunsten des Klägers ausgegangen (vgl. Gutachten vom 08.12.2008, Bl. 160, 180 f. d. A.). Allerdings hat er dabei als reaktionsauslösende Position der Beklagten den Zeitpunkt zugrunde gelegt, indem diese die Fahrbahnmitte überschritt und die linke Fahrspur betrat (vorgenanntes Gutachten, Bl. 180 f. d. A.). Eine Vermeidbarkeit hat er ursprünglich dann angenommen, wenn der Kläger bereits auf die am rechten Fahrbahnrand stehende Beklagte hätte reagieren müssen (vorgenanntes Gutachten, Bl. 182 f. d. A.). Unter Berücksichtigung der korrigierten und modifizierten Berechnungen der Annäherung- und Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers (s.o.) kommt der Sachverständige zu einer leicht abweichenden, jedoch im Grundsatz gleichen Vermeidbarkeitsbetrachtung. Er nimmt weiterhin eine Unvermeidbarkeit an, wenn als reaktionsauslösende Position der Beklagten das Überschreiten der Fahrbahnmitte angesehen wird. Er bejaht dagegen eine Vermeidbarkeit für die Konstellation, dass der Kläger bereits bei Überschreiten etwa der Mitte der rechten Fahrspur auf die Beklagte hätte reagieren müssen (ergänzende Stellungnahme vom 03.03.2011, Bl. 497 f. d. A.). Da die Abweichungen der letztgültigen Vermeidbarkeitsbetrachtung gegenüber der ersten Einschätzung auf die nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Modifizierungen der Geschwindigkeitsberechnung gründen, bestehen für die Kammer keine Bedenken an einer sachlich und fachlich zutreffenden Bewertung.
c) Ob dem Kläger darüber hinaus der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens, nämlich das Führen eines Fahrzeugs unter Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln (§ 316 StGB), gemacht werden kann, kann dahinstehen. Der Kläger muss sich in jedem Fall an dem Maßstab eines nüchternen, nicht berauschten Fahrzeugführers messen lassen. Überdies wurden bei der Entnahme von Blutproben seitens der Ermittlungsbehörden keine zuverlässigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine Begutachtung unter verkehrsanalytischen Gesichtspunkten möglich gewesen wäre. Eine Berücksichtigung des medizinisch festgestellten Konsums von Cannabinoiden (vgl. medizinischer Bericht der Medizinal-Untersuchungsstelle im Regierungsbezirk Detmold vom 08.04.2002, Bl. 39 f. der Beiakte 40I Js 356/02) begegnet insoweit Bedenken, als die Feststellung eines Cannabis-Abusus keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Konsums und der damit verbundenen Rauschwirkung zulässt. Im Hinblick auf die festgestellte Blutalkoholkonzentration im Blut des Klägers bestehen Bedenken hinsichtlich deren Verwertbarkeit, da eine genaue Blutalkoholkonzentration im Unfallzeitpunkt nicht ermittelbar ist. Denn in dem medizinischen Bericht der Medizinal-Untersuchungsstelle im Regierungsbezirk Detmold vom 04.04.2002 heißt es, dass die erforderliche Zeitdauer von zwei Stunden zwischen der Rückrechnung des BAK-Mittelwertes und des Vorfallszeitpunktes nicht eingehalten worden sei (Bl. 37 der Beiakte 40I Js 356/02).
d) Die Kammer hat den Mitverschuldensanteil des Klägers mit 60% gegenüber dem Verschulden der Beklagten leicht höher angesetzt. Dabei war ausschlaggebend, dass der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht nur leicht, sondern mit einer Annäherungs- und Kollisionsgeschwindigkeit von nahezu 70 km/h deutlich überschritten hat. Damit hat er die dem von ihm geführten Kraftrad anhaftende Betriebsgefahr erheblich gesteigert.
3. Die Kammer erachtet ein Schmerzensgeld bestehend aus einem Kapitalbetrag von 125.000,00 € und einer lebenslangen Rente von monatlich 300,00 € für angemessen. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers, welches zu einer Kürzung um 60 % führt (s.o.), ergibt sich danach ein Schmerzensgeld-Kapitalbetrag von 50.000,00 € und eine monatliche Rente in Höhe von 120,00 €.
a) Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes (ohne den durch den Mitverschuldensanteil des Klägers begründeten Abschlag) hat die Kammer zum einen die aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis resultierenden unmittelbaren Verletzungen und zum anderen und vor allem die schweren Verletzungsfolgen berücksichtigt. Das Schädelhirntrauma 1. Grades, die Rippenserienfraktur links, die Claviculafraktur links, der beidseitige Hämatothorax und die beidseitige Lungenkontusion sind überwiegend ausgeheilt, wobei die Folgen der Lungenquetschung sich in noch andauernden Atembeschwerden äußern. Indessen stellen die erlittene Querschnittslähmung und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen schwerwiegende und dauerhafte Verletzungsfolgen dar. Die irreversible Paraplegie ab dem 6. Brustwirbelkörper führt zu einer vollständigen Lähmung der unteren Gliedmaßen, einem kompletten Verlust der Sensibilität und einer sehr eingeschränkten sexuellen Empfindsamkeit. Darüber hinaus bedingt die Querschnittslähmung eine neurogene Harnblasen- und Darmentleerungsstörung, die zu Inkontinenz führen und einen dauerhaften Katheterismus erfordern. Die gezwungene Sitzhaltung des Klägers macht ihn anfällig für Thrombosen und Druckgeschwüre.
Des Weiteren ist berücksichtigt worden, dass der Heilungsprozess langwierig und schmerzhaft war. Der Kläger befand sich zunächst drei Monate in stationärer Behandlung, in deren Rahmen es zu nicht unerheblichen Komplikationen kam (beidseitige periartikuläre Ossifikation, hochgradiger Zahnkaries). Anschließend nahm er an einer dreimonatigen Rehabilitationsmaßnahme teil.
Der Kläger wird sein Leben lang auf medikamentöse und pflegerische Hilfe angewiesen sein und regelmäßige medizinische Behandlung in Anspruch nehmen müssen. Dass er einige Tätigkeiten in einer rollstuhlgerechten Umgebung selbständig ausführen kann, weil die Lähmung unterhalb des Brustwirbelkörpers 6 eingetreten ist, also keine noch schwerere Form der Querschnittslähmung vorliegt, ändert nichts daran, dass der Kläger nicht ohne fremde Hilfe leben kann und sein Leben immer auch von der Behinderung bestimmt werden wird. Er muss seine Lebensplanung in privater und beruflicher Hinsicht völlig umstellen. In jedem Fall wird eine etwaige spätere berufliche Betätigung nicht in gleicher Weise wie zuvor möglich sein. Auch hierin liegt ein erheblicher Verlust an Lebensfreude, insbesondere, da der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls erst 26 Jahre alt war, also die berufliche Entwicklung noch im Anfang stand. Auch im Privatleben, also im Freundes- und Familienkreis, ist mit Beeinträchtigungen und Schwierigkeiten zu rechnen.
Die Kammer hat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes den Schwerpunkt in dessen Ausgleichsfunktion gesehen. Bei so schweren Verletzungen mit lebenslangen Behinderungen, wie sie der Kläger erlitten hat, steht der erforderliche Ausgleich, den das Schmerzensgeld gewähren soll, im Vordergrund und die Genugtuungsfunktion tritt dahinter zurück (OLG Frankfurt DAR 1994, 21). Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes unter dem Gesichtspunkt der Genugtuung kommt nach Ansicht der Kammer nicht in Betracht. Der Beklagten kann nicht der Vorwurf eines vorsätzlichen Handels gemacht werden. Dass sie bisher keine Schmerzensgeldzahlungen an den Kläger geleistet hat, liegt darin begründet, dass die Haftung dem Grunde nach bis zuletzt im Streit stand. Die lange Dauer des Verfahrens ist der besonderen Schwierigkeit der tatsächlichen Erfassung des streitigen Unfallgeschehens geschuldet.
b) Dem Kläger war für die erlittenen Verletzungen nicht lediglich ein Kapitalbetrag als Schmerzensgeld zu gewähren, sondern eine daneben tretende Schmerzensgeldrente. Eine solche ist dann zu gewähren, wenn das haftungsbegründende Ereignis zu lebenslangen schweren Dauerschäden geführt hat, deren sich der Verletzte immer wieder neu und schmerzlich bewusst wird (BGH VersR 1976, 967; OLG Hamm ZfSch 2005,122).
Bei der Bemessung der Höhe des Kapitalbetrags und der monatlichen Schmerzensgeldrente hat die Kammer berücksichtigt, dass die kapitalisierte Rente und der Kapitalbetrag zusammen einen Gesamtbetrag ergeben, der in seiner Größenordnung einem ausschließlich in Kapitalform zuerkannten Schmerzensgeld zumindest annähernd entspricht (OLG Hamm ZfSch 2005,122). Die Kapitalisierung der Rente ergibt vorliegend einen Betrag von 78.030,00 €. Dieser errechnet sich aus dem Jahresbetrag der Rente (300,00 € x 12 =) von 3.600,00 € sowie einen durch Abzinsungssatz und statistische Lebenserwartung des Klägers gebildeten Kapitalisierungsfaktor. Da die Rente vorliegend über eine Laufzeit von mehr als 10 Jahren gewährt wird, ist auch bei dem derzeit schlechten Zinsniveau ein Kapitalisierungszins von 4 % vertretbar (Geigel, Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Anhang I). Bei einem Abzinsungssatz von 4 % und einem Alter des Klägers von 26 Jahren am Unfalltag ist ein Kapitalisierungsfaktor von 21,675 zugrundezulegen (Geigel, Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Anhang I), auf Basis dessen sich der oben genannte Betrag errechnet (300,00 € x 12 (Monate) x 21,675 (Kapitalisierungsfaktor)). Unter Berücksichtigung des kapitalisierten Rentenbetrages erachtet die Kammer die Gewährung eines einmaligen Kapitalbetrags von 125.000,00 € für angemessen. Der sich daraus errechnenden Gesamtbetrag von 203.030,00 € liegt im Rahmen der Schmerzensgeldbeträge, die die Rechtsprechung für Verletzungen, wie sie der Kläger erlitten hat, zuerkannt hat (vgl. OLG Koblenz DAR 2005, 403 (230.081,35 €); OLG Hamm VersR 2005, 942 (220.000,00 €); OLG Köln VersR 2001, 1396 (400.000,00 DM / 204.516,75 €); OLG Köln r + s 1996, 310 (350.000,00 DM / 178.952,16 €); OLG Frankfurt DAR 1994, 21 (400.000,00 DM / 204.516,75 €)).
4. Ein Anspruch auf Zinsen ergibt sich nach §§ 291, 288 ZPO erst ab Rechtshängigkeit, d.h. ab dem 30.03.2007 (Zeitpunkt der Zustellung, vgl. Rückseite Bl. 53 d. A.). Ein Anspruch auf darüber hinausgehende Verzugszinsen besteht nicht, da sich die Beklagte vor Erhebung der Klage mit der Zahlung des Schmerzensgeldes und der Schmerzensgeldrente nicht in Verzug befand. Gründe für den Eintritt des Verzuges ohne eine hierzu grundsätzlich erforderliche Mahnung nach § 286 Abs. 1 BGB sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger nicht dargelegt, dass die Beklagte vorprozessual die Zahlung eines Schmerzensgeldes ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) noch das besondere Gründe unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Eintritt des Verzugs gerechtfertigt hätten (§ 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB).
III.
Die daneben auf Feststellung gerichtete Klage ist ebenfalls insoweit begründet, als die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger unter Berücksichtigung eines diesem anzulastenden Mitverschuldensanteils von 60 % sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 02.04.2002 bereits entstanden sind und noch erwachsen werden, soweit diese nicht von dem bereits zuerkannten Schmerzensgeld erfasst sind und soweit etwaige Ansprüche nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Aufgrund der bei dem Beklagten infolge des Unfallereignisses vom 02.04.2002 bereits eingetretenen Verletzungen ist damit zu rechnen, dass hieraus weitere Verletzungsfolgen resultieren, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung und der Entscheidung noch nicht absehbar waren und damit durch die Zubilligung eines Schadensersatzes und eines höheren Schmerzensgeldes hätten ausgeglichen werden können.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
V.
Der Streitwert wird auf 163.000,00 € festgesetzt. Der Klageantrag zu 1) wurde mit einem Betrag von 125.000,00 € berücksichtigt (§ 48 GKG, § 3 ZPO). Für den Klageantrag zu 2) wurde entsprechend § 42 Abs. 1 GKG der fünffache Jahresbetrag der zugesprochenen monatlichen Rente (in ungekürzter Höhe), mithin ein Betrag von (5 (Jahre) x 12 (Monate) x 300,00 € =) 18.000,00 €, zugrunde gelegt. Der auf Feststellung gerichtete Klageantrag zu 3) wurde mit einem Betrag von 20.000,00 € bemessen (§ 48 GKG, § 3 ZPO). Die vom Kläger im Prozesskostenhilfeverfahren zunächst begehrten Schmerzensgeldbeträge (vgl. Schriftsatz vom 30.12.2005, Bl. 4 d. A.) waren nicht zu berücksichtigen, da die Klage in dieser Höhe zu keinem Zeitpunkt rechtshängig geworden ist.