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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 12.09.2007 - 14 U 149/07 - Verkehrsunfall zwischen mit einem entgegen kommenden Pkw infolge grob verkehrswidrigen Verhaltens eines jugendlichen Radfahrers
OLG Frankfurt am Main v. 12.09.2007: Verkehrsunfall zwischen mit einem entgegen kommenden Pkw infolge grob verkehrswidrigen Verhaltens eines jugendlichen Radfahrers
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 12.09.2007 - 14 U 149/07) hat entschieden:
- Das Gebot für Radfahrer, hintereinander zu fahren, gilt nicht ausnahmslos. Vielmehr dürfen Radfahrer gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO auch nebeneinander fahren, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird.
- Der Vertrauensgrundsatz für Fahrzeugfahrer gilt grundsätzlich auch gegenüber Kindern und Jugendlichen, wobei das Maß der zu fordernden Sorgfalt von den erkennbaren Umständen, insbesondere des Alters des anderen Verkehrsteilnehmers und der konkreten Verkehrssituation, abhängt. Von einem 14jährigen Radfahrer kann grundsätzlich ein verkehrsgerechtes Verhalten im Straßenverkehr erwartet werden, es sei denn, besondere Umstände, insbesondere ein nicht verkehrsgerechtes Verhalten des Jugendlichen deuten auf eine Gefährdung hin.
- Einem Radfahrer ist ein grober Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen, wenn er die Füße während der Fahrt von den Pedalen genommen und auf den Fahrradrahmen gesetzt und hierdurch die Instabilität seines Fahrrades und damit einen Sturz über die Mittellinie hinaus auf die Gegenfahrbahn verursacht hat, auf der ihm ein Pkw entgegen und es zur Kollision kam. Die Betriebsgefahr des Kfz tritt dann zurück.
Gründe:
Die Berufung bietet nach übereinstimmender Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine abweichende Entscheidung. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Klage zu Recht unter zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtslage abgewiesen.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 17.07.2006 weder ein Schadensersatz- noch ein Schmerzensgeldanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB und/oder aus § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 3 Nr. 1 PflVersG zu, weil den Beklagten zu 1. als Fahrer des unfallbeteiligten Fahrzeugs kein unfallursächliches Verschulden trifft und die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr gegenüber dem erheblichen unfallursächlichen Verschulden des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB zurücktritt.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann dem Beklagten zu 1. weder ein Verstoß gegen die gemäß § 3 Abs. 2 a StVO gegenüber Kindern bestehenden erhöhten Sorgfaltspflichten noch ein Verstoß gegen die Pflicht zur ständigen Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO angelastet werden. Selbst wenn der Kläger bereits eine gewisse Zeit vor dem späteren Unfallgeschehen mit seinem Fahrrad neben dem Zeugen Z1 entsprechend den Angaben des Beklagten zu 1. in dem polizeilichen Ermittlungsverfahren „fast auf der Mitte der Fahrbahn“ gefahren sein sollte, ließe sich hieraus ein Verstoß gegen die Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf Kinder gemäß § 3 Abs. 2 a StVO nicht herleiten. Wie bereits das Landgericht richtig ausgeführt hat, besteht der Vertrauensgrundsatz für Fahrzeugfahrer grundsätzlich auch gegenüber Kindern und Jugendlichen, wobei das Maß der zu fordernden Sorgfalt von den erkennbaren Umständen, insbesondere des Alters des anderen Verkehrsteilnehmers und der konkreten Verkehrssituation, abhängt. Von einem 14jährigen Radfahrer kann grundsätzlich ein verkehrsgerechtes Verhalten im Straßenverkehr erwartet werden, es sei denn, besondere Umstände, insbesondere ein nicht verkehrsgerechtes Verhalten des Jugendlichen deuten auf eine Gefährdung hin. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger nach den Angaben des Beklagten zu 1. in der Ermittlungsakte (Bl. 18, 19 der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Fulda 3 Js 13786/06) neben einem weiteren jugendlichen Radfahrer nahezu auf der Mitte der Fahrbahn fuhr, stellt kein Verhalten dar, welches für den Beklagten zu 1. hätte Anlass geben müssen, mit einem Überfahren der Mittellinie durch den Kläger oder aber jedenfalls damit zu rechnen, dass er an dem entgegenkommenden Kläger nicht würde gefahrlos vorbeifahren können. Das Gebot für Radfahrer, hintereinander zu fahren, gilt nicht ausnahmslos. Vielmehr dürfen Radfahrer gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO auch nebeneinander fahren, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird. Da sich beide Radfahrer auf ihrer Fahrbahn befanden und für den Beklagten zu 1. eine von der Fahrbahn der Radfahrer durch eine gestrichelte Mittellinie getrennte, nach den zeichnerischen Darstellung in dem Gutachten des Sachverständigen SV1 vom 28.08.2006 ca. 3,30 Meter breite eigene Fahrbahn zur Verfügung stand, konnte der Beklagte zu 1. davon ausgehen, dass er die Entgegenkommenden auf ihrer eigenen Fahrbahn nebeneinander fahrenden Radfahrer gefahrlos würde passieren können.
Sonstige konkrete Anhaltspunkte aus dem Fahrverhalten des Klägers, die für den Beklagten zu 1. Anlass boten, seine Geschwindigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu reduzieren, liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers kann anhand der Angaben des Zeugen Z1 in seiner polizeilichen Vernehmung (Ermittlungsakte Bl. 25, 86) nicht festgestellt werden, dass der Kläger seine Füße bereits einen längeren Zeitraum vor dem späteren Unfallereignis von den Pedalen genommen hatte und/oder einige Zeit zuvor bereits Schlangenlinien gefahren war und dass der Beklagte zu 1. dies bereits zu einem Zeitpunkt hätte bemerken können und müssen, zu welchem er den späteren Zusammenstoß noch durch eine frühere Herabsetzung seiner Geschwindigkeit hätte verhindern können. Die Angaben des Zeugen Z1 lassen eine derartige zeitliche und örtliche Einordnung des von ihm geschilderten Verhaltens des Klägers nicht zu. Aus der Mitteilung, der Kläger sei nach Einfahrt auf die K ... von einem Feldweg, der sich ca. 100 Meter außerhalb der Ortschaft O1 befinde, sofort von ihm weggezogen und habe sich vor ihn gesetzt, er habe zunächst beschleunigt und beide Füße auf den Fahrradrahmen oder Lenker gesetzt; zu diesem Zeitpunkt habe er sich 10 Meter vor dem Zeugen befunden, lässt sich nicht feststellen, in welcher Entfernung zum Ortsschild der Kläger die Füße von den Pedalen genommen hat. Gleiches gilt für den Zeitpunkt, zu welchem der Kläger nach den Angaben des Zeugen „plötzlich Schlangenlinien“ gefahren ist. Den Angaben des Zeugen kann lediglich entnommen werden, dass dies geschah, bevor er und der Kläger das Ortsschild passierten, indem der Zeuge mitteilt, „noch bevor wir das Ortsschild passierten, fiel mir … ein entgegenkommendes Auto auf. Ich schrie ... (den Kläger) an, dass da ein Auto kommt“. Allein aus dem Umstand, dass der Zeuge noch gerufen hat, dass da ein Auto komme und ferner geschildert hat, dass der Kläger kurz vor dem Auto versucht habe, die Füße herunter zu nehmen, was er gerade zuvor geschafft habe, bevor er direkt in das Auto hineingefahren sei, lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht ableiten, dass für den Beklagten zu 1. eine ausreichende Reaktionszeit zur Verfügung gestanden haben muss, um den Unfall durch frühzeitigere Reduzierung seiner Geschwindigkeit zu vermeiden. Wie sich aus der von dem Sachverständigen SV1 unmittelbar nach dem Unfall aufgenommenen Spurenlage ergibt, hat sich der Unfall unmittelbar vor dem Ortsausgang, also aus Sicht des Klägers unmittelbar nach Passieren des Ortsschilds ereignet, indem der Kläger mit seinem Fahrrad gänzlich auf die Gegenfahrbahn des Beklagten zu 1. geraten war.
Auch aus dem Gutachten des Sachverständigen SV1 lässt sich zu Lasten des Beklagten zu 1. nichts herleiten. Dieser hat anhand der Spurenlage, insbesondere der von der Ausweichbewegung des Beklagten zu 1. und dessen Vollbremsung gezeichneten Spuren eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 46 – 49 km/h ermittelt, also eine Geschwindigkeit, die im Bereich der erlaubten Geschwindigkeit von 50 km/h innerorts liegt. Ob für den Beklagten zu 1. bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anlass für eine Geschwindigkeitsreduzierung oder die Einleitung einer Vollbremsung bestanden hätte, konnte der Sachverständige mangels ausreichender Anhaltspunkte nicht feststellen. Die nach der Spurenlage durchgeführte Unfallanalyse ergibt vielmehr - worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, dass sich das eigentliche Unfallgeschehen, nämlich das Überfahren der Mittellinie durch den Kläger und sein Sturz gegen das entgegenkommende Fahrzeug des Beklagten zu 1. in knapp 2 Sekunden abgespielt haben müssen. Diese Rekonstruktion des Sachverständigen berücksichtigt die von dem Fahrrad und den Schuhen des Klägers gezeichneten Spuren, deren Beginn noch deutlich jenseits der Mittellinie auf der Fahrspur des Klägers liegt und die nach 7,8 Metern auf der Gegenfahrbahn, dem Kollisionsort, enden.
Kann somit ein unfallursächliches Mitverschulden des Beklagten zu 1. nicht festgestellt werden, kommt zu Lasten der Beklagten allenfalls die von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. ausgehende Betriebsgefahr in Ansatz. Diese tritt indes - wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - im Rahmen der Abwägung nach den §§ 9 StVG, 254 BGB zurück. Dem Kläger ist ein grober Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen, indem er seinen eigenen Angaben zufolge die Füße während der Fahrt von den Pedalen genommen und auf den Fahrradrahmen gesetzt und hierdurch die Instabilität seines Fahrrades und letztlich den Sturz auf die Gegenfahrbahn verursacht hat. Soweit die Rechtsprechung bei der Bewertung des Mitverschuldens eines Jugendlichen für eine völlige Freistellung von der Gefährdungshaftung wegen eines grob verkehrswidrigen Verhaltens voraussetzt, dass der Sorgfaltsverstoß altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbar ist (BGH Urteil vom 18.11.2003 – VI ZR 31/02 – NJW 2004, 772; OLG Nürnberg Urteil vom 14.07.2005 – 13 U 901/05 VersR 2006, 1514, beide zitiert nach JURIS) hat das Landgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen zutreffend bejaht. Der Sorgfaltsverstoß ist dem Kläger auch gemessen an dem altersspezifischen Verhalten von Kindern und Jugendlichen subjektiv besonders vorzuwerfen. Jugendlichen in diesem Alter ist regelmäßig bekannt, dass das Hochnehmen der Füße zu einem instabilen Zustand des Fahrrades führen kann und für den Fall, dass dieser nicht rechtzeitig durch das Wiederaufsetzen der Füße auf die Pedale und deren Betätigung nicht rechtzeitig abgefangen werden kann, mit erheblichen Gefahren verbunden ist, nämlich das Fahrrad unkontrolliert ins Schwanken gerät und der Fahrer zu stürzen droht, was im öffentlichen Verkehrsraum mit der erheblichen Gefahr eines Zusammenstoßes mit anderen Verkehrsteilnehmern verbunden ist.
Da nach den vorstehenden Ausführungen die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet und auch die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht vorliegen, erhält der Kläger Gelegenheit, binnen 4 Wochen zu den erteilten Hinweisen Stellung oder aber seine Berufung aus Kostengründen zurück zu nehmen.