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Amtsgericht Halle-Saalkreis Urteil vom 12.01.2007 - 91 C 2990/06 - Verkehrsunfall eines Pkw-Fahrers mit einem Radfahrer beim Überqueren des Fußgängerüberwegs nach Befahren des Radweges in entgegengesetzter Richtung
AG Halle-Saalkreis v. 12.01.2007: Verkehrsunfall eines Pkw-Fahrers mit einem Radfahrer beim Überqueren des Fußgängerüberwegs nach Befahren des Radweges in entgegengesetzter Richtung
Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (Urteil vom 12.01.2007 - 91 C 2990/06) hat entschieden:
Befährt ein Radfahrer einen Radweg entgegen der Fahrtrichtung und überquert sodann die (Anlieger-)Straße auf einem Fußgängerüberweg in der Annahme, dass die Straße für Fahrzeuge ausnahmslos gesperrt war, so haftet er bei einer Kollision mit einem die Straße befahrenden Pkw eines Anliegers in Höhe von 50%, wenn dieser die Kollisionsgefahr nicht erkennen und durch rechtzeitiges Abbremsen ausschließen konnte.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.5.2005 an der Kreuzung T Str./R straße in H.
Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gegen 12.10 Uhr den – in Fahrtrichtung des Klägers gesehen – auf der linken Fahrbahnseite der T Str. befindlichen Radweg in Richtung R straße mit der Absicht, die R straße auf einem unmittelbar hinter der Kreuzung gelegenen, ampelgeregelten Fußgängerüberweg auf seinem Fahrrad fahrend zu überqueren. Die Fußgängerampel zeigte zu diesem Zeitpunkt auf grün. Der Beklagte zu 1) befuhr mit einem Lastkraftwagen Mercedes Sprinter mit dem amtl. Kennz. ... die R straße in Richtung R-Straße. Die R straße war zum Unfallzeitpunkt ab Einmündung der T Str. in Richtung Innenstadt für Fahrzeuge mit Ausnahme von Baufahrzeugen und Anliegerfahrzeugen gesperrt. Der Beklagte zu 1) beabsichtigte, in diesen gesperrten Teil der R straße einzufahren, da er dort wohnte. Dazu musste er auf die linke Fahrspur wechseln, da die rechte Fahrspur durch Baken wegen einer Baustelle abgesperrt war. Der Kläger rechnete aufgrund der teilweisen Absperrung der R straße nicht damit, dass der Beklagte zu 1) geradeaus in die R straße weiterfahren und den Fußgängerüberweg überqueren würde, er war vielmehr der Ansicht, Kraftfahrzeuge müssten aufgrund der Sperrung der R straße ausnahmslos bereits vor Überquerung des Fußgängerüberweges nach links in die T Straße abbiegen. Als der Kläger bemerkte, dass der Beklagte zu 1) geradeaus weiter fahren würde, versuchte er, eine Kollision durch ein Ausweichmanöver zu verhindern, was ihm auch gelang. Er stürzte jedoch in Folge der Ausweichbewegung und fiel auf die rechte Seite. Dadurch erlitt er einen Abrissbruch am rechten Oberarmkopf und musste in der Folge operiert werden. Er befand sich in stationärer Behandlung vom 24.5.2005 bis zum 31.5.2005. Bis zum 14.7.2005 war er arbeitsunfähig krank geschrieben, in der Zeit danach noch bis zum 27.10.2005 wurde ihm ärztlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 % bescheinigt. Der Kläger leidet noch heute unter Bewegungseinschränkungen und Schmerzen in der rechten Schulter.
Der Kläger bewohnt mit seiner erwerbstätigen Ehefrau und seinem 18-jährigen Sohn eine 58 qm große Mietwohnung in H. Er beauftragte nach dem Unfall seine Prozessbevollmächtigte mit dem Versuch der außergerichtlichen Schadensbeilegung und begehrte Schmerzensgeld i.H.v. 3.000,00 Euro und einen Haushaltsführungsschaden i.H.v. 336,17 Euro. Er behauptet, er übernehme für den 3-Personen-Haushalt seiner Familie regelmäßig den Einkauf und die Zubereitung der Mahlzeiten, wozu er in der Zeit bis zum 27.10.2005 jedoch nicht in der Lage gewesen sei. Auf den Schmerzensgeldanspruch hat die Beklagte zu 3 bereits vor Klageeinreichung 800,00 Euro und im Zeitraum zwischen Klageeinreichung und Klagezustellung weitere 700,00 Euro gezahlt.
Der Kläger ist der Ansicht, er habe nicht damit rechnen müssen, dass es sich bei dem Beklagten zu 1) um einen Anlieger handelte und er habe daher Anspruch auf Schadensersatz über die von der Beklagten zu 3) bereits vorgerichtlich zugestandene Haftungsquote von 50 % hinaus. Er ist weiterhin der Ansicht, ihm sei ein Haushaltsführungsschaden im Umfang von für die Dauer 7-wöchiger Arbeitsunfähigkeit im Umfang von 336,17 Euro zu ersetzen. Er habe Anspruch auf Ersatz der für die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten mit dem vorgerichtlichen Schadensregulierungsversuch anfallenden Kosten in dem Umfang, indem eine Anrechnung auf die Kosten des Rechtsstreits gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht stattfinde, insgesamt somit in Höhe von 207,93 EUR.
In der mündlichen Verhandlung vom 5.12.2007 haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 700,00 Euro übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches den Betrag von 2.200,00 Euro abzüglich des nach Einreichung der Klage gezahlten Betrages von 700,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit,
- die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 336,17 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie weitere 207,93 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie sind der Ansicht, unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers, welches darin zu sehen sei, dass er den Radweg auf der falschen Seite benutzt habe, den Fußweg nicht als Fußgänger, sondern mit seinem Fahrrad fahrend habe überqueren wollen und er unaufmerksam gewesen sei, bestehe lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz im Umfang von 50 %. Der Schmerzensgeldanspruch sei daher durch die Zahlungen der Beklagten zu 3) in vollem Umfang ausgeglichen. Ein Haushaltsführungsschaden stehe dem Kläger nicht zu, weil der Kläger Einschränkungen in der Haushaltsführung nicht hinreichend dargelegt habe. Es bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, weil ein Anspruch auf Zahlung dieser Rechtsanwaltskosten mangels Rechnungslegung bislang noch nicht fällig geworden sei und der Kläger auch noch keine Zahlung geleistet habe.
Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
II.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Ausgleich der ihm durch den streitigen Verkehrsunfall entstandenen Schäden sowie auf Schmerzensgeld aus §§ 7 Abs. 1, 11 StVG, jedoch nur in Höhe einer Quote von 50 %. Denn gemäß §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz hier davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Der Kläger hat den Unfall dadurch mit verursacht, dass er den Radweg auf der falschen Seite benutzte, den Fußgängerüberweg nicht als Fußgänger, sondern als Radfahrer auf seinem Fahrrad fahrend überqueren wollte und dass er darauf vertraut hat, dass die R straße für Fahrzeuge ausnahmslos gesperrt war (vgl. §§ 1, 2 Abs. 1, 26 StVO). Es steht diesen Mitverursachungs- und Mitverschuldensmomenten des Klägers die von dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) ausgehende Betriebsgefahr gegenüber.
Dagegen steht ein Mitverschulden des Beklagten zu 1) bei der Schadensentstehung nicht fest und kann daher bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile auch nicht berücksichtigt werden. Da für den Beklagten zu 1) als Anlieger die R straße nicht gesperrt war, ist ein Mitverschulden von vorn herein nur in Form eines Verstoßes gegen die allgemeinen Pflichten von Verkehrsteilnehmern gemäß § 1 StVO in Betracht zu ziehen. Dazu müsste jedoch fest stehen, dass für den Beklagten zu 1)) nicht nur der Kläger selbst, sondern auch dessen Absicht zur Überquerung des Fußgängerüberweges und damit die Kollisionsgefahr so rechtzeitig erkennbar waren, dass er nicht nur eine Kollision, sondern bereits die Kollisionsgefahr durch rechtzeitiges Abbremsen hätte ausschließen können und müssen. Denn im vorliegenden Fall geht es nicht um kollisionsbedingte Schäden, sondern um solche Schäden, die durch die Gefahrenbremsung des Klägers selbst verursacht worden sind. Im Ergebnis ist daher in die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensmomente auf Seiten der Beklagten nur die von dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Bei Abwägung der vorgenannten Umstände hält das Gericht eine Haftungsquote im Umfang von 50 % im Ergebnis für sachgerecht. Der Schmerzensgeldanspruch des Klägers ist daher durch die Zahlungen der Beklagten zu 3) vollständig ausgeglichen. Beide Parteien haben sowohl vorgerichtlich als auch im Rechtsstreit einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 3.000,00 Euro unter der Voraussetzung vollständiger Haftung der Beklagten für angemessen gehalten und auch das Gericht hält unter Berücksichtigung der durch den Kläger erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen einen Schmerzensgeldanspruch in dieser Höhe für vertretbar.
2. Ein Anspruch auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens ist zu verneinen. Zwar ist anerkannt, dass der Verlust der Fähigkeit zur Durchführung von Haushaltsarbeiten grundsätzlich einen ersatzfähigen Schaden darstellen kann (BGH, Entscheidung v. 8.10.1996 zum Aktenzeichen VI ZR 247/95). Für die Zeit nach der Entlassung des Klägers aus dem Krankenhaus (31.5.2005) ist jedoch eine Einschränkung des Klägers bei der Ausführung von Haushaltsarbeiten nicht hinreichend dargelegt. Es mag ihm aufgrund der unfallbedingten Verletzungen auch in dieser Zeit noch die Übernahme von Haushaltstätigkeiten schwerer als üblich gefallen sein und mehr Zeit als üblich in Anspruch genommen haben. Dies wird jedoch durch den Umstand ausgeglichen, dass der Kläger in dieser Zeit noch von einer Erwerbstätigkeit bis zum 14.7.2005 ganz und danach noch im Umfang von 20 % entlastet war.
Darüber hinaus hält das Gericht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB es auch für zumutbar, geringfügige Beeinträchtigungen bei der Haushaltsführung durch eine andere Verteilung der Haushaltszuständigkeiten zwischen den Mitgliedern eines Haushaltes aufzufangen, soweit dem Kläger einzelne Haushaltstätigkeiten aufgrund seiner Verletzungen besondere Schwierigkeiten bereitet haben sollten. Dies gilt umso mehr, als zum Haushalt des Klägers keine versorgungsbedürftigen Kleinkinder, sondern lediglich seine Ehefrau und sein bereits erwachsener Sohn gehörten, wobei es unerheblich ist, ob dieser zum Unfallzeitpunkt noch 17 oder bereits 18 Jahre alt war.
3. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von 50 % der ihm durch Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten mit dem Versuch der außergerichtlichen Schadensregulierung entstandenen Vermögenseinbuße aus §§ 7 Abs. 1, 11 StVO, weil er die Einführung eines Rechtsanwaltes als erforderlich ansehen durfte. Der Anspruch besteht auch unabhängig davon, dass der Kläger bisher eine anwaltliche Kostenrechnung für diese vorgerichtliche Tätigkeit weder erhalten noch bezahlt hat, denn die Höhe des anwaltlichen Honoraranspruches folgt weitgehend aus gesetzlichen Vorschriften und der Kläger ist daher auf jeden Fall mit einem entsprechenden Gebührenanspruch belastet. Dieser Anspruch ist mit einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 3.336,17 Euro mit 282,10 Euro in der Klageschrift zutreffend berechnet worden. Der Kläger hat daher nach der dem Grunde nach angemessenen Haftungsquote von 50 % Anspruch auf Ersatz von 50 % dieser ihm noch entstehenden Kosten. Da eine Anrechnung auf die im Rechtsstreit entstehenden Anwaltsgebühren gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt nur zur Hälfte der vorgerichtlich entstandenen Gebühren vorzunehmen ist, ist eine Anrechnung auf die im Rechtsstreit entstehenden Anwaltsgebühren nicht geboten.
4. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB. Die Klage ist am 3.8.2006 zugestellt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 91 a ZPO.
Da die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des zwischen Einreichung und Zustellung der Klage gezahlten Schmerzensgeldbetrages von 700,00 Euro erst in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt haben, ist der Berechnung der Kostenquote für sämtliche entstehenden Gebühren der Streitwert von 3.336,17 Euro zugrunde zu legen.
Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, haben die Beklagten die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu tragen (§ 91 a Abs. 1 ZPO). Denn aller Voraussicht nach wären sie im Rechtsstreit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO in dieser Höhe auch im Falle einer streitigen Entscheidung über einen auf Feststellung der Erledigung gerichteten Klageantrag unterlegen, ohne sich auf den Umstand berufen zu können, dass die Zahlung noch vor Zustellung der Klage an die Beklagten erfolgt ist. Es war daher bei der Berechnung der Kostenquote gem. § 92 Abs. 1, 91 a ZPO von einem Unterliegen der Beklagten in Höhe von 841,05 Euro gemessen an einem fiktiven Gesamtstreitwert i.H.v. 3.543,93 Euro auszugehen, was zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Kostenverteilung führt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: 3.336,17 Euro.