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OLG Brandenburg Urteil vom 15.06.2010 - 2 U 34/08 - Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers
OLG Brandenburg v. 15.06.2010: Zur Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers. zum Sichtfahrgebot und zum Schockschadensersatz
Das OLG Brandenburg (Urteil vom 15.06.2010 - 2 U 34/08) hat entschieden:
- Maßgeblich für die Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht ist, ob der Zustand der Straße vorhersehbar geeignet war, die voraussichtlichen Straßennutzer zu schädigen. Ein Loch mit 5 cm Tiefe, kraterförmiger Gestalt und einem Durchmesser von etwa 15 cm am Boden und etwa 30 bis 40 cm am oberen Rand ist geeignet, das Rad eines Fahrrades zu blockieren, zumal wenn es in einem Abstand von etwa 50 cm zum rechten Fahrbahnrand und damit in der typischen Fahrtlinie von Radfahrern liegt.
- Stürzt ein verunglückter Radfahrer kopfüber auf die Straße, wobei er multiple Frakturen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen sowie eine Mittelgesichtsfraktur erlitt, und ist er auf eine Gesichtshälfte gestürzt, legt dies nahe, dass der Verunglückte auch von einem üblichen Fahrradhelm nicht geschützt worden wäre. Unter diesen Umständen erscheint die schlichte Behauptung des für ein Mitverschulden des Verunglückten darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, der Schaden wäre nicht eingetreten, wenn der Verunglückte einen Fahrradhelm getragen hätte, als Behauptung „ins Blaue“ und deshalb unbeachtlich.
- So genannte Schockschäden sind nach der Rechtsprechung nur ersatzfähig, wenn die Gesundheitsbeschädigung des nahen Angehörigen nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Beeinträchtigte in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden.
Gründe:
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten aus eigenem, ererbtem und abgetretenem Recht Schmerzensgeld, Schadensersatz für den ihr entstandenen materiellen Schaden und die Feststellung der Haftung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden aus dem tödlichen Unfall ihres Ehemannes am 2. August 2005.
Der Ehemann der Klägerin starb, nachdem er im Bereich eines Straßenschadens auf der ... Chaussee in N... vom Fahrrad gestürzt war. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Grundurteil entschieden. Dabei hat es einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe des Betrages, der unter Berücksichtigung eines Mitverantwortungsanteils des verstorbenen Ehemannes in Höhe von 2/3 angemessen ist, dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Den Anspruch der Klägerin auf Ersatz des materiellen Schadens hat es in Höhe von 1/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin zu 1/3 alle zukünftigen materiellen und unter Berücksichtigung eines Mitverantwortungsanteils von 2/3 alle zukünftigen immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte als Träger der Straßenbaulast verkehrssicherungspflichtig gewesen sei. Soweit es sich bei der Radfahrt um eine erlaubnispflichtige Veranstaltung gehandelt habe, hafte möglicherweise der Dienstherr des Verunglückten neben dem Beklagten. Die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten sei dadurch jedoch nicht ausgeschlossen gewesen. Der Beklagte habe die ihm als Amtspflicht und auch gegenüber Radfahrern obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt, indem er die Straßenschäden nicht beseitigt habe. Die Streckenkontrollen seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, da die Beweisaufnahme ergeben habe, dass die streitgegenständlichen Straßenschäden bereits mindestens mehrere Wochen vorhanden gewesen seien. Weiter habe der Beklagte seine Amtspflicht verletzt, indem er kein Warnschild aufgestellt habe. Bei der Bemessung der Schadensersatzpflicht sei jedoch ein erhebliches Mitverschulden des Ehemannes der Klägerin zu berücksichtigen. Der Ehemann der Klägerin habe in Kauf genommen, dass sein Blick auf die Straße durch die Kolonne, in der er gefahren sei, verdeckt gewesen sei. Auch habe er keinen Schutzhelm getragen. Dies sei ihm als eigenes Verschulden zuzurechnen, jedoch auch als solches seines Dienstherrn, der das Tragen von Schutzhelmen nicht angeordnet habe.
Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl das beklagte Land als auch die Klägerin mit ihren Berufungen.
Das beklagte Land bestreitet nunmehr, dass der Ehemann der Klägerin das Schlagloch durchfahren habe und nur hierdurch zu Fall gekommen sei. Vielmehr habe er auf den Ausruf des vor ihm Fahrenden „Vorsicht Schlagloch“ eine Vollbremsung durchgeführt, wodurch sein Vorderrad blockiert habe und er noch vor dem Erreichen des Schlaglochs einen Überschlag vollzogen habe, der zu den Verletzungen geführt habe. Eine Amtspflichtverletzung sei bei einem Oberflächendefekt von 5 cm Tiefe noch nicht anzunehmen. Auch sei ein Oberflächendefekt an dieser Stelle für den Ehemann der Klägerin angesichts der allgemein schlechten Oberfläche der Straße nicht überraschend gewesen, sodass der Beklagte ihn hiervor nicht habe schützen müssen. Auch bestehe kein Anspruch des Straßennutzers darauf, dass ein Oberflächenschaden umgehend beseitigt werde. Das Fehlen eines Warnschildes sei nicht kausal geworden für den Sturz, weil sich die Gruppe, der der Ehemann der Klägerin angehörte, auf einer Zeitfahrt befunden habe und deshalb anzunehmen sei, dass er und die Gruppe sich von einem Warnschild nicht hätten beeindrucken lassen. Jedenfalls treffe den Ehemann der Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden an dem Unfall. Die überzogene Vollbremsung gehe zu seinen Lasten. Weiter habe er an einer nach § 29 Abs. 2 StVO genehmigungspflichtigen, jedoch nicht genehmigten Radsportveranstaltung teilgenommen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hätte der Veranstalter den Beklagten von allen Haftungsansprüchen freistellen müssen. Dass das Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt worden sei, könne den Beklagten nicht schlechter stellen. Außerdem sei der Ehemann der Klägerin in enger Kolonne mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren, sodass er keine ausreichende Sicht auf die vor ihm liegende Strecke gehabt habe. Schließlich sei es als Mitverschulden des Verunglückten anzusehen, dass er ohne Helm fuhr. Der Beklagte behauptet wie bereits in erster Instanz, der Verunglückte hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine tödlichen Verletzungen davon getragen, wenn er einen Helm getragen hätte.
Die Klägerin rügt zunächst, die Annahme eines Mitverschuldens entbehre einer rechtlichen Grundlage. Weiter rügt die Klägerin unrichtige und unvollständige Tatsachenfeststellung. Hierzu bestreitet sie wie bereits in erster Instanz, dass ihr Ehemann in einer engen Kolonne gefahren sei. Die Gruppe sei vielmehr weit auseinandergezogen gefahren. Der Abstand des Ehemanns der Klägerin zu dem Vorausfahrenden habe ca. 10 m betragen. Sie rügt weiter, dass das Landgericht ein Mitverschulden des verstorbenen Ehemannes darauf gestützt habe, dass dieser keinen Fahrradhelm trug. Er habe damit nicht verkehrsordnungswidrig gehandelt. Auch wenn er einen Helm getragen hätte, hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Genickbruch oder einen schweren Wirbelsäulenschaden davongetragen, er habe schwere Gesichtsverletzungen erlitten.
Der Beklagte als Berufungskläger beantragt,
die Klage unter Abänderung des Grundurteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Oktober 2008, Az. 17 O 422/07, abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin als Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Als Berufungsklägerin beantragt sie,
das Grundurteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), verkündet am 23. Oktober 2008, Az. 17 O 422/07, teilweise abzuändern und ein Grundurteil des Inhalts zu erlassen, dass die materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 2. August 2005 auf der ... Chaussee in N... gegenüber dem Beklagten dem Grunde nach ohne einen Mitverantwortungsanteil des verstorbenen Ehemannes der Klägerin für gerechtfertigt erklärt werden, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Der Beklagte als Berufungsbeklagter beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er wiederholt seine erstmals in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung, der Ehemann der Klägerin sei nicht durch das streitgegenständliche Loch gefahren, sondern durch eine Vollbremsung zuvor zu Fall gekommen.
II.
Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
In der Sache hat nur die Berufung des Beklagten teilweise Erfolg.
A. Klageantrag zu 1a)
1) Ererbter Anspruch der Klägerin auf Ersatz des immateriellen Schadens
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen ererbten Anspruch aus § 253 Abs. 2 i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG und § 1922 Abs. 1 BGB auf Ersatz des immateriellen Schadens, den der Verunglückte erlitten hat, dessen Erbin sie ist.
a) Amtspflichtverletzung
Zutreffend hat das Landgericht entschieden, dass der Beklagte als Straßenbaulastträger eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt hat, indem er den Oberflächendefekt von unstreitig mindestens 5 cm Tiefe weder beseitigt noch vor ihm gewarnt hat.
Der Verkehrsteilnehmer muss eine Straße grundsätzlich in dem Zustand hinnehmen, in dem er sie vorfindet (vgl. auch BGH, VersR 1979, 1055). Die dem Beklagten als Amtspflicht obliegende Verkehrssicherungspflicht umfasst nur die Pflicht, den Verkehr auf der Landesstraße möglichst gefahrlos zu gestalten, insbesondere Verkehrsteilnehmer vor unvermuteten, aus der Beschaffenheit der Straße sich ergebenden und bei zweckgerechter Benutzung des Verkehrsweges nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahrenstellen zu sichern (st. Rspr., siehe nur Senat, Urteil vom 13.02.2007, Az. 2 U 12/06, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 14). Inhalt der Verkehrssicherungspflicht kann dabei nur sein, was im Interesse des Verkehrs nach objektivem Maßstab billigerweise verlangt werden kann und zumutbar ist (so OLG Schleswig, VersR 1989, 627; OLG Hamm, OLGZ 1994, 301, 303). Eine völlige Gefahrlosigkeit ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen (so OLG Hamm, a. a. O.). Für das Gebiet des Landes Brandenburg bestehen insoweit keine Einschränkungen, da - wie allgemein bekannt - der Qualitätsstandard des Straßen- und Wegenetzes im Land Brandenburg seit längerem demjenigen in anderen Bundesländern in nichts mehr nachsteht, ja diesen sogar vielfach deutlich übertrifft (vgl. Senat, Urteil vom 13.02.2007, Az. 2 U 12/06, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 14).
Auch nach den vorstehenden Maßstäben war der Beklagte verpflichtet, den hier streitgegenständlichen Oberflächendefekt zu beseitigen oder die Verkehrsteilnehmer vor dem Defekt zu warnen. Die landgerichtliche Würdigung der Zeugenaussagen, wonach der Defekt bereits mehrere Wochen vor dem Unfall existierte, wird von keiner Partei angegriffen, sodass die dementsprechende Feststellung des Landgerichts zu Grunde zu legen ist. Es kann daher hier offen bleiben, ob auch dann, wenn der Defekt am 28. Juli 2005 noch nicht vorgelegen hätte, wie der Beklagte behauptet hat, eine Pflicht bestanden hätte, am Tag des Unfalls am 2. August 2005 vor dem Defekt zu warnen oder ihn zu beseitigen.
Unerheblich ist auch die Erörterung des Beklagten, dass es sich nicht um ein „Schlagloch“, sondern nur um einen „Oberflächendefekt“ gehandelt habe. Maßgeblich ist insoweit, ob der Zustand der Straße vorhersehbar geeignet war, die voraussichtlichen Straßennutzer zu schädigen. Der hier gegenständliche Oberflächenschaden war nach den durch die vorgelegten und in der Ermittlungsakte enthaltenen Lichtbilder belegten Ausmaßen geeignet, Radfahrer zu schädigen, weil das Loch mit 5 cm Tiefe, kraterförmiger Gestalt und einem Durchmesser von etwa 15 cm am Boden und etwa 30 bis 40 cm am oberen Rand geeignet war, das Rad eines Fahrrades zu blockieren. Darüber hinaus lag das Loch in einem Abstand von etwa 50 cm zum rechten Fahrbahnrand und damit in der typischen Fahrtlinie von Radfahrern. Da die ... Chaussee auch für den Verkehr von Radfahrern geöffnet war, hatte der Beklagte im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht auch diese im Rahmen der oben dargestellten Maßstäbe vor Schaden zu bewahren.
Auf einen Defekt der streitgegenständlichen Art musste sich der Verunglückte an der konkreten Stelle nicht von vornherein einstellen. Insbesondere ließ der allgemeine Zustand der Straße ein Loch von solcher Tiefe und Ausdehnung nicht erwarten. Soweit der Beklagte nun unter Bezugnahme auf die Aussagen der Zeugen behauptet, bei der ... Chaussee handele es sich allgemein um eine schlechte Straße, bei der stets und immer wieder Oberflächendefekte auftauchten, ist dieser Vortrag schon nicht ausreichend substantiiert, weil sich ihm nicht entnehmen lässt, welcher Art und Häufigkeit die Schäden sind, mit denen zu rechnen sein soll. Die vorliegenden Fotos lassen jedenfalls im Bereich von etwa 100 m vor und 20 m nach der Unfallstelle keine auch nur annähernd vergleichbaren Schäden erkennen.
b) Drittgerichtetheit
Die Amtspflicht oblag dem Beklagten auch gegenüber Radfahrern wie dem Verunglückten, weil sie zu den zu erwartenden Straßennutzern zählen. Unerheblich ist insoweit, dass sich der Verunglückte gemeinsam mit 14 weiteren Kollegen auf einer Zeitfahrt befand. Es kann hier dahinstehen, ob es sich bei der Fahrt um eine Veranstaltung im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 StVO handelte, die die Straße mehr als üblich in Anspruch nahm und deshalb erlaubnispflichtig war. Denn der Oberflächendefekt gefährdete den in Begleitung von weiteren Radfahrern fahrenden Verunglückten nicht anders als einen einzelnen Radfahrer. Der Umfang der dem Beklagten gegenüber den Radfahrern obliegenden Amtspflicht war daher nicht davon abhängig, ob der Verunglückte allein oder in einer Gruppe fuhr.
Kein Haftungsausschluss
Zu Recht hat das Landgericht einen Haftungsausschluss durch § 29 Abs. 2 StVO verneint. Auch wenn es sich bei der Fahrt um eine erlaubnispflichtige Veranstaltung im Sinne des § 29 Abs. 2 StVO gehandelt hätte und der Beklagte eine Erlaubnis nur unter der Auflage der Haftungsfreistellung erteilt hätte, hätte er damit nach dem eigenen Vortrag des Beklagten nicht die Verkehrssicherungspflicht übertragen, sondern nur einen Anspruch gegen den Veranstalter auf Freistellung von den Ansprüchen der Veranstaltungsteilnehmer begründet. Dass der Dienstherr des Verunglückten die Erlaubnis nicht beantragt hat und damit keine Verpflichtung zur Freistellung gegenüber dem Beklagten eingegangen ist, ist dem Verunglückten auch unter keinem Gesichtspunkt zuzurechnen.
Tatsachen, die eine Haftung des Beklagten nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit denkbar ist, dass der Verunglückte auch einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Dienstherrn hatte, stellte dies aufgrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit der öffentlichen Hand keine anderweitige Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB dar. Unter dem Gesichtspunkt der vermögensrechtlichen Einheit der öffentlichen Hand ist § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 14. November 2002, Az. III ZR 131/01, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 18 m. w. N.) dann allgemein unanwendbar, wenn sich - wie hier - ein aus dem gleichen Sachverhalt ergebender Ersatzanspruch gegen eine andere Stelle der öffentlichen Hand richtet. Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zu Grunde, dass eine Verweisungsmöglichkeit der aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung in Anspruch genommenen Körperschaft auf die aus anderen Gründen haftende Körperschaft keine Entlastung der öffentlichen Hand zur Folge haben würde und es auch nicht dem inneren Verhältnis der beiden beteiligten öffentlich-rechtlichen Körperschaften zueinander und zudem die Haftung auslösenden Ereignis entsprechen würde, wenn diejenige Körperschaft, die durch eine unerlaubte Handlung ihres Beamten die Haftung der anderen Körperschaft erst begründet habe, den Geschädigten an die andere Körperschaft sollte verweisen dürfen, die der Haftung ferner steht als die verweisende Körperschaft.
d) Ursächlichkeit der Amtspflichtverletzung
Die Amtspflichtverletzung in Form der mangelnden Reparatur des Oberflächendefekts war auch ursächlich für den Sturz des Ehemannes der Klägerin. Der Beklagte hat in erster Instanz den Vortrag der Klägerin nicht bestritten, dass ihr Ehemann das Loch durchfuhr und dadurch zu Fall kam. Er hat nur bestritten, dass das Loch bereits am 28. Juli 2005 vorhanden gewesen sei. Soweit der Beklagte nunmehr behauptet, der Ehemann der Klägerin habe auf einen Warnruf eines Kollegen hin eine unangemessene Vollbremsung ausgeführt und sei nur deshalb gestürzt, ist dieser Vortrag verspätet und deshalb gemäß § 531 Abs. 2 ZPO in zweiter Instanz nicht mehr zuzulassen. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Beklagte in erster Instanz ohne sein Verschulden nicht in der Lage gewesen wäre, diese Sachverhaltsdarstellung vorzutragen, denn er beruft sich insoweit pauschal auf den Inhalt der Ermittlungsakte. Das Ermittlungsverfahren war jedoch bereits vor der Klageerhebung im vorliegenden Verfahren mit seiner endgültigen Einstellung abgeschlossen.
Unerheblich ist die Behauptung des Beklagten, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er, der Beklagte, ein Warnschild aufgestellt hätte, weil sich der Verunglückte als Mitglied einer Radsportgruppe nicht von dem Schild hätte beeindrucken lassen. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre, trägt jedoch der Schädiger (vgl. Palandt-Grüneberg, 69. Auflage 2010, Vorb v § 249 Rdnr. 66), d. h. hier der Beklagte. Er hat keinen Beweis für seine Behauptung angetreten.
e) Möglichkeit eines immateriellen Schadens
Es ist auch denkbar, dass dem Verunglückten ein immaterieller Schaden in Form von Schmerzen entstanden ist, da er nach dem Sturz noch gelebt hat, sodass grundsätzlich ein - auch vererbbarer - Anspruch entstanden sein kann, sodass ein Grundurteil ergehen konnte.
f) Mitverschulden des Verunglückten
Zu Recht hat das Landgericht allerdings ein Mitverschulden des Verunglückten an dem Unfall im Sinne des § 254 BGB angenommen, das bei der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes zu berücksichtigen ist.
aa) Verstoß gegen das Sichtfahrgebot
Auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen hat der Verunglückte gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 Abs. 1 StVO verstoßen oder fuhr nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit. Zwar hat das Landgericht fehlerhaft ohne Beweisaufnahme die streitige Behauptung des Beklagten zu Grunde gelegt, die Sicht des Verunglückten sei dadurch behindert gewesen, dass er in einer Kolonne zu dicht hinter dem Vorausfahrenden fuhr. Die unstreitige Feststellung des Landgerichts im Tatbestand, die Fahrt sei in einer „mehr oder weniger engen Kolonne“ absolviert worden, lässt nicht ohne weiteres auf eine relevante Sichtbehinderung schließen. Im Ergebnis ist die Wertung des Landgerichts, der Verunglückte habe gegen das Sichtfahrgebot verstoßen, jedoch nicht zu beanstanden. Es kann dahinstehen, ob die Behauptung des Beklagten zutrifft oder ob der Verunglückte mit einem wohl ausreichenden Abstand von etwa 10 m zu dem Vorausfahrenden fuhr, wie die Klägerin behauptet. In beiden Fällen verstieß der Verunglückte entweder gegen das Sichtfahrgebot oder fuhr nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit. Aus den vorgelegten Fotografien lässt sich ersehen, dass der streitgegenständliche Oberflächendefekt aus einer zum Anhalten ausreichenden Entfernung von mehreren Metern deutlich als solcher erkennbar war. Zu dieser Einschätzung ist der Senat aufgrund eigener Lebenserfahrung und der vorgelegten Fotos in der Lage.
Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hinwies, dass ein Kraftfahrzeug, das vor dem Verunglückten in die Lücke zwischen diesem und dem vorausfahrenden Radfahrer eingeschert wäre, dessen Sicht auf den Oberflächendefekt behindert hätte, sodass der Verunglückte nicht mehr darauf habe reagieren können, ist dies unerheblich. Einerseits ist schon nicht ersichtlich, dass die Klägerin behaupten will, dass es ein solches Fahrzeug tatsächlich gegeben habe. Bisher hat die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nur vorgetragen, dass ihr Ehemann dem Oberflächenschaden nicht habe ausweichen können, weil links neben ihm ein Fahrzeug gefahren sei. Selbst wenn jedoch ein Fahrzeug vor dem Verunglückten in der Weise eingeschert wäre, dass es die Sicht des Verunglückten auf die Fahrbahn behinderte, so hatte der Verunglückte aus § 3 Abs. 1 StVO die Pflicht, einen solchen Abstand zu dem Fahrzeug zu halten, dass er bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit auch unvorhergesehene Schäden rechtzeitig erkennen und darauf reagieren konnte.
bb) kein Fahrradhelm
Zu Unrecht hat das Landgericht angenommen, dass dem Verunglückten auch insoweit ein Mitverschulden anzulasten sei, als er keinen Fahrradhelm getragen habe. Es kann dahinstehen, ob es bereits grundsätzlich ein schuldhaftes Verhalten darstellt, wenn ein Teilnehmer an einer Radfahrt zur Erlangung des Sportabzeichens, bei der eine bestimmte Strecke innerhalb einer vorgegebenen Zeit zurückgelegt werden muss, keinen Fahrradhelm trägt. Auch wenn dies der Fall wäre, wäre Voraussetzung für die Zurechnung eines Mitverschuldens, dass das schuldhafte Verhalten (mit-)ursächlich für die Entstehung des Schadens oder den Schadensumfang war. Dies hat die Klägerin bestritten und behauptet, dass der Verunglückte auch dann zu Tode gekommen oder jedenfalls schwer an der Wirbelsäule verletzt worden wäre, wenn der Verunglückte einen Helm getragen hätte. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass der Verunglückte schwere Gesichtsverletzungen erlitten hatte. Unstreitig stürzte der Verunglückte kopfüber auf die Straße, wobei er ausweislich des Arztbriefes (Anlage K1) multiple Frakturen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen sowie eine Mittelgesichtsfraktur erlitt, jedoch offenbar keine Frakturen etwa der Arme. Letzteres deutet darauf hin, dass er mit den Armen keine Schutzbewegung mehr ausgeführt hat. Dem Arztbrief ist weiter zu entnehmen, dass in der rechten Seite des Gesichts eine so schwerwiegende Weichteilschwellung eingetreten war, dass seine rechte Pupille nicht untersucht werden konnte. Außerdem hatte er erhebliche Blutungen aus dem Nasenrachenraum. Dies legt nahe, dass der Verunglückte auf die rechte Gesichtshälfte gestürzt war, die auch von einem üblichen Fahrradhelm nicht geschützt worden wäre. Schließlich ergibt sich aus den Fotos Bl. 53 und 54 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), Az. 283 Js 45513/05, dass der Verunglückte von dem Oberflächendefekt aus gemessen etwa 3 m durch die Luft flog, bevor er auf die Straße prallte. Dies zeigt, dass der Aufprall mit erheblicher Bewegungsenergie erfolgte. Dass ein üblicher Fahrradhelm bei einem so schwerwiegenden Sturz die eingetretenen Folgen verhindert hätte, ist damit nicht offensichtlich.
Unter diesen Umständen erscheint die schlichte Behauptung des für ein Mitverschulden des Verunglückten darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, der Schaden wäre nicht eingetreten, wenn der Verunglückte einen Fahrradhelm getragen hätte, als Behauptung „ins Blaue“ und deshalb unbeachtlich.
cc) Keine Anordnung, einen Fahrradhelm zu tragen
Da schon nicht ausreichend dargelegt ist, dass es mitursächlich für den Schaden war, dass der Verunglückte keinen Fahrradhelm trug, lässt es sich dem Verunglückten auch nicht als Mitverschulden zurechnen, dass sein Dienstherr nicht angeordnet hatte, dass ein solcher Helm zu tragen sei.
dd) Umfang des Mitverschuldens
Bei einer Betrachtung sämtlicher relevanter Umstände wiegt das Mitverschulden des Verunglückten so schwer, dass der von dem Landgericht angesetzte Mitverschuldensanteil in Höhe von 2/3 zu Lasten des Verunglückten angemessen erscheint. Zwar handelte es sich um einen erheblichen Oberflächendefekt, dessen Gefährlichkeit für Radfahrer auch für die Bediensteten des Beklagten erkennbar war. Jedoch hätte der Verunglückte den Unfall vermeiden können, wenn er dem Sichtfahrgebot entsprochen hätte und nur so schnell, mit solchem Abstand zu den Vorausfahrenden und solcher Aufmerksamkeit gefahren wäre, dass er noch vor dem auch für ihn sichtbaren Oberflächendefekt hätte anhalten oder ihm hätte ausweichen können.
2) Eigener Anspruch der Klägerin auf Ersatz immateriellen Schadens
Zu Unrecht hat das Landgericht auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen der Klägerin dem Grunde nach einen eigenen Anspruch auf Ersatz des ihr selbst entstandenen immateriellen Schadens aus § 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG zugesprochen.
Zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass die in Form der Verkehrssicherungspflicht bestehende Amtspflicht des Beklagten auch gegenüber der Klägerin als naher Angehörigen des Verunglückten bestand. Eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Klägerin als nur mittelbar Betroffener ist dennoch nur begründet, soweit nach der Rechtsprechung die Ersatzfähigkeit mittelbarer Schäden anerkannt ist. So genannte Schockschäden sind nach der Rechtsprechung nur ersatzfähig, wenn die Gesundheitsbeschädigung des nahen Angehörigen nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Beeinträchtigte in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden (vgl. Palandt-Grüneberg, 69. Auflage 2010, Vorb v § 249 Rdnr. 40). Hierzu hat die Klägerin behauptet, dass sie aufgrund der Todesnachricht eine chronische Depression entwickelt habe. Dies hat der Beklagte in erster Instanz bestritten. Das Landgericht hat hierzu keine Beweisaufnahme durchgeführt und in dem Urteil auch nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin an einer chronischen Depression leide. Da somit keine tragfähigen Feststellungen zu einer durch den Unfall hervorgerufenen Gesundheitsbeschädigung der Klägerin getroffen worden sind, war das Urteil insoweit auf den Antrag des Beklagten gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
3) abgetretener Anspruch des Sohnes auf Schmerzensgeld
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen abgetretenen Anspruch auf Ersatz des dem Sohn der Familie, Herrn M... W..., entstandenen immateriellen Schadens aus § 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG, § 398 BGB.
Auch der immaterielle Schaden des Sohnes der Klägerin ist nur ersatzfähig, wenn die Gesundheitsbeschädigung nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Beeinträchtigte in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden. Dies hat die Klägerin schon nicht dargelegt. Sie hat hierzu vorgetragen, dass ihr Sohn wegen einer akuten reaktiven Depression nach dem Tod seines Vaters bis zum 19.08.2005 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und hat behauptet, dass zwischen Vater und Sohn ein „sehr freundschaftliches Verhältnis“ bestanden habe. Eine akute Depression, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von etwas mehr als zwei Wochen führt, übersteigt nach der Erfahrung des Senats das Maß der Beeinträchtigung, die nahe Angehörige in derartigen Fällen erfahrungsgemäß erleiden, jedenfalls noch nicht deutlich.
Damit bestand kein abtretbarer Anspruch des Sohnes der Familie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Insoweit war auf die Berufung des Beklagten das Urteil abzuändern, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
B. Klageantrag zu 1b)
Mit dem Klageantrag zu 1b) macht die Klägerin einen eigenen materiellen Schaden in Form entgangenen Unterhalts für den Zeitraum 1. September 2005 bis 31. Dezember 2007, d. h. 28 Monate à 700,00 Euro, insgesamt 19.600,00 Euro, geltend. Die von der Klägerin in der Klageschrift darüber hinaus dargelegten Ausgaben für Kreditraten etc., hat sie zur Begründung des Anspruchs nicht herangezogen, sodass sie für die Entscheidung unerheblich sind.
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Ersatz dieses Schadens ergibt sich dem Grunde nach aus § 844 Abs. 2 Satz 1 BGB i. V. m. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG. Auch dieser Anspruch ist jedoch gemäß § 254 Abs. 1 BGB bereits dem Grunde nach aus den oben unter A.1) genannten Gründen um den Mitverschuldensanteil des Verunglückten von 2/3 gemindert, sodass das Urteil des Landgerichts insoweit zutreffend und die Berufungen der Klägerin und des Beklagten zurückzuweisen waren.
C. Klageantrag zu 2.
Dem Wortlaut nach umfasst der Tenor des erstinstanzlichen Urteils zu 3. dem Klageantrag 2. entsprechend nur solche materiellen und immateriellen Schäden, die der Klägerin selbst entstehen werden.
Die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger Schäden setzt voraus, dass die Entstehung solcher Schäden zu erwarten ist und diese heute nicht beziffert werden können. Dies trifft auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nur auf materielle Schäden der Klägerin zu.
1) Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden aus § 253 Abs. 2 BGB
Ersatzfähige immaterielle Schäden können nach dem Vortrag der Klägerin allenfalls im Zusammenhang mit der behaupteten und nicht bewiesenen chronischen Depression entstehen. Da die Ersatzpflicht für bisher erlittene eigene immaterielle Schäden der Klägerin derzeit nicht festgestellt werden kann, lässt sich auch eine zukünftige Ersatzpflicht für immaterielle Schäden nicht feststellen. Insoweit waren das Urteil und das zu Grunde liegende Verfahren daher auf den Antrag des Beklagten aufzuheben und die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.
2) Anspruch auf Ersatz materieller Schäden
Die Klägerin hat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen gegen den Beklagten jedenfalls einen Anspruch aus § 844 Abs. 2 Satz 1 BGB auf Ersatz des ihr in Zukunft noch entgehenden Unterhalts, wobei dieser sich heute noch nicht beziffern lässt. Auch wenn er auf eine fiktive Lebensdauer des Verunglückten zu berechnen wäre, ist nicht sicher vorherzusehen, wie hoch im Verlauf der Jahre die Hinterbliebenenrente sein wird, die die Klägerin vom Dienstherrn des Verunglückten bezieht, und wie sich die Besoldung entwickelt, die ihm zugestanden hätte. Der Anspruch umfasst auch die von der Klägerin geltend gemachte Pflegeleistung ihres Ehemannes (vgl. Palandt-Sprau, 69. Auflage 2010, § 845 Rdnr. 2).
Zutreffend hat das Landgericht den Anspruch auf Ersatz zukünftiger materieller Schäden aufgrund des Mitverschuldens des Verunglückten nur in Höhe des Anteils von 1/3 zuerkannt.
Insoweit waren daher die Berufungen der Klägerin und des Beklagten zu diesem Teil des mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachten Anspruchs zurückzuweisen.
III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung war diese der Schlussentscheidung vorzubehalten.
IV.
Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf 34.600,00 Euro , da durch die wechselseitigen Berufungen der gesamte Klageanspruch Gegenstand der Berufungsinstanz war.