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VGH Kassel Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 - Genehmigung einer Radfahrerdemo auf der Autobahn
VGH Kassel v. 31.07.2008: Zur Genehmigung einer Radfahrerdemo auf der Autobahn
Der VGH Kassel (Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08) hat entschieden:
- Die Bestimmung in § 1 Abs. 3 FStrG, wonach Bundesautobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind, schließt eine Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke nicht von vornherein aus.
- Die Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Auflagen ein Autobahnabschnitt für eine Versammlung frei gegeben wird, trifft die Versammlungsbehörde nach § 15 VersammlG nach Beteiligung der ansonsten für die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis bzw. einer Erlaubnis nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StVO zuständigen Behörden.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist Veranstalter einer Fahrraddemonstration mit der Bezeichnung "Tour de Natur", die in mehreren Etappen von Gießen nach Magdeburg führen soll. Mit der Veranstaltung soll für eine umwelt- und sozialverträgliche Verkehrspolitik, die u.a. auf Verkehrsvermeidung und auf den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs ausgerichtet ist, demonstriert werden.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2008 meldete der Antragsteller die Veranstaltung bezüglich der Etappen von Gießen nach Treysa und von Borken nach Mühlhausen bei dem Regierungspräsidium Gießen an. Für die fünfte Etappe von Kassel nach Eschwege war für Samstag, den 2. August 2008, gegen 14.30 Uhr die Auffahrt auf die Bundesautobahn A 44 bei der Anschlussstelle Hessisch Lichtenau Mitte und das Befahren des bis zur Anschlussstelle Hessisch Lichtenau Ost ausgebauten Streckenabschnitts der Autobahn mit einer etwa 100 bis 150 Personen umfassenden Fahrradkolonne vorgesehen.
Im Rahmen des nach Eingang der Anmeldung zwischen dem Antragsteller und der Behörde geführten Schriftwechsels, in dem der Antragsteller auf Bedenken gegen die Nutzung des genannten Abschnitts der A 44 aufmerksam gemacht wurde, wies der Antragsteller darauf hin, dass an der Absicht, das Autobahnteilstück mit Fahrrädern zu befahren, festgehalten werde, weil hierdurch gezeigt werden solle, welche Eingriffe durch den Autobahnausbau nötig seien.
Das Regierungspräsidium Gießen ordnete mit Bescheid vom 23. Juli 2008 einen Streckenverlauf ohne die von dem Antragsteller gewünschte Nutzung des Autobahnabschnitts an. Zur Begründung für die Untersagung des Befahrens des Autobahnabschnitts führte die Behörde in der Begründung ihres Bescheides aus, auf Grund der von ihr eingeholten Stellungnahme des Hessischen Landesamts für Straßen- und Verkehrswesen könne die mit dem Befahren der A 44 mit Fahrrädern verbundene Sondernutzung nicht zugelassen werden. Das Betreten der Autobahn sei gemäß § 18 Abs. 9 StVO verboten. Eine Zuwiderhandlung wäre mit einer massiven Gefährdung sowohl für die Teilnehmer der Veranstaltung als auch für die anderen Verkehrsteilnehmer verbunden. Es sei eine Vollsperrung des Autobahnabschnitts - wegen zu erwartender spontaner Aktionen von Demonstrationsteilnehmern überdies eine Sperrung beider Fahrtrichtungen - für mindestens eine Stunde notwendig. Die durch die Sperrmaßnahme bewirkte Beeinträchtigung einer erheblichen Anzahl von Fahrzeugen stehe in keinem Verhältnis zur Zahl der Demonstrationsteilnehmer. Es sei überdies zu berücksichtigen, dass während der gesamten Dauer der Sperrung ständig Kraftfahrzeuge auf die kontinuierlich zurückweichenden Stauenden auflaufen würden und dort innerhalb kürzester Zeit aus hoher Geschwindigkeit bis zum Fahrzeugstillstand abgebremst werden müssten. Dies sei in hohem Maße unfallträchtig und mit einer Gefährdung für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer verbunden.
Am 28. Juli 2008 erhob der Antragsteller gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 23. Juli 2008 Klage und suchte hinsichtlich des Verbots der Nutzung der A 44 für die Fahrraddemonstration um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Die Vorinstanz lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 31. Juli 2008 ab. Hiergegen richtet sich die am gleichen Tag eingelegte Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrages, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 23. Juli 2008 insoweit wiederherzustellen, als hiermit die Nutzung der Bundesautobahn A 44 zwischen den Anschlussstellen Hessisch Lichtenau Mitte und Hessisch Lichtenau Ost untersagt worden ist, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel in der Beschwerdeschrift vom 31. Juli 2008 ausreichend begründet worden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 VwGO).
Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hätte dem Antragsteller den von ihm beantragten einstweiligen Rechtsschutz gewähren müssen. Das von dem Regierungspräsidium Gießen in der genannten Verfügung ausgesprochene Verbot, die A 44 zwischen den beiden oben genannten Anschlussstellen im Rahmen der Veranstaltung "Tour de Natur" mit Fahrrädern zu befahren, erweist sich schon bei der summarischen Überprüfung im vorliegenden Eilverfahren als offensichtlich rechtswidrig. Im Hinblick hierauf ist dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu entsprechen, denn an Durchsetzung rechtswidriger Verwaltungsakte besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse.
Die von der Vorinstanz geteilte Ansicht des Regierungspräsidiums Gießen, die Untersagung des Befahrens der A 44 im Bereich der Anschlussstellen Hessisch Lichtenau Mitte und Hessisch Lichtenau Ost sei durch § 15 Abs. 1 VersammlG gerechtfertigt, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Nach der vorgenannten Bestimmung kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts mit der von dem Antragsteller beabsichtigten kurzzeitigen Nutzung des oben genannten Streckenabschnitts der A 44 für eine Fahrraddemonstration nicht verbunden.
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit in § 15 Abs. 1 VersammlG umfasst entsprechend dem allgemeinen polizeirechtlichen Verständnis die Unversehrtheit der (gesamten) Rechtsordnung und damit - was die hier in Frage stehenden Auswirkungen des geplanten Streckenverlaufs auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem besagten Autobahnabschnitt und die mit dem Befahren der A 44 mit Fahrrädern einhergehenden Behinderungen anderer Straßenteilnehmer anbelangt - (auch) den Verstoß gegen straßen- und straßenverkehrsrechtliche Regelungen und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern und Grundrechten Dritter (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 - BVerwG 7 C 50.88 -, BVerwGE 82, 34 [40]).
Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist zunächst nicht darin begründet, dass mit dem Befahren der Autobahn mit Fahrrädern gegen ein zwingendes straßen- oder straßenverkehrsrechtliches Verbot zur Nutzung der Bundesautobahnen mit diesem Verkehrsmittel verstoßen würde. Es existieren keine straßen- oder straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, aus denen sich herleiten ließe, dass Bundesautobahnen mit Rücksicht auf ihre Zweckbestimmung ausschließlich für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 FStrG) und den sich durch diesen Gebrauch bei anderer Nutzung ergebenden besonderen Gefährdungen für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs für Versammlungen nicht zur Verfügung stehen und deshalb "demonstrationsfrei" sind. Die gegenteilige Auffassung, Bundesautobahnen seien schon wegen ihres besonderen straßenrechtlichen Status in § 1 Abs. 3 FStrG einer Nutzung für Versammlungszwecke nicht zugänglich (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 18. Mai 1994 - 13 L 1978/92 -, Juris, mit weiteres Nachweisen), weist den Bundesautobahnen in ihrer Eigenschaft als öffentliche Straßen eine ihnen tatsächlich nicht zukommende rechtliche Sonderstellung zu.
Die Bestimmung des § 1 Abs. 3 FStrG, wonach Bundesautobahnen Bundesfernstraßen sind, die nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind, beinhaltet keine Sonderregelung, durch die Autobahnen wegen ihrer besonderen Verkehrsbedeutung ausnahmslos jeglicher Nutzung zu einer nicht dem Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen zuzuordnenden Verwendung entzogen würden. Durch § 1 Abs. 3 FStrG wird vielmehr lediglich der Widmungszweck der Bundesautobahnen unter Festlegung des spezifischen Gemeingebrauchs an diesen Straßen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 FStrG) gesetzlich bestimmt. Damit regelt die Vorschrift nur, dass jegliche mit dieser Widmung nicht vereinbare Nutzung nicht mehr zum Gemeingebrauch gehört. Hieraus folgt, dass Autobahnen Fußgängern und anderen Verkehrsmitteln als Kraftfahrzeugen im Rahmen des Gemeingebrauchs nicht zur Verfügung stehen. Straßenverkehrsrechtlich ist durch § 18 Abs. 1 und Abs. 9 StVO bestimmt, dass Autobahnen durch keine anderen Fahrzeuge als Kraftfahrzeuge befahren und von Fußgängern nicht betreten werden dürfen. Ebenso wenig dienen Autobahnen, anders als innerörtliche Straßen, der Kommunikation und der Verbreitung von Informationen (vgl. Niedersächsisches OVG, a.a.O.). Anders als von der oben zitierten Gegenmeinung angenommen, werden durch die spezifische Widmung der Autobahnen und durch die hiermit verbundene Einschränkung des Gemeingebrauchs abweichende Nutzungen aber nicht etwa ausnahmslos ausgeschlossen. Vielmehr werden diese Verwendungen lediglich den Sondernutzungen zugewiesen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 FStrG). Sondernutzungen an Bundesfernstraßen bedürfen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 FStrG der Erlaubnis der Straßenbaubehörde, in Ortsdurchfahrten der Erlaubnis der Gemeinde. Sonderreglungen für Autobahnen, durch die die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ausgeschlossen oder von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht würde, enthält das Bundesfernstraßengesetz nicht. Damit kann auch das Befahren der Autobahn mit Fahrrädern als Sondernutzung zugelassen werden (vgl. Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl., Rdnr. 4 zu § 8 FStrG). Straßenverkehrsrechtlich ergibt sich die Möglichkeit einer Ausnahme von dem Befahrens- bzw. Betretensverbot des § 18 Abs. 1 und Abs. 9 StVO durch § 29 Abs. 2 Satz 1 StVO, wonach Veranstaltungen, für die Straßen über den Gemeingebrauch hinausgehend mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, der Erlaubnis der Straßenverkehrsbehörde bedürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1965 - BVerwG VII C 173.64 -, BVerwGE 22, 212 [215], Urteil vom 21. April 1989, a.a.O, Seiten 36, 37). Neben dieser Erlaubnis ist eine Sondernutzungserlaubnis nach § 8 Abs. 1 FStrG nicht erforderlich (§ 8 Abs. 6 FStrG). Sind damit Autobahnen, anders als im Privateigentum stehende Grundstücke oder etwa öffentliche Sachen im Sondergebrauch, an denen kein Gemeingebrauch besteht und die folglich erst durch Zustimmung oder Erlaubnis des Berechtigten für andere Zwecke frei gemacht werden müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - BVerwG 7 C 34.91 -, BVerwGE 91, 135, bezüglich der im Eigentum der Universität Bonn stehenden Hofgartenwiese), auch anderen Nutzungen außerhalb des Widmungszwecks nach § 1 Abs. 3 FStrG zugänglich, stehen sie schon nach den einfachgesetzlichen Bestimmungen des Bundesfernstraßengesetzes neben Veranstaltungen etwa gewerblicher Art dem Grundsatz nach auch für die Durchführung von Versammlungen zur Verfügung (im Ergebnis ebenso OVG Magdeburg, Beschluss vom 27. Juli 1993 - 2 M 24/93 -, Jurisdokument, Rdnr. 8;Verwaltungsgericht Schleswig, Urteil vom 19. Februar 2008 - 3 A 235/07 -, Jurisdokument, Rdnr. 33). Es bedarf deshalb keiner weiteren Überlegungen, ob eine vollständige Sperrung von Autobahnen für Versammlungen durch Bestimmungen des Straßen- oder Straßenverkehrsrechts mit der Grundrechtsgarantie des Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar wäre.
Die Entscheidung darüber, ob und ggf. unter welchen näheren Bedingungen eine Autobahn für eine Versammlung benutzt werden darf, trifft (allein) die Versammlungsbehörde (im vorliegenden Fall das - ersichtlich im Wege des Selbsteintritts nach § 88 Abs. 1 Satz 1 HSOG als Bezirksordnungsbehörde tätig gewordene - Regierungspräsidium Gießen) im Rahmen des § 15 VersammlG. Die vorgenannte Bestimmung konzentriert die Zuständigkeit über alle die Durchführung der Versammlung betreffenden Entscheidungen auf die Versammlungsbehörde, so dass Erlaubnisvorschriften in anderen Gesetzen, insbesondere also auch § 29 Abs. 2 StVO, keine Anwendung finden (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a.a.O., Seiten 39, 40). Die Versammlungsbehörde hat bei ihrer Ermessensentscheidung die durch die vorgesehene Versammlung berührten unterschiedlichen Rechtsgüter und Interessen durch Abwägung des auf Seiten des Veranstalters zu beachtenden Grundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG mit gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen (hier das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs und die privaten Belange der durch notwendige Eingriffe in den Straßenverkehr zum reibungslosen und sicheren Verlauf der Versammlung betroffenen Verkehrsteilnehmer) unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Die Versammlungsbehörde hat bei zu erwartenden Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs grundsätzlich die ansonsten für die Erteilung der Erlaubnis nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StVO und für die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zuständigen Behörden zu beteiligen und Bedenken dieser Behörden gegen die Durchführung der Versammlung zu berücksichtigen und etwaige von diesen Behörden genannte Auflagen in ihre eigene Entscheidung einfließen zu lassen. Von der Versammlungsbehörde ist ferner zu beachten, dass dem Veranstalter durch Art. 8 Abs. 1 GG die grundsätzliche Befugnis eingeräumt ist, über Ort, Zeitpunkt, Dauer und Art der Veranstaltung selbst zu entscheiden (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2006 - 1 BvQ 4/06 -, NVwZ 2006, 586). Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt allerdings nicht uneingeschränkt, sondern hat u.U. hinter kollidierende Rechte Dritter und gewichtige öffentliche Sicherheitsbelange zurückzutreten. Der von dem Veranstalter gewünschten Durchführung der Versammlung können nicht durch Auflagen behebbare Hinderungsgründe entgegenstehen, die sich etwa aus der Größe der Versammlung, aus fehlenden Ausweichmöglichkeiten bei starker Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Dritter oder aus dem gewählten Zeitpunkt und/oder der gewünschten Dauer der Veranstaltung ergeben können. Die Versammlungsbehörde darf dabei auch den Widmungszweck der für die Veranstaltung vorgesehenen öffentlichen Straße oder Fläche in Rechnung stellen. Während bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, Einschränkungen oder gar ein Verbot aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen, darf den Verkehrsinteressen bei öffentlichen Straßen, die allein dem Straßenverkehr gewidmet sind, größere Bedeutung beigemessen werden, sodass das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der (ungehinderten) Nutzung der Straße gegebenenfalls zurückzutreten hat (vgl. zum Vorstehenden: Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl., 2005, Rdnr. 189 zu § 15 VersammlG; Depenheuer in Maunz-Dürig, Grundgesetz, 48. Lieferung, 2006, Rdnr. 162 zu Art. 8 GG).
Besonderes Gewicht gewinnen die Verkehrsbelange bei der hier in Frage stehenden Nutzung einer Autobahn zu Versammlungszwecken. Die Verkehrsbehörde hat in diesem Fall die besondere Bedeutung der Autobahnen für den Fernverkehr, die regelmäßig hohe Verkehrsdichte auf den Autobahnen und die auf nicht geschwindigkeitsbeschränkten Strecken möglichen hohen Geschwindigkeiten der Kraftfahrzeuge zu berücksichtigen. Hieraus ergeben sich auch bei einkalkulierten und geplanten Sperrungen und Behinderungen besondere Gefährdungspotentiale, denen ggf. mit hohem Aufwand an Begleitung und Absicherung begegnet werden muss. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es auch bei kurzzeitigen Verkehrsunterbrechungen zu zähfließendem Verkehr und zu längeren Staus kommen kann. Im Hinblick hierauf werden bestimmte Verkehrsknotenpunkte wie Autobahnkreuze in der Regel nicht für Versammlungen zur Verfügung gestellt werden können. Ferner wird es regelmäßig nicht zu beanstanden sein, dass vielbefahrene Strecken zu bestimmten Zeiten mit besonders hoher Verkehrsdichte (Ferienbeginn und Ferienende) für die Nutzung zu Versammlungszwecken nicht frei gegeben werden.
Darüber hinaus kann ein Autobahnabschnitt grundsätzlich nur dann für eine Versammlung Verwendung finden, wenn eine direkte Verbindung zwischen dieser Nutzung und dem mit der Veranstaltung verfolgten Ziel, d.h. dem Veranstaltungsmotto, besteht (z.B. Protest gegen den Bau oder Ausbau der Autobahn oder gegen die von der Autobahn ausgehenden Belastungen). Anderenfalls fehlt für die mit der Einschränkung des Autobahnverkehrs verbundenen Gefährdungen und Behinderungen die Legitimation durch die Ausübung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG. Der Veranstalter darf nicht ohne Grund eine Form der Versammlung wählen, durch die die öffentliche Sicherheit und schutzwürdige Rechte anderer in besonders erheblicher Weise betroffen werden. Insbesondere darf es ihm nicht allein daran gelegen sein, durch spektakuläres Auftreten besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Das Recht des Veranstalters, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung selbst zu bestimmen, umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, BVerfGE 104, 92).
Andererseits hat die Versammlungsbehörde zu berücksichtigen, dass mit jedweder auch nur kurzfristigen Inanspruchnahme der Autobahn für eine Versammlung notwendigerweise umfangreichere Sicherungsmaßnahmen und nicht unerhebliche Verkehrsbehinderungen verbunden sind. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Verkehrsbehinderungen und Staubildungen auf Autobahnen zu den üblichen, mit polizeilichen und straßenverkehrsrechtlichen Mitteln grundsätzlich zu beherrschenden Erscheinungen gehören. Anders als bei diesen im Regelfall nicht oder nicht exakt vorhersehbaren Verkehrsstörungen kann durch Versammlungen eintretenden Behinderungen überdies im Rahmen eines Sicherheitskonzepts vorausschauend durch Umleitungen, frühzeitige Warnhinweise, Meldungen im Verkehrsfunk und andere geeignete Maßnahmen begegnet werden (vgl. OVG Magdeburg, a.a.O.). Die Behörde kann deshalb die Nutzung der Autobahn durch die Versammlung grundsätzlich nicht allein unter Hinweis auf diese zwangsläufig eintretenden Folgen untersagen, weil anderenfalls über § 15 Abs. 1 VersammlG letztlich ein absolutes Verbot der Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke statuiert würde, für das aus den oben dargelegten Gründen eine rechtliche Grundlage fehlt.
Ob unter Abwägung der aufgezeigten und weiterer im Einzelfall bedeutsamer Umstände die Nutzung der Autobahn für die Versammlung - ggf. unter Auflagen - zugelassen werden kann oder untersagt wird, ist von der Versammlungsbehörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu entscheiden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich das von dem Regierungspräsidium Gießen mit Verfügung vom 23. Juli 2008 ausgesprochene Verbot, im Rahmen der Veranstaltung "Tour de Natur" den Abschnitt der A 44 zwischen den Anschlussstellen Hessisch Lichtenau Mitte und Hessisch Lichtenau Ost mit Fahrrädern zu befahren, als ermessensfehlerhaft. Zureichende Gründe für die Untersagung der Mitbenutzung dieses Autobahnabschnitts durch den Fahrradkorso entsprechend der vom Veranstalter bei seiner Anmeldung der Versammlung angegebenen Streckenführung sind nach den im vorliegenden Eilverfahren erkennbar gewordenen Umständen nicht ersichtlich.
Der Hinweis der Behörde auf die Notwendigkeit einer Sperrung beider Fahrspuren der A 44 für die Dauer von einer Stunde genügt als Rechtfertigung für das Verbot des Befahrens des erwähnten Streckenabschnitts mit Fahrrädern ebenso wenig wie die von dem Regierungspräsidium geäußerte Befürchtung, dass während der Dauer der Sperrung Fahrzeuge auf das Stauende auffahren und durch das Abbremsen der Fahrzeuge eine hohe Unfallgefahr besteht. Diese Auswirkungen gehören zu den unumgänglichen Folgen der bei der Nutzung der Autobahn zu Versammlungszwecken erforderlichen Sperrungen und Einschränkungen und reichen aus den oben dargelegten Gründen allein nicht aus, um eine Untersagung des Befahrens der Autobahn im Rahmen der Veranstaltung zu begründen.
Dass mit der vorgesehenen kurzfristigen Nutzung der Autobahn zwischen den Anschlussstellen Hessisch Lichtenau Mitte und Hessisch Lichtenau Ost besondere autobahntypische Gefährdungen verbunden wären, denen auch nach Ausschöpfung des möglichen Potentials an Ausweich- und Sicherungsmitteln und durch geeignete Auflagen an den Veranstalter nicht begegnet werden könnte, ist nicht erkennbar. Das Regierungspräsidium Gießen und die Vorinstanz haben in diesem Zusammenhang zu Unrecht den von dem Antragsteller besonders hervorgehobenen Umstand unbeachtet gelassen, dass es sich bei dem erwähnten Abschnitt der A 44 nicht um die Teilstrecke einer vollständig ausgebauten Autobahn handelt, sondern um das einzige bisher zum Verkehr freigegebene kurze Teilstück der im Übrigen noch im Bau- und Planungsstadium befindlichen A 44. Diesem Teilstück kommt - wie der Antragsteller zu Recht betont - nicht die Verkehrsbedeutung zu, die Autobahnen als durchgehenden Schnellverbindungen ansonsten beizumessen ist. Dem von der Vorinstanz in ihrer Entscheidung ergänzend angeführten Umstand, dass die Veranstaltung auf das Wochenende falle, an dem wegen des Ferienendes mit besonders starkem Rückreiseverkehr zu rechnen sei, kommt im Hinblick hierauf keine maßgebliche Bedeutung zu. Versammlungsbehörde und Verwaltungsgericht haben zudem den Einwand des Antragstellers nicht entkräftet, dass erhöhte Unfallgefahren bei der Auffahrt auf das Autobahnteilstück deshalb nicht zu erwarten seien, weil die Zufahrt über die Bundesstraße über eine kurvige und mit Steigungen versehene Strecke führe, auf der nur mit mäßiger Geschwindigkeit gefahren werden könne. Zugleich hat der Antragsgegner - ohne dass dies in der Behördenentscheidung und in dem Beschluss der Vorinstanz seinen Niederschlag gefunden hätte - dargelegt, dass bei kurzfristiger Sperrung des Teilstücks der A 44 der Verkehr wie zuvor unproblematisch über die vorhandene Ortsdurchfahrt Walburg umgeleitet werden könnte.
Die Untersagung der Autobahnnutzung für die Veranstaltung "Tour de Natur" rechtfertigt sich ferner nicht aus der von der Behörde angestellten Erwägung, dass es sich um eine Gruppe von nur 100 bis 150 Versammlungsteilnehmer handele, denen mit Rücksicht auf die Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer ohne "Gefährdung für das von dem Veranstalter vorgesehene Demonstrationsziel" das Ausweichen auf eine Route außerhalb der Autobahn zugemutet werden könne. Bei der angekündigten Zahl von 100 bis 150 Teilnehmern handelt es sich nicht um eine solch kleine Teilnehmergruppe, dass allein mit Blick hierauf Einschränkungen des geplanten Veranstaltungsverlaufs oder gar ein Verbot der beabsichtigten Auffahrt auf die A 44 gerechtfertigt wären. Bei ihrer Annahme, dass durch die Untersagung das "Demonstrationsziel" des Antragsgegners nicht gefährdet würde, übersieht die Behörde, dass es dem Antragsteller bei seinem Wunsch, die A 44 mit in die "Tour de Natur" einzubeziehen, gerade darum geht, "auf die Eingriffe in Natur und Landschaft durch den bereits vollzogenen Bau und die weitere Ausbauplanung" der A 44 aufmerksam zu machen. Diese von dem Veranstalter verfolgte Absicht wird durch das Verbot zum Befahren der Autobahn zumindest deutlich erschwert. Anders als von dem Verwaltungsgericht angenommen, kann der Antragsteller auch nicht darauf verwiesen werden, dass die Teilnehmer der Veranstaltung auf Grund der durch die Versammlungsbehörde geänderten Streckenführung in unmittelbaren Kontakt zu den Bewohnern von Hessisch Lichtenau - Walburg kommen und das mit der Veranstaltung verfolgte Motto direkt vortragen können. Es ist allein Sache des Veranstalters, im Rahmen des ihm zustehenden Selbstbestimmungsrechts darüber zu befinden, in welcher Weise er das mit der Veranstaltung verfolgte Ziel verwirklichen möchte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat orientiert sich hierbei an der von den Beteiligten nicht angefochtenen Streitwertfestsetzung durch die Vorinstanz.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).