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OLG Karlsruhe Urteil vom 06.09.2007 - 12 U 107/07 - Zum Risikoausschluss in der Kfz-Versicherung bei Motorsportveranstaltungen
OLG Karlsruhe v. 06.09.2007: Zum Risikoausschluss in der Kfz-Versicherung bei Motorsportveranstaltungen
Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 06.09.2007 - 12 U 107/07) hat entschieden:
Der Ausschluss in § 2b Abs. 3 AKB betrifft nur Fahrten im Rahmen einer Veranstaltung, deren Charakter dadurch geprägt wird, dass eine möglichst hohe Geschwindigkeit erreicht wird und danach eine Platzierung der Teilnehmer erfolgt.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Fahrzeugversicherung auf Zahlung und Deckungsschutz in Anspruch.
Der Kläger hat bei der Beklagten für seinen 1988 erstmals zugelassenen Audi 90 (amtl. Kennzeichen: ....) auf der Grundlage der - erst im Berufungsrechtszug vorgelegten - AKB der Beklagten eine Haftpflicht- und Teilkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von € 150 abgeschlossen.
Der Kläger fuhr mit dem versicherten Fahrzeug am 20.04.2006 im Rahmen einer „Touristenfahrt“ auf dem Hockenheimring auf das vor ihm abbremsende Fahrzeug des Adam J auf, das dabei erheblich beschädigt wurde. Dessen gegen den Kläger und die Beklagte angestrengte, auf den wirtschaftlichen Totalschaden von € 20.000 beschränkte Klage wurde vom Landgericht Mannheim (11 O 295/06) durch Urteil vom 07.03.2007 mit der Begründung abgewiesen, Schadensersatzansprüche seien wegen eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses ausgeschlossen. Gegen dieses Urteil hat J Berufung eingelegt, die beim 10. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe anhängig ist (Az. 10 U 40/07). Am eigenen Fahrzeug des Klägers war unstreitig ein Schaden von € 812,90 netto entstanden, den der Kläger vorliegend geltend macht. Er begehrt weiter die Feststellung, dass die Beklagte in der Haftpflichtversicherung Versicherungsschutz zu gewähren habe.
Der Touristenfahrt lagen die „Bedingungen Touristenfahrten“ der Hockenheim-Ring GmbH zugrunde (Anlage K1, I 31). Nach Ziffer 3 der Bedingungen gilt die StVO. Ziffer 9 verbietet Test-, Trainings- und Wettfahrten. Die Beklagte hält die Touristenfahrt für eine Rennveranstaltung und beruft sich auf den Risikoausschluss nach § 2c a) ihrer AKB, welcher sinngemäß § 2b Abs. 3 AKB entspricht. Klageantrag 2 hält sie zudem wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis für unzulässig, da die Frage ihrer Einstandspflicht im Haftpflichtprozess zwangsläufig geklärt werde.
Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 14.05.2007, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Zwar bestehe keine Verpflichtung des Klägers, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Parallelverfahrens zuzuwarten, so dass die Klage insgesamt zulässig sei. Es bestehe jedoch wegen § 2b Abs. 3b AKB kein Versicherungsschutz, da es sich bei der Fahrt vom 20.04.2006 um ein Rennen gehandelt habe. Der Risikoausschluss gelte nicht nur für Rennen im sportlichen Sinne, sondern für Rennen jeder Art, solange es um die Erzielung der höchsten Geschwindigkeit gehe. Zwar handele es sich hier nicht um ein Autorennen im herkömmlichen Sinne, da weder die Rundenzeiten gestoppt noch am Ende offiziell ein Sieger gekürt würde. Die Gefahrenlage sei jedoch vergleichbar, was den Teilnehmern auch bewusst sei.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 812,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger bezüglich des Unfalls vom 20.4.2006 um 18.30 Uhr auf dem Hockenheimring bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus der Kfz-Haftpflichtversicherung zu gewähren.
Die Klägerin beantragt
Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.
A.
Die Klage ist insgesamt zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 ZPO an der Klärung der Frage, ob die Beklagte ihm gegenüber aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag zur Gewährung von Deckungsschutz verpflichtet ist. Zwar wird möglicherweise oder zwingend im noch anhängigen Haftpflichtprozess auch darüber entschieden, ob die Beklagte dem Geschädigten J gegenüber gemäß § 3 PflVG in der Pflicht steht. Ein der Klage statt gebendes Urteil würde das Innenverhältnis im Innenverhältnis zwischen Kläger und Beklagter nicht abschließend klären. Zudem gehört es zu den Pflichten einer Haftpflichtversicherers, ggf. unberechtigte Ansprüche Dritter abzuwehren. Da die Beklagte ihre Einstandspflicht dem Kläger gegenüber insgesamt in Abrede stellt, kann dessen rechtliches Interesse an der Klärung dieser Frage nicht verneint werden.
B.
Die Klage ist überwiegend begründet.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus der Teilkaskoversicherung nach § 12 Abs. 2e der vereinbarten AKB dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung seines Glasbruchschadens am Fahrzeug zu.
a. Die Beklagte ist nicht gemäß § 2c a) der vereinbarten AKB leistungsfrei. Hiernach wird Versicherungsschutz nicht gewährt, für Schäden, die bei der Beteiligung an Rennveranstaltungen bzw. dazugehörigen Übungsfahrten entstehen. Die Voraussetzungen dieser Ausschlussbestimmung liegen nicht vor.
Risikoausschlussklauseln sind eng auszulegen. Ihr Anwendungsbereich darf - was das Landgericht nicht beachtet hat - nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (Senat VersR 2007, 1078). Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann dem Kläger der Versicherungsschutz nicht unter Berufung auf § 2c a) der vereinbarten AKB versagt werden.
Mit dem Begriff der „Rennveranstaltung“ aus den streitgegenständlichen AKB bzw. mit der in den AKB 2004 verwendeten Umschreibung der „Fahrtveranstaltungen, bei denen es auf Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt“, sind „Rennen mit Kraftfahrzeugen“ im Sinne von § 29 Abs. 1 StVO gemeint (BGH NJW 2003, 2018). Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 29 StVO sind Rennen Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbs (z.B. Sonderprüfungen mit Renncharakter) sowie Veranstaltungen (z.B. Rekordversuche) zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ergibt sich nichts anderes.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird auch verstehen, dass der Risikoausschluss nicht nur für Rennen im klassischen Sinne gilt, sondern für Fahrten jeder Art, insbesondere Geschwindigkeits-, Touren-, Sternfahrten und Ähnliches, solange es um die Erzielung der höchsten Geschwindigkeit (oder auch nur der höchsten Durchschnittsgeschwindigkeit) geht, mag diese auch nach den gegebenen Voraussetzungen in der absoluten Ziffer niedriger liegen können als bei Rennveranstaltungen im engeren Sinn (BGH NJW 2003, 2018; vgl. auch LG Stuttgart, Schaden-Praxis 2005, 312). Jedoch greift die Ausschlussklausel nicht ein, wenn die Verbesserung des Fahrkönnens und der Beherrschung des Fahrzeugs im Alltagsverkehr, insbesondere in extremen Gefahrensituationen, im Vordergrund steht und die Erzielung einer möglichst hohen Geschwindigkeit nicht Haupt- und Endziel ist, es auf diese also nicht ankommt . Dass eine solche Veranstaltung auf einer nicht für den öffentlichen Verkehr frei gegebenen Rundstrecke abgehalten wird, steht dem nicht entgegen (OLG Hamm, RuS 1990, 43 - Rundstrecke in Zandvoort; vgl. auch BGH NJW 2003, 2018).
Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers betrifft der Ausschluss Fahrten im Rahmen einer Veranstaltung, deren Charakter dadurch geprägt wird, dass eine möglichst hohe Geschwindigkeit erreicht wird und danach eine Platzierung der Teilnehmer erfolgt. Unter einer "dazugehörigen Übungsfahrt" wird er nur eine Fahrt verstehen, die sich unmittelbar auf ein konkrete Fahrtveranstaltung bezieht, bei der im oben dargestellten Sinne es auf Höchstgeschwindigkeit ankommt. (OLG Köln, VersR 2007, 683 mit weiteren Nachweisen).
Die Touristenfahrt des Klägers auf dem Hockenheimring wird vom vereinbarten Risikoausschluss nicht erfasst. Zwar bestehen für den Senat keine Zweifel daran, dass bei einer solchen Veranstaltung trotz der angeordneten Geltung der StVO die eingesetzten, teilweise über eine Rennausstattung verfügenden Kraftfahrzeuge einem gesteigerten Risiko unterliegen (vgl. zu dieser Erwägung BGH NJW 2003, 2018). Jedoch handelt es bei einer Touristenfahrt mangels Wertung, Platzierung und Zeitmessung nicht um eine Rennveranstaltung bzw. eine Fahrtveranstaltung, bei der es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt . Dass es den Teilnehmern zweifelsohne auch um die Erzielung möglichst hoher Geschwindigkeiten gehen kann, ist bei der gebotenen engen Auslegung der Ausschlussklausel, deren Wortlaut der Bundesgerichtshof bereits 1975 als „nicht eindeutig“ bezeichnet hat (BGH VersR 1976, 379), nicht ausreichend. Wegen der erhöhten Gefahr mag durchaus eine gesonderte Behandlung der Touristenfahrten in der Kaskoversicherung auch im Interesse der Versichertengemeinschaft angemessen sein. Dem kann allerdings nicht im Weg der Auslegung, sondern nur durch die Aufnahme entsprechender Klauseln in das Bedingungswerk Rechnung getragen werden.
Dass der Kläger den Unfall grob fahrlässig (§61 VVG) herbeigeführt hätte, macht die Beklagte nicht geltend.
b. Die Höhe des versicherten Glasbruchschadens ergibt sich aus dem außer Streit stehenden Kostenvoranschlag des Klägers über € 812,90 netto. Vom Versicherungsschutz umfasst sind auch der anteilige Arbeitslohn, d.h. die Kosten für den Ausbau der gebrochenen und Einbau der neuen Verglasung (OLG München VersR 1988, 1289), sowie die Kosten von mit dem Glas fest verbundenem Zubehör (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., 2004, § 12 AKB, RN 66). Soweit die Beklagte meint, lediglich die Materialkosten ersetzen zu müssen, beruht das auf der irrigen Annahme, der Wagen des Klägers habe einen Totalschaden erlitten.
Unter Berücksichtigung der vereinbarten Selbstbeteiligung von € 150 errechnet sich somit ein Anspruch von 662,90 € .
2. Die Beklagte ist aufgrund der unter Ziffer 1 ausgeführten Gründe auch in der Haftpflichtversicherung zur Gewährung von Deckungsschutz verpflichtet. Da es an einer Rennveranstaltung fehlt, kann sie sich auf eine Verletzung der Obliegenheit, an solchen Veranstaltungen nicht teilzunehmen (§ 2 b (1) a der vereinbarten AKB), nicht berufen. Dass die Leistungsfreiheit in der Haftpflichtversicherung ohnehin nach § 2 b (3) der vereinbarten AKB auf 5.000 € beschränkt wäre, muss daher nicht näher ausgeführt werden.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.