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OVG Lüneburg Beschluss vom 09.07.2013 - 12 LA 132/12 - Verwertbarkeit von Eintragungen über behördliche Entscheidungen
OVG Lüneburg v. 09.07.2013: Zur Verwertbarkeit von Eintragungen über behördliche Entscheidungen bei der Anordnung eines Aufbauseminars
Das OVG Lüneburg (Beschluss vom 09.07.2013 - 12 LA 132/12) hat entschieden:
Die Beschränkung der Verwertbarkeit von Eintragungen über gerichtliche Entscheidungen (vor ihrer Tilgung) auf 5 Jahre nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG a.F. gilt nicht für nur im Verkehrszentralregister eingetragene behördliche Entscheidungen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die an ihn ergangene Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtswidrig war.
Dem Kläger wurde die Fahrerlaubnis auf Probe am 26. November 2004 wegen wiederholter Verkehrsverstöße entzogen und am 1. März 2005 neu erteilt. In der Folgezeit beging er mehrere mit Punkten bewerte Verkehrsverstöße. Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 forderte der Beklagte den Kläger auf, an einem Aufbauseminar teilzunehmen, weil er mit insgesamt 16 Punkten im Verkehrszentralregister eingetragen sei. Der Kläger hat die dagegen erhobene Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt, nachdem er an dem Aufbauseminar teilgenommen hatte. Diese Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor bezeichneten Urteil abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: Von den berücksichtigten Eintragungen seien im Zeitpunkt der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar noch keine Tilgungsfristen abgelaufen gewesen. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG betrage bei Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten die Tilgungsfrist im Regelfall 2 Jahre. Vorliegend habe die Eintragung über die Entziehung der Fahrerlaubnis, für die eine Tilgungsfrist von 10 Jahren bestehe, den weiteren Ablauf der Tilgungsfrist der hier in Rede stehenden Verkehrsordnungswidrigkeiten bis zur Höchsteintragungsdauer von 5 Jahren gehemmt. Nichts anderes ergebe sich aus § 29 Abs. 8 Satz 1 und 2 StVG. Vorstehende Regelung enthalte lediglich ein ausdrückliches Verwertungsverbot, soweit gerichtliche Entscheidungen im Verkehrszentralregister getilgt seien. Darum gehe es im vorliegenden Fall nicht. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift sei sie auch nicht sinngemäß anzuwenden.
II.
Der gegen dieses Urteil gerichtete Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Der Kläger macht zur Begründung von ernstlichen Zweifeln geltend, das Verwaltungsgericht verkenne die Vorschrift des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Danach dürfe jede Eintragung, hier die Eintragung über die Entziehung der Fahrerlaubnis, bereits nach 5 Jahren nicht mehr verwertet werden, es sei denn, es gehe um die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis. Vorliegend gehe es aber lediglich um die Anordnung eines Aufbauseminars.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen. Für die Darlegung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung sei im Ergebnis unrichtig, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils sind insbesondere dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77). Daran fehlt es hier. Der Kläger behauptet die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG lediglich, ohne sich zu der tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts, § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG stehe einer Tilgungshemmung nicht entgegen, weil diese Vorschrift nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nicht, auch nicht sinngemäß, auf die hier nur im Verkehrszentralregister eingetragene Entziehung der Fahrerlaubnis Anwendung finde, zu verhalten.
Ernstliche Zweifel liegen im Übrigen auch in der Sache nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist nach Auffassung des Senats zu Recht davon ausgegangen, dass die Eintragung über die (behördliche) Entziehung der Fahrerlaubnis im Verkehrszentralregister, für die nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVG eine Tilgungsfrist von 10 Jahren ab Neuerteilung besteht (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 29 StVG Rn. 5), die Tilgung der folgenden von dem Beklagten in seinem Bescheid vom 17. Februar 2011 aufgeführten Ordnungswidrigkeiten gehemmt hat. Sind im Register mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelungen in den Sätzen 2 bis 6 erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (§ 29 Abs. 6 Satz 1 StVG). Die Eintragung einer Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit - mit Ausnahme von Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a - wird spätestens nach Ablauf von fünf Jahren (ab Rechtskraft) getilgt (§ 29 Abs. 6 Satz 3 StVG). Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 StVG in der zum Zeitpunkt der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar maßgeblichen Fassung vom 22. Dezember 2008 (a. F.) rechtfertigt eine andere Bewertung nicht. Ist eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt, so darf danach die Tat und die Entscheidung dem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden (Satz 1). Unterliegt diese Eintragung einer zehnjährigen Tilgungsfrist, darf sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den Vorschriften dieses Paragraphen entspricht, nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat (Satz 2). Der Kläger versteht das Verwertungsverbot des Abs. 8 Satz 2 dahingehend, dass die Beschränkung der Verwertbarkeit auf 5 Jahre auch die Tilgungshemmung gemäß Abs. 6 Satz 1 entfallen lässt (so auch OLG Celle, Beschl. v. 5.8.2009 - 322 SsBs 137/09 -, NZV 2009, 570; dagegen VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 20.4.2012 - AN 10 K 12.00288 -, juris Rn. 18; zweifelnd Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 29 StVG Rn. 13). Ferner bezieht der Kläger § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG nicht allein auf Eintragungen über gerichtliche Entscheidungen, sondern auch auf nur im Verkehrszentralregister eingetragene behördliche Entscheidungen im Sinne von § 28 Abs. 3 StVG. Gegen diese Auslegung spricht aber nicht nur - wie bereits vom Verwaltungsgericht ausgeführt - der Wortlaut der Norm. Das Gesetz regelt allein ein Verwertungsverbot für eine Eintragung über eine „gerichtliche Entscheidung“ (Satz 1) und beschränkt die Verwertbarkeit „diese(r)“ Eintragungen auf 5 Jahre (Satz 2). Eine sinngemäße bzw. analoge Anwendung dieser Vorschrift auf eine nur im Verkehrszentralregister enthaltene Eintragung über eine behördliche Entziehung der Fahrerlaubnis scheidet zudem aus, weil der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 29 Abs. 8 StVG a. F. die Begrenzung der Verwertbarkeit von Eintragungen (auch schon vor Tilgung) bewusst auf gerichtliche Entscheidungen begrenzt und von einer entsprechenden Regelung für nur im Verkehrszentralregister enthaltenen Eintragungen abgesehen hat:
„Absatz 8 trifft nur eine Regelung für die im VZR erfaßten gerichtlichen Entscheidungen, weil solche Entscheidungen - obgleich im VZR getilgt und gelöscht - möglicherweise noch im BZR stehen. Für die nur im VZR enthaltenen Eintragungen (Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungsentscheidungen) bedarf es keines ausdrücklichen Verwertungsverbots, wenn diese im VZR getilgt und nach Absatz 7 gelöscht sind.“ (BT-Drucks. 13/6914, S. 76)
Der Gesetzgeber ist - soweit erkennbar - davon ausgegangen, dass getilgte oder tilgungsreife nur im Verkehrszentralregister enthaltene Eintragungen nach dem Zweck der Tilgungsvorschriften (Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 29 StVG Rn. 15) bzw. aus der Natur der Sache (Jagow, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., § 29 StVG Rn. 18) ohnehin nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden dürfen. Für die in Satz 2 geregelte Begrenzung der Verwertbarkeit von nicht getilgten oder noch nicht tilgungsreifen Eintragungen auf 5 Jahre greift dieser Rechtsgedanke - ohne ausdrückliche Anordnung - aber nicht. Dieses Verständnis hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Änderung des § 29 Abs. 8 StVG durch das Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 17. Juni 2013 (BGBl. I 2013, S. 1558) nochmals bestätigt. Er hat insoweit bestehende Zweifel jedenfalls für die Zukunft ausgeräumt und § 29 Abs. 8 StVG dahingehend neu gefasst, dass ein Verwertungsverbot für alle getilgten Eintragungen im Verkehrszentralregister gilt (Satz 1), die verkürzte Frist von 5 Jahren aber nur für „Eintragungen im Verkehrszentralregister über eine gerichtliche Entscheidung“. Nach der Gesetzesbegründung dient die Gesetzesänderung der Klarstellung, nicht aber einer Änderung der zuvor geltenden Rechtslage (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/12856, S. 14).
2. Zur Begründung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führt der Kläger aus, dass die Rechtssache in rechtlicher Hinsicht eine Frage aufwerfe, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich sei und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden müsse. Konkret gehe es um die Auslegung von § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Das Verwaltungsgericht habe die Anwendbarkeit verneint, ohne sich mit der Auslegung der Vorschrift zu beschäftigen.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur, wenn sie in Bezug auf die Rechtslage oder die Tatsachenfeststellungen eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll. Nicht klärungsbedürftig ist in der Regel eine Rechtsfrage, wenn sie eine schon außer Kraft getretene Vorschrift betrifft, sofern nicht die Klärung für einen nicht überschaubaren Personenkreis von Bedeutung ist und noch viele Fälle zu entscheiden sind (BVerwG, Beschl. v. 20.12.1995 - 6 B 35.95 -, NVwZ-RR 1996, 712; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 124 Rn. 32). Danach hat die Frage, ob § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG auch nur im Verkehrszentralregister enthaltene Eintragungen erfasst, keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Der Gesetzgeber hat gegebenenfalls bestehende Zweifel mit der Neufassung der Vorschrift für die Zukunft ausgeräumt und allein die Verwertbarkeit nicht getilgter oder noch nicht tilgungsreifer Eintragungen über gerichtliche Entscheidungen auf 5 Jahre beschränkt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klärung der früheren Rechtslage für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).