Das Verkehrslexikon
VGH München Beschluss vom 27.05.2013 - 11 CS 13.718 - Entzug der Fahrerlaubnis bei Konsum von Amphetaminen
VGH München v. 27.05.2013: Zum Entzug der Fahrerlaubnis bei Konsum von Amphetaminen
Der VGH München (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 CS 13.718) hat entschieden:
Nach dem Wortlaut von Nr. 9.1 der Anl. 4 zur FeV entfällt beim Konsum sog. harter Drogen wie Amphetamin die Fahreignung unabhängig von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand und unabhängig davon, ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren. Ausnahmen von der Regelvermutung der Anlage 4 zur FeV sind nur dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft werden in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann.
Gründe:
I.
Der 1992 geborene Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (mit Unterklassen).
Mit Urteil vom ... 2012 sprach das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Weiden i.d. OPf. den Antragsteller der gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig und verurteilte ihn zu einer Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Der Antragsteller hatte zusammen mit einem Mittäter am ... 2012 ca. 80 g Marihuana in mehreren „Tütchen“ und zwei Marihuanaknospen ins Bundesgebiet eingeführt. Im Urteil des Amtsgerichts wird ausgeführt, dass der Antragsteller bereits mit 15 Jahren mit dem Betäubungsmittelkonsum begonnen habe (S. 3), er sich nun aber als „clean“ bezeichne, sowie, dass der Antragsteller die Beschaffungsfahrt aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit zum Eigenkonsum begangen habe (S. 5 des Urteils).
Mit Schreiben vom 25. September 2012 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Frage einer Einnahme von Betäubungsmitteln und einer Abhängigkeit von Betäubungsmitteln vorzulegen; ferner wurde nach Nachweisen über eine eventuell bestehende Drogenabstinenz, ggf. auch für einen rückwirkenden Zeitraum etwa durch eine Haaranalyse gefragt.
Das vom Antragsteller am 7. Dezember 2012 vorgelegte ärztliche Gutachten der ... GmbH vom 5. Dezember 2012 kam zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller derzeit keine Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes einnehme. Von 2007 bis Juli oder August 2012 sei gelegentlich Cannabis sowie im Februar 2012 einmalig Amphetamin eingenommen worden. Ein rückwirkender Abstinenznachweis durch eine Haaranalyse sei möglich (aktuelle Haarlänge am 16.11.2012: 4 cm).
Nach vorheriger Anhörung entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 14. Januar 2013 die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen, forderte ihn zur Abgabe seines Führerscheins auf, ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an und drohte für den Fall der nicht rechtzeitigen Ablieferung des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro an. Der Antragsteller sei wegen des Konsums harter Drogen (Amphetamin) im Februar 2012 gemäß § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 der Anl. 4 FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte zudem, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. März 2013 ablehnte.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller macht in der Beschwerde – wie schon in der Anhörung vor Bescheidserlass und vor dem Verwaltungsgericht allein geltend, dass hier entgegen der Regelvermutung der Nr. 9.1 der Anl. 4 zur Fahrerlaubnisverordnung – FeV – eine Ausnahme anzuerkennen sei.
Die Gründe, die der Antragsteller für die Annahme einer Ausnahme im Sinne der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV dargelegt hat, rechtfertigen, wie bereits im verwaltungsgerichtlichen Beschluss ausgeführt, eine solche nicht.
Nach dem Wortlaut von Nr. 9.1 der Anl. 4 zur FeV entfällt beim Konsum sog. harter Drogen wie Amphetamin die Fahreignung unabhängig von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand und unabhängig davon, ob konkrete Ausfallerscheinungen im Sinne von Fahruntüchtigkeit beim Betroffenen zu verzeichnen waren. Dementsprechend ist die Fahrerlaubnisentziehung nach der Regelvermutung der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV bereits dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene einmalig harte Drogen einnimmt. Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. B. v. 14.2.2012 – 11 CS 12.28) und der meisten anderen Oberverwaltungsgerichte (Nachweise vgl. Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, § 46 FeV, S. 113 h). Die Regelvermutung entfaltet strikte Bindungswirkung, solange keine Umstände des Einzelfalls vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen.
Durch die entsprechende Regelung in der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV, wonach die Bewertungen nur für den Regelfall gelten, wird dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch den Verordnungsgeber genüge getan. Ausnahmen von der Regelvermutung der Anlage 4 zur FeV sind nur dann anzuerkennen, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. Beispielhaft werden in Satz 2 der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen genannt, durch die z.B. eine Kompensation drogenbedingter Einschränkungen erfolgen kann. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2012 – 11 CS 12.807, 808 und 899 – Rn. 8).
Der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, dass sie an besondere Umstände anknüpft, die ihren Ursprung in der Person des Betroffenen selbst haben und bewirken, dass er aufgrund seiner besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit trotz Drogenkonsums ausnahmsweise fahrgeeignet ist (BayVGH, B.v. 30.5.2008 – 11 CS 08.127; vgl. auch BayVGH, B.v. 7.8.2012 – 11 ZB 12.1404; VGH BW, B.v. 24.5.2002 – 10 S 835/02).
Einer etwaigen, der Begründung für die Ausnahme zugrundeliegenden Meinung des Antragstellers, seine durch den Betäubungsmittelkonsum verloren gegangene Fahreignung wiedererlangt zu haben, weil der Drogenkonsum knapp ein Jahr vor Bescheidserlass gewesen sei, brauchte der Antragsgegner nicht nachzugehen, weil im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid vom 14. Januar 2013 die sog. verfahrensrechtliche Einjahresfrist gemäß Nr. 9.5 der Anl. 4 zur FeV noch nicht abgelaufen war (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2011 – 11 ZB 11.462, v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl 2006, 18). Die Frist für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 7 FeV endet hier ein Jahr nach dem Tag, den der Antragsteller (sinngemäß) als Beginn seiner Betäubungsmittelabstinenz hinsichtlich Amphetamin angegeben hat, also zwischen dem 2. Februar 2012 und dem 1. März 2012.
Der Antragsteller macht zur Begründung einer Ausnahme weiter geltend, gerade die freiwillige Angabe des Amphetaminkonsums im Rahmen der ärztlichen Untersuchung des ... zeige die Läuterung und den Einstellungswandel des Antragstellers; ferner unterliege der Antragsteller einer engen Kontrolle der Drogenfreiheit aufgrund der Bewährungsauflage. Durch den aufgrund der Fahrerlaubnisentziehung erfolgten Verlust des Arbeitsplatzes, sei die positive Entwicklung des Antragstellers erheblich gefährdet.
Das sind keine Gründe im dargelegten Sinn.
Der erfolgte Verlust des Arbeitsplatzes kann für die Beurteilung, ob der Antragsteller trotz Drogenkonsums ausnahmsweise fahrgeeignet ist, keine Bedeutung haben. Dass der Amphetaminkonsum ungefragt gegenüber der Gutachterin zugegeben wurde, kann an der Tatsache des Konsums und der Fahrungeeignetheit nichts ändern. Diese freiwillige Angabe seines Amphetaminkonsums und auch das weitere Eingeständnis, bis Juli/August 2012 noch Cannabis konsumiert zu haben, spricht zwar insgesamt für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Antragstellers und für ein ernstes Bemühen, sich den Gegebenheiten zu stellen und diese aufzuarbeiten, haben aber nur Bedeutung für die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung, die erst nach einem Jahr nachgewiesener Drogenabstinenz und den Nachweis einer dauerhaften Verhaltensänderung möglich ist. Letzteres lässt sich nur bejahen, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tiefgreifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält. Das erfordert ein psychologisches Gutachten; ein fachärztliches Gutachten kann das nicht leisten. Das eingeholte fachärztliche Gutachten enthält daher dazu auch keine Aussage.
Auch dürfen die sonstigen Umstände nicht außer Acht gelassen werden. Der Antragsteller hat nicht nur einen einmaligen Amphetaminkonsum, der sich nach seinen Erläuterungen als Probierkonsum darstellt, eingeräumt, sondern seine Angaben gegenüber der Gutachterin und im Strafverfahren weisen auf eine langjährige „Drogenkarriere“ hin; schließlich hat der Antragsteller nicht nur Amphetamin konsumiert, sondern jahrelang auch Cannabis, hat ca. 80 g Marihuana aus Tschechien eingeführt, hat auch nach dem polizeilichen Aufgriff am ... 2012 noch bis Juli/ August 2012 Cannabis konsumiert, ließ sich also offenbar auch durch die Verurteilung durch das Amtsgericht W.... am ... 2012 von weiterem Konsum nicht abhalten, sondern gab ausweislich des Urteils wahrheitswidrig an, „clean“ zu sein.
Auffällig ist ferner, dass der Antragsteller trotz mehrfacher Hinweise keine Abstinenznachweise vorgelegt hat. Bereits in der Gutachtensanordnung der Fahrerlaubnisbehörde vom 25. September 2012 kommt in der Fragestellung zum Ausdruck, dass durch den Gutachter nachgeprüft werden solle, ob Nachweise über eine eventuell bestehende Drogenabstinenz vorlägen, und ggf. seit wann und ob ggf. ein rückwirkender Abstinenznachweis durch eine Haaranalyse möglich sei; die Gutachterin hat hierzu ausgeführt, dass ein solcher wegen der Haarlänge von 4 cm möglich sei. Trotzdem hat der Antragsteller bis heute keinen Abstinenznachweis mittels einer Haaranalyse vorgelegt. Die beiden Urin-Drogenscreenings im Zuge der ärztlichen Begutachtung sind insoweit nicht ausreichend, weil Amphetamin im Urin nur für einen begrenzten Zeitraum von einem bis drei Tagen nachweisbar ist, (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Auflage 2005, S. 179).
Ausweislich des Beschlusses zum Urteil des Amtsgerichts W.... vom ... 2012 wurde dem Antragsteller lediglich auferlegt, nach Maßgabe des Bewährungshelfers, soweit er dies für erforderlich halte, Drogenscreening zu absolvieren. Nachweise hierzu hat der Antragsteller nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).