Das Verkehrslexikon
Landgericht Bonn Beschluss vom 05.09.2012 - 24 Qs - 227 Js 824/12 - 64/12 - Vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis nach Unfall eines alkoholisierten Linksabbiegers
LG Bonn v. 05.09.2012: Kein vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis nach Unfall eines mit 0,6 ‰ alkoholisierten Linksabbiegers
Das Landgericht Bonn (Beschluss vom 05.09.2012 - 24 Qs - 227 Js 824/12 - 64/12) hat entschieden:
Kollidiert ein Fahrzeugführer mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,6 Promille nach Überfahren einer roten Ampel als Linksabbieger mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, so lässt dieses Unfallgeschehen als solches noch keinen Rückschluss auf eine alkoholbedingte, relative Fahrunsicherheit zu. Gibt er als Unfallursache an, er sei von einer Linksabbiegerampel mit grünem Pfeil ausgegangen und zudem durch ein Gespräch mit seinem Beifahrer abgelenkt gewesen, und konnte er darüber hinaus die "vier Grundübungen" (Gang, plötzliche Kehrtwendung, Finger-Finger-Probe, Finger-Nase-Probe) sicher ablegen, so ist nicht festzustellen, dass der Unfall auf eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit zurückzuführen ist.
Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Denn das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss im Ergebnis zu Recht die beantragte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.
Dabei verkennt die Kammer zunächst nicht, dass das Amtsgericht - jedenfalls nach den Beschlussgründen, möglicherweise aufgrund einer Personenverwechslung der Unfallbeteiligten - von einem Unfallhergang auszugehen scheint, der sich so nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht herleiten lässt:
Die Beschuldigte fuhr nach der Sachverhaltsschilderung in der Anzeige (wie auch in der polizeilichen Aussage des Beifahrers L) nicht bei "Rotlicht" in die Kreuzung O Straße/T-straße ein, sondern befuhr die O Straße (L ...) - aus Richtung M-straße kommend - in Richtung T-straße und damit in Gegenverkehrsrichtung bezogen auf den Unfallbeteiligten "02", den Zeugen N.
Sowohl nach dessen Angaben als auch nach der Aussage der Beschuldigten selbst und ihres Bruders, des Zeugen L, zeigte die Lichtzeichenanlage an der Kreuzung O Straße / T-straße bei Einfahrt der Beteiligten in den Kreuzungsbereich für beide Fahrtrichtungen jeweils (wie es gerichtsbekannt bei Ampelschaltungen für gegenläufige Richtungsfahrbahnen derselben Straße in Kreuzungsbereichen üblich ist) Grünlicht an.
Diese Angaben sind in sich und zum übrigen Ermittlungsergebnis schlüssig; insbesondere entspricht die angegebene Fahrtstrecke der Beschuldigten auch der kürzesten Verbindung zwischen dem angegebenen Ausgangsort der Fahrt (Wohnung des Bruders, L2-straße ... über die A .../G-Brücke/AS C-Nord und Auffahrt auf die L .../O Straße in Richtung C2) und dem Zielort (Wohnung der Zeugin C3, H-straße ...). Der geplanten Fahrtstrecke folgend musste die Beschuldigte dann auch tatsächlich an der Kreuzung T-straße nach links abbiegen, um über die T-straße unmittelbar die H-straße zu erreichen.
Nach Aktenlage kollidierte bei diesem Abbiegevorgang der mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h geführte PKW des Zeugen N (vordere rechten Ecke) mit dem PKW der Beschuldigten (hintere rechte Ecke), als diese mit ihrem Fahrzeug den Kreuzungsbereich linksabbiegend in Richtung T-straße schon nahezu verlassen hatte.
Die Kammer folgt auch dem Vortrag der Beschwerdebegründung zum Ausmaß des zu berücksichtigenden Alkoholisierungsgrades der Beschuldigten.
Danach ist - gestützt auf das rechtsmedizinische Gutachten zu den Blutproben und der Begleitstoffanalyse - auch nach der Prognose der Kammer die Nachtrunkbehauptung der Beschuldigten (jedenfalls im vorgetragenen Umfang) als widerlegbare Schutzbehauptung anzusehen und damit in Sinne eines dringenden Verdachts von einer vorhandenen Blutalkoholkonzentration von 0,60 Promille zum Vorfallszeitpunkt auszugehen.
Gleichwohl bestehen beim aktuellen Ermittlungsstand nach derzeitiger Einschätzung der Kammer keine dringenden Gründe für die Annahme, dass der Beschuldigten alsbald in einer verfahrensabschließenden Entscheidung die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden wird. Denn es kann beim derzeitigen Ermittlungsstand nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad davon ausgegangen werden, dass der von der Beschuldigten begangene Fahrfehler Ausdruck einer alkoholbedingten relativen Fahruntüchtigkeit war.
Zwar wird dies - ohne weitergehende Ausführungen - im vorliegenden rechtsmedizinischen Gutachten so angegeben. Die Kammer sieht demgegenüber jedoch auch Anhaltspunkte im Ermittlungsergebnis, die gegen relevante alkoholbedingte Ausfallerscheinungen sprechen. Hierzu gehört insbesondere der Umstand, dass die Beschuldigte nach dem ärztlichen Bericht zur Blutprobenentnahme bei sämtlichen durchgeführten Tests keinerlei Auffälligkeiten zeigte und von der blutentnehmenden Ärztin demzufolge im Bericht auch keine äußerlichen Anzeichen von Alkohol-, Drogen- oder Medikamenteneinfluss vermerkt wurden.
Auch die eingesetzten Polizeibeamten haben keine Anzeichen oder Verhaltensweisen der Beschuldigten in der Anzeige vermerkt, die auf nennenswerten Alkoholeinfluss hindeuten könnten. Vielmehr haben sie der Beschuldigten vor Ort den Führerschein belassen, was ebenfalls gegen das Vorhandensein merklicher Ausfallerscheinungen spricht.
Außerdem handelt es sich bei dem Fahrfehler der Beschuldigten, wie er sich nach Aktenlage darstellt, gerade nicht um einen der "klassischen" Ausfälle unter Alkoholeinfluss wie etwa Schlangenlinien fahren, grundloses Abkommen von der Fahrbahn oder auffallend übervorsichtiges Fahrverhalten.
Vielmehr kann der Unfall mit durchaus beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch durch eine alkoholunabhängige Unachtsamkeit wie z.B. die (hier auch behauptete) Ablenkung der Beschuldigten durch das Gespräch mit dem Beifahrer oder auch eine nur den nächtlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung der Verkehrssituation, der Ampelschaltung und/oder der Entfernung sowie der (erheblichen) Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs verursacht worden sein.
Die weitere Sachaufklärung zwecks Ausschluss oder Feststellung der hier in Betracht kommenden Varianten bleibt allerdings der Beweisaufnahme in der demnächst durchzuführenden Hauptverhandlung vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.