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OVG Münster Beschluss vom 07.06.2013 - 16 B 429/13 - Vorläufige Anordnung auf Entfernung eines Sperrvermerks

OVG Münster v. 07.06.2013: Vorläufige Anordnung auf Entfernung eines Sperrvermerks auf einem EU-Führerschein


Das OVG Münster (Beschluss vom 07.06.2013 - 16 B 429/13) hat entschieden:
Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, das auf die vorläufige Entfernung eines auf einem EU-Führerschein angebrachten Sperrvermerks gerichtet ist, streitet eine in einem Mitgliedsstaat ausgestellte EU- oder EWR-Fahrerlaubnis für die Anerkennung der Fahrerlaubnis in Deutschland und somit für einen Anordnungsgrund. Eine Anerkennung kommt jedoch z. B. nicht in Betracht, wenn auf Grund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht beachtet wurde.


Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet.

Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt hat.

Dabei geht der Senat von der Statthaftigkeit eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aus und bejaht nicht einen Fall des § 80 Abs. 5 VwGO (§ 123 Abs. 5 VwGO). Die Anbringung eines Sperrvermerks auf einem ausländischen Führerschein nach § 47 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FeV stellt als tatsächliche Handlung nämlich keinen Verwaltungsakt, sondern einen Realakt dar.
Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2009 - 11 CE 09.426 -, juris, Rn. 15 ff., und vom 4. Januar 2010 - 11 CE 10.2898 -, juris, Rn. 15, Urteil vom 27. Mai 2010 - 11 BV 10.67 -, juris, Rn. 36 ff.; den besonderen Einzelfall eines Ungültigkeitsvermerks betreffend: Urteil vom 13. Dezember 2011 - 11 B 11.2336 -, NVwZ-RR 2012, 436 f.
Dass der Antragsgegner vor Anbringung des Sperrvermerks keine Feststellung über die Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis vom 20. März 2010 nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV getroffen hat, sondern davon ausgegangen ist, dass der Feststellungsbescheid vom 8. Juli 2009 zu der am 20. April 2005 ausgestellten tschechischen Fahrerlaubnis auch die zweite Fahrerlaubnis aus März 2010 erfasst, widerspricht der Annahme eines Realaktes nicht, sondern betrifft vielmehr den Regelfall, dass der Sperrvermerk nach § 47 Abs. 2 Satz 2 FeV (in entsprechender Anwendung) den vorangegangen Bescheid lediglich vollzieht.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO glaubhaft gemacht.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR- Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. § 28 Abs. 4 FeV enthält indessen Ausschlussgründe für die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV. Unter anderem gilt nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV die Berechtigung nach Absatz 1 grundsätzlich nicht für Inhaber einer EU- oder EWR- Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.

Diese einfachrechtlichen Regelungen geben zunächst den unionsrechtlichen Grundsatz der Anerkennung von EU- Fahrerlaubnissen nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006 (sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie) wieder. Aus der Pflicht der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine leitet der EuGH
zuletzt Urteil vom 26. April 2012 - Rs. C-419/10, Hofmann -, NJW 2012, 1935; vgl. auch EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - Rs. C-329/06 u.a., Wiedemann -, NJW 2008, 2403, Rn. 68 ff., vom 19. Mai 2011 - Rs. C-184/10, Grasser -, NJW 2011, 3635, 3636,
weitere Grundregeln ab. Haben die Behörden eines Mitgliedstaats dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis erteilt, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in der Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen in eigener Kompetenz nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag seiner Ausstellung die Voraussetzungen (insbesondere) hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung erfüllte. Es ist einem Aufnahmemitgliedstaat indes nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen, wenn - nicht anhand von Informationen des Aufnahmemitgliedstaats, sondern auf Grund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen - feststeht, dass die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht beachtet wurde. Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats eingehalten wurde.

Zusammenfassend lassen sich aus der Richtlinie 2006/126/EG in Gestalt der Auslegung durch den EuGH daher folgende Grundsätze ableiten: EU-/EWR- Fahrerlaubnisse sind in den Mitgliedstaaten vorbehaltlos anzuerkennen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis alle vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Erteilung erfüllte. Andere Mitgliedstaaten sind nicht befugt, die Erteilungsentscheidung nach ihren nationalen Maßstäben nachzuprüfen. Die Anerkennung einer EU-/EWR-Fahrerlaubnis kann nur abgelehnt werden, wenn sie während einer laufenden Sperrfrist oder unter aus dem Führerschein selbst oder aus vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen ersichtlichem Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden ist. Wenn die Wirkung einer Maßnahme der Einschränkung, Aussetzung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis in der Weise entfallen ist, dass eine Sperrfrist abgelaufen ist, kann wieder eine Fahrerlaubnis erteilt werden. Diese muss dann auch in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.
So Dauer, NJW 2012, 1941, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - Rs. C-419/10, Hofmann - NJW 2012, 1935.
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, streitet der in U. /Tschechische Republik ausgestellten Führerschein vom 22. März 2010, der nach allem Anschein eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B ist, für die Anerkennung der Fahrerlaubnis in Deutschland. Danach darf der Antragsteller entsprechend der Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Da diese Fahrerlaubnis im Unterschied zu der aus dem Jahr 2005 das Vorliegen der Ausstellungsvoraussetzungen insoweit belegt, als der Antragsteller am Tag der Ausstellung die Voraussetzungen (insbesondere) hinsichtlich des Wohnsitzes erfüllt hat, weil unter der Rubrik Nr. 8 der tschechische Wohnort "U." eingetragen ist und keine vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliegen, die belegen würden, dass der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in der Tschechischen Republik, sondern in der Bundesrepublik Deutschland hatte,
hierzu etwa Bay. VGH, Beschluss vom 13. Juli 2012 - 11 AE 12.1311 -, juris, Rn. 24,
besteht mangels geeigneter Erkenntnisse (derzeit) keine Möglichkeit, die Anbringung des Sperrvermerks für zutreffend zu erachten. Dass gegenüber dem Antragsteller in den Jahren 2001 und 2003 eine Fahrerlaubnissperre von jeweils einem Jahr verhängt wurde, steht der Anerkennung der tschechischen Fahrerlaubnis- Berechtigung gleichfalls nicht entgegen.

Andererseits besteht aus gegebenem Anlass Aufklärungsbedarf, wobei der Senat hierzu bemerkt, dass der Antragsgegner diese Feststellungen seit Bekanntwerden des Urteils des EuGH vom 26. April 2012 hätte tätigen können. Da der Antragsteller, wie der Antragsgegner dargelegt hat, zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis im März 2010 in I. gemeldet war, ist nämlich zu klären, ob der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellerstaat hatte, wobei die Absicht des Wohnens allein freilich nicht ausreicht. Zur Beantwortung dieser Frage besteht die Möglichkeit, dass sich der Antragsgegner oder gegebenenfalls das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren an das Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in T. wendet und um eine Auskunft ersucht, ob und gegebenenfalls in welchem Zeitraum und für welche Anschrift der Kläger mit Wohnsitz in der Tschechischen Republik gemeldet war.

Mit Rücksicht auf diesen Aufklärungsbedarf mag die fehlende Berechtigung, Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, durch die aufgezeigte Ermittlungsarbeit belegt werden können. Solange dieser Nachweis jedoch nicht erbracht ist, hat es aus den oben angeführten Gründen bei dem unionsrechtlichen Grundsatz der Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis zu verbleiben. Insbesondere besteht aktuell trotz möglicherweise sogar erheblicher Anhaltspunkte für einen fehlenden ordentlichen Wohnsitz des Antragstellers in Tschechien über einen Zeitraum von mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr (Art. 7 Abs. 1 lit. e und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG) kein Raum für eine unionsrechtskonforme Annahme von Ausschlussgründen hinsichtlich der Berechtigung der tschechischen Fahrerlaubnis.

Ist auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH - bis auf Weiteres - von einer aufgrund seiner tschechischen Fahrerlaubnis bestehenden Berechtigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, ist der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten, zumal dem Antragsteller nach allem Anschein auch erhebliche berufliche Nachteile drohen können, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge. Diese Erwägungen rechtfertigen ebenfalls die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).