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OLG Köln Beschluss vom 06.03.2013 - III-1 RBs 63/13 - Verwertbarkeit des Messergebnisses eines amtlich zugelassenen Geschwindigkeitsmessgerätes
OLG Köln v. 06.03.2013: Zur Verwertbarkeit des Messergebnisses eines amtlich zugelassenen Geschwindigkeitsmessgerätes
Das OLG Köln (Beschluss vom 06.03.2013 - III-1 RBs 63/13) hat entschieden:
Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes, das eine Bauartzulassung von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt erhalten hat, begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren
Gründe:
Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, der wie folgt begründet worden ist:
"I.
Gegen den Betroffenen ist durch Urteil des Amtsgerichts Brühl vom 19.12.2012 - 52 OWi 942/12 - wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 80 Euro verhängt worden (Bl. 30 ff. d. A.).
Gegen dieses Urteil, das dem Verteidiger des Betroffenen am 11.01.2013 zugestellt worden ist (Bl. 42 d. A.), hat der Betroffene mit Telefax des Verteidigers vom 19.12.2012 die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt (Bl. 25 f. d. A.) und diesen Antrag mit Telefax des Verteidigers vom 11.01.2013 begründet (Bl. 36 ff. d. A.).
Der Betroffene rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
In dem angefochtenen Urteil ist ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 250 Euro festgesetzt worden. Die Rechtsbeschwerde ist daher nicht nach § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG ohne weiteres statthaft, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Zulassung. Deren gesetzliche Voraussetzungen sind hier allerdings nicht gegeben.
Nach § 80 Abs. 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde bei weniger bedeutsamen Ordnungswidrigkeiten, bei denen sie grundsätzlich ausgeschlossen ist, nur ausnahmsweise zugelassen werden, soweit dies nämlich geboten ist, um den Oberlandesgerichten im allgemeinen Interesse Gelegenheit zu geben, durch eine Entscheidung zur Rechtsfortbildung oder zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung beizutragen, oder zur Vermeidung von Verfassungsbeschwerden Verletzungen des rechtlichen Gehörs auszuräumen. Sinn der Regelung ist mithin nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall (Senat, VRs 100, 33).
Im Einzelnen sieht die Bestimmung des § 80 Abs. 1 OWiG vor, dass die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden kann, wenn dies entweder zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (Nr. 1) oder wenn die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten ist (Nr. 2). Beträgt - wie im vorliegenden Fall - die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100 Euro, so ist die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde durch § 80 Abs. 2 OWiG noch weiter, nämlich in der Weise eingeschränkt, dass in den Fällen des § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur noch die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung bezogen auf das sachliche Recht die Zulassung rechtfertigt.
Beide Voraussetzungen, die danach hier die Zulassung der Rechtsbeschwerde ermöglichen könnten, liegen nicht vor.
Soweit es die Versagung des rechtlichen Gehörs betrifft, erfordert die Zulassung, dass eine entsprechende Rechtsverletzung schon im Verfahren über den Antrag festgestellt wird (Senat, VRs 96, 451, VRs 97, 187;). Dafür fehlt es hier indessen an jeder Grundlage.
Die Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags ist nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet worden.
Die rechtsfehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen kann im Bußgeldverfahren grundsätzlich nur im Rahmen einer Aufklärungsrüge beanstandet werden (Senat VRs 74, 372; VRs 75, 119). Eine ordnungsgemäße Aufklärungsrüge verlangt die Angabe der Beweistatsachen, des Beweismittels und der Tatsachen, die der Tatrichter zum Gebrauch des Beweismittels gedrängt oder dessen Gebrauch zumindest nahegelegt haben sollen. Ferner ist mitzuteilen, welche - dem Betroffenen günstige - Tatsache die unterlassene Beweisaufnahme ergeben hätte, wobei es nicht genügt, ein günstiges Ergebnis lediglich als möglich hinzustellen. Wenn die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags im Rahmen der Aufklärungsrüge beanstandet wird, sind auch der gestellte Beweisantrag und der ablehnende Beschluss mitzuteilen. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht muss allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen können, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision bzw. Rechtsbeschwerde zutrifft (BGH NJW 1980, 1292). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag in der Begründungsschrift nicht.
Es wird weder der konkrete Wortlaut der ablehnenden Entscheidung mitgeteilt, noch kann dem Vortrag entnommen werden, ob es sich bei dem Beweisantrag um einen unbedingten oder einen Hilfsbeweisantrag gehandelt hat (Ablehnung durch Beschluss oder in den Urteilsgründen?). Ferner wäre auszuführen gewesen, in welchem Umfang vor der Bescheidung des Beweisantrags eine Beweiserhebung bereits stattgefunden hat und welche Aufklärungsbemühungen das Amtsgericht entfaltet hatte. Denn konnte es aufgrund verlässlicher Beweismittel und ohne Missachtung der Aufklärungspflicht den Sachverhalt als eindeutig geklärt ansehen, darf es von weiterer Beweiserhebung absehen (SenatE v. 21.02.2005 - 8 Ss-OWi 31/05 -). Von daher hätte hier auch mitgeteilt werden müssen, welche konkreten Erkenntnisse durch die unterlassene Beweiserhebung gewonnen worden wären und warum sich das Gericht zum Gebrauch des Beweismittels gedrängt gesehen haben musste. Da die Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß erhoben worden ist, ermöglicht dieser Umstand schon nicht die Beurteilung der Frage, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 77 OWiG vorliegt.
Im Übrigen stellt eine lediglich prozessordnungswidrige Behandlung von Beweismitteln noch keine Verweigerung rechtlichen Gehörs dar (Senat VRs 83, 446). Gleiches gilt für den Fall einer Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht (Senat VRs 105, 224). Nur die willkürliche Ablehnung eines Beweisantrags, also die Ablehnung ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung, die unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist, verletzt das rechtliche Gehör (BVerfG NJW 1992, 2811; Senat NZV 1998, 476). Eine fehlerhafte Ermessensausübung bei der Anwendung des § 77 Abs. 2 NR. 1 OWiG begründet den Vorwurf der Willkür nicht (SenatE v. 03.11.2004 - 8 Ss-OWi 67/04 -).
Der vorliegende Fall gibt darüber hinaus auch keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen (vgl. BGH VRs 40, 134). Zulassungsbedürftige Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache nicht auf.
Die Fragestellung, ob das Messgerät ordnungsgemäß geeicht war oder fehlerfrei funktionierte, ist nicht eine solche der Rechtsanwendung, sondern Gegenstand der freien richterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall."
Dem stimmt der Senat zu und bemerkt ergänzend:
Wie zuletzt in der Senatsentscheidung vom 20.02.2013 - III-1 RBs 45/13 - ausgeführt, sind die Anforderungen an die tatrichterliche Feststellungen zu einer in einem standardisierten Messverfahren ermittelten Geschwindigkeit in der Rechtsprechung hinreichend geklärt (BGHSt 43, 277 ff.; SenE v. 11.02.2003 - Ss 5/03 Z - = VRS 105, 224 [226]; SenE v. 28.012009 - 82 Ss-OWi 11/09 -; SenE v. 26.10.2011 – III-1 RBs 260/11).
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem hier verwendeten Messgeräte ESO 3.0 (ES 3.0) handelt es sich um eine solche in einem standardisierten Messverfahren (vgl. OLG Koblenz B. v. 16.10.2009 - 1 SsRs 71/09 -; OLG Zweibrücken B. v. 19.10.2012 - 1 SsBs 12/12 - = zfs 2013, 51 = DAR 2013, 38; OLG Hamm B. v. 29.01.2013 - III-1 RBs 2/13 -; AG Saarbrücken Urt. v. 25.05.2012 - 22 OWi 68 Js 331/12 [251/12] -, zitiert nach juris). Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung können daher nur konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen. Ohne derartige Anhaltspunkte, würden die an die Überzeugungsbildung des Tatrichters zu stellenden Anforderungen überspannt.
Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes, das eine Bauartzulassung von der Physikalisch-Technische Bundesanstalt erhalten hat, begründet keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses (OLG Koblenz a. a. O.; OLG Zweibrücken a. a. O.; OLG Hamm a. a. O.; KG Berlin B. v. 30.6.2010 - 3 Ws (B) 213/10 -, zitiert nach juris; SenE v. 20.02.2013 - III-1 RBs 45/13 -; AG Zwickau Urt. v. 18.12.2012 - 19 OWi 220 Js 16391/12 -; AG Montabaur Urt. v. 29.08.2012 - 2020 Js 46355/11 12 OWi -; zum Messgerät PoliScan speed, zu dessen Funktionsweise ebenfalls Informationen fehlen: AG Saarbrücken Urt. v. 25.5.2012 - 22 OWi 68 Js 331/12 [251/12] -, zitiert nach juris). Durch die amtliche Zulassung eines Messgerätes bestätigt die Bundesanstalt, dass sie die Ermittlung des Messwertes auf der Grundlage der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer sachverständigen Prüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat. Damit steht die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Geräts fest und macht Informationen zu dessen genauer Funktionsweise entbehrlich. Die genaue Funktionsweise von Messgeräten ist den Gerichten auch in den Bereichen der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin nicht bekannt, ohne dass insoweit jeweils Zweifel an der Verwertbarkeit der Gutachten aufgekommen wären, die auf den von diesen Geräten gelieferten Messergebnissen beruhen. Nach welchem Prinzip das Geschwindigkeitsmessgerät funktioniert, ist bekannt.
Soweit vereinzelt (vgl. AG Kaiserslautern zfs 2012, 407 [aufgehoben durch OLG Zweibrücken a. a. O.], AG Landstuhl zfs 2012, 408 und AG Groß-Gerau DAR 2012, 406) die Auffassung vertreten worden ist, aufgrund der fehlende Kenntnis von der Funktionsweise des Geräts sei es der Verteidigung nicht möglich, substantiiert zu Fehlern der Messung vorzutragen, ist darauf hinzuweisen, dass die Betriebsanleitung des Geräteherstellers (vgl. zur Verfügbarkeit von Bedienungsanleitungen Kärger DAR 2013, 54) und die Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dem Betroffenen durchaus Möglichkeiten geben, Fehler beim konkreten Einsatz des Gerätes aufzudecken (SenE v. 20.02.2013 - III-1 RBs 45/13 -; vgl. a. OLG Hamm a. a. O.).
Die zur Auswertung der von dem Messgerät ESO 3.0 erfassten Falldaten eingesetzten Programme (Software) sind weder eich- noch zulassungspflichtig (vgl. dazu im Einzelnen: OLG Koblenz a. a. O.)
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 OWiG.