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OLG Hamm Beschluss vom 10.09.2013 - III-2 RVs 47/13 - Zur Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis im Inland

OLG Hamm v. 10.09.2013: Zur Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis im Inland


Das OLG Hamm (Beschluss vom 10.09.2013 - III-2 RVs 47/13) hat entschieden:
Wird dem Fahrerlaubnisinhaber im Inland die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen, ihm jedoch nach Ablauf der zugleich bestimmten Sperrfrist in einem EU-Mitgliedsstaat eine neue Fahrerlaubnis erteilt, so ist diese im Inland ohne förmliches Anerkennungsverfahren grundsätzlich anzuerkennen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührender unbestreitbarer Informationen seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte.


Siehe auch EU-Führerschein - Fahren ohne Fahrerlaubnis und Das Wohnsitzprinzip bei der Erteilung eines EU-Führerscheins


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Plettenberg hat den Angeklagten, den das Amtsgericht Plettenberg mit Urteil vom 23. Oktober 2008, rechtskräftig seit dem 29. Januar 2009, wegen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung, Nötigung im Straßenverkehr und Beleidigung unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt und dem es gleichzeitig die Fahrerlaubnis unter Verhängung einer Sperrfrist bis zum 28. Oktober 2009 entzogen hatte, durch Urteil vom 14. Mai 2013 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60,00 Euro verurteilt.

In den Urteilsgründen hat das Amtsgericht unter Ziff. II u.a. folgendes festgestellt:
"[ ... ] Am 16.05.2012 befuhr der Angeklagte mit dem fahrerlaubnispflichtigen Personenkraftwagen der Marke W mit dem amtlichen Kennzeichen #-​## #### unter anderem den C-​Weg in Q. Der Angeklagte verfügt lediglich über eine tschechische Fahrerlaubnis (Nr. 890325/3678), welche am 01.08.2011 in N Q ausgestellt wurde. Einen Antrag auf Anerkennung der tschechischen Fahrerlaubnis hatte der Angeklagte zu den Tatzeiten noch nicht gestellt. Auch hat er keine behördlichen Informationen dahingehend eingeholt, ob er mit der tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland fahren darf. Der Angeklagte hat einen Zweitwohnsitz in Tschechien, wo er auch ein Geschäft betreibt. Ferner ist der Angeklagte seit dem Jahr 1998 durchgängig in Plettenberg gemeldet. Bereits am 16.08.2010 (unanfechtbar seit dem 21.09.2010) war dem Angeklagten nach Ablauf der Sperrfrist aus der Verurteilung des Amtsgerichts Plettenberg vom 23.10.2008 die Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde versagt worden."
Zur Beweiswürdigung ist in dem angefochtenen Urteil u.a. ausgeführt:
"Die Feststellungen beruhen auf dem glaubwürdigen Geständnis des Angeklagten [ ... ]. Der Angeklagte hat eingeräumt, die Fahrzeuge an den fraglichen Tagen geführt zu haben. Auch sei ihm bekannt gewesen, dass im Hinblick auf die Fahrt vom 20.10.2011 ein Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gegen ihn läuft und es Probleme mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis gibt. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass er mit der tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland fahren dürfe. [ ... ]"
Zur rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte den tschechischen Führerschein zwar erst nach Ablauf der Sperrfrist erworben habe, er aber dennoch nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt sei, weil sich aus § 28 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ergebe, dass für das Gebrauchmachen von der tschechischen Fahrerlaubnis die vorherigen Erteilung einer entsprechenden Genehmigung seitens deutscher Behörden erforderlich sei.

Der Angeklagte hat das fristgerecht und zunächst unbestimmt eingelegte Rechtsmittel ebenfalls fristgerecht zur (Sprung-​)Revision bestimmt und mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet. Hierzu hat er insbesondere angeführt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Anerkennung einer in einem anderen EU-​Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis nicht von behördlichen Maßnahmen im Inland abhängig gemacht werden dürfe.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 8. August 2013 ebenfalls beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Angeklagten freizusprechen.


II.

Die zulässige (Sprung-​) Revision hat mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Das Urteil ist in materiell-​rechtlicher Hinsicht fehlerhaft. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen (fahrlässigen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG nicht.

Die Anerkennung von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Deutschland richtet sich nach § 28 FeV, nach dessen Abs. 1 eine in einem Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis grundsätzlich ohne weiteres zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt. Abs. 4 der Vorschrift bestimmt sodann Ausnahmen von diesem Grundsatz.

1. Zwar hat das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass vorliegend der Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht gegeben ist, da diese Bestimmung europarechtskonform dahingehend auszulegen ist, dass sie nur den Zeitraum bis zum Ablauf einer inländischen Sperrfrist erfasst (vgl. die Darstellung bei Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 28 FeV, Rn. 40), und der Angeklagte die tschechische Fahrerlaubnis nach Ablauf dieser Sperrfrist erworben hat.

Rechtsirrig ist, wie die Revision und die Generalstaatsanwaltschaft Hamm zutreffend ausführen, jedoch die Auffassung des Amtsgerichts, die tschechische Fahrerlaubnis berechtige den Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Inland erst nach Absolvierung eines Zuerkennungsverfahrens gemäß § 28 Abs. 5 FeV.

Allerdings sieht § 28 Abs. 5 i.V.m. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV seinem Wortlaut nach in der Tat vor, dass eine im EU-​Ausland erteilte Fahrerlaubnis nicht ohne weiteres, sondern erst nach Zuerkennung auf Antrag zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Inland berechtigt, wenn dem Inhaber zuvor im Inland die Fahrerlaubnis entzogen worden war.

Bei einer solchen wortlautgetreuen Auslegung widersprächen die vorgenannten Bestimmungen jedoch vorrangigem EU-​Recht, nämlich der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006 (sog. 3. Führerscheinrichtlinie), wie sie - insoweit allein maßgeblich - vom EuGH ausgelegt wird (vgl. ebenso zur 2. Führerscheinrichtlinie: BVerfG, Beschluss v. 22.09.2011, 2 BvR 947/11, DAR 2012, 14, Rn. 40). Der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Führerscheine anderer Mitgliedstaaten ohne jede Formalität anzuerkennen (EuGH, Urteil vom 19.02.2009, C-​321/07, DAR 2009, 191, Rn. 75). Frühere Inhaber einer Fahrerlaubnis, die in einem Mitgliedstaat entzogen oder aufgehoben wurde, können nach dieser Rechtsprechung insbesondere nicht verpflichtet werden, bei den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats zunächst die Erlaubnis zu beantragen, von einer Fahrberechtigung Gebrauch zu machen, die sich aus einem nach Ablauf der Sperrfrist in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt (EuGH, Urteil vom 26.06.2008, C-​334/06 bis 336/06, DAR 2008, 459, Rn. 59 f.).

2. In Betracht kommt hier jedoch das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV.

Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV berechtigt eine im EU-​Ausland erteilte Fahrerlaubnis dann nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, wenn der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 FeV im Inland hatte, wobei sich diese Erkenntnis entweder aus dem Führerschein selbst oder aus vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren - d.h. von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaates stammenden (Dauer, a.a.O., § 7 FeV, Rn. 29 m. Nachw.) - Informationen ergeben muss. Diese Regelung ist europarechtskonform (vgl. EuGH, Urteil v. 26.04.2012, C-​419/10, NJW 2012, 1935, Rn. 90).

Ordentlicher Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 FeV ist in Übereinstimmung mit Art. 12 RL 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) entweder der Ort, an dem der Betroffene an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr wohnt, oder - bei örtlichem Auseinanderfallen von beruflichen und persönlichen Bindungen - der Ort der persönlichen Bindungen.

Die hierzu vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen dürften zwar wohl so zu verstehen sein, dass der Angeklagte auch im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis durch die tschechischen Behörden dort nur einen "Zweitwohnsitz" im Hinblick auf geschäftliche Beziehungen unterhielt, während sein "Hauptwohnsitz" seit 1998 durchgängig im Inland liegt. Jedoch ist den Urteilsgründen weder etwas darüber zu entnehmen, dass sich diese Feststellungen auf Angaben in dem tschechischen Führerschein oder auf Informationen tschechischer Behörden stützen, noch ist erkennbar, ob das Amtsgericht bei diesen Erwägungen einen zutreffenden Wohnsitzbegriff, also den sog. ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 FeV, Art. 12 RL 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) zugrunde gelegt hat.

Sollten die Feststellungen vielmehr nur auf einer entsprechenden Meldebestätigung einer deutschen Behörde und/oder Aussagen des Angeklagten selbst beruht haben, so genügt dies nicht, begründet allerdings (anders als in dem vom OLG Hamm mit Beschluss v. 26.09.2012, 3 RVs 46/12, NStZ-​RR 2013, 113, entschiedenen Fall) hinreichende Anhaltspunkte für ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV, so dass das Tatgericht bei der Neuverhandlung der Sache gehalten sein wird, hierzu Feststellungen zu treffen und - sofern nicht schon auf dem tschechischen Führerschein ein deutscher Wohnsitz angegeben sein sollte - Nachforschungen bei den tschechischen Behörden dazu anzustellen, wo der Angeklagte im Zeitpunkt der Erteilung des tschechischen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz i.S.v. § 7 Abs. 1 FeV, Art. 12 RL 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) hatte (näher: Dauer, a.a.O., § 28 FeV, Rn. 29 f.). Sollte sich danach ergeben, dass der Angeklagte seinen ordentlichen Wohnsitz im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland hatte, so weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Einlassung des Angeklagten, er habe angenommen, aufgrund der ihm in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt zu sein, zu einer Auseinandersetzung mit dem Milderungsgrund des § 17 Satz 2 StGB Anlass geben dürfte (vgl. auch OLG Oldenburg, NZV, 2010, 305).

Danach war das angefochtene Urteil mit Ausnahme der aufrechterhaltenen Feststellungen, die von der Gesetzesverletzung nicht betroffen sind, aufzuheben, ohne dass jedoch die Voraussetzungen für eine eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1 StPO vorliegen. Vielmehr war die Sache gemäß Abs. 2 der Vorschrift zur Neuverhandlung zurückzuverweisen.