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OLG Celle Urteil vom 21.11.1995 - 1 Ss 262/95 - Zur Annahme von bedingtem Vorsatz bei einer Trunkenheitsfahrt
OLG Celle v. 21.11.1995: Zur Annahme von bedingtem Vorsatz bei einer Trunkenheitsfahrt
Das OLG Celle (Urteil vom 21.11.1995 - 1 Ss 262/95) hat entschieden:
Zwar rechtfertigt bei einer Trunkenheitsfahrt (StGB § 316) die Höhe des festgestellten Blutalkoholgehalts (hier: 2,0 bis 2,5 g Promille) allein nicht den Schluss, der Angeklagte habe gewusst oder im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich gehalten, er sei fahruntüchtig. Jedoch liegt der Schluss auf vorsätzliche Tatbegehung jedenfalls dann nahe, wenn der Angeklagte von vornherein mit dem Auto zur Gaststätte gefahren ist, um größere Mengen Alkohol zu trinken, wenn er die Menge des getrunkenen Alkohols kennt und durch mehrfache Vorverurteilungen wegen Trunkenheit im Straßenverkehr über die Wirkung alkoholischer Getränke informiert ist.
Siehe auch Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten und Siehe auch Stichwörter zum Thema Alkohol
Gründe:
Der Angeklagte war vom Strafrichter in ... wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden; daneben wurde auf eine isolierte Führerscheinsperre für die Dauer von fünf Jahren erkannt. Die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts ... hatte die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil verworfen. Auf die Revision des Angeklagten, die dieser auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, hatte der erkennende Senat das Urteil insgesamt, also einschließlich des Schuldspruchs, mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts ... ist nunmehr zu einem Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis gelangt, hat wiederum eine Freiheitsstrafe von neun Monaten ausgesprochen, diese jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis wurde auf vier Jahre verkürzt, gerechnet von der jetzigen Verurteilung.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Revision. Sie hat die Sachrüge erhoben und macht geltend, dass der Schuldspruch wegen nur fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr fehlerhaft sei. Auch sei die Aussetzung der verhängten Strafe zur Bewährung nicht zureichend begründet. Die Revision hat Erfolg.
Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte am 25. April 1994 gegen 21 Uhr von ... mit dem Pkw seiner Ehefrau zu einer Gaststätte in der ... Innenstadt und trank dort Weinbrand. Er hatte zu dieser Zeit keine Fahrerlaubnis. Der Fahrt war ein Streit mit seiner Ehefrau vorausgegangen, deren Ersatz-Fahrzeugschlüssel er nach dem Streit an sich genommen hatte.
Kurz vor 1.00 Uhr nachts trat er von der Gaststätte aus die Heimfahrt mit dem Kraftfahrzeug an. Dabei wurde er von Polizeibeamten, denen seine Fahrweise auffiel, angehalten. Die Beamten veranlassten die Entnahme einer Blutprobe, die um 1.40 Uhr erfolgte. Für diesen Zeitpunkt wurde ein Blutalkoholgehalt von 2,18 g 0/00 festgestellt. Der Blutalkoholgehalt zur Fahrtzeit betrug zwischen 2,0 und 2,5 g 0/00. Möglicherweise war der Angeklagte dadurch vermindert schuldfähig.
Das angefochtene Urteil enthält zur Frage des Vorsatzes im Hinblick auf die Fahruntüchtigkeit folgende Ausführungen:
"Der Angeklagte wusste bei Trinkbeginn, dass er mit seinem in der Nähe abgestellten Fahrzeug nach Trinkende nach Hause fahren musste. Er war sich bei Beginn und während des massiven Alkoholgenusses darüber im Klaren, dass er nach dem Trinken ohne Fahrerlaubnis nach Hause fahren musste. Gleichwohl ist zugunsten des Angeklagten festzustellen, dass er sich nur eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt hat zuschulden kommen lassen."
Diese Ausführungen sind lückenhaft und widersprüchlich. Lückenhaft, weil nicht dargelegt wird, warum jemand, der massiv Alkohol trinkt und weiß, dass er danach mit dem Auto nach Hause fahren muss, gleichwohl seine Fahruntüchtigkeit nicht einmal im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich hält, und widersprüchlich, weil das Wissen um massiven Alkoholgenuss und das Wissen um die danach erfolgende Autofahrt eher vorsätzliches als fahrlässiges Handeln nahelegt. Zwar entspricht es feststehender Rechtsprechung, dass die Höhe des Blutalkoholgehalts allein nicht den Schluss rechtfertigt, der Angeklagte habe gewusst oder für möglich gehalten, dass er fahruntüchtig sei (OLG Celle VRS 61, 35, 36; OLG Koblenz NZV 1993, 444). Im vorliegenden Fall stellt das angefochtene Urteil jedoch darüber hinaus fest, dass der Angeklagte schon mehrfach wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verurteilt worden ist, also über die Wirkung alkoholischer Getränke informiert war. Das angefochtene Urteil hält weiterhin fest, dass der Angeklagte zur Tatzeit ein klares Bewusstsein hatte, dass er mit dem Auto zur Gaststätte gefahren war und dort "begann, sich mit Weinbrand zu betrinken" (UA S. 11), also nicht etwa zufällig in eine Situation mit Alkoholkonsum hineingeraten ist. Ihm war demgemäß auch in etwa die Menge des Weinbrands bekannt, den er zu sich genommen hat.
Diese Umstände legen es nahe, eine vorsätzliche Tatbegehung in Betracht zu ziehen (OLG Celle VRS 61, 35f; OLG Karlsruhe NVZ 1993, 117, 118; OLG Düsseldorf NVZ 1994, 367, 368). Wenn das angefochtene Urteil sich darauf beschränkt festzustellen, dass der Angeklagte sich gleichwohl nur eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt habe zuschulden kommen lassen, so ist dies rechtsfehlerhaft. Schon dieser Mangel führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt.
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass auch die Begründung rechtsfehlerhaft ist, mit welcher dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zugebilligt wird. Für eine Strafaussetzung zur Bewährung spricht nach Auffassung der Strafkammer, dass kein Dritter durch die Tat geschädigt wurde, dass er zur Tat durch einen Streit mit seiner Ehefrau veranlasst wurde und in einer Familie mit zwei heranwachsenden Kindern lebe, und dass er schließlich – im Augenblick nur aushilfsweise tätig – eine feste Arbeitsstelle in Aussicht habe, die er bei einer Strafvollstreckung nicht antreten könnte.
Von diesen Gesichtspunkten kann die unterbliebene Schädigung Dritter deshalb nicht für eine Strafaussetzung sprechen, weil eine positive Sozialprognose für den Angeklagten, der wegen § 316 StGB angeklagt und verurteilt worden ist, sich nicht daraus ergeben kann, dass er nicht das gravierendere Delikt des § 315c StGB begangen hat. Da – wie das Urteil darlegt – der Angeklagte in der Vergangenheit schon einmal durch einen Streit mit seiner Ehefrau zu einer Trunkenheitsfahrt veranlasst und deswegen am 05. April 1990 wegen Straßenverkehrsgefährdung von acht Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist, sind offenbar auch die Familienverhältnisse des Angeklagten gerade nicht so beschaffen, dass sie den Schluss auf eine positive Sozialprognose zulassen. Eine in Aussicht stehende Arbeitsstelle kann zwar zu einer positiven Sozialprognose führen (OLG Hamm VRS 67, 423), doch ist in concreto demgegenüber stets zu erwägen, ob etwa die Zubilligung einer Strafaussetzung zur Bewährung dann nicht als genügende Warnung verstanden wird (Dreher/Tröndle, StGB, 47. Aufl. 1995, § 56 Rn 6 f); diese Abwägung fehlt hier.
Die Strafkammer legt auch nicht dar, wie sich die von ihr ausgesprochene Strafaussetzung zur Bewährung mit den von ihr festgestellten Umständen vereinbaren lässt, dass der Angeklagte Bewährungsversager ist, dass sein Hang zum Alkohol tief sitzt und er immer noch – und gelegentlich auch massiv – dem Alkohol zuspricht. Die Darlegung im angefochtenen Urteil, es bestehe keine Gewähr dafür, dass der Angeklagte in Zukunft in einer Krisensituation nicht wieder einschlägig versagen wird, lässt eine Strafaussetzung zur Bewährung in Wahrheit nicht zu, da das Gesetz hierfür fordert, es müsse zu erwarten sein, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde.