Das Verkehrslexikon
Landgericht Gießen Beschluss vom 12.09.2013 - 7 Qs 141/13 - Charakterliche Ungeeignetheit wegen Rauschgiftbesitzes während der Fahrt
LG Gießen v. 12.09.2013: Keine charakterliche Ungeeignetheit wegen Rauschgiftbesitzes während der Fahrt
Das Landgericht Gießen (Beschluss vom 12.09.2013 - 7 Qs 141/13) hat entschieden:
- Auch wenn der für Alkohol existierende Grenzwert von 1,1 Promille nur knapp unterschritten und andere berauschende Mittel (THC, Amphetamin) nachgewiesen sind, ist Fahruntüchtigkeit nur bei Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen gegeben.
- Allein der Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG (Besitz von Haschisch während der Fahrt) begründet nicht die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit bei Taten im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB).
Siehe auch Trunkenheitsfahrt - Fahruntüchtigkeit und Besitz von Cannabisprodukten
Gründe:
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 14.08.2013, mit dem das Amtsgericht Gießen die Beschlagnahme des Führerscheins des Beschuldigten aufgehoben und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt hat, ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Nach Aktenlage sind derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten gemäß § 69 Abs. 1 und 2 StGB die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Urteil entzogen werden wird.
Bei Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der Beschuldigte bei dem Führen des Kraftfahrzeugs am 12.07.2013 (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB) eine rechtswidrige Tat, eine Trunkenheitsfahrt im Sinne des § 316 StGB, begangen hat.
Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen. Dies ist - unabhängig von der Fahrweise - stets der Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1‰ oder mehr einwirkt. Liegt die alkoholische Beeinflussung allerdings unter diesem Wert oder wirken auf den Fahrer "andere berauschende Mittel" ein, müssen weitere Tatsachen hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu führen (BGH, NJW 1959, 1047/1049). Dies gilt auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall mit 0,82 ‰ der für Alkohol existierende Grenzwert von 1,1‰ nicht erreicht ist und auf den Fahrer neben dem Alkohol zusätzlich andere berauschende Mittel - vorliegend 2,6 µg/L THC und 28 µg/L Amphetamin - einwirken. Das Zusammenwirken von Alkohol und Drogen kann zwar das Reaktionsvermögen des Beschuldigten und seine Fähigkeit, die Verkehrslage richtig einzuschätzen, beeinträchtigen. Auch eine Überschätzung des eigenen Leistungsvermögens kommt in Betracht. Dies allein genügt jedoch nicht zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung konkreter Ausfallerscheinungen wie etwa eine regelwidrige, unbesonnene, sorglose oder leichtsinnige Fahrweise oder die Beeinträchtigung der Körperbeherrschung, die sich beispielsweise im Stolpern oder Schwanken beim Gehen manifestieren kann (KG, Beschluss vom 15.09.2011 - 1 Ss 192/11, Juris Rn. 3 ff.). Solche Ausfallerscheinungen lagen hier jedoch nicht vor. Gemäß dem ärztlichen Untersuchungsbericht vom 12.07.2013 war der Beschuldigte bei klarem Bewusstsein, die Nasen-Finger-Prüfung absolvierte er sicher. Soweit im Untersuchungsbericht und im Polizeivermerk von undeutlicher/verwaschener Sprache sowie trüben, glänzenden und geröteten Augen die Rede ist, reichen diese allgemeinen Merkmale des Drogenkonsums nicht aus, um eine Fahruntüchtigkeit anzunehmen (Fischer, 60. Auflage, § 316 StGB, Rn. 40).
Die charakterliche Ungeeignetheit ergibt sich auch nicht aus einer rechtswidrigen Tat des Beschuldigten im Zusammenhang mit dem Führen des Kraftfahrzeugs (§ 69 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB). „Aus der Tat“ kann sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann ergeben, wenn die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse auf die Bereitschaft des Täters zulässt, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Zielen unterzuordnen (BGH, Beschluss v. 23.05.2012 - 5 StR 185/12, Juris Rn. 16). Derartiges ist der Akte jedoch nicht zu entnehmen. Zwar wurden im Fahrzeug des Beschuldigten 13,5 g (brutto) Haschisch aufgefunden. Dieses Vergehen nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG allein genügt jedoch nicht, um eine Prognose dahingehend zu stellen, der Beschuldigte werde die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen kriminellen Interessen unterordnen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit ist vielmehr zu beachten, dass der Beschuldigte bislang nicht vorbestraft ist. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass der Beschuldigte wegen seines Umgangs mit Betäubungsmitteln zu Aggressionen und/oder Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr neigt. Er hat sich vielmehr freiwillig der Verkehrskontrolle unterzogen und nicht etwa versucht, ihr durch ein riskantes Fahrmanöver zu entgehen. Anders als etwa bei einer Drogenkurierfahrt (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 27.04.2005 - GSSt 2/04) wurde zudem lediglich eine relativ kleine Betäubungsmittelmenge im Fahrzeug des Beschuldigten aufgefunden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 StPO.