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Landgericht Berlin Beschluss vom 07.07.2008 - 528 Qs 99/08 - Versäumung der Einspruchsfrist durch Ausländer
LG Berlin v. 07.07.2008: Versäumung der Einspruchsfrist durch Ausländer
Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 07.07.2008 - 528 Qs 99/08) hat entschieden:
Dem Fall der unterbliebenen Rechtsmittelfristbelehrung gemäß § 44 S. 2 StPO ist der Fall gleichzustellen, dass die Belehrung von dem ausländischen Beschuldigten wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht verstanden wird. Wenn er aber erkennt, dass ihm ein amtliches Schriftstück zugestellt worden ist, muss er sich innerhalb eines Monats Kenntnis über dessen Inhalt verschaffen.
Gründe:
1. Der Beschwerdeführerin, der der Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. Februar 2008 am 19. März 2008 an ihrem Wohnort .../P zugestellt worden war und gegen den sie mit Telefax vom 17. April 2008 Einspruch eingelegt hat, war auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der zweiwöchigen Frist (§ 410 Abs. 1 StPO) zur Einspruchseinlegung gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. Februar 2008 zu gewähren, weil sie glaubhaft gemacht hat, die Fristversäumung nicht verschuldet zu haben (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), die Wiedereinsetzung innerhalb einer Woche nach Kenntniserlangung vom Wiedereinsetzungsgrund gestellt hat (§ 45 Abs. 1 StPO) und gleichzeitig die versäumte Handlung, den Einspruch gegen den Strafbefehl, nachgeholt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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a) Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein und somit weder den Inhalt des ihr zugestellten Strafbefehls noch die angeführte Rechtsbehelfsbelehrung verstanden zu haben. Ihre Angabe ist glaubhaft, weil sie in P geboren und dort derzeit wohnhaft ist. Darüber hinaus soll sie nach den Ermittlungen des POK N aus ihrem Fahrzeug kurz ausgestiegen sein und in polnischer Sprache gesagt haben, dass ja nichts passiert sei und ihren polnischen Pass vorgezeigt haben, was dafür spricht, dass sie polnische Staatsangehörige ist.
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Gem. § 44 Satz 2 StPO ist die Versäumung einer Rechtsmittelfrist auch dann als unverschuldet anzusehen, wenn die entsprechende Belehrung hierüber unterblieben ist. Dem ist der Fall gleichzusetzen, dass ein der deutschen Sprache unkundiger Ausländer die Rechtsbehelfsbelehrung des Strafbefehls nicht verstanden hat und infolgedessen die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs versäumt hat (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage 2007, § 44, Rn. 13), weil das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand im summarischen Strafverfahren dem Angeklagten die letzte Möglichkeit eröffnet, rechtliches Gehör in der Sache zu erhalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG StV 1995, S. 394; BVerfG NJW 1975, S. 1597) darf die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache bei einem Ausländer nicht zu einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs führen. Sofern ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Angeklagter infolge seiner Unkenntnis der deutschen Sprache eine Rechtsmittelfrist versäumt, gebieten die Rechtsschutzgarantien des Art. 19 Abs. 4 und des Art. 103 GG die Versäumung der Frist als grundsätzlich unverschuldet im Sinne der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 - 46 StGB) anzusehen. Jedoch muss auch ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Angeklagter, allgemeinen Sorgfaltspflichten bei der Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen nachkommen. Wird ihm daher ein Strafbefehl ohne eine ihm verständliche Rechtsmittelbelehrung zugestellt, kann er aber seinen Inhalt jedenfalls soweit erfassen, dass er erkennt, es könnte sich um ein amtliches Schriftstück handeln, das eine ihn belastende Verfügung enthält, so können von ihm im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen verlangt werden, sich innerhalb einer angemessenen Frist von einem Monat Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen (BVerfG, NJW 1976, S. 1021, 1022; BVerfG, Beschluss vom 02.06.1992, – 2 BvR 1401/91 – = BverfGE 86, 280-286 bei juris Rn. 21). Vorliegend ist der Beschwerdeführerin der Strafbefehl nach Auskunft ihres Verteidigers am 19. März 2008 in ihrer Wohnung in P zugestellt worden. Sie erkannte, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handelte, suchte am 16. April 2008 ihren Verteidiger auf und verschaffte sich daher innerhalb eines Monats Kenntnis vom tatsächlichen Inhalt des ihr zugestellten Schriftstückes. Ihr Verteidiger beantragte mit Telefax vom 17. April 2008 und somit innerhalb einer Woche nach Kenntniserlangung vom Wiedereinsetzungsgrund die Wiedereinsetzung und erhob gleichzeitig Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. Februar 2008.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1, Abs. 7 StPO.