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Landgericht Berlin Beschluss vom 24.07.2006 - 514 Qs 67/06 - Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach Einspruch des Angeklagten

LG Berlin v. 24.07.2006: Keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach Einspruch des Angeklagten ohne neue Tatsachen


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 24.07.2006 - 514 Qs 67/06) hat entschieden:
Wenn das Amtsgericht bei dem Erlass eines Strafbefehls (hier: wegen Nötigung und Beleidigung im Straßenverkehr) die Anordnung der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht für geboten erachtet hat, ist eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne neue Tatsachen und Beweismittel, nachdem der Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hat, unzulässig. Sie verstößt gegen das Willkürverbot.


Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat am 6. April 2006 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen der Vorwürfe der Nötigung und der Beleidigung im Straßenverkehr erlassen. Ein Fahrverbot oder eine Maßregel nach § 69 StGB war in dem antragsgemäß ergangenen Strafbefehl nicht enthalten. Auf den fristgemäß erhobenen Einspruch des Angeklagten hin hat das Amtsgericht ihm mit dem angefochtenen Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen (§ 111a Abs. 1 StPO).

Die hiergegen zulässig erhobene Beschwerde hat Erfolg.

Es kann für die Entscheidung über die Beschwerde dahinstehen, ob der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig ist und ob sie einen Eignungsmangel i.S.d. § 69 Abs. 1 StGB zu belegen vermögen. Dem Erlass eines Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis stehen im gegenwärtigen Verfahrensstadium jedenfalls verfahrensrechtliche Hinderungsgründe entgegen.

Das Amtsgericht hat bei Erlass des Strafbefehls geprüft, ob die beantragten Rechtsfolgen angemessen sind (§ 408 Abs. 3 Satz 2, 3. Alternative StPO). Es hat in Übereinstimmung mit der Amtsanwaltschaft die Anordnung der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht für geboten erachtet. Legt der Angeklagte nach einer solchen Entscheidung Einspruch gegen den Strafbefehl ein, so ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne neue Tatsachen und Beweismittel nicht zulässig (vgl. LG Stuttgart Justiz 1985, 364). Sie verstößt gegen das Willkürverbot (vgl. BVerfG NJW 1995, 124 für das Verfahren nach einer Berufung der Staatsanwaltschaft).

Neue Tatsachen, die eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zulässig erscheinen lassen könnten, sind nicht erkennbar. Sie sind insbesondere nicht – worauf der Beschluss anscheinend abstellt – in der Einlegung des Einspruchs zu sehen, mit dem der Angeklagte lediglich von einem ihm zustehenden prozessualen Recht Gebrauch macht. Die Einlegung eines Einspruchs kann daher entgegen der Auffassung des Amtsgerichts für sich genommen auch nicht die Verhängung schärferer Rechtsfolgen rechtfertigen. Für die im Rahmen der (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis allein bedeutsame Beurteilung der von einem Fahrzeugführer für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahren besagt sie erst recht nichts. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der einen Strafbefehl nicht akzeptiert, eine größere Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt als derjenige, der einen Strafbefehl hinnimmt.

Ob dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, hat das Amtsgericht daher zunächst in der anzuberaumenden Hauptverhandlung zu prüfen. Die Kammer sieht Anlass zu der Anmerkung, dass eine solche Hauptverhandlung ohne die durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis verursachten Verzögerungen schon längst hätte anberaumt werden können.

Die Kammer hatte im Übrigen bereits in ihrem Beschluss vom 9. September 2004 – 514 Qs 262/04 – 290 Cs 235/04 – Veranlassung, den Vorderrichter darauf hinzuweisen, dass seine Vorgehensweise die Gefahr birgt, dass – wie die Kammer damals annahm: sicherlich unbeabsichtigt – bei einem Angeklagten der Eindruck entstehen könnte, die vorläufige Maßregel werde zur Sanktionierung der Einspruchseinlegung und nicht auf Grund einer veränderten Beurteilung der von ihm ausgehenden Gefahren für den Straßenverkehr verhängt. Sie besorgt nunmehr, dass dies in der Absicht des Vorderrichters liegt und so die Rücknahme des Rechtmittels erreicht werden soll. Sie missbilligt ein solches Vorgehen ausdrücklich.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin, da kein anderer sonst dafür haftet. Über die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten war nicht zu entscheiden.



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