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BayObLG Beschluss vom 30.08.1988 - RReg 2 St 183/88 - Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl
BayObLG v. 30.08.1988: Wirksame Zustellung des Strafbefehls an den Zustellungsbevollmächtigten und Verwerfung des Einspruchs
Das BayObLG (Beschluss vom 30.08.1988 - RReg 2 St 183/88) hat entschieden:
- Auch wenn sich die Zustellungsvollmacht nicht bei den Akten befindet, sind Zustellungen an den Zustellungsbevollmächtigten, anders als an den gewählten Verteidiger, wirksam.
- Hat das Amtsgericht ein Sachurteil erlassen, weil es irrtümlich von der Rechtzeitigkeit des verspäteten Einspruchs gegen einen Strafbefehl ausgegangen ist, so hat das Landgericht das Sachurteil aufzuheben. Auch wenn der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hätte, ist das Landgericht nicht gezwungen, die Sache an das Amtsgericht zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung zurückzuverweisen, sondern kann den verspäteten Einspruch als unzulässig verwerfen.
Siehe auch Strafbefehl und Strafbefehlsverfahren und Die Vollmacht des Rechtsanwalts
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist polnischer Staatsangehöriger. Er wohnt als Asylant in Wien.
Er wurde am 9.7.1986 in Würzburg wegen eines Diebstahls vorläufig festgenommen. Nach Hinterlegung von 600 DM als Sicherheitsleistung und nach Bestellung des kriminalpolizeilichen Sachbearbeiters als Zustellungsbevollmächtigten gemäß § 132 StPO wurde er freigelassen.
Der am 30.7.1986 erlassene Strafbefehl über 30 Tagessätze zu 20 DM wegen Diebstahls wurde dem Zustellungsbevollmächtigten am 5.8.1986 zugestellt. Obwohl in den Akten die Anschrift des Angeklagten in Wien enthalten war, teilte der Zustellungsbevollmächtigte der Vollstreckungsbehörde am 9.9.1986 mit, der Angeklagte sei nach Polen zurückgekehrt; seine Anschrift sei nicht bekannt.
Mit Schreiben vom 27.1.1987 - eingegangenen am gleichen Tag - hat der Verteidiger des Angeklagten Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt, weil der Angeklagte erst in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Saarbrücken am 22.1.1987 erfahren habe, dass vom Amtsgericht Würzburg gegen ihn ein Strafbefehl erlassen worden sei.
Staatsanwaltschaft und Amtsgericht gingen von der Unwirksamkeit der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten und damit von der Rechtzeitigkeit des Einspruchs aus.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten sodann wegen Diebstahls zu 30 Tagessätzen von je 35 DM verurteilt.
Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen.
Die Revision des Angeklagten rügt das Verfahren, weil das Landgericht ohne Rücksicht auf den Wiedereinsetzungsantrag den Einspruch als unzulässig verworfen hat.
II.
Der Revision des Angeklagten muss der Erfolg versagt bleiben.
1. Das Landgericht ist im Gegensatz zum Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten wirksam gewesen ist. Während eine Zustellung an einen gewählten Verteidiger nach § 145a Abs. 1 StPO nur zulässig ist, wenn seine schriftliche Vollmacht sich bei den Akten befindet, gibt es eine solche Bestimmung für die Zustellungsvollmacht nach § 132 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht. Es ist daher unschädlich, dass das Schriftstück mit der Unterschrift des Angeklagten, das die Zustellungsvollmacht enthält, erst im Berufungsverfahren zu den Gerichtsakten gelangt ist. Es ist ausreichend, dass die Zustellungsvollmacht wirksam erteilt war. Die Zweifel, die die Revision an der Wirksamkeit der Zustellungsvollmacht vorbringt, teilt der Senat nicht. Der Angeklagte, der, wie sich aus den Hauptverhandlungsprotokollen der beiden Vorinstanzen ergibt, die deutsche Sprache beherrscht, hat das Schriftstück mit der Zustellungsvollmacht unterzeichnet. Es ist daher davon auszugehen, dass er den Inhalt des Schriftstücks verstanden und gebilligt hat.
2. Das Landgericht hat weiter zu Recht das Sachurteil des Amtsgerichts aufgehoben. Die Voraussetzungen für ein Sachurteil lagen nicht vor, weil durch die wirksame Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten die Einspruchsfrist nach § 410 Abs. 1 StPO in Lauf gesetzt worden ist und bei Eingang des Einspruchsschreibens bereits abgelaufen war. Der Einspruch ist somit verspätet eingegangen und damit unzulässig, solange dem Angeklagten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gewährt worden ist. Ein Sachurteil hätte das Amtsgericht erst nach Bewilligung der Wiedereinsetzung erlassen dürfen.
Da das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten unwirksam ist, hat es den Einspruch als rechtzeitig behandelt. Deshalb kann in der Terminsbestimmung oder in einer anderen Maßnahme des Amtsgerichts, die auf den sachlichen Weiterbetrieb des Strafverfahrens gerichtet war, keine stillschweigende Wiedereinsetzung erblickt werden.
3. Das Landgericht hat weiter zu Recht nicht selbst über das Wiedereinsetzungsgesuch entschieden.
Mit BGHSt Band 22, 52 ff. und BayObLGSt 1987, 102 ff. hält der Senat daran fest, dass nach § 46 Abs. 1 StPO nur der Richter, der über den Rechtsbehelf zu entscheiden hat, für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der für den Rechtsbehelf vorgesehenen Frist zuständig ist und dass insbesondere kein durch ein sonst zulässiges Rechtsmittel ausgelöster Übergang der Entscheidungsbefugnis über die Wiedereinsetzung auf ein im Rechtsmittelzug übergeordnetes Gericht in Betracht kommt. Wegen der dafür maßgeblichen Gesichtspunkte wird auf die angeführten Entscheidungen verwiesen, die diese Rechtsfrage in vollem Umfang erörtern.
4. Das Landgericht war wegen des Vorliegens des Wiedereinsetzungsgesuches nicht gezwungen, nach Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils an Stelle der Verwerfung des Einspruchs als unzulässig die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, damit dieses entweder zusammen mit der Versagung der Wiedereinsetzung den Einspruch als unzulässig verwirft oder nach Bewilligung der Wiedereinsetzung erneut zur Sache verhandelt.
Es ist kein Rechtssatz zu erkennen, der vorschreibt, dass bei einer Verfahrenslage wie der vorliegenden nur die Zurückverweisung an das Gericht in Betracht kommt, das über die Wiedereinsetzung zu entscheiden hat.
Eine die Rangfolge von Verwerfung des Einspruchs und Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch regelnde Vorschrift besteht nicht. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften, die bei Versäumung der Hauptverhandlung gelten (§§ 315, 342 StPO), scheidet wegen der völligen Andersartigkeit der beiden Verfahrenslagen aus.
Auch zwingende Gründe der Prozessökonomie sind für die Zurückverweisung nicht ersichtlich. Die Zurückverweisung kann dann überflüssig sein, wenn das Wiedereinsetzungsgesuch unzulässig oder unbegründet ist. Andererseits ist die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig weder für das Landgericht noch für das Amtsgericht ein Mehraufwand. Die entscheidenden Rechtsfragen sind schon vorher zu prüfen, nämlich beim Landgericht bei der Aufhebung des amtsgerichtlichen Sachurteils und beim Amtsgericht bei der Prüfung des Wiedereinsetzungsgesuches.
Auch für den Angeklagten tritt keine Verkürzung seiner Rechte ein, wenigstens nicht in einem Fall wie dem vorliegenden. Denn das Amtsgericht wird durch den Ausspruch der Unzulässigkeit des Einspruchs durch das Landgericht nicht gehindert, die Wiedereinsetzung zu bewilligen. Damit wird die Entscheidung des Landgerichts insoweit gegenstandslos, als es den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen hat. Bestehen bleibt die Aufhebung des Sachurteils des Amtsgerichts, so dass das Amtsgericht nach Bewilligung der Wiedereinsetzung erneut zur Sache verhandeln und entscheiden kann.
Dass nach Verwerfung des Einspruchs die Rechtskraft des Strafbefehls nach außen dokumentiert ist, weil das Wiedereinsetzungsgesuch nach § 47 Abs.1 StPO die Vollstreckung nicht hemmt, während bei einer Zurückverweisung die Rechtskraft weiterhin in Schwebe bleibt, stellt praktisch keinen wesentlichen Nachteil für den Angeklagten dar, weil die Akten dem zuständigen Gericht zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung zugeleitet werden, bevor die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einleitet.
Anders ist es nur dann, wenn durch den Eintritt der Rechtskraft automatisch die Vollstreckung beginnt, z.B. bei Verhängung eines Fahrverbots (§ 44 Abs.3 Satz 1 StGB) oder bei der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs.3 Satz 1 StGB). Ob ein solcher Umstand Veranlassung geben kann, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, ohne den Einspruch zu verwerfen, und damit den Eintritt der Folgen der Rechtskraft zu vermeiden, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein solcher Fall nicht vorliegt.
Im übrigen kann bei Bedarf das Gericht nach § 47 Abs.2 StPO die Vollstreckung aufschieben.
Gegen eine Zurückverweisung spricht, dass dann das Amtsgericht nicht an die Rechtsauffassung des Landgerichts gebunden wäre (so zu § 328 Abs.2 StPO a.F.: KK StPO 1.Aufl. § 328 Rn.11, Kleinknecht/Meyer StPO 37.Aufl. § 328 Rn.5 a.E.). Dagegen ist die Rechtsfrage, dass der Einspruch verspätet ist, bei rechtskräftiger Verwerfung des Einspruchs durch das Landgericht auch für das Amtsgericht bindend entschieden. Es kann damit das Wiedereinsetzungsgesuch nicht mit der Begründung ablehnen, der Einspruch sei rechtzeitig eingelegt.
5. Da der Senat davon ausgeht, dass das Landgericht nach Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts die Sache nicht an das Amtsgericht zurückverweisen musste, sondern den Einspruch, weil verspätet, als unzulässig verwerfen durfte, kann dahingestellt bleiben, ob der Weg der Zurückverweisung an das Amtsgericht, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf (NStZ 1988, 290 mit abl. Anmerkung von Meyer- Gossner) meint, durch die Aufhebung des § 328 Abs.2 StPO durch das StVÄG 1987 in allen Fällen versperrt ist.
III.
Da somit das Landgericht zu Recht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Einspruch als unzulässig verworfen hat, ist die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs.1 Satz 1 StPO. Der Senat entscheidet durch einstimmigen Beschluss nach § 349 Abs.2 StPO.