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OLG Köln Beschluss vom 01.10.1999 - Ss 466/99 - 248 - Terminsladung des sich im Ermittlungsverfahren bestellenden Verteidigers

OLG Köln v. 01.10.1999: Zur notwendigen Terminsladung des sich im Ermittlungsverfahren bestellenden Verteidigers


Das OLG Köln (Beschluss vom 01.10.1999 - Ss 466/99 - 248) hat entschieden:
Hat sich der Verteidiger im Ermittlungsverfahren bestellt, seine Wahl aber später nicht der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht angezeigt, muss er gleichwohl gemäß StPO § 218 zur Hauptverhandlung geladen werden. Wurde der Verteidiger unter Verstoß gegen StPO § 218 S 1 nicht geladen, darf der Einspruch gegen einen Strafbefehl nicht gemäß StPO § 412 S 1 verworfen werden.


Siehe auch Strafbefehl und Strafbefehlsverfahren


Gründe:

Das Amtsgericht hat durch Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen versuchter Nötigung und Beleidigung eine Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 DM festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 3 Monaten verhängt. Das Amtsgericht hat den Einspruch des Angeklagten nach § 412 StPO verworfen. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen. In diesem Urteil heißt es unter anderem:
"Die Berufung war zu verwerfen, da die Voraussetzungen für die Verwerfung des zulässigen Einspruchs gegen den wirksamen Strafbefehl durch das Amtsgericht vorgelegen habe, § 412 StPO.

Nach § 412 StPO ist § 329 Abs. 1, 3 und 4 StPO entsprechend anzuwenden, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung der Angeklagten weder erschienen noch durch einen Verteidiger vertreten und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Denn der Angeklagte ist nach seiner eigenen Einlassung zur Hauptverhandlung ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht durch seinen Verteidiger wirksam vertreten worden, da eine entsprechende Vollmacht nach § 411 Abs. 2 StPO dem Amtsgericht nicht vorgelegen hat. An der wirksamen Verwerfung des Einspruchs ändert auch nicht der Umstand, dass Herr Rechtsanwalt H. zur Hauptverhandlung am 03.02.1999 vom Amtsgericht nicht geladen worden ist. Ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 StPO lag nicht vor. Als Wahlverteidiger war Herr Rechtsanwalt H. nicht neben dem Angeklagten gemäß § 218 StPO zu laden, da er seine Wahl weder gegenüber dem Gericht, wie es § 218 StPO vorschreibt, noch gegenüber der Staatsanwaltschaft angezeigt hat. Zudem ist davon auszugehen, dass Herr Rechtsanwalt H. im Zeitpunkt der Bestellung gegenüber der Polizei mit Schriftsatz vom 31. August 1998 vom Angeklagten noch nicht wirksam bevollmächtigt war, da die mit der Berufungseinlegung vom 26. Februar 1999 überreichte Vollmacht vom 25. Februar datiert."
Mit der Revision des Angeklagten wird Verletzung formellen Rechts, und zwar die Verletzung des § 218 S. 1 StPO, gerügt. Hierzu wird vorgetragen, zu der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht sei der Verteidiger nicht geladen worden, obwohl er sich mit Schriftsatz vom 31. August 1998 im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizeiinspektion 2/VK zum Verteidiger des Angeklagten bestellt habe; der Vorlage einer Vollmacht habe es nicht bedurft; dies habe das Landgericht bei der Überprüfung der Einspruchsverwerfung durch das Amtsgericht verkannt.

Die Rüge ist ordnungsgemäß im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhoben. Das Revisionsgericht kann aufgrund der Begründungsschrift prüfen, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 344 Rnr. 21).

Die Rüge greift auch durch. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft eine Ladung des Verteidigers durch das Amtsgericht für nicht notwendig und deshalb die Einspruchsverwerfung für zulässig gehalten.

Nach § 218 S. 1 StPO ist der gewählte Verteidiger dann zu laden, wenn die Wahl dem Gericht angezeigt worden ist. Dies ist nicht so zu verstehen, dass die Wahl des Verteidigers nur dem Gericht gegenüber angezeigt werden kann. Wenn im Zeitpunkt der Anzeige noch nicht ersichtlich ist, ob und ggf. welches Gericht mit der Sache befasst wird, genügt die Anzeige bei der Stelle, bei der das Verfahren anhängig ist (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 218 Rnr. 8). Auch im Ermittlungsverfahren ist die Anzeige der Verteidigerbestellung schon möglich (vgl. Senatsentscheidung vom 3. Januar 1989 - Ss 711/88; KMR-Paulus, StPO, § 218 Rnr. 8), und zwar nicht nur gegenüber der Staatsanwaltschaft (vgl. OLG Koblenz VRS 41, 208), sondern auch gegenüber der ermittelnden Polizei. Es wäre reiner Formalismus, wenn man von einem Verteidiger, der sich im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizeidienststelle schon bestellt hat, verlangen würde, dass er sich im gerichtlichen Verfahren noch einmal als Verteidiger bestellen müsste.

Auch im Bußgeldverfahren ist anerkannt, dass es für die Anzeige der Verteidigerwahl im Sinne des § 218 StPO ausreicht, wenn die Wahl nicht dem Gericht unmittelbar angezeigt, sondern die Anzeige bereits während des Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde abgegeben wird oder die Anzeige gegenüber der Verwaltungsbehörde erfolgt, nachdem die Akten bereits an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden sind, sofern bei unverzüglicher Weiterleitung der Anzeige an das Gericht die Ladung des Verteidigers noch möglich ist (OLG Celle VRS 58, 372; OLG Hamm VRS 41, 133; OLG Köln, 3. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 3. September 1982 - 3 Ss 256/82; Senatsentscheidung vom 24. Februar 1984 - Ss 81/84; Göhler, OWiG, 12. Auflage, § 71 Rnr. 26). Entsprechendes muss auch für das Ermittlungsverfahren gelten.

Wie vom Verteidiger in der Revisionsbegründung vorgetragen ist und durch den Akteninhalt bestätigt wird, hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 31. August 1998 im Ermittlungsverfahren bestellt. Daher musste das Amtsgericht, das die Bestellung unschwer den Akten entnehmen konnte, den Verteidiger zur Hauptverhandlung laden. Dass der Verteidiger zu dieser Zeit noch keine Vollmacht vorgelegt hatte, ist unerheblich (BGHSt 36, 259 = NJW 1990, 586 = NStZ 1990, 44 = VRS 78, 123; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 218 Rnr. 7).

Das Fehlen einer förmlichen Ladung könnte unschädlich sein, wenn der Verteidiger auf andere Weise rechtzeitig vom Termin zuverlässig Kenntnis erlangt hätte (BGH NJW 1990, 586; OLG Hamm JMBlNW 1974, 22). Dass der Verteidiger sichere Kenntnis von dem Termin erlangt hätte, kann den Akten aber nicht entnommen werden.

Ohne die nach § 218 StPO gebotene Ladung des Verteidigers war die Einspruchsverwerfung nach § 412 StPO unzulässig.

In dem vergleichbaren Fall der Berufungsverwerfung nach § 329 StPO ist anerkannt, dass - obwohl die Verwerfung auch bei Erscheinen des Verteidigers erfolgen kann - nicht auszuschließen ist, dass das Verwerfungsurteil auf der unterlassenen Ladung des Verteidigers beruhen kann, da dieser bei ordnungsgemäßer Ladung durch seine Ausführungen und Anträge möglicherweise das Gericht von einer Verwerfung der Berufung abgehalten hätte (BayObLG VRS 68, 274; Senatsentscheidung vom 30. Juni 1987 - Ss 220/87). In dem ebenfalls vergleichbaren Fall der Einspruchsverwerfung im Bußgeldverfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ist anerkannt, dass die Einspruchsverwerfung unzulässig ist, wenn der Verteidiger nicht geladen und nicht erschienen ist, weil ihm damit die Möglichkeit genommen ist, auf den Verfahrensablauf Einfluss zu nehmen (BayObLG VRS 59, 207; OLG Düsseldorf NZV 1994, 44; OLG Hamburg MDR 1972, 168 = VRS 42, 368; OLG Hamm VRS 45, 442; OLG Köln, 3. Strafsenat, VRS 65, 57, 58; Göhler, OWiG, 12. Auflage, § 74 Rnr. 33; KK OWiG-Senge § 74 Rnr. 34). Erst recht ist bei einem Verstoß gegen § 218 StPO die Einspruchsverwerfung nach § 412 StPO unzulässig, da im Strafbefehlverfahren das Erscheinen eines vertretungsberechtigten Verteidiger sogar den Erlass eines Verwerfungsurteils hindert (vgl. Senatsentscheidung Strafverteidiger 1993, 292; Senatsentscheidung vom 6. November 1998 - Ss 512/98; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage § 412 Rnr. 5 und § 411 Rnr. 4; KK-Fischer, StPO, 4. Auflage, § 411 Rnr. 14).

Das Landgericht hat bei seiner Berufungsentscheidung verkannt, dass die Ladung des Verteidigers notwendig war und wegen der unterlassenen Ladung die Einspruchsverwerfung durch das Amtsgericht unzulässig war. Deswegen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Da damit zugleich feststeht, dass die Einspruchsverwerfung durch das Amtsgericht rechtsfehlerhaft war, muss die Sache unter Aufhebung der Urteile beider Vorinstanzen an das Amtsgericht zurückverwiesen werden (vgl. Senatsentscheidungen VRS 71, 449 und NStZ-RR 1997, 208; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage § 412 Rnr. 11). Nach § 354 Abs. 2 StPO ist die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen (vgl. OLG Karlsruhe Strafverteidiger 1995, 8; Senatsentscheidung NStZ-RR 1997, 208; KK-Fischer, StPO, 4. Auflage, § 412 Rnr. 24).