Das Verkehrslexikon
Landgericht Potsdam Beschluss vom 17.12.2004 - 13 T 83/04 - Richterablehnung im Verkehrsunfallprozess
LG Potsdam v. 17.12.2004: Zur Richterablehnung im Verkehrsunfallprozess
Das Landgericht Potsdam (Beschluss vom 17.12.2004 - 13 T 83/04) hat entschieden:
Ist im Verkehrsunfallprozess das Vorliegen von Vorbeschädigungen des klägerischen Fahrzeuges streitig und ergibt ein eingeholtes Sachverständigengutachten Vorschäden, darf das Prozessgericht den Kläger, der für die Richtigkeit seiner Behauptung der Unbeschädigtheit des Fahrzeuges (u.a.) Parteivernehmung zum Beweis angeboten hatte, nicht mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin darauf hinweisen, dass seine Vernehmung als Partei und ggfs. seine Vereidigung beabsichtigt sei, und nicht gleichzeitig anfragen, ob die Klage aufrecht erhalten werde. Dieses Verhalten rechtfertigt eine Richterablehnung, denn der Hinweis lässt keine andere Auslegung zu, als dass dem Kläger ein strafrechtlich relevantes Verhalten unterstellt wird und mit der Parteivernehmung eine Klagerücknahme erzwungen werden soll.
Siehe auch Befangenheitsantrag - Richterablehnung und Stichwörter zum Thema Zivilprozess
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt mit seiner am 10. Februar 2003 eingereichten Klage von den Beklagten Schadensersatz aus einem Unfallgeschehen vom 20. November 2001.
Der Unfallhergang und die Kompatibilität der Schäden sind zwischen den Parteien streitig. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2003 bot der Kläger für die Behauptung, sein Fahrzeug - ein erstmals im Jahr 1995 zugelassener Pkw Seat - sei vor dem Unfallgeschehen unbeschädigt gewesen sowohl das Zeugnis der seiner Ehefrau R. B. als auch seine Vernehmung als Partei an. Der Beklagte widersprach mit Schriftsatz vom 25. Juli 2003 der Vernehmung des Klägers als Partei.
Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigenbüros Dr. S..., in dem der Sachverständige unter anderem zu der Überzeugung gelangt ist, dass der klägerische Pkw Seat vor dem streitgegenständlichen Unfall nicht vollkommen unbeschädigt gewesen sein könne, hat der Richter am Amtsgericht ... in der Terminsverfügung vom 23. August 2004 das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet, diesen darauf hingewiesen, dass seine Vernehmung als Partei und ggf. seine Vereidigung beabsichtigt sei und den Kläger angefragt, ob die Klage aufrecht erhalten werde.
Aufgrund dieses Hinweises hat der Kläger den Richter am Amtsgericht ... mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2004 als befangen abgelehnt und das Angebot seiner Parteivernehmung zurückgenommen. Zu der von dem abgelehnten Richter am 8. Oktober 2004 abgegebenen dienstlichen Stellungnahme hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2004 Stellung genommen und im wesentlichen ausgeführt, der Hinweis des Gerichts lasse keine andere Auslegung zu, als dass ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Klägers unterstellt werde und nun mit der Drohung der Vernehmung als Partei eine Klagerücknahme erzwungen werden solle.
Das Amtsgericht hat das Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom 2. November 2004, dem Kläger zugestellt am 4. November 2004, für unbegründet erklärt. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 11. November 2004 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 18. November 2004 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Potsdam zur weiteren Entscheidung vorgelegt.
In dem Verfahren vor der Kammer hat der Kläger seine Ansicht von der Befangenheit des Richters am Amtsgericht ... in seinem Schriftsatz vom 8. Dezember 2004 wiederholt und bekräftigt, dass es dem Gericht nicht anstehe, eine Partei in einen Meineid zu treiben.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig, insbesondere innerhalb der Notfrist der §§ 569 Abs. 1, 222 Abs. 2 ZPO eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache auch Erfolg, da das Ablehnungsgesuch des Klägers begründet ist.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein objektiver Grund für die Befürchtung vorliegt, der Richter stehe der Sache nicht mehr unparteiisch gegenüber. Wie das Amtsgericht in dem angegriffenen Beschluss zutreffend festgestellt hat, ist insoweit allein entscheidend, ob durch das Verhalten des Richters vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus begründete Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen können. Der Inhalt der richterlichen Verfügung vom 23. August 2004 ist nach Überzeugung der Kammer dazu geeignet, begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters am Amtsgericht ... zu haben.
Ein Ablehnungsgrund ist allerdings nicht schon darin zu sehen, dass sich der Richter aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstands eine Meinung über den voraussichtlichen (für den Kläger ungünstigen) Ausgang des Verfahrens gebildet und diese Ansicht dem Kläger in der richterlichen Verfügung vom 23. August 2004 mitgeteilt hat. Hinweise eines Richters auf seine vorläufige Meinung über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses sind grundsätzlich durch die richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht gedeckt und liegen in der Regel im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten Auch eine nachteilige Rechtsansicht des Richters, die er entsprechend der Prozessordnung im Rahmen seiner richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht äußert, stellt grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar (vgl. BGH, NJW RR 1986, 738; BayObLG, DRiZ 1977, 244, 245; auch BFH, Beschluss vom 30. Oktober 1987, BFH/NV 1989, 638). Nach den §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO ist das Gericht dazu verpflichtet, den Sach- und Streitstand mit den Parteien zu erörtern. Dieser Pflicht kann der Richter nur nachkommen, wenn er den Parteien auch seine Auffassung, die er aufgrund einer - vorläufigen - Bewertung des Sachvortrages beider Parteien und des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme für die weitere Behandlung des Rechtsstreits zugrunde legen will, bekannt gibt. Dadurch wird den Parteien das durch Artikel 103 Abs. 1 GG zuerkannte Recht auf rechtliches Gehör gewährt. Die Ausübung einer dem Richter auferlegten Pflicht kann aber bei vernünftiger Betrachtungsweise keine Besorgnis der Befangenheit begründen, da sie dem Gericht gegenüber beiden Parteien obliegt und keinen Anlass gibt, an der Objektivität und Neutralität des Gerichts zu zweifeln.
Auch der Umstand, dass der Richter in der Verfügung vom 23. August 2003 verfahrensfehlerhaft eine Parteivernehmung und Beeidigung des Klägers in Aussicht stellt, ist für sich allein nicht dazu geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen ihn zu begründen. Das Amtsgericht stellt hierzu in dem Nichtabhilfebeschluss vom 18. November 2004 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Kammer fest, dass es nicht der Sinn des Ablehnungsverfahrens ist, richterliche Entscheidungen auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen und daher Verfahrensfehler allein nicht dazu geeignet sein können, einen Befangenheitsantrag zu begründen. Der rechtliche Irrtum des Richters über die - im Hinblick auf den schriftsätzlich erklärten Widerspruch der Beklagten - fehlenden Voraussetzungen einer Vernehmung des Klägers nach § 447 ZPO, die Verkennung der Voraussetzungen einer Beeidigung der beweisbelasteten Partei im Rahmen des § 452 Abs. 1 ZPO bei einem eindeutig entgegenstehendem Sachverständigengutachten und das gleichzeitige Unterlassen der Ladung der vorrangig auf den Beweisantrag des Klägers zu vernehmenden Zeugin ist daher gleichfalls nicht dazu geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen.
Bei einer Gesamtschau der richterlichen Maßnahmen in der Verfügung vom 23. August 2004 entbehrt das prozessuale Vorgehen des Richters jedoch nicht nur einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage sondern entfernt sich zugleich so sehr von dem normalerweise üblichen Verfahren, dass sich für den nachteilig betroffenen Kläger zu Recht der Eindruck aufdrängt, der abgelehnte Richter handele nicht mehr mit der notwendigen Unparteilichkeit ihm gegenüber, sondern lediglich mit dem Ziel einer schnellen Erledigung des Rechtsstreits durch die Erzwingung einer Klagerücknahme. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass Maßnahmen, deren Zulässigkeit nicht ganz zweifelsfrei feststehen, jedenfalls zusammen mit anderen, in die gleiche Richtung weisenden Handlungen des Richters als Ablehnungsgrund ausreichen, wenn diese aus der Sicht einer nicht überempfindlichen Partei zu der Befürchtung Anlass geben, der Richter könne sich von unsachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 9. September 1985, NJW-RR 1986, 419, 420; ausdrücklich zur Anordnung einer Parteivernehmung: OLG Köln, Beschluss vom 5. November 1971, NJW 1972, 953).
Indem der Richter am Amtsgericht ... durch seine Anfrage eine Klagerücknahme gleichsam empfiehlt, bringt er für den kundigen Betrachter hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass aufgrund des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens seiner Einschätzung nach mit einer Klageabweisung zu rechnen sein wird. Die Verbindung dieser "Botschaft" mit der Ladung des Klägers und der Ankündigung seiner - offensichtlich prozessordnungswidrigen - eidlichen Parteivernehmung im nächsten Verhandlungstermin kann von dem Kläger vernünftigerweise nur dahin verstanden werden, dass er durch den Aufbau der strafrechtlichen Drohkulisse zur Vermeidung einer späteren Strafverfolgung wegen einer dann als Meineid zu wertenden Aussage zu einer kurzfristigen Klagerücknahme nahezu genötigt werden soll. Eine inhaltliche Rechtfertigung für die als willkürlich empfundene Fortsetzung der Beweisaufnahme durch das Gericht besteht angesichts des eindeutigen Ergebnisses des Sachverständigengutachtens aus der Sicht beider Parteien nicht.
Durch das konkrete richterliche Vorgehen anlässlich der auf eine Klagerücknahme zielenden Anfrage ist einerseits zu befürchten, dass dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen sein könnte (vgl. hierzu auch BFHE 144, 144, 150). Zum anderen hat der Kläger unter diesen Umständen auch ausreichend Grund zu der Besorgnis, der Richter wolle ihn zur Abgabe einer auf die Beendigung des Prozesses gerichteten prozessualen Erklärung veranlassen, weil er sich bereits eine abschließende Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet hat (so auch BFH, Beschluss vom 30. Oktober 1987, aaO.).
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die Beschwerde Erfolg gehabt hat und die dadurch verursachten Kosten somit Kosten des Rechtsstreits sind, in dem das Ablehnungsgesuch gestellt worden ist.