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BGH Beschluss vom 21.12.2006 - IX ZB 60/06 - Befangenheitsantrag - Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes

BGH v. 21.12.2006: Befangenheitsantrag - Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes




Der BGH (Beschluss vom 21.12.2006 - IX ZB 60/06) hat entschieden:

  1.  Ein Ablehnungsgrund ist gemäß § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, wenn hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ob der geltend gemachte Grund angesichts gegenteiliger Darstellung des abgelehnten Richters und übriger Prozessbeteiligter glaubhaft gemacht ist, unterliegt der freien Würdigung durch das entscheidende Gericht.

  2.  Über ein Ablehnungsgesuch gegen den nach § 526 Abs. 1 ZPO zuständigen Einzelrichter hat das Berufungsgericht in der Besetzung mit drei Mitgliedern ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden.


Siehe auch
Befangenheitsantrag - Richterablehnung
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht

Gründe:


I.

Der Kläger, der für die Beklagte Steuerberaterleistungen erbracht hat, nimmt diese auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den gemäß § 526 Abs. 1 ZPO zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Befangenheitsgesuch hat der Berufungssenat in voller Besetzung als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die Beklagte, das Ablehnungsgesuch unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses für begründet zu erklären.

II.

Das Kammergericht meint, über das Ablehnungsgesuch habe nicht der Vertreter des abgelehnten Einzelrichters zu entscheiden, sondern der Senat in voller Besetzung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters. Dies folge aus dem Wortlaut des § 45 ZPO n.F. sowie der Einzelbegründung des Gesetzgebers zur Novellierung der angeführten Bestimmung. In der Sache sei das Ablehnungsgesuch nicht begründet. Die geltend gemachte persönliche Beziehung zwischen dem abgelehnten Richter und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers rechtfertige auf dem Hintergrund des früheren Kontakts des Richters als damaliger Stationsreferendar des Anwalts bei vernünftiger und besonnener Betrachtung nicht die Annahme einer freundschaftlichen Beziehung. Auch die von der Beklagten behauptete und in Wortwahl und Ton beanstandete Äußerung des abgelehnten Richters: "Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben Sie auf allem sitzen", begründe angesichts der verfahrensrelevanten Besonderheiten keine Besorgnis der Befangenheit. Die Verhandlungsatmosphäre sei derart angespannt gewesen, dass die Androhung einer Vertagung erforderlich gewesen sei. Könne sich der Richter von dieser Lage nicht vollständig abgrenzen und bediene sich mit erhobener Stimme einer saloppen Formulierung, so werde eine Partei bei vernünftiger Betrachtung nicht von einer Voreingenommenheit ausgehen.




III.

Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung im Beschluss des Berufungsgerichtes statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und im Übrigen auch zulässig.

In der Sache führt sie zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Nach Erlass des angefochtenen Beschlusses hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter an einem Kollegialgericht auch nach der Neuregelung der Zuständigkeit des Einzelrichters in §§ 348, 348a ZPO allein durch § 45 Abs. 1 ZPO bestimmt wird und danach die Kammer unter Ausschluss des abgelehnten Richters zuständig ist (BGH, Beschl. v. 6. April 2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492, 2493). Für die Zuständigkeit des Kollegialgerichts spricht bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO. Einer Zuständigkeit des Einzelrichters steht der letzte Satzteil "ohne dessen Mitwirkung" entgegen, weil ein Einzelrichter nicht an der Entscheidung mitwirkt, sondern diese trifft und der abgelehnte Einzelrichter über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch nicht selbst entscheiden darf.

Auch aus der Entstehungsgeschichte des Zivilprozessrechtsreformgesetzes lässt sich kein gegenteiliges Ergebnis herleiten. Mit dem Reformgesetz wurde der Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO dahin geändert, dass der nicht zur Zuständigkeit des Einzelrichters passende Nachsatz "ohne dessen Mitwirkung" eingefügt wurde. Die Begründung dazu lässt erkennen, dass insoweit eine Klarstellung entsprechend der bisherigen Rechtsprechung gewollt war und die Vorschrift damit § 27 StPO angepasst werden sollte (BT-Drucks. 14/3750, S. 189). Eine Absicht des Gesetzgebers dahin, nunmehr entsprechend den für die Hauptsache geltenden Anordnungen in §§ 348, 348a ZPO eine Zuständigkeit des Vertreters des Einzelrichters auch für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zu bestimmen, lässt sich hieraus nicht entnehmen (BGH, Beschl. v. 6. April 2006 aaO). Diese Grundsätze finden auf den hier gegebenen Fall der Ablehnung des nach § 526 Abs. 1 ZPO zuständigen Einzelrichters im Berufungsrechtszug gleichermaßen Anwendung.




2. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen. Als Umstände in diesem Sinne kommen dabei nur objektive Gründe in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (BGH, Beschl. v. 14. März 2003 - IXa ZB 27/03, MDR 2003, 892; Beschl. v. 31. Januar 2005 - II ZR 304/03, BGH-Report 2005, 1350).

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde vermag der - vom Kammergericht unterstellte - Umstand, dass sich der abgelehnte Richter und der Prozessbevollmächtigte der Klägerseite vor Beginn der mündlichen Verhandlung geduzt haben, nicht die Besorgnis zu rechtfertigen, zwischen dem Richter und dem Anwalt der Gegenseite bestünde eine nahe persönliche Beziehung. Zutreffend wurde im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die vertrauliche Anrede im Hinblick auf das mehr als 15 Jahre zurückliegende Ausbildungsverhältnis nicht geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des abgelehnten Richters zu begründen.

b) Anders liegt es dagegen bei der - wiederum unterstellten - Formulierung "Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben Sie auf allem sitzen". Auch die vom Kammergericht hervorgehobenen besonderen Umstände sind nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des zweiten Satzes auszuschließen. Zutreffend hat das Gericht in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die behauptete Ausdrucksweise und Stimmstärke in einer ruhigen Verhandlungssituation unangebracht ist und die Annahme einer Voreingenommenheit rechtfertigen kann. Dies gilt aber auch dann, wenn die Verhandlungsatmosphäre derart angespannt ist, dass die Androhung einer Vertagung notwendig wird, was das Kammergericht in seinen von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen hervorgehoben hat. Selbst wenn die unangemessene Wortwahl rein situationsbedingt ausgelöst worden sein sollte, konnte für die hierdurch angesprochene Prozesspartei der Eindruck entstehen, der Richter sei in seiner Ansicht abschließend festgelegt und sei nicht mehr bereit, die zur Entscheidung stehenden Fragen im Lichte der ihm unterbreiteten Argumente unvoreingenommen und kritisch zu prüfen. Die angeführte Äußerung stellt demnach einen Befangenheitsgrund dar.




3. Das Kammergericht hat bislang nicht geprüft, ob die Beklagte die von ihr geltend gemachte Äußerung gemäß § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat. Um dies nachzuholen, ist das Verfahren an das Kammergericht zurückzuverweisen.

Die Frage, ob ein geltend gemachter Ablehnungsgrund glaubhaft gemacht ist, ist nach den zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Danach genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung; die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (BGHZ 156, 139, 141 f; BGH, Beschl. v. 5. Mai 1976 - IV ZB 49/75, VersR 1976, 928; v. 15. Juni 1994 - IV ZB 6/94, NJW 1994, 2898). In diesen Fällen tritt an die Stelle des Vollbeweises eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 294 Rn. 1).

Die Wahrscheinlichkeitsfeststellung unterliegt ebenfalls dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens (Zöller/Greger aaO Rn. 6). Die Beurteilung, ob die Partei das Vorbringen hinsichtlich des geltend gemachten Ablehnungsgrundes angesichts gegenteiliger Darstellungen des abgelehnten Richters und gegebenenfalls der übrigen Prozessbeteiligten glaubhaft gemacht hat, ist ein Akt wertender richterlicher Erkenntnis (BGH, Beschl. v. 13. Januar 2003 - XI ZR 357/01, WM 2003, 848, 849). Das Kammergericht hat daher im Einzelnen zu prüfen, ob für die seitens der Beklagten geltend gemachte Äußerung des Richters im Hinblick auf die gegenteiligen Ausführungen in der dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters sowie in den Stellungnahmen des Klägers eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.

4. Der Beschwerdewert entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Januar 1968 - IV ZB 3/68, NJW 1968, 796; Beschl. v. 6. April 2006 aaO, insoweit in NJW 2006, 2492 f nicht wiedergegeben).

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