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BGH Urteil vom 21.03.1984 - 2 StR 634/83 - Unverzüglichkeit des Ablehnungsgesuchs

BGH v. 21.03.1984: Zur Unverzüglichkeit des Ablehnungsgesuchs als Voraussetzung des Befangenheitsantrags


Der BGH (Urteil vom 21.03.1984 - 2 StR 634/83) hat entschieden:
Zwar muss die Ablehnung eines Richters nach Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache unverzüglich geltend gemacht werden (StPO § 25 Abs 2 Nr 2). Dem Angeklagten ist jedoch eine ausreichende Möglichkeit einzuräumen, die Berechtigung seiner Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des betreffenden Richters mit seinem Verteidiger zu erörtern, damit er die Aussichten eines Ablehnungsgesuchs abschätzen kann.


Siehe auch Befangenheitsantrag - Richterablehnung und Stichwörter zum Thema Verkehrsstraf- und OWi-Recht


Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten B wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie wegen zweier Vergehen gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und vier Schusswaffen eingezogen. Gegen den Angeklagten S hat es wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten erkannt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Beide Angeklagte beanstanden das Verfahren und rügen Verletzung sachlichen Rechts. Ihre Rechtsmittel haben Erfolg.


II.

Die Beschwerdeführer machen zutreffend geltend, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben ist.

Am achten Sitzungstag (25. Februar 1983) dauerte die Hauptverhandlung nur bis 9.10 Uhr. Sie wurde zudem durch eine Pause (von 8.40 bis 8.55 Uhr) unterbrochen. Nach dieser Pause fragte der Verteidiger des Angeklagten S den Vorsitzenden, ob es zutreffe, dass unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 23. Februar 1983 der sachbearbeitende Staatsanwalt H und der Wirtschaftsreferent H mit ihm, dem Vorsitzenden, in seinem Dienstzimmer von etwa 10.45 bis gegen 11.15 Uhr über das vorliegende Strafverfahren gesprochen hätten. Ferner bat er um Aufklärung, welchen Inhalt dieses Gespräch gehabt habe. Darauf äußerte der Vorsitzende, hierzu gebe er keine Erklärung ab. Nachdem dann kurz über den Antrag eines anderen Verteidigers verhandelt worden war, wurde die Sitzung um 9.10 Uhr beendet. Noch nicht zwei Stunden später reichten Verteidiger der beiden Angeklagten auf der Geschäftsstelle der Wirtschaftsstrafkammer ein Ablehnungsgesuch ein. Es richtete sich gegen den Vorsitzenden und war auf dessen erwähnte Äußerung gestützt. In der folgenden Sitzung vom 2. März 1983 verwarf die Wirtschaftsstrafkammer das Ablehnungsgesuch gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 1 StPO als unzulässig. Sie führte zur Begründung aus, die Ablehnung sei verspätet; die Gründe, welche die Angeklagten zur Ablehnung veranlasst hätten, seien ihnen spätestens am 25. Februar 1983 bekannt geworden; sie hätten das Gesuch deshalb noch während der Hauptverhandlung an diesem Tag stellen müssen.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen.

Es war nicht verspätet angebracht worden. Zwar muss die Ablehnung eines Richters nach Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache unverzüglich geltend gemacht werden (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Das bedeutet aber nicht, dass er keinen Anspruch auf vorherige Beratung mit seinem Verteidiger hat. Ihm ist eine ausreichende Möglichkeit einzuräumen, die Berechtigung seiner Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des betreffenden Richters mit seinem Verteidiger zu erörtern, damit er die Aussichten eines Ablehnungsgesuchs abschätzen kann. Welcher Zeitraum hierfür erforderlich ist, hängt von dem jeweiligen Einzelfall ab. Im vorliegenden Fall dauerte die Sitzung (vom 25. Februar 1983), nachdem sich der Vorsitzende in jenem Sinne geäußert hatte, nur noch wenige Minuten. Hinzu kommt, dass während dieser kurzen Zeit über ein anderes Thema verhandelt wurde. Unter diesen Umständen kann den Angeklagten nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätten die Antragstellung schuldhaft verzögert.

Ihr Ablehnungsgesuch war nicht nur zulässig, sondern auch begründet. – Der Senat ist an der Prüfung der sachlichen Berechtigung des Ablehnungsgesuchs nicht dadurch gehindert, dass die Strafkammer zu dieser Frage keine Entscheidung getroffen hat, weil sie sich ihr nicht mehr gestellt hat. Dem Revisionsgericht kommt insoweit eine allgemeine sachliche Entscheidungsbefugnis zu. Es darf die im Ablehnungsgesuch enthaltene Begründung nach Beschwerdegrundsätzen würdigen (BGHSt 23, 265 ff). – Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, dass die Angeklagten Anlass hatten, an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu zweifeln. Ausgelöst wurde ihre Besorgnis durch seine Weigerung, eine Erklärung zu jenen an ihn gerichteten Fragen abzugeben. Dieses Verhalten rechtfertigte ihre Überzeugung, dass die Unterredung zwischen den Genannten tatsächlich stattgefunden und das anhängige Strafverfahren betroffen hatte, zumal das Gespräch unmittelbar nach Beendigung der Hauptverhandlung gegen sie geführt worden war. Vor allem legte es die Annahme nahe, dass unzulässige Absprachen den Gegenstand der Unterredung gebildet hatten und dass deshalb der Vorsitzende keine Erklärung hierzu abgab, als er in der Sitzung vom 25. Februar 1983 danach gefragt wurde. Angesichts dieser Besonderheiten haben die Angeklagten den Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer berechtigterweise abgelehnt.


III.

Da diese Verfahrensrüge durchgreift, braucht auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführer nicht eingegangen zu werden. Der Senat weist jedoch für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:

A)

1. Im Fall III 2 des angefochtenen Urteils empfiehlt es sich, eindeutige Feststellungen zur Tatbestandsvoraussetzung der Steuerverkürzung bzw. der Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile zu treffen. In diesem Zusammenhang ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. April 1978 – 5 StR 692/77 – (veröffentlicht in GA 1978, 278 ff) zu beachten.

2. Der im Fall III 3 zugrunde gelegte Pauschsatz von 28 % (Bl. 10 UA) bedarf im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. November 1982 (BStBl 1983 II 91 ff) näherer Begründung.

3. Die bisherige Sachverhaltswiedergabe zum Fall III 7 lässt noch keine Steuerhinterziehung erkennen.

4. Der auf Bl. 11 UA als "Mehrsteuer" für Einkommens- und Gewerbesteuer angegebene Betrag (260.000 DM) liegt über der Summe der errechneten Einzelmehrsteuern.

B)

1. Im Fall IV wird zu prüfen sein, ob bezüglich der im Dezember 1975 bei der Firma B eingelagerten 200 Kartons Zigaretten die Steuerhinterziehung bereits beendet war, bevor die Beteiligung der Angeklagten an der Schmuggelorganisation begann. Der Senat verweist hierzu auf BGHSt 3, 40, 43 ff. Möglicherweise kommt insoweit nur Steuerhehlerei (evtl. in der Form der Gewerbsmäßigkeit) in Betracht.

2. Die bisherigen Feststellungen im angefochtenen Urteil zum Beginn der bewussten Mitwirkung des Angeklagten B innerhalb der Schmuggelorganisation sind unklar (vgl. Bl. 15, 16, 26, 37 UA einerseits, Bl. 38 UA andererseits).

3. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen in der Regel die Höhe der verkürzten Steuern und – für jede Steuerart – deren Berechnung im einzelnen angegeben werden (BGH GA 1978, 278 ff).

4. Die Verurteilung als Bandentäter setzt voraus, dass der Angeklagte zeitlich und örtlich bei der Tatausführung mit dem oder den anderen Bandenmitgliedern zusammengewirkt hat (vgl. BGHSt 3, 40, 42; 7, 33 ff). Bandenmäßige Aktivitäten nach Beendigung der betreffenden Tat begründen nicht die Anwendbarkeit des § 397 Abs. 2 Nr. 1 AO a.F. In diesem Zusammenhang könnten wiederum die Ausführungen in BGHSt 3, 40, 43 ff von Bedeutung sein.

C)

Im Falle einer Hinterziehung verschiedener Steuerarten kann Tateinheit gegeben sein, wenn der Täter bei der Abgabe einer falschen Erklärung für eine Steuerart davon ausgeht, das Finanzamt werde sie auch für eine andere Steuerart mit heranziehen, und er dies will (BGH NStZ 1983, 29).

D)

Die Annahme von Tatmehrheit zwischen den Verstößen gegen das WaffG ist fehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1980 – 3 StR 342/80).

E)

Rechtliche Bedenken bestehen gegen die straferschwerende Bewertung der Bereicherungsabsicht bei der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 46 Abs. 3 StGB).