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OLG Stuttgart Beschluss vom 08.11.1993 - 4 Ws 216/93 - Zulässigkeit eines Ablehnungsantrags gegen ein Gericht als Ganzes

OLG Stuttgart v. 08.11.1993: Vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis und Zulässigkeit eines Ablehnungsantrags gegen ein Gericht als Ganzes


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 08.11.1993 - 4 Ws 216/93) hat entschieden:
  1. Legt der Beschuldigte gegen den vorläufigen Entzug seiner Fahrerlaubnis Beschwerde ein und lehnt er gleichzeitig die Richter der Beschwerdekammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab, darf diese nicht sofort nach Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs über die Beschwerde entscheiden, es sei denn, die Beschwerdeentscheidung gestattet keinen Aufschub. Die Beschwerdekammer hat vielmehr den Ablauf der Beschwerdefrist des StPO § 28 Abs 2 und, falls die sofortige Beschwerde eingelegt wird, deren rechtskräftige Erledigung abzuwarten, ehe sie in der Hauptsache entscheidet.

  2. Kommt die Beschwerdekammer dieser Wartepflicht nicht nach, so fehlt der sofortigen Beschwerde gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs nicht das Rechtschutzbedürfnis wegen Gegenstandslosigkeit.

  3. Ein Ablehnungsantrag, mit dem ein Gericht als Ganzes abgelehnt wird, ist zulässig, wenn individuell gegen alle Richter ein Ablehnungsgrund geltend gemacht wird, der für sämtliche Richter auch derselbe sein kann.

Siehe auch Befangenheitsantrag - Richterablehnung und Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Gründe:

I.

Dem Beschuldigten wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Tübingen vom 24. August 1993 wegen des Verdachts der Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 111 a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Hiergegen legte er am 31. August 1993 beim Amtsgericht Beschwerde ein.

Mit Schriftsatz vom 10. September 1993 lehnte der Beschuldigte, der von Beruf Rechtsanwalt ist, "alle Richter des Landgerichts Tübingen wegen der Besorgnis der Befangenheit" ab. Zur Begründung führte er an, er sehe sich einem "generalisierten Verdacht seitens der gesamten Richterschaft des Landgerichts Tübingen ausgesetzt". Zu dieser Annahme müsse er aufgrund des Schreibens des Präsidenten des Landgerichts vom 10. August 1993 an die Rechtsanwaltskammer Tübingen gelangen. In diesem habe der Präsident zum Ausdruck gebracht, der Beschuldigte stehe - seinen Erkundigungen im Hause zufolge - bei der Richterschaft des Landgerichts im Verdacht, Alkoholiker zu sein.

Am 27. September 1993 verwarf das Landgericht Tübingen in der Besetzung Vizepräsident des Landgerichts, Richter am Landgericht und Richterin unter Hinweis auf BVerfGE 11, 1 und BGH MDR 1955, 271 die Richterablehnung als unzulässig, weil die Ablehnung eines Kollegialgerichts als Ganzes nicht möglich sei.

Mit weiterem Beschluss vom selben Tag verwarf das Gericht in derselben Besetzung auch die Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

Nach Zustellung beider Beschlüsse am 08. Oktober 1993 legte der Beschuldigte gegen den Beschluss, durch den sein Ablehnungsgesuch verworfen worden war, am 15. Oktober 1992 sofortige Beschwerde ein.

In seinem Begründungsschriftsatz vom 25. Oktober 1993 führte er aus: "1. Die zitierten Entscheidungen sind nicht einschlägig. 2. Es diente sicherlich ... dem Recht, wenn zur Problematik selbst Stellung bezogen worden wäre."

Außerdem reichte der Beschuldigte am 15. Oktober 1993 ein weiteres - mit "II" überschriebenes - Gesuch beim Landgericht Tübingen ein, mit dem er "in der Ermittlungssache gegen mich ... Vizepräsidenten des LG, Richter am LG und Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit" ablehnte. Dem Schreiben fügte er sein Ablehnungsgesuch vom 10. September 1993 sowie das Schreiben des Präsidenten des Landgerichts vom 10. August 1993 an die Rechtsanwaltskammer Tübingen jeweils in Kopie bei.

Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1993 erläuterte der Beschuldigte sein neuerliches Gesuch dahingehend, dass er bei seinem ersten Ablehnungsantrag nur habe vermuten, aber nicht wissen können, welche Richter zur Entscheidung in seiner Beschwerdesache berufen seien. Wie er zwischenzeitlich erfahren habe, sei Frau Richterin zwar ihren eigenen Angaben zufolge im Juli 1993 noch nicht beim Landgericht Tübingen tätig gewesen, auch solle sie vom besagten Schreiben des Präsidenten und dessen Erkundigungen im Hause keine Kenntnis erlangt haben. Gleichwohl halte er auch ihre Ablehnung aufrecht. Wenn sie eine dienstliche Stellungnahme abgegeben habe, nehme er - je nach Inhalt ihrer Erklärung - möglicherweise das Ablehnungsgesuch gegen sie wieder zurück.

Desweiteren bat der Beschuldigte mit dem sein erstes Ablehnungsgesuch betreffenden Begründungsschreiben vom 25. Oktober 1993 zugleich darum, über sein "Ablehnungsgesuch mit SS 15.10.93 II ... erst zu befinden, wenn über die sofortige Beschwerde entschieden ist".


II.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Gegen die Entscheidung, mit der das Landgericht Tübingen die Richterablehnung vom 10. September 1993 als unzulässig verwarf, ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde statthaft. Sie wurde vom Beschuldigten gemäß §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegt.

Das Rechtsmittel ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Zwar traf das Landgericht Tübingen mit Beschluss vom selben Tag auch in der Beschwerdesache wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis eine Entscheidung, die gemäß § 310 StPO nicht weiter anfechtbar ist. Der Beschuldigte kann deshalb mit seiner sofortigen Beschwerde sein Ziel, dass nicht die abgelehnten Richter des Landgerichts Tübingen über seine Beschwerde in der Führerscheinsache entscheiden, nicht ohne weiteres mehr erreichen.

2. Der Ablehnungsantrag des Beschuldigten vom 27. September 1993 war, wie das Landgericht zu Recht entschieden hat, unzulässig.

3. Was den Ablehnungsantrag des Beschuldigten vom 15. Oktober 1993 angeht, so wird das Landgericht Tübingen über ihn noch zu befinden haben. Da das Gericht - soweit ersichtlich - mit einem konkreten Vorgang nicht oder nicht mehr befasst ist, ist das Gesuch des Beschuldigten als verfrüht bzw. im Hinblick auf die getroffene und fortbestehende Sachentscheidung als verspätet nach § 26 a Abs. 1 StPO zu qualifizieren.

Nach alledem war daher die sofortige Beschwerde des Beschuldigten als unbegründet zu verwerfen.