Das Verkehrslexikon
OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 29.07.2011 - 2 Ss OWi 887/10 - Folgen eines Verstoßes gegen Beweiserhebungsvorschriften für ein Beweisverwertungsverbot
OLG Frankfurt am Main v. 29.07.2011: Zu den Folgen eines Verstoßes gegen Beweiserhebungsvorschriften für ein Beweisverwertungsverbot
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.07.2011 - 2 Ss OWi 887/10) hat entschieden:
Die Frage, ob ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vergleiche BGH, Urteile vom 18. April 2007, 5 StR 546/06, sowie vom 11. November 1990, 3 StR 181/98).
Siehe auch Verwertungsverbote und Verwertungsverbote im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren
Gründe:
Das Amtsgericht Gießen hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels (Cannabis-THC) zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt, Ratenzahlung gewährt und ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils verhängt.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am ...2009, einem ..., gegen 13:35 Uhr als Führer eines PKW die ... Straße in Stadt1. An der Ecke ... Straße führte der Zeuge POK P1 eine Fahrzeug- und Personenkontrolle durch. Die Pupillen des Betroffenen waren groß, sie reagierten nicht auf Lichtreize. Der Zeuge fand in der Mittelkonsole des PKW Reste von Marihuana. Ein freiwillig durchgeführter Urintest reagierte positiv auf THC.
Der Polizeibeamte ordnete eine Blutentnahme an, erklärte dem Betroffenen die Festnahme und brachte ihn zur Polizeistation ....
Er kannte zwar den Richtervorbehalt des § 81a StPO, versuchte jedoch nicht, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, weil nach einer für ihn geltenden Dienstanweisung eine richterliche Entscheidung zwar bei Blutentnahmen wegen des Verdachts der Alkoholisierung herbeizuführen war, nicht aber bei Verdacht auf den Konsum von Betäubungsmitteln. In diesen Fällen sei stets Gefahr im Verzug anzunehmen.
Auf der Polizeistation entnahm ein Arzt um 14:37 Uhr die angeordnete Blutprobe. Der Betroffene duldete die Maßnahme ohne ihr zuzustimmen oder zu widersprechen.
Die Untersuchung der Blutprobe ergab eine THC-Gehalt von 3,1 µg/l, die Wirkstoffe THC-Metabolit (THC-11-OH) 3,2 µg/l und THC-Metabolit (THC-COOH, THC-Carbonsäure) 124, 8 µg/l.
Das Amtsgericht hat das Ergebnis der Blutuntersuchung und die dazu gemachten Angaben des Zeugen P1 gegen den in der Hauptverhandlung rechtzeitig erhobenen Widerspruch des Betroffenen verwertet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde, mit der er neben der allgemeinen Sachrüge insbesondere die Rüge erhebt, dass das Amtsgericht die Ergebnisse der Blutuntersuchung trotz eines bestehenden Beweisverwertungsverbotes berücksichtigt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Der Einzelrichter des Bußgeldsenates hat die Sache gem. § 80 a III OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit welcher der Betroffene die Verwertbarkeit der durch den Zeugen P1 wegen des Verdachts einer Drogenfahrt angeordneten Blutentnahme und des hierzu ergangenen toxikologischen Gutachtens beanstandet, greift nicht durch.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht die Verurteilung auf die Verwertung der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe und des daraus resultierenden Gutachtens gestützt hat.
Zwar war vorliegend – entgegen der Ansicht des Amtsgerichtes - ein Beweiserhebungsverbot gegeben.
Die Anordnung der Blutentnahme darf gem. § 81 a II StPO nur durch den zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges auch durch die Staatsanwaltschaft und nachrangig durch ihre Ermittlungspersonen erfolgen.
Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher grundsätzlich versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutprobe anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolges muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (BVerfGE 103, 142; BVerfG (Kammer), Beschluss vom 11.6.2010 - 2 BvR 1046/08 - juris). Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG a. a. O.; OLG Hamm, B. v. 28.4.2009 - 2 Ss 117/09 - juris).
Nach diesen Maßstäben war der die Blutentnahme hier anordnende Polizeibeamte zu einer solchen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzug nicht befugt. Der Betroffene war an einem gewöhnlichen Werktag gegen 13.35 Uhr angehalten worden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem unter normalen Umständen ein Ermittlungsrichter zu erreichen ist. Vor einer selbständigen Anordnung war der Polizeibeamte daher gehalten, zumindest telefonisch eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Dies war auch nach den Feststellungen des Amtsgerichts ohne weiteres möglich, da zwischen Tat- und Anhaltezeit (13.35 Uhr) und dem Zeitpunkt der Blutentnahme (14.37 Uhr) eine Stunde und zwei Minuten vergangen waren. Die in diesem Zusammenhang vom Amtsgericht angestellten Überlegungen sind angesichts des einfach gelagerten und ohne weiteres überschaubaren Sachverhalts rein hypothetischer Natur und vermögen nicht zu überzeugen, zumal der Zeuge P1 selbst angegeben hat, es sei theoretisch Zeit gewesen, einen Staatsanwalt (und damit aber auch einen Richter) zu informieren.
Nicht jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot führt jedoch zwangsläufig zu einem Beweisverwertungsverbot.
Die Frage, ob ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt 44, 243; BGH StV 2007, 338).
Ein Beweisverwertungsverbot stellt eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGH, a. a. O.). Ein Beweisverwertungsverbot ist daher nur bei Eingriffen fern jeder Rechtsgrundlage anzunehmen, die eine so massive Beeinträchtigung enthalten, dass dadurch rechtsstaatliche Grundsätze nachhaltig geschädigt werden und folglich jede andere Lösung als ein Beweisverwertungsverbot unerträglich wäre (BGHSt 51, 285).
Ein Beweisverwertungsverbot ist demnach insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.12.2010 – 3 Ss 293/10 m. w. N.).
Eine gesetzliche Vorschrift, die für den zu beurteilenden Fall ein Beweisverwertungsverbot ausdrücklich anordnet, existiert nicht.
Die Voraussetzungen, unter denen aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall auch ohne ausdrückliche Vorschrift ein Beweisverwertungsverbot anzuerkennen ist, liegen ebenfalls nicht vor.
Dabei ist zunächst von Bedeutung, dass die Anordnung der getroffenen Eilmaßnahme (Blutentnahme) der Polizei nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet ist. Die Verletzung des Richtervorbehaltes hatte deshalb aus objektiver Sicht geringeres Gewicht, als wenn, wie etwa im Fall des § 100 b I StPO, der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art gänzlich untersagt ist (vgl. OLG Frankfurt am Main. a. a. O. m. w. N.).
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Blutentnahme zweifellos vorlagen, so dass ein richterlicher Anordnungsbeschluss ergangen wäre (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.4.2009 – 2 Ss 117/09: OLG Frankfurt am Main, a. a. O.). Damit kommt dem Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffes (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 8.11.2010 – 3 Ss 285/10 m. w. N.) hier wesentliche Bedeutung zu.
Gegen ein Verwertungsverbot spricht hier auch die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. Dem Eingriff, dem sich der Betroffene unterziehen musste, stellt lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit dar (vgl. OLG Frankfurt am Main, a. a. O. m. w. N.), dem das erhebliche öffentliche Interesse an der Abwendung einer Gefährdung durch möglicherweise in der Fahrtüchtigkeit eingeschränkte Verkehrsteilnehmer bzw. an der Ahndung von ordnungswidrigem Verhalten gegenübersteht (vgl. hierzu auch BVerfG Beschluss vom 20.5.2011 – 2 BvR 2072/10 Rn 13 ff – zitiert nach juris).
Ein Beweisverwertungsverbot wäre daher allenfalls bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines nach dem Maßstab objektiver Willkür besonders schwerwiegenden Fehlers anzunehmen.
Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt nur dann vor, wenn die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und daher der Schluss nahe liegt, dass sie auf sachfremden willkürlichen Erwägungen beruht.
Dies ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts hier nicht der Fall.
Ein tatsächlich und eindeutig unangemessenes Verhalten des Zeugen P1 ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Er hielt sich keineswegs für generell anordnungsbefugt. Er handelte vielmehr aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen, wonach der Betroffene große Pupillen hatte, die auf Lichtreiz nicht reagierten, in seinem Wagen Marihuana aufgefunden wurde und der Urintest auf THC positiv verlaufen war, und im Einklang mit der für ihn zum damaligen Zeitpunkt geltenden Dienstanweisung.
Vor diesem Hintergrund ist trotz fehlerhafter Annahme seiner Anordnungskompetenz nicht davon auszugehen, dass der Zeuge P1 in Verkennung der Rechtslage oder gar willkürlich oder unter bewusster Umgehung des Richtervorbehaltes gehandelt hat, zumal im Hinblick auf den schnellen Abbau von THC im Blut schnellstmöglich nach Beendigung der Teilnahme des Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr eine Blutentnahme zu veranlassen ist (vgl. KG, Beschluss vom 29.12.2008 - 3 Ws (B) 467/08 m. w. N.; Kauert u. a. Pharmacokinetic Properties of Δ9-Tetrahydrocannabinol in Serum and Oral Fluid in Journal of Analytical Toxicology, Vol. 31, June 2007, S. 288 ff.; Toennes u.a. Comparison of Cannabinoid Pharmacokinetic Properties in Occasional and Heavy Users Smoking a Marijuana or Placebo Joint in Journal of Analytical Toxicology, Vol. 32, September 2008, S. 470 ff.).
Dass die Dienstanweisung selbst unter grober Verkennung der Rechtslage ergangen ist, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Frage, ob und in welchen Fällen bei Blutentnahmen zum Zwecke der Feststellung der Blutalkoholkonzentration bzw. des Drogenkonsums eine Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden besteht, wurde - worauf der Betroffene zu Recht hinweist - „in den letzten 3 Jahren in der Rechtsprechung kontrovers diskutiert“ und unterschiedlich beurteilt. So ist durchaus - insbesondere von Instanzgerichten - die Auffassung vertreten worden, dass bei Verdacht von Fahrten unter Alkohol oder BtM-Einfluss generell eine polizeiliche Anordnungskompetenz bestehe (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2.6.2009 m. w. N. -zitiert nach Juris). Demgegenüber ist nach der sich seit dem Jahre 2009 verfestigenden obergerichtlichen Rechtsprechung die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden bei Blutentnahmen zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration bzw. des Drogenkonsums allenfalls in Ausnahmefällen anzunehmen (vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 15.9.2009 - 322 SsBs 197/09 - zitiert nach Juris m. w. N.). Angesichts dessen liegt in der damals geltenden Dienstanweisung keine grobe Verkennung der Rechtslage, die ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben könnte.
Vor diesem Hintergrund liegen auch die Voraussetzungen des § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. § 121 Abs. 2 GVG für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof mit Blick auf die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Oldenburg vom 12.10.2009 (2 SsBs 149/09 – NJW 2009, 3591)) und des OLG Brandenburg vom 13.7.2010 (<2> 53 Ss 40/10 (21/10) – zitiert nach juris) nicht vor.
Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Beurteilung eines Beweisverwertungsverbotes im jeweiligen konkreten Einzelfall (vgl. dazu auch OLG Bamberg, Beschluss vom 16.3.2010 – 2 Ss OWi 235/10 – zitiert nach juris). Bezüglich der Frage des Vorliegens eines gesetzlich nicht geregelten Beweisverwertungsverbotes kommt der Senat vorliegend zwar zu einem anderen Ergebnis als die o.g. Entscheidungen. Dies beruht jedoch auf einer Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalles unter Berücksichtigung der auch von den genannten Gerichten angewandten Grundsätze zur Beurteilung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes.
Einer Divergenzvorlage nach § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. § 121 Abs. 2 GVG bedarf es daher nicht.
Auch die Sachrüge führt nicht zum Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch der Rechtsfolgenausspruch einschließlich der Anordnung des Fahrverbotes hält rechtlicher Nachprüfung stand. Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 I OWiG i. V. m. § 473 I StPO.