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OLG Hamm Beschluss vom 22.05.2011 - III-3 RBs 61/11 - Wiedergabe unberücksichtigter Beweismittel in der Rechtsmittelbegründung

OLG Hamm v. 22.05.2011: Wiedergabe unberücksichtigt gebliebener Beweismittel in der Rechtsmittelbegründung


Das OLG Hamm (Beschluss vom 22.05.2011 - III-3 RBs 61/11) hat entschieden:
  1. Soll mit der Revision bzw. der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden, dass der Tatrichter zu Unrecht von einem Verwertungsverbot ausgegangen ist, ist im Rahmen der Aufklärungsrüge auch der Inhalt des nicht verwerteten Beweismittels mitzuteilen. Wird beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es in der Regel erforderlich, dass die Revision den Wortlaut der Urkunde wiedergibt. Bei der Rüge, ein Lichtbild sei fehlerhaft nicht in Augenschein genommen worden, muss dieses in die Revisionsbegründung aufgenommen werden.

  2. Die Vorschrift des § 100h StPO ist dann als Rechtsgrundlage für eine Geschwindigkeitsmessung heranzuziehen, wenn der Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit besteht.

Siehe auch Die Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen und Blutprobe ohne Richterbeschluss - Blutentnahme ohne richterliche Anordnung - Verwertungsverbot?


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 03. November 2010 vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gem. §§ 41 Abs. 1 i. V. m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 Abs. 2 a StVG freigesprochen.

In dem Urteil hat das Amtsgericht unter anderem folgendes ausgeführt:
"A.

Mit Bußgeldbescheid des Kreises I vom 27.01.2010 - Az.: ###- wurde gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 160 € festgesetzt. Außerdem wurde ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat (unter Gewährung einer Abgabefrist für den Führerschein von vier Monaten) angeordnet. Dem Betroffenen wurde zur Last gelegt, am 26.10.2009 um 12:17 Uhr als Fahrer eines PKW der Marke GM, amtl. Kennzeichen ... in ... auf der innerorts gelegenen Straße P-​Straße die durch Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um mindestens 40 km/h aus Fahrlässigkeit überschritten zu haben.

Die Geschwindigkeitsmessung wurde im Rahmen einer mobilen Geschwindigkeitskontrolle festgestellt. Bei der Geschwindigkeitsmessung wurde ein Messgerät der Marke Multanova VR 6 F eingesetzt. Von dem gemessenen Pkw und dem Fahrer wurde ein "Frontfoto" gefertigt. Der Pkw wurde nicht angehalten.

Im Laufe des Bußgeldverfahrens kam die Bußgeldbehörde zu dem Ergebnis, dass der Betroffene als Fahrer identifiziert werden könne.

Der Betroffene hat gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt.

Der Betroffene äußerte sich im Laufe des Bußgeldverfahrens nicht zur Frage seiner Fahrereigenschaft. Im Hauptverhandlungstermin machte der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch. Der Verteidiger rügte außerdem die Verwertbarkeit des Messfotos aus verfassungsrechtlichen Gründen.

B.

Bei dieser Sachlage war es nicht möglich, den Betroffenen als Täter der festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit zu identifizieren, so dass der Betroffene aus tatsächlichen Gründen freizusprechen war.

Das ergibt sich aus Folgendem:

Zum Nachweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen stand lediglich das im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung gefertigte "Frontfoto" zur Verfügung. Anderweitige Beweismittel waren nicht gegeben. Es kam deshalb im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Frage an, ob die gefertigten Frontfotos von dem gemessenen Pkw-​Fahrer trotz des ausdrücklichen Widerspruches des Betroffenen zu Beweiszwecken verwertet werden durften. Diese Frage hat das Gericht verneint. Für die gefertigten Frontfotos bestand nämlich ein Beweiserhebungsverbot, welches aufgrund des ausdrücklichen Widerspruchs des Betroffenen zu einem Beweisverwertungsverbot führte. Die Messfotos konnten deshalb nicht zu Lasten des Betroffenen verwertet werden."
Das Vorliegen eines Beweiserhebungsverbotes und eines daraus resultierenden Beweisverwertungsverbotes hat das Amtsgericht im Folgenden umfangreich und im wesentlichen damit begründet, dass eine gesetzliche Grundlage für die Anfertigung von Messfotos nicht bestehe. § 100 h Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG könne nicht (mehr) als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen im Rahmen der Verkehrsüberwachung angesehen werden, da die Vorschrift keine Überprüfung der Zulässigkeit der Bildaufnahmen hinsichtlich des "Wie" und "Warum" ermögliche. Ausreichende Regelungen hierüber bestünden nicht. Das gem. § 47 Abs. 1 OWiG bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der Verfolgungsbehörde eingeräumte Ermessen bedürfe der gerichtlichen Kontrolle auch im Einzelfall im Rahmen des Bußgeldverfahrens; auch müsse das Vorliegen jeweiliger "Gefahrenstellen" i. S. v. § 48 OBG NW, bei denen die Ordnungsbehörden zur Verfolgung von Geschwindigkeitsüberschreitungen befugt seien, näher geregelt und im Einzelfall zur Überprüfung gestellt werden. Es stehe nämlich zu vermuten, dass die in den letzten Jahren exzessiv angewachsene Geschwindigkeitsüberwachungspraxis der Straßenverkehrsbehörden im Wesentlichen von fiskalischen Interessen motiviert (Stichwort "Abzocke") und deshalb unzulässig sei. Trotz des erheblichen gesetzgeberischen Bedarfs seien entsprechende gesetzliche Regelungen, die überfällig seien, bislang nicht getroffen worden. § 100 h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG sei vor diesem Hintergrund als Rechtsgrundlage nicht (mehr) ausreichend. Das hierdurch begründete Beweiserhebungsverbot ziehe auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich.

Wegen der Ausführungen im Einzelnen wird auf die Abschnitte B.I. und B.II. (Bl 4 - 20 UA) der schriftlichen Urteilsgründe Bezug genommen.

Gegen das in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers und in Abwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft Bielefeld verkündete Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit der bei dem Amtsgericht Herford rechtzeitig eingegangenen Rechtsbeschwerde, die fristgerecht mit der Begründung der Verletzung materiellen Rechts näher begründet worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen beigetreten.


II.

Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Mit der Rüge, das Amtsgericht sei zu Unrecht vom Vorliegen eines Beweiserhebungs- und dadurch begründeten Beweisverwertungsverbotes ausgegangen, macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Gericht habe durch die Nichterhebung des Beweises seine aus § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG folgende Aufklärungspflicht verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 - Az.: 3 StR 337/10 - veröffentlicht bei juris.de). Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das Amtsgericht hätte die Beweiserhebung von Amts wegen auf das gefertigte Radarfoto erstrecken müssen.

Die Rüge genügt nicht der durch § 344 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG vorgeschriebenen Form, denn sie ist nicht als Verfahrensrüge erhoben.

Soll mit der Revision bzw. der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden, dass der Tatrichter zu Unrecht von einem Verwertungsverbot ausgegangen ist, ist im Rahmen der Aufklärungsrüge auch der Inhalt des nicht verwerteten Beweismittels mitzuteilen (vgl. R. Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. 2010, Rdnr. 1023 m. w.N.; BGH NJW 1995, 2047). Wird etwa beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es in der Regel erforderlich, dass die Revision den Wortlaut der Urkunde wiedergibt (vgl. Löwe-​Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rdnr. 368 m. w. N.; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011, a.a.O.). Bei der Rüge, ein Lichtbild sei fehlerhaft nicht in Augenschein genommen worden, muss dieses in die Revisionsbegründung aufgenommen werden (vgl. Meyer-​Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rdnr. 22; BGH StV 2004, 304; BGH Beschluss vom 03. Mai 1993 - 5 StR 180/93, veröffentlicht bei BeckRS 1993, 31088832). Nur bei Erfüllung dieser Voraussetzungen ist das Revisionsgericht in der Lage zu prüfen, ob sich das Tatgericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht zur Beweiserhebung über den Inhalt des Beweismittels hätte gedrängt sehen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011, a.a.O.). Ferner setzt die Prüfung, ob das freisprechende Urteil auf der - etwa rechtsfehlerhaft - unterbliebenen Verwertung des Beweismittels beruht, die Kenntnis vom Inhalt des Beweismittels voraus (BGH NJW 1995, 2047).

Die Revisionsrechtfertigung genügt diesen Anforderungen nicht. Zwar führt die Revision aus, dass das Amtsgericht seine Beweisaufnahme nicht auf das gefertigte Radarfoto erstreckt habe. Dies ist jedoch schon deshalb nicht ausreichend, weil das betreffende Radarfoto nicht durch eine Ablichtung zum Gegenstand der Revisionsbegründung gemacht worden ist. Auch enthält die Revisionsbegründungsschrift keine Ausführungen zur konkreten Bildqualität und eine genaue Beschreibung der abgebildeten Person. Das Revisionsgericht ist deshalb nicht in der Lage, die konkrete Eignung des Radarfotos zur Identifizierung des Betroffenen nachzuvollziehen.

Da der Tatrichter das Radarfoto nicht durch Verweisung nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zum Gegenstand der Urteilsgründe gemacht hat, führt auch die zulässig erhobene Sachrüge, aufgrund derer das Rechtsbeschwerdegericht die Gesamtheit der Urteilsfeststellungen zur Kenntnis nimmt, diesbezüglich nicht weiter.

Bereits aufgrund dieses Mangels ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage nachzuprüfen, ob der Tatrichter die Inaugenscheinnahme des Radarfotos zu Unrecht unterlassen hat, um die Identifizierung des Betroffenen unter Benutzung des Radarfotos aufzuklären; war das Radarfoto aufgrund der Abbildung an sich schon zur Identifizierung nicht hinreichend geeignet, scheidet eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch die unterbliebene Inaugenscheinnahme von vornherein aus.

Die sachlich rechtliche Überprüfung des Freispruchs aufgrund der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge führt nicht zum Erfolg. Da die Frage des Vorliegens eines Beweiserhebungs- und eines Beweisverwertungsverbotes solche Umstände betrifft, die allein mit der Verfahrensrüge einer revisionsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden können, erstreckt sich die sachlich rechtliche Überprüfung des Urteils hierauf nicht.

Das angefochtene Urteil hält vielmehr der Überprüfung auf die Sachrüge hin Stand. Zwar hat der Tatrichter grundsätzlich in den Gründen eines freisprechenden Urteils zunächst diejenigen Tatsachen zu bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (vgl. BGH NStZ-​RR 2010, 182 m.w.N.). Diese Darstellungsanforderungen gelten auch im Bußgeldverfahren (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 71 Rdnr. 43 m w.N.). Die Urteilsgründe enthalten hier lediglich den im Bußgeldbescheid erhobenen Schuldvorwurf, die Angaben, dass die Geschwindigkeitsmessung im Rahmen einer Geschwindigkeitskontrolle mit dem Messgerät Multanova VR 6 F durchgeführt und ein Frontfoto gefertigt wurde sowie Ausführungen dazu, dass die Bußgeldbehörde zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Betroffene als Fahrer identifiziert werden könne. Nach Einspruchseinlegung habe der Betroffene im Bußgeldverfahren und in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Frage seiner Fahrereigenschaft gemacht.

Aus diesen Angaben folgt ein Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Identifizierung mit anderen Beweismitteln, dem nach Auffassung des Bußgeldrichters aufgrund der Unverwertbarkeit des gefertigten Messfotos nicht zu genügen ist. Eine weitergehende Sachdarstellung ist damit auch für die revisionsrechtliche Prüfung nicht erforderlich (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08. November 2010 - 2 SsBs 100/10, veröffentlicht bei juris.de; BGHR StPO, § 267 Abs. 5 Freispruch 14 und Freispruch 12). Das angefochtene Urteil ist damit weder lückenhaft noch enthält es insoweit einen Darstellungsmangel.

Auch im Übrigen lässt das angefochtene Urteil auf die Sachrüge hin Rechtsfehler, die zu seiner Aufhebung führen, nicht erkennen.

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher als unbegründet zu verwerfen.


III.

Der Senat weist jedoch aus Gründen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung darauf hin, dass weiterhin an der zur Frage der Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Messfotos ergangenen Senatsrechtsprechung festgehalten wird und die vorliegende Entscheidung des Amtsgerichts keine Veranlassung gibt, hiervon abzuweichen. Der Senat vertritt, - soweit ersichtlich - wie die anderen Bußgeldsenate des Oberlandesgerichts- Hamm im Lichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (NJW 2009, 3293) und 05.07.2010 (NJW 2010, 2717) weiterhin die Auffassung, dass die Vorschrift des § 100h StPO dann als Rechtsgrundlage für eine Geschwindigkeitsmessung heranzuziehen ist, wenn der Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit besteht (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 25.05.2010 - III-​3 RBs 119/10 (BeckRS 2010, 17282) und 22.07.2010 - III-​3 RBs 200/10; OLG Hamm Beschlüsse vom 11.03.2010 - 5 RBs 13/10 (BeckRS 2010, 11121) und 22.10.2009 - 4 Ss OWi 800/09 (BeckRS 2010, 01868)). Die Erwägungen des Amtsgerichts zur Praxis der Geschwindigkeitsmessung aus angeblichen fiskalischen Interessen, entfalten keine im Bußgeldverfahren tragfähige Begründung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes oder einer fehlenden Rechtsgrundlage. Die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Straßenverkehrsbehörden stellt eine Allgemeinverfügung dar, deren Bindungswirkung für jeden Verkehrsteilnehmer nur bei Willkür, Sittenwidrigkeit oder objektiver Unklarheit entfällt (vgl. Senatsbeschluss vom 29.06.2010 - III-​3 RBs 139/10). Soweit sich ein Betroffener gegen eine solche Anordnung zur Wehr setzen will, steht ihm der Verwaltungsrechtsweg offen.


IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 S. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG.