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OLG Hamm Beschluss vom 15.08.2013 - III-3 RBs 74/13 - Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Nichtbefolgung eines roten Wechsellichtzeichens und einer nachfolgenden Kollision

OLG Hamm v. 15.08.2013: Zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Nichtbefolgung eines roten Wechsellichtzeichens (hier: rotes Lichtzeichen für Linksabbiegerfahrstreifen) und einer nachfolgenden Kollision


Das OLG Hamm (Beschluss vom 15.08.2013 - III-3 RBs 74/13) hat entschieden:
Die Nichtbefolgung eines nur für die Linksabbieger geltenden roten Wechsellichtzeichens stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, wenn dies für die spätere Kollision im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich geworden ist, weil davon auszugehen sein dürfte, dass sich die Kollision nicht ereignet hätte, wenn der Betroffene bei korrekter Befolgung des Wechsellichtzeichens erst einige Zeit - und seien es auch nur wenige Sekunden - später am Kollisionspunkt angekommen wäre. Das Gericht muss aber darüber hinaus feststellen, ob die Verhinderung eines Unfalls gerade mit dem Geschädigten auch zum Schutzbereich dieser Sorgfaltspflicht gehörte. Normzweck der (Sorgfalts-)Pflichten über die Befolgung von roten Wechsellichtzeichen (§ 37 Abs. 2 StVO) ist der Schutz bestimmter Verkehrsteilnehmer bzw. eines bestimmten räumlichen Bereichs des Verkehrsgeschehens vor herannahendem Verkehr.


Siehe auch Rotlichtverstöße bei separaten Ampeln für getrennte Fahrstreifen und Stichwörter zum Thema Rotlichtverstöße


Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässigen Missachtens des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage in Tateinheit mit einem fahrlässigen Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht (Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 2 StVO) zu einer Geldbuße von 240 EUR und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 3. April 2012 mit dem Pkw Audi mit dem amtlichen Kennzeichen ... die S... Straße in Herford in südlicher Fahrtrichtung. Von der S... Straße zweigt nach Osten - also aus Sicht des Betroffenen nach links - die B...straße ab. Nur wenige Meter südlich dieser Abzweigung befindet sich auf der Westseite der S... Straße die Zufahrt zum Parkplatz eines Einkaufszentrums. Der Verkehr in diesem gesamten Bereich ist durch Lichtzeichenanlagen geregelt. Für den die S... Straße in Fahrtrichtung Süden befahrenden Verkehr verfügt die S... Straße vor und an der Abzweigung der B...straße über zwei Fahrstreifen: einen Fahrstreifen für diejenigen Fahrzeuge, die nach links in die B...straße abbiegen wollen, und einen Fahrstreifen für die Fahrzeuge, die die S... Straße weiter geradeaus in südlicher Richtung befahren wollen. Unmittelbar am Beginn der B...straße - d.h. unmittelbar hinter der Abzweigung der B...straße von der S... Straße - liegt an der Südseite der B...straße der Parkplatz der Gaststätte "A-Grill".

Der Betroffene befuhr im Bereich der vorbeschriebenen Abzweigung zunächst den - aus seiner Sicht - rechten Fahrstreifen, der für diejenigen Fahrzeuge vorgesehen ist, die die S... Straße weiter geradeaus in südlicher Fahrtrichtung befahren wollen. Vor ihm befanden sich weder auf dem von ihm benutzten Fahrstreifen noch auf dem für die Linksabbieger in die B...straße vorgesehenen Fahrstreifen andere Fahrzeuge. In dem Moment, als der Betroffene die Haltlinie (Zeichen 294) des von ihm benutzten Fahrstreifens überfuhr, zeigte die Lichtzeichenanlage für diesen Fahrstreifen grünes Licht an, während sie für den Linksabbiegerfahrstreifen rotes Licht anzeigte. Als der Betroffene die Haltlinie gerade passiert hatte, signalisierte er unvermittelt mit dem Fahrtrichtungsanzeiger seines Fahrzeuges, dass er nach links abbiegen wollte, und bog sodann auch nach links in die B...straße ab. Zu diesem Zeitpunkt fuhr gerade der Geschädigte T mit seinem Pkw Opel Vectra rückwärts vom Parkplatz der Gaststätte "A-Grill" auf die B...straße. Es kam zu einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Betroffenen und des Geschädigten. Der Pkw des Geschädigten wurde im Bereich der rechten Heckleuchte beschädigt, das Fahrzeug des Betroffenen erlitt Schäden an der rechten Vordertür.

Seiner Rechtsfolgenentscheidung legte das Amtsgericht die Regelung in Nr. 132.2 des Bußgeldkataloges zur BKatV zugrunde, die für die Nichtbefolgung eines roten Wechsellichtzeichens mit Sachbeschädigung eine Regelgeldbuße von 240 EUR sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat vorsieht.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Einzelrichter des Senats überträgt die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).


II. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge (vorläufig) Erfolg.

1. Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass das Fahrverhalten des Betroffenen im Bereich der Abzweigung der B...straße von der S... Straße eine Nichtbefolgung des für den Linksabbiegerfahrstreifen von der Lichtzeichenanlage angezeigten roten Lichtes darstellte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 1 Ss OWi 223/05 - ). Ebenfalls zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 StVO grundsätzlich auch tateinheitlich mit einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 2 StVO begangen werden kann, weil der Regelungsgehalt des § 1 Abs. 2 StVO von der Spezialvorschrift des § 37 StVO nicht voll erfasst wird (vgl. in einem ähnlichen Zusammenhang auch OLG Köln, NZV 1997, 365).

b) Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen vermögen indes den Schuldspruch wegen der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 2 StVO nicht zu tragen. Den Feststellungen des Amtsgerichts lässt sich nicht entnehmen, dass die von dem Betroffenen verursachte Beschädigung des Fahrzeuges des Geschädigten - also der von § 1 Abs. 2 StVO vorausgesetzte tatbestandliche Erfolg - in den Schutzbereich einer von dem Betroffenen verletzten Sorgfaltspflicht fiel.

aa) Mit der bloßen Feststellung, dass der Täter eine Sorgfaltspflicht verletzt hat und diese Sorgfaltspflichtverletzung im naturwissenschaftlichen Sinne kausal für einen später eingetretenen Taterfolg geworden ist, kann es für den Tatbestand eines Fahrlässigkeitsdeliktes nicht sein Bewenden haben. Erforderlich ist vielmehr, dass zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Taterfolg ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang dergestalt besteht, dass der eingetretene Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltspflicht fällt (BGHSt 33, 61; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 15 Rdnrn. 156 ff).

bb) Zweifellos stellt die Nichtbefolgung des für die Linksabbieger von der S... Straße geltenden roten Wechsellichtzeichens eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den Betroffenen dar, die für die spätere Kollision auch im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich geworden ist, weil davon auszugehen sein dürfte, dass sich die Kollision nicht ereignet hätte, wenn der Betroffene bei korrekter Befolgung des Wechsellichtzeichens erst einige Zeit - und seien es auch nur wenige Sekunden - später in die B...straße eingefahren wäre. Die Feststellungen des Amtsgerichts lassen indes nicht erkennen, ob die Verhinderung der Beschädigung des Fahrzeuges des Geschädigten auch zum Schutzbereich dieser Sorgfaltspflicht gehörte. Normzweck der (Sorgfalts-)Pflichten über die Befolgung von roten Wechsellichtzeichen (§ 37 Abs. 2 StVO) ist der Schutz bestimmter Verkehrsteilnehmer bzw. eines bestimmten räumlichen Bereichs des Verkehrsgeschehens vor herannahendem Verkehr (so i.E. OLG Koblenz, Beschluss vom 21. August 2007 - 1 Ss 115/07 - ; OLG Celle, NZV 2012, 403). Den Feststellungen des Amtsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass der Geschädigte und sein Fahrzeug bzw. der räumliche Bereich, in dem sich die hier in Rede stehende Kollision ereignete, durch das von dem Betroffenen missachtete rote Wechsellichtzeichen vor herannahendem Verkehr geschützt werden sollten. Das angefochtene Urteil enthält keine detaillierten Angaben zur Schaltung der Lichtzeichenanlagen in dem hier interessierenden Abzweigungsbereich. Es ist daher nicht auszuschließen, dass zu dem Zeitpunkt, als die Lichtzeichenanlage für den Linksabbiegerfahrstreifen für von Norden kommende Fahrzeuge auf der S... Straße rotes Licht anzeigte, andere Fahrzeuge, die sich der Abzweigung auf der S... Straße von Süden her näherten, berechtigt gewesen wären, aus ihrer Sicht nach rechts in die B...straße abzubiegen und einzufahren. In diesem Falle wäre der Bereich der B...straße, in dem sich die Kollision ereignete, zum Unfallzeitpunkt durch das von dem Betroffenen missachtete rote Lichtzeichen nicht vor einfahrendem Verkehr aus der S... Straße geschützt gewesen; dort befindliche Verkehrsteilnehmer hätten vielmehr mit solchem einfahrenden Verkehr rechnen und ihr Fahrverhalten hierauf einstellen müssen.

cc) Dass der Betroffene - neben der Nichtbefolgung des roten Wechsellichtzeichens - noch sonstige Sorgfaltspflichten (z.B. überhöhte Geschwindigkeit oder nicht ausreichende Beachtung des Verkehrsgeschehens beim Einfahren in die B...straße) verletzt hat, mag zwar naheliegen, lässt sich den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil indes nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen.

2. Wegen des aufgezeigten Mangels hebt der Senat das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO insgesamt mit den Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurück. Da das Amtsgericht von einer tateinheitlichen Verwirklichung der Ordnungswidrigkeiten nach §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 StVO und nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 2 StVO ausgegangen ist, war eine partielle Aufrechterhaltung des Schuldspruches nicht angezeigt, auch wenn das Amtsgericht die Voraussetzungen für einen Schuldspruch nach §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 StVO - für sich genommen - rechtsfehlerfrei bejaht hat.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Auf der Ebene der Rechtsfolgenentscheidung setzt Nr. 132.2 des Bußgeldkataloges zur BKatV (ebenfalls) einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang in dem oben dargestellten Sinne zwischen der Nichtbefolgung des roten Wechsellichtzeichens und der später eingetretenen Sachbeschädigung voraus (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.). Sollte im vorliegenden Falle ein solcher Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen, wird das Amtsgericht in einem weiteren Schritt zu prüfen haben, ob von der Verhängung des Regelfahrverbotes möglicherweise wegen eines atypischen Geschehensablaufes - namentlich wegen eines hier durchaus naheliegenden erheblichen Mitverschuldens des Unfallgegners T - abgesehen werden kann (vgl. OLG Celle, a.a.O.).