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OLG Hamm Urteil vom 06.02.2014 - I-6 U 80/13 - Sicherungspflichten der Organisatoren einer Fahrradtour
OLG Hamm (Urteil vom 06.02.2014: Zu den Sicherungspflichten der Organisatoren einer Fahrradtour
Das OLG Hamm (Urteil vom 06.02.2014 - I-6 U 80/13) hat entschieden:
- Veranstaltet ein Verein für Vereinsmitglieder eine Fahrradtour, können sich daraus Sicherungspflichten der Organisatoren für die Teilnehmer ergeben, bei deren Verletzung eine Haftung des Vereins nach §§ 280, 278 BGB oder §§ 823, 31, 831 BGB in Betracht kommt.
- Eine schuldhafte Verletzung von Sicherungspflichten liegt nicht vor, wenn die Organisatoren durch Aufstellen von Warnposten ein gefahrloses Überqueren übergeordneter Straßen durch die Gruppe gewährleisten, eine vergleichbare Sicherung von einzeln fahrenden Nachzüglern aber nicht erneut vornehmen. Für einzeln fahrende Nachzügler ist insoweit kein Vertrauen darauf gerechtfertigt, dass die im Hinblick auf das gruppenbedingt atypische Verhalten der geschlossenen Radfahrergruppe ergriffenen Vorkehrungen auch für sie aufrechterhalten oder erneut veranlasst werden.
Siehe auch Fahrradtouren - organisierte Radfahrertouren und Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer
Gründe:
I.
Der Kläger, damals Mitglied des beklagten Schützenvereins, wurde am 02.06.2011 (Himmelfahrtstag), während einer von Vereinsmitgliedern des Beklagten organisierten Fahrradtour der Jungschützen bei einem Verkehrsunfall in F schwer verletzt, als er auf einer Kreuzung des Waldwegs mit der übergeordneten M Straße mit einem ihm gegenüber bevorrechtigten Kraftfahrzeug kollidierte. Er nimmt den Beklagten nunmehr auf hälftigen Schadensersatz in Anspruch.
Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird gem. § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beklagte hafte nicht gem. § 823 Abs. 1 BGB, weil weder dem Vorstand des Beklagten noch den Organisatoren der Fahrradtour eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzulasten sei. Das vorgesehene und auch tatsächlich umgesetzte Sicherungskonzept habe den zu stellenden Anforderungen hinreichend entsprochen. In den etwa zwei Stunden vom Beginn der Tour bis zum Unfallgeschehen um 15.37 Uhr hätten die Teilnehmer der Tour bereits mehrere Kreuzungen überquert gehabt. Dabei habe es nach jeweiliger Sicherung durch die eingeteilten und mit Warnwesten ausgerüsteten Sicherungsposten keinerlei Probleme gegeben. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Sperrung der Unfallkreuzung aufgehoben worden sei, nachdem ein Großteil der Teilnehmer die dem Waldweg übergeordnete M Straße überquert gehabt habe. Zwar habe man für die Nachzüglergruppe, die zurück geblieben war, weil ein Teilnehmer eine Fahrradpanne gehabt hatte, die Kreuzung später erneut sperren müssen. Hieraus lasse sich jedoch zum Vorteil des Klägers nichts herleiten. Denn der Kläger sei nicht in einer Gruppe mit den anderen Nachzüglern gefahren sondern den anderen voraus allein. Eine Sperrung der Kreuzung für einen einzelnen Nachzügler habe nicht erfolgen müssen und der Kläger habe eine derartige Sperrung auch nicht erwarten können.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er vertritt die Auffassung, das Landgericht habe eine unfallursächliche Pflichtverletzung auf Seiten des Beklagten rechtsfehlerhaft verneint. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts habe er erwarten dürfen, dass zu überquerende Straßenkreuzungen stets in gleicher Weise gesichert gewesen seien wie in den ersten beiden Stunden des Fahrradausflugs. Dies habe auch für die Nachzügler gegolten. An der Unfallstelle habe eine besondere Gefahrensituation bestanden, zumal die Radfahrer auf der abschüssigen Strecke erhebliche Geschwindigkeiten erreicht hätten, die Querstraße ebenso wie das Verkehrsschild für Ortsunkundige wie ihn, den Kläger, nur schwer zu erkennen gewesen seien, und außerdem eine alkoholbedingte Enthemmung der Teilnehmer habe bedacht werden müssen. Es habe daher Anlass bestanden, Sicherheit auch für Nachzügler zu gewährleisten, und zwar durch Sperrung der Vorfahrtstraße oder durch Warnposten auf dem Waldweg vor der Kreuzung.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten entsprechend den im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Klageanträgen zu 1) bis 4) zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils samt darin enthaltener Bezugnahmen, die Sitzungsprotokolle des Landgerichts vom 23.11.2012 und vom 08.03.2013 sowie die Sitzungsniederschrift des Senats vom 06.02.2014.
Die Akte 750 JS 665/11 der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat vorgelegen und
ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Denn das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten steht dem Kläger weder wegen der Verletzung von Pflichten aus dem durch die Vereinsmitgliedschaft des Klägers begründeten rechtlichen Sonderverhältnis zwischen den Parteien gemäß §§ 280, 278 BGB zu noch nach Deliktsrecht gem. §§ 831, 823, 31 BGB. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall des Klägers auf einer dem Beklagten zuzurechnenden Pflichtverletzung beruht.
Der Auffassung des Klägers, der Beklagte hafte gem. §§ 823, 31 BGB, weil sein Vorstand es unterlassen habe, die Organisatoren der Radtour einzuweisen, sie zu unterrichten, zu schulen, die Benutzung von Schutzhelmen zu verlangen, selbst die Oberaufsicht zu übernehmen und die Feuerwehr oder die Polizei hinzuzuziehen, folgt der Senat nicht. Dabei kann dahinstehen, ob der Unfall überhaupt vermieden worden wäre, falls der Vorstand des Beklagten derartige Maßnahmen getroffen hätte. Denn aus der Sicht des Vorstandes bestand zu solchen Maßnahmen keine Veranlassung und daher auch keine Pflicht. Es ist nicht ersichtlich, warum der Vereinsvorstand den damit betrauten Organisatoren die Aufgabe, die Radtour zu planen und durchzuführen nicht allein hätte übertragen dürfen. Denn bei den Radtouren in den Vorjahren war soweit ersichtlich nie etwas schief gegangen. Unter diesen Umständen hatte der Vereinsvorstand keine Veranlassung, über das tatsächlich umgesetzte Schutzkonzept hinaus gesteigerte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Immerhin handelte es sich bei den Organisatoren um erwachsene Vereinsmitglieder, die offenbar auch selbst keine Bedenken sahen, die Aufgabe zu übernehmen und die Radtour wie in den Vorjahren durchzuführen.
Der Vorstand war ferner ebenso wie die Organisatoren nicht verpflichtet, wegen einer übermäßigen Straßennutzung i. S. d. § 29 Abs. 2 StVO besonders erhöhte Vorsicht walten zu lassen oder gar eine behördliche Erlaubnis einzuholen. Denn bei den Jungschützen, die den Radausflug unternahmen, handelte es sich um lediglich ca. 30 Personen. Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 29 StVO sind Radtouren erst dann erlaubnispflichtig, wenn daran mehr als 100 Personen teilnehmen oder mit erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen zu rechnen ist, wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen.
Auch im Hinblick auf § 27 StVO lässt sich kein haftungsbegründendes Verhalten des Vereinsvorstandes oder der Organisatoren erkennen. Zwar dürfen mehr als 15 Radfahrer einen Verband im Sinne dieser Vorschrift bilden und gemäß § 27 Abs. 5 StVO hat, wer einen solchen Verband führt, für die Befolgung einschlägiger Vorschriften zu sorgen. Zum Vorteil des Klägers lässt sich daraus aber schon aus dem Grunde nichts herleiten, weil er unmittelbar vor dem Unfallgeschehen nicht als Teil eines geschlossenen Verbandes sondern separat fuhr. Für die Einhaltung der Verkehrsvorschriften war er daher wie grundsätzlich jeder Fahrzeugführer allein verantwortlich.
Eine rechtswidrige unerlaubte Handlung der Organisatoren, für die der Beklagte gemäß § 831 BGB haftbar gemacht werden könnte, ergibt sich ferner nicht daraus, dass sie die Sperrung der M Straße aufgehoben haben, nachdem ein Großteil der Teilnehmer, nämlich diejenigen, die nicht wegen der Fahrradpanne eines Teilnehmers zurückgeblieben waren, die M Straße überquert hatte. Es mag zwar sein, dass der Unfall des Klägers vermieden worden wäre, wenn die M Straße bei Annäherung des Klägers als dem ersten der Nachzügler erneut gesperrt worden wäre oder wenn einer der Organisatoren den Kläger vor der M Straße angehalten hätte, bis sich alle Nachzügler gesammelt hatten, damit man die M Straße als geschlossene Gruppe queren konnte. Für die Annahme einer solchen Sicherungspflicht der Organisatoren mag auch sprechen, dass einerseits eine solche Maßnahme ohne großen Aufwand hätte ergriffen werden können, zumal zumindest einer der Organisatoren die M Straße noch nicht überquert hatte, und dass andererseits die unvorsichtige Überquerung einer übergeordneten Straße mit erheblichen Gefahren verbunden war, ferner, dass das Gefälle auf dem Waldweg zu einer unbeschwerten zügigen Fahrt einlud, dass die in Sichtweite auf der anderen Seite der M Straßen wartende Teilnehmergruppe die Aufmerksamkeit der Nachzügler auf sich gezogen haben mag und schließlich, dass der Alkoholkonsum geeignet war, den einen oder anderen Teilnehmer zu einer gewissen Sorglosigkeit zu verleiten.
Dennoch verneint der Senat einen unfallursächlichen Pflichtenverstoß der Organisatoren. Denn jedem der Nachzügler musste sich aufdrängen, dass er sich durch das Zurückbleiben aus dem geschlossenen Verband gelöst hatte, in dem man zuvor die Radtour gemeinsam absolviert und Kreuzungen überquert hatte. Für die Nachzügler ergab sich daraus eine veränderte Situation. Das Vertrauen darauf, dadurch geschützt zu sein, dass Sicherungskräfte ihr besonderes Augenmerk darauf richten würden, gruppenbedingt atypisches Verhalten der Radfahrer und hierdurch bedingte spezielle Gefahren durch besondere Vorkehrungen auszugleichen, war erkennbar nicht berechtigt. Die Organisatoren durften daher darauf vertrauen, dass jedenfalls die nicht in einer geschlossenen Gruppe sondern einzeln fahrenden Nachzügler wie der Kläger selbst auf die Beachtung der Verkehrsregeln achten würden.
Etwas anderes gilt auch nicht wegen der konkreten Verhältnisse an der Unfallkreuzung. Denn um eine ungewöhnlich gefährliche Stelle handelte es sich nicht. Jedenfalls hat der dafür darlegungs- und beweispflichtige Kläger derartiges nicht nachzuweisen vermocht. Zwar hat der Zeuge N, der hinter dem Kläger fuhr, bekundet, er habe die Querstraße nicht wahrgenommen und auch nicht das vor der Kreuzung aufgestellte Verkehrszeichen 205. Dass die Straße und auch das Verkehrszeichen wahrnehmbar waren, ergibt sich aber aus der Aussage des Zeugen C. Darüber hinaus belegt das auf Seite 10 der Ermittlungsakte zu sehende Foto, dass das Schild und die Querstraße bei der Annäherung an die Kreuzung aus der Fahrtrichtung des Klägers durchaus rechtzeitig wahrgenommen werden konnten.
Da schon die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten nach den oben genannten Vorschriften nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob der Beklagte anderenfalls auch aus sonstigen Gründen von einer Haftung freigestellt wäre.
Nach alledem war die Berufung mit den prozessualen Nebenentscheidungen aus §§ 97, 543, 708 ZPO zurückzuweisen. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.