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OLG Hamburg Beschluss vom 16.04.2014 - 14 U 202/13 - Haftung für seelisch bedingte Folgeschäden
OLG Hamburg v. 16.04.2014: Zur Haftung für seelisch bedingte Unfallfolgeschäden
Das OLG Hamburg (Beschluss vom 16.04.2014 - 14 U 202/13) hat entschieden:
Der Schädiger hat grundsätzlich für die seelisch bedingten Folgeschäden einer Verletzungshandlung einzustehen, und zwar auch dann, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sonst wie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Eine Haftung des Schädigers für seelische Beeinträchtigungen des Geschädigten beginnt also nicht erst dort, wo die Ursache der seelischen Störung ein Trauma katastrophenartigen Ausmaßes gewesen ist, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Erst dann, wenn das schädigende Ereignis nur ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell die Schadenlage des Geschädigten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall, weil in einem groben Missverhältnis zum Anlass stehend, schlechterdings nicht mehr verständlich ist, entfällt die Zurechnung und ist die psychische Störung allein dem eigenen Lebensrisiko des Geschädigten zuzurechnen.
Siehe auch Psychische Unfallfolgen und Fehlverarbeitung traumatischer Erlebnisse - PTBS - posttraumatisches Belastungssyndrom und Stichwörter zum Thema Personenschaden
Gründe:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 08.11.2014, Az.: 306 O 126/09, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das landgerichtliche Urteil ist nicht zu beanstanden.
Der Senat geht zunächst mit der Berufung davon aus, dass die Beklagte in vollem Umfang für die mit der Klage geltend gemachten Kosten einstandspflichtig ist, wenn die von der Klägerin behaupteten körperlichen und seelischen Schäden adäquat kausal auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen sind.
Dies ist entgegen der Auffassung der Berufung nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts der Fall, so dass es auf die von der Berufung vermisste Abgrenzung zwischen den Kosten für die Behandlung der orthopädisch-neurologischen Verletzungen sowie der Behandlung der psychisch bedingten Folgewirkungen nicht ankommt.
1. Dass die Zeugin ... körperliche Verletzungen, insbesondere am Ellenbogen, durch den Unfall erlitten hat, war bereits erstinstanzlich zwischen den Parteien unstreitig. Dies wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die weitergehende Feststellung des Landgerichts, die Zeugin ... habe unfallbedingt psychische Schäden erlitten. Zu dieser Feststellung ist das Landgericht nach umfangreicher Beweisaufnahme gekommen. Die vorgenommene Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.
a. Zu Recht hat das Landgericht das Beweismaß des § 287 ZPO herangezogen, denn die psychische Beeinträchtigung stellt sich als Folgeschaden der unfallbedingten körperlichen Verletzung dar und nicht, wie die Berufung ausführt, als Primärschaden ohne vorangegangene Verletzung. Der Sachverständige Prof. ... hat insoweit im Rahmen seiner Anhörung im Termin vom 17.09.2013 ausgeführt, dass die Verletzung wenigstens einen Co-Faktor für das Entstehen der psychischen Fehlentwicklung darstelle und es auch einen relevanten Unterschied mache, ob eine Verletzung eingetreten sei, denn zu dem Schreckenerlebnis Unfall komme im Falle einer Verletzung aufgrund der Schmerzen auch das Gefühl hinzu, dass etwas Schlimmes passiert sei. Es sei wahrscheinlich, dass die Verletzung die Fehlverarbeitung des Unfallereignisses ungünstig beeinflusst habe.
b. Die Berufung übersieht bei ihren Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts, dass es bei dem vorliegenden Rechtsstreit gar nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach den Kriterien der Klassifikation nach DMS-IV-TR bzw. der WHO-Klassifikation nach ICD-10 vorgelegen haben. Der Schädiger hat nämlich grundsätzlich für die seelisch bedingten Folgeschäden einer Verletzungshandlung einzustehen, und zwar auch dann, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sonst wie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen (BGH NJW 1996, 2425). Eine Haftung des Schädigers für seelische Beeinträchtigungen des Geschädigten beginnt also nicht erst dort, wo die Ursache der seelischen Störung ein Trauma katastrophenartigen Ausmaßes gewesen ist, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (so die Definition der posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10). Erst dann, wenn das schädigende Ereignis nur ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell die Schadenlage des Geschädigten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall, weil in einem groben Missverhältnis zum Anlass stehend, schlechterdings nicht mehr verständlich ist, entfällt die Zurechnung und ist die psychische Störung allein dem eigenen Lebensrisiko des Geschädigten zuzurechnen (BGH a.a.O.; Müller VersR 2003, 137). Als Bagatelle können dabei nur solche Ereignisse eine Zurechnung verhindern, die üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein (BGH NZV 1998, 65).
Dies kann hier aber eindeutig nicht erkannt werden. Sowohl die Verletzung der Zeugin ... als auch das eigentliche Unfallgeschehen können nicht als eine solche Bagatelle angesehen werden. So hat der BGH ein Halswirbelschleudertrauma und Prellungen anderer Körperteile ohne weiteres als nicht geringfügig in diesem Sinne eingestuft (BGH NZV 2012, 527). Nichts anderes kann für die hier vorliegende schmerzhafte Infraktion/Distorsion des Ellenbogens gelten. Auch das Unfallgeschehen selbst kann nicht als ganz geringfügig angesehen werden. Dabei ist nicht allein auf den hier nicht bekannten Sachschaden abzustellen, sondern auf die konkrete Unfallsituation, wie sie sich der Geschädigten dargestellt hat. Zwar führt die Beklagte in der Berufung aus, die Zeugin ... habe ja selbst angegeben, sie habe im Zeitpunkt der Kollision gar nicht gewusst, was los gewesen sei. Da die Beklagte fälschlicherweise zumindest das A-Kriterium des Klassifikationssystems DSM-IV-TR als Voraussetzung einer Haftung ansieht, blendet sie aber aus, dass für die Geschädigte die konkrete Situation, dass mit einem Mal, ohne dass ein Grund für sie ersichtlich gewesen ist, ihr Hinterrad wegzog und sie starke Schmerzen in dem Arm verspürt hat, durchaus nachvollziehbar belastenden Charakter gehabt haben kann und die psychische Reaktion hierauf jedenfalls nicht "schlechterdings nicht mehr verständlich" gewesen ist. Auch der Sachverständige Prof. ... erläutert in seiner 2. Anhörung vor dem Landgericht, dass das Unfallereignis als solches geeignet gewesen sei, eine solche psychische Störung herbeizuführen.
c. Auch die weiteren Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts lassen konkrete Anhaltspunkte an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen nicht erkennen, § 529 Abs. 2 ZPO.
Zur fehlenden Entscheidungserheblichkeit der von der Berufung problematisierten Frage nach den zutreffenden Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist auf obige Ausführungen zu verweisen.
Soweit die Berufung auf das Vorliegen von psychischen Vorschädigungen der Zeugin ... abstellt, würde das Vorhandensein solcher Vorschädigungen den Rechtswidrigkeitszusammenhang ebenfalls nicht in Frage stellen. Es ist anerkannt, dass auch im Falle psychischer Schäden die besondere Schadenanfälligkeit des Geschädigten dem Schädiger zuzurechnen ist (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2001, 1676).
Auch die fehlende Dokumentation einer psychischen Erstreaktion hat der Sachverständige überzeugend damit begründet, dass im Falle eines organischen Problems nach einem Unfall dieses zunächst einmal im Vordergrund steht und psychische Auffälligkeiten von den erstversorgenden Chirurgen dann häufig nicht gewürdigt bzw. dokumentiert würden. Aufgrund des von der Zeugin ... glaubhaft geschilderten Gefühls der Hilflosigkeit und des Entsetzens gehe er aber von einer psychischen Erstreaktion aus (Seite 28 der gutachterlichen Stellungnahme vom 05.07.2010). Auch hat die Zeugin ... im Rahmen ihrer Vernehmung angegeben, dass sie direkt nach dem Unfall an Schlaflosigkeit gelitten habe und Albträume gehabt habe, allerdings davon ausgegangen sei, dass diese Beeinträchtigungen wieder weggehen würden.
Schließlich liegen aus oben genannten Gründen auch die Voraussetzungen für die Einholung eines weiteres Gutachtens gem. § 412 ZPO nicht vor.