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BGH Urteil vom 06.02.1980 - VIII ZR 275/78 - Fabrikneuheit eines Kraftfahrzeugs
BGH v. 06.02.1980: Zur Fabrikneuheit eines Kraftfahrzeugs
Der BGH (Urteil vom 06.02.1980 - VIII ZR 275/78) hat entschieden:
Ein, abgesehen von der Überführung, nicht benutztes Kraftfahrzeug darf als fabrikneu bezeichnet werden, wenn und solange das Modell dieses Kraftfahrzeugs weiterhin unverändert hergestellt wird, also keine Änderung in der Technik und der Ausstattung aufweist, und wenn es keine durch die längere Standzeit bedingte Mängel hat.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Neuwagenkauf
Tatbestand:
Der Kläger kaufte von der Beklagten am 8. Mai 1975 einen Kraftwagen F. Capri Ghia, der sich als Ausstellungswagen in deren Niederlassung befand. Der Listenpreis für diesen Wagen, der im Juni/Juli 1974 hergestellt worden war, betrug 16.549 DM; der Kläger hatte jedoch nur 15.000 DM zu zahlen, weil er kein gebrauchtes Fahrzeug in Zahlung gab. Auf der Rückseite des Kaufvertrages befanden sich die Geschäftsbedingungen der Beklagten, die eine Gewährleistung einschränkten und einen Anspruch auf Wandelung nur dann vorsahen, wenn eine Abstellung von Mängeln undurchführbar war. Der Wagen wurde dem Kläger am 8. Mai 1975 bei einem Kilometerstand von 29 km ausgeliefert. Der Kläger zahlte den Kaufpreis von 15.000 DM.
Da das Kraftfahrzeug nach Ansicht des Klägers Mängel aufwies, holte er ein Sachverständigengutachten über den Zustand des Fahrzeuges ein. Nach dessen Eingang stellte er am 29. September 1975 das Kraftfahrzeug der Beklagten Zug um Zug gegen Lieferung eines neuen Fahrzeugs zur Verfügung, weil das gelieferte Fahrzeug Mängel habe und weil es kein Neufahrzeug sei; vorsorglich erklärte der Kläger Wandelung. Die Beklagte machte am 22. Oktober 1975 geltend, dass der Kläger ein fabrikneues Fahrzeug erhalten habe, bat ihn indessen, auf das Angebot ihrer Haupthändlerin einzugehen und die zutage getretenen Mängel in deren Werkstatt beheben zu lassen. Dass der Wagen bereits im Sommer 1974 hergestellt worden war, erfuhr der Kläger durch Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 9. Dezember 1975 und der F.-Werke vom 12. Februar 1976.
Mit der am 7. Mai 1976 erhobenen Klage verlangt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 15.000 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftwagens. Das Landgericht gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück.
Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass das dem Kläger gelieferte Kraftfahrzeug der neuesten Bauart dieses Modells entsprochen habe. Es hat dahingestellt gelassen, ob die vom Kläger behaupteten Mängel des Kraftfahrzeugs vorhanden seien, ob der Kläger diese Mängel gekannt habe und ob ein auf die angeblichen Mängel des Kraftfahrzeugs gestützter Wandelungsanspruch durch die Geschäftsbedingungen der Beklagten ausgeschlossen sei. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Beklagte die Fabrikneuheit des Kraftfahrzeugs zugesichert habe, dass indessen diese Eigenschaft gefehlt habe, weil das Kraftfahrzeug etwa zehn Monate vor dem Verkauf an den Kläger hergestellt worden sei und aus der Vorjahresserie stamme. Der Annahme, dass die Fabrikneuheit zugesichert sei, stehe die Höhe des dem Kläger gewährten Rabattes nicht entgegen, weil in der damaligen Zeit Preisnachlässe in dieser Höhe üblich gewesen seien. Der Kläger könne daher wandeln. Wie sich aus der Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil ergibt, hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass der mit dieser Begründung geltend gemachte Wandelungsanspruch durch die Geschäftsbedingungen der Beklagten nicht ausgeschlossen sei.
II.
Diese Ausführungen sind von Rechtsirrtum beeinflusst.
1. Die Revision wendet sich nicht gegen die auf den Gesamtzusammenhang der zwischen den Parteien gepflogenen Verhandlungen gestützte Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte die Fabrikneuheit des Kraftwagens zugesichert hatte, und nicht gegen dessen Annahme, dass der Kläger trotz der Geschäftsbedingungen der Beklagten Wandelung beanspruchen kann, wenn der Wagen nicht fabrikneu war. Insoweit lässt das Urteil des Berufungsgerichts auch einen Rechtsfehler nicht erkennen.
2. Der Streit der Parteien geht jetzt noch darum, ob der dem Kläger etwa zehn Monate nach seiner Herstellung verkaufte Kraftwagen fabrikneu war oder nicht.
a) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass das Herstellerwerk zwischen der Herstellung des streitigen Kraftfahrzeugs und dessen Verkauf Änderungen in Ausstattung und Technik des Modells vorgenommen hatte und dass das Kraftfahrzeug Mängel aufwies.
b) Entscheidend ist hier mithin, ob ein, abgesehen von der Überführung, nicht benutztes Kraftfahrzeug allein infolge Zeitablaufs nicht mehr als fabrikneu anzusehen ist.
aa) Das Reichsgericht hat entschieden, dass ein Kraftwagen, der infolge jahrelangen Stehens die Beschaffenheit sogenannter Lagerware angenommen habe und mehrfachen Instandsetzungen ausgesetzt gewesen sei, nicht mehr als fabrikneu angesehen werden könne (DAR 1932, 279). Der erkennende Senat hat die Fabrikneuheit eines Kraftwagens verneint, weil er einige Monate auf Lager gestanden hatte und dabei Schäden (Flecken, Kratzer, angerostete Scheinwerfer) davongetragen hatte (BGH Urteil vom 27. September 1967 - VIII ZR 72/65 = BB 1967, 1268).
bb) In der sonstigen Rechtsprechung und im Schrifttum ist herrschende Meinung, dass ein Kraftfahrzeug, das zehn bis zwölf Monate vor dem Verkauf hergestellt worden und das, abgesehen von der Überführungsfahrt, nicht benutzt worden war, jedenfalls dann als fabrikneu bezeichnet werden kann, wenn das Modell dieses Kraftfahrzeuges weiterhin hergestellt wird und wenn das Kraftfahrzeug keine Mängel aufweist (so insbesondere OLG München DAR 1965, 272 und NJW 1967, 158; Kammergericht Berlin NJW 1969, 2145; OLG Zweibrücken MDR 1970, 325; OLG Frankfurt OLGZ 70, 409 und NJW 1978, 273; OLG Düsseldorf NJW 1971, 622; OLG Celle BB 1970, 9 und OLGZ 71, 15; LG Berlin NJW 1976, 151; LG Aachen NJW 1978, 273; Mezger in RGRK, BGB, 12. Aufl § 459 RdNr 14; Honsell bei Staudinger, BGB, 12. Aufl § 459 RdNr 44; Putzo bei Palandt, BGB, 38. Aufl § 459 Anm 5b; Thamm BB 1971, 1543). Mehrfach wird in diesen Entscheidungen darauf hingewiesen, dass es für die Frage, ob ein Kraftfahrzeug fabrikneu sei, nicht auf das Baujahr ankomme. Denn das Baujahr habe auf diese Eigenschaft der Fabrikneuheit schon deshalb keinen Einfluss, weil es nach dem Erlass des Bundesministers für Verkehr vom 25. Mai 1963 (VkBl 1963, 223) nicht mehr im Kraftfahrzeugbrief eingetragen werde (so zB OLG Zweibrücken aaO und LG Aachen aaO).
cc) Von der herrschenden Meinung weichen, soweit ersichtlich, lediglich das OLG Braunschweig (DAR 1975, 301) und Egon Schneider (JurBüro 1978, 74) ab. Das OLG Braunschweig ist der Auffassung, dass ein etwa neun Monate altes Kraftfahrzeug, das im Vorjahre vor den Werksferien hergestellt worden sei, nach der Verkehrssitte nicht als fabrikneu anzusehen sei. Das Baujahr sei nämlich von Bedeutung, obgleich es nicht mehr im Kraftfahrzeugbrief eingetragen werde, weil nach dem sogenannten "Schwackebericht" der Händlereinkaufspreis für Gebrauchtwagen nicht allein durch den Kilometerstand, sondern auch durch das Baujahr beeinflusst werde. Schneider (aaO) wendet sich zwar nicht grundsätzlich gegen die herrschende Meinung, hält aber die von der allgemeinen Ansicht gebilligte Zeitspanne von etwa einem Jahr zwischen Herstellung und Verkauf für zu reichlich bemessen.
dd) Wie sich aus diesen Ausführungen ergibt, beruft sich das Berufungsgericht zu Unrecht auf die Urteile des Oberlandesgerichts Düsseldorf (aaO) und des Landgerichts Berlin (aaO) sowie auf die Anmerkung von Weber (NJW 1970, 430). Die genannten Entscheidungen haben die Neuwageneigenschaft eines Kraftfahrzeugs deswegen verneint, weil das verkaufte Kraftfahrzeug nicht mit den technischen Neuerungen des betreffenden Modells ausgestattet war bzw weil es Mängel hatte. Weber lehnt in seiner Anmerkung die Entscheidung des Kammergerichts (aaO) deshalb ab, weil dieses nicht berücksichtige, dass der als fabrikneu verkaufte Kraftwagen nicht alle technischen Neuerungen des betreffenden Modells aufwies.
d) Der erkennende Senat ist in Einklang mit seinem Urteil vom 27. September 1967 (aaO) und in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung der Ansicht, dass ein, abgesehen von der Überführung nicht benutztes Kraftfahrzeug, das mithin noch nicht seinem bestimmungsmäßigen Gebrauch als Verkehrsmittel zugeführt worden war, grundsätzlich fabrikneu ist, wenn und solange das Modell des Kraftfahrzeuges unverändert weitergebaut wird, also keinerlei Änderungen in der Technik und der Ausstattung aufweist und durch das Stehen keine Mängel entstanden sind. Das gilt unter Berücksichtigung der Interessen von Käufer und Verkäufer auch dann, wenn das Kraftfahrzeug erst einige Zeit nach seiner Herstellung verkauft wird.
e) Die Erwägungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (aaO) rechtfertigen keine andere Beurteilung.
aa) Das Baujahr eines Kraftfahrzeuges, dem das Oberlandesgericht Braunschweig maßgebliche Bedeutung beimisst, ist nicht mehr bedeutsam, weil es nach dem erwähnten Erlass des Bundesministers für Verkehr nicht mehr im Kraftfahrzeugbrief eingetragen wird. Das Baujahr kann, wie der vorliegende Fall zeigt, nur durch Rückfrage bei dem Kraftfahrt-Bundesamt oder den Herstellerwerken ermittelt werden und spielt daher praktisch keine Rolle mehr. Demgemäß legt auch der sogenannte "Schwackebericht" dem Schätzwert für Gebrauchtfahrzeuge nicht das Baujahr, sondern das Erstzulassungsjahr zugrunde.
bb) Soweit das Oberlandesgericht Braunschweig meint, ein Käufer könne den Kaufpreis mindern, weil ihm die sich aus dem "Schwackebericht" ergebende Wertminderung bei einem Verkauf an einen Gebrauchtwagenhändler entgegengehalten würde und damit auch ein Anhaltspunkt für den beim Verkauf an einen anderen Halter erzielbaren Preis sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Denn, wie dargelegt wurde, kommt es auch bei einem Weiterverkauf des Kraftwagens nicht auf das Baujahr, sondern das Erstzulassungsjahr an.
III.
Das Urteil des Berufungsgerichts kann demnach keinen Bestand haben. Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, ob das dem Kläger gelieferte Kraftfahrzeug dem neuesten Modell dieses Fahrzeuges entsprach und ob es die vom Kläger behaupteten Mängel hatte. Da es somit weiterer Feststellungen bedarf, war das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz zu übertragen, weil sie von der Entscheidung in der Sache abhängt.