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BGH Urteil vom 16.07.2003 - VIII ZR 243/02 - Fehlen der zugesicherten Eigenschaft "fabrikneu"
BGH v. 16.07.2003: Zur Gewährleistung beim Neuwagenkauf beim Fehlen der zugesicherten Eigenschaft "fabrikneu"
Der BGH (Urteil vom 16.07.2003 - VIII ZR 243/02) hat entschieden:
Ein als Neuwagen verkaufter Pkw ist entgegen der in der Regel hierin liegenden konkludenten Zusicherung nicht mehr "fabrikneu", wenn das betreffende Modell im Zeitpunkt des Verkaufs nicht mehr unverändert hergestellt wird (Bestätigung von BGH, Urteil vom 22. März 2000 - VIII ZR 325/98, NJW 2000, 2018).
Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Neuwagenkauf
Tatbestand:
Im Sommer 2000 schloss die Klägerin mit der BMW Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein Neufahrzeug BMW 523i, Baujahr 2000. Der Vertrag wurde durch die Beklagte, die als BMW-Vertragshändlerin ein Autohaus betreibt, vermittelt. Zuvor hatte die Klägerin ein mit "Neue Kraftfahrzeuge -Bestellung" überschriebenes Formular unterzeichnet. Das Bestellformular ist auf den 19. Juni, die Auftragsbestätigung der Beklagten auf den 21. Juni 2000 datiert. Der undatierte Leasingantrag der Klägerin wurde unter dem 20. Juni 2000 von der BMW Financial Services - BMW Bank GmbH im Namen und für Rechnung der BMW Leasing GmbH bestätigt. In dem Leasingvertrag hat die Leasinggeberin ihre Gewährleistungsansprüche an die Klägerin abgetreten.
Am 5. September 2000 übergab die Beklagte das Fahrzeug, das bereits im Februar 2000 an sie ausgeliefert worden war, an die Klägerin. Gleichzeitig gab die Klägerin ein Anfang 1999 durch die Vermittlung der Beklagten geleastes Auto desselben Typs, das sich von dem neuen Fahrzeug nur durch die manuell gesteuerte Klimaanlage unterschied, zurück.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Hersteller BMW bei der 5er-Reihe spätestens im September/Oktober 2000 eine sog. Modellpflege vornahm, die u.a. dazu führte, dass der von der Klägerin geleaste Typ 523i nicht mehr produziert wurde.
Nach vorangegangenem Schriftwechsel begehrt die Klägerin mit ihrer Klage die Rückabwicklung des Kaufvertrages im Wege der Wandelung bzw. des Schadensersatzes mit der Begründung, dem Wagen habe eine zugesicherte Eigenschaft gefehlt, weil es sich nicht um ein Neufahrzeug gehandelt habe. Überdies habe die Beklagte bei Vertragsabschluss, der tatsächlich erst Ende August 2000 erfolgt sei, ihr gegenüber arglistig verschwiegen, dass eine "Modellpflege" bevorstehe. Zur Verschleierung ihrer diesbezüglichen Hinweispflichtverletzung habe die Beklagte die Urkunden auf Juni 2000 zurückdatiert.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Pkw um ein Lagerfahrzeug gehandelt habe. Eine Pflicht zur Aufklärung über den bevorstehenden Modellwechsel habe nicht bestanden, weil der Vertrag tatsächlich bereits im Juni 2000 abgeschlossen worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision, die der Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen hat, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2003, 517 abgedruckt ist, hat im wesentlichen ausgeführt:
Entgegen der Auffassung der Klägerin fehle dem Pkw keine zugesicherte Eigenschaft. Zwar liege in dem Abschluss eines Kaufvertrages über ein Neufahrzeug die entsprechende (stillschweigende) Zusicherung des Verkäufers. Auch wenn man aber zugunsten der Klägerin davon ausgehe, dass der Vertrag erst Ende August abgeschlossen worden und der Modellwechsel bereits Anfang September 2000 erfolgt sei, sei die Zusicherung "Neufahrzeug" noch erfüllt. "Fabrikneu" sei ein Neufahrzeug nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes dann nicht, wenn das Modell im Zeitpunkt des Verkaufs nicht mehr unverändert hergestellt werde. Der Zeitpunkt der werksinternen Produktionsumstellung, der dem Händler und dem Käufer häufig verschlossen bleibe, könne nach dieser Rechtsprechung aber nicht eindeutig als maßgeblich angesehen werden. Vielmehr sei in Übereinstimmung mit einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 3. Dezember 1998 (I ZR 63/96, NJW 1999, 2190) auf den Zeitpunkt der Auslieferung des neuen Modells an den Handel abzustellen. Bis dahin sei es gerechtfertigt, die Fahrzeuge der alten Modellserie noch als Neufahrzeuge im Rechtssinne anzusehen. Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz erstmals behauptet habe, schon zum Zeitpunkt des Verkaufs sei mit der Auslieferung der neuen Modelle begonnen worden, sei dies unsubstantiiert.
Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zu. Solange die Auslieferung der Fahrzeuge der neuen Modellserie an die Händler noch nicht begonnen habe, sei der Verkäufer nicht verpflichtet, von sich aus auf den bevorstehenden Modellwechsel hinzuweisen. Wenn es dem Kunden hierauf entscheidend ankomme, könne er sich durch Nachfrage beim Händler entsprechend absichern.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft (§ 463 Satz 1 BGB a.F., Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) nicht verneint werden.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein als Neuwagen verkaufter Pkw entgegen der in der Regel hierin liegenden konkludenten Zusicherung nicht mehr "fabrikneu", wenn das betreffende Modell im Zeitpunkt des Verkaufs nicht mehr unverändert hergestellt wird (Urteil vom 6. Februar 1980 - VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097 unter II 2 c; Urteil vom 18. Juni 1980 - VIII ZR 185/79, WM 1980, 1068 = NJW 1980, 2127 unter II 1 und 3; Urteil vom 22. März 2000 - VIII ZR 325/98, WM 2000, 1646 = NJW 2000, 2018 unter II 1 a und 2 a = BGHR BGB § 459 Abs. 2 Eigenschaft, zugesicherte 26, BGHR BGB § 463 Satz 1, Zusicherung 5). Zwar geht auch das Berufungsgericht von diesem Grundsatz aus; es meint jedoch, der Zeitpunkt der fabrikinternen Produktionsumstellung sei jener Rechtsprechung nicht eindeutig als maßgeblich zu entnehmen; vielmehr sei auf den Zeitpunkt der Auslieferung der neuen Modellserie an den Handel abzustellen. Dem ist nicht zu folgen.
Wenn der Senat in den angeführten Entscheidungen auf die "unveränderte Herstellung" eines Fahrzeugmodells abgestellt hat, ist damit ausgesprochen, dass die Einstellung der Produktion des bisherigen Modells den maßgebenden Zeitpunkt für Beurteilung der Frage darstellt, ob ein angebotenes Fahrzeug noch als "fabrikneu" in dem dargelegten Sinn anzusehen ist. Dieser Zeitpunkt ist objektiv feststellbar. Darauf, ob der Händler oder Kunde als Außenstehende ihn erkennen können, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an. Der Umstand, dass die gesamte Produktionsumstellung von einem auf ein neues oder anderes Pkw-Modell wegen der erforderlichen Umrüstung der Produktionsanlagen, etwa damit verbundener Werksferien und der Anlaufzeit für die Herstellung des neuen Typs möglicherweise mehrere Wochen in Anspruch nimmt, spricht deshalb nicht dagegen, die Produktionsumstellung als maßgeblichen Zeitpunkt anzusehen, ab wann ein Fahrzeug nicht mehr unverändert hergestellt wird und das betreffende Modell demzufolge nicht mehr als fabrikneu im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beurteilen ist. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Auslieferung des neuen Modells an den Handel abstellen will, würde dies im übrigen den berechtigten Interessen des Käufers zuwiderlaufen, weil der maßgebende Zeitpunkt noch weiter hinausgeschoben werden würde.
2. Das Berufungsgericht unterstellt, dass der Kaufvertrag erst Ende August 2000 geschlossen worden ist. Verfahrensfehlerhaft ist es dabei jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin nicht nachgegangen, dass das von ihr bestellte Modell ab den Werksferien nicht mehr produziert und im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, also Ende August 2000, schon mit der Auslieferung der neuen Modelle begonnen worden sei. Darin lag zugleich die Behauptung, die Produktion des Typs 523i sei bereits vor Vertragsschluss eingestellt worden.
Das Oberlandesgericht ist auf diesen - von der erstinstanzlichen Klagebegründung teilweise abweichenden - Vortrag der Klägerin nicht näher eingegangen, weil es ihn für nicht hinreichend substantiiert gehalten und unter anderem Ausführungen dazu vermisst hat, woher die Klägerin ihre Kenntnis von dem Zeitpunkt der Auslieferung hatte. Diese Erwägungen rechtfertigten ein Absehen von der beantragten Beweiserhebung nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes darf die Beweisaufnahme über eine beweiserhebliche Tatsache nur dann abgelehnt werden, wenn die unter Beweis gestellte Behauptung so ungenau ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt und deshalb rechtsmissbräuchlich ist (Senatsurteil vom 8. November 1995 - VIII ZR 227/94, NJW 1996, 394 unter III = BGHR ZPO § 138 Abs. 1, Prozessvortrag 1 m.w.Nachw.). Beides war hier nicht der Fall.
Die Behauptung der Klägerin, die Auslieferung des neuen Modells der 5er-Reihe habe bereits vor dem - nach ihrem Vorbringen Ende August 2000 erfolgten - Abschluss des Kaufvertrages begonnen, war hinreichend genau, um damit ihre Erheblichkeit beurteilen und bejahen zu können. Insbesondere war es nicht erforderlich, dass die Klägerin den genauen Zeitpunkt des Auslieferungsbeginns benannte; denn es lag auf der Hand, dass sich dieser Vortrag auf einen eng umgrenzten Zeitraum von allenfalls einigen Wochen vor Ende August bezog. Das war ausreichend substantiiert. Anhaltspunkte für eine Behauptung "ins Blaue hinein" liegen nicht vor.
Schließlich war die Klägerin auch nicht aus Rechtsgründen gehindert, in ihrer Berufungsbegründung in teilweiser Abweichung von ihrem erstinstanzlichen Vorbringen Ausführungen zum Beginn der Auslieferung des neuen Modells zu machen, zumal der jetzige Vortrag sich nur unwesentlich von der früheren Behauptung unterschied, die technischen Änderungen seien "mit Wirkung ab dem 1. September 2000" vorgenommen worden (vgl. auch Senatsurteil vom 8. November 1995 aaO).
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es war daher auf die Revision der Klägerin aufzuheben. Zugleich war die Sache, da es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO).
Sollte die neue Berufungsverhandlung ergeben, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Produktion des älteren Modells noch nicht eingestellt war, dennoch aber die neuen Modelle der 5er-Reihe bereits im Handel angeboten wurden, wird das Oberlandesgericht erneut zu prüfen haben, ob der Schadensersatzanspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht über den Modellwechsel begründet ist (vgl. dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rdnr. 214).