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Landgericht Dessau-Roßlau Urteil vom 14.12.2011 - 4 O 367/09 - Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten bei Abwehr einer unberechtigten Forderung

LG Dessau-Roßlau v. 14.12.2011: Zum Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten bei Abwehr einer unberechtigten Forderung


Das Landgericht Dessau-Roßlau (Urteil vom 14.12.2011 - 4 O 367/09) hat entschieden:
Mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm vorliegen. Insoweit kommen eine vertragliche bzw. vorvertragliche Beziehung der Parteien, eine Geschäftsführung ohne Auftrag oder eine deliktische Handlung in Betracht. Die diesbezüglichen Tatbestandsvoraussetzungen müssen dann allerdings erfüllt sein.


Siehe auch Anwaltskosten des Geschädigten als Schadensersatz und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung


Tatbestand:

Der Kläger, der Rechtsanwalt ist, nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht auf Erstattung von außerprozessual aufgewendeten Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH (nachfolgend : Insolvenzschuldnerin), über das mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 24. Januar 2007, Az.: ..., das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist.

Die Insolvenzschuldnerin hatte mit notariellen Grundstückskaufvertrag vom 05. November 2002 des Notars ... an Frau ... (nachfolgend : Zedentin) ein mit einer Tankstelle bebautes Grundstück zu einem Kaufpreis von 100.000,00 € veräußert. Die Zedentin ist die Ehefrau des von April 2001 bis September 2004 bestellten Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin, Herrn ...; sie war zudem Buchhalterin und von August 2003 bis November 2004 selbst Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin. Für die auf dem Grundstück befindliche Tankstelle waren aufgrund langfristig laufender Pachtverträge monatliche Pachteinnahmen von 6.000,00 € (jährlich 72.000,00 €) bis mindestens zum 31. Dezember 2009 garantiert. In § 6 des Kaufvertrages war die Besitzübergabe auf den 01. Dezember 2002 unabhängig von einer Kaufpreiszahlung vereinbart; den Kaufpreis hat die Zedentin erst zum 31. Dezember 2003 durch Verrechnung mit ausgereichten Darlehen zugunsten der Insolvenzschuldnerin gezahlt. Wegen der Einzelheiten des notariellen Kaufvertrages vom 05. Dezember 2002 wird auf die Anlage B 3, Anlagenband verwiesen.

In seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter focht der Beklagte in einem an die Zedentin gerichteten Schreiben vom 23. Oktober 2007 die Grundstücksveräußerung nach §§ 133, 134 InsO an und forderte die Zedentin alternativ entweder zur Zahlung von 670.406,00 € oder zur Herausgabe des Grundstücks auf. Wegen der Einzelheiten des Schreibens des Beklagten wird auf die Anlage K 1, Anlagenband Bezug genommen.

Die Zedentin beauftragte nach Erhalt des vorgenannten Schreibens den Kläger, der mit einem an den Beklagten gerichteten anwaltlichen Schreiben vom 26. Oktober 2007 die Ansprüche als

unbegründet zurückwies. Aufgrund zwischenzeitlich festgestellter unzureichender Insolvenzmasse zeigte der Beklagte im Insolvenzverfahren mit Schreiben vom 05. März 2009 die Masseunzulänglichkeit an. Unter dem 27. Dezember 2010 leitete der Beklagte wegen der mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 geltend gemachten Insolvenzanfechtungsansprüche gegen die Zedentin ein Mahnverfahren ein, welches nunmehr im streitigen Verfahren vor dem Landgericht ... anhängig ist.

Der Kläger begehrt Feststellung, dass ihm hinsichtlich der von der Zedentin aufgewandten Anwaltskosten in Höhe von 5.586,81 €, die zur Abwehr der vom Beklagten geltend gemachten Anfechtungsansprüche erforderlich gewesen seien und von der Zedentin mit Abtretungserklärung vom 08. Mai 2009 (Bl. 8 d.A.) an ihn abgetreten worden sind, ein Masseanspruch zustehe. Hierzu ist er der Ansicht, dass sich der Beklagte mit dem unberechtigten Aufforderungsschreiben vom 23. Oktober 2007 bewusst einer nicht bestehenden Forderung berühmt und sich daher schadensersatzpflichtig gemacht habe. Die Zedentin habe sich zur Forderungsabwehr berechtigterweise an ihn als Rechtsanwalt wenden dürfen. Im übrigen seien die behaupteten Anfechtungsansprüche des Beklagten mittlerweile verjährt.

Der Kläger beantragt zuletzt,
festzustellen, dass ihm ein Masseanspruch in Höhe von 5.586,81 € nebst 5 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 27. November 2007 im Verfahren über das Vermögen der ... GmbH, vertreten durch den Insolvenzverwalter, ..., beim Amtsgericht ... zustehe.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 geltend gemachten Insolvenzanfechtungsansprüche begründet seien. Der notarielle Grundstückskaufvertrag vom 05. November 2002 stelle eine „verschleierte Schenkung“ dar und unterliege damit der Insolvenzanfechtung nach §§ 133, 134 InsO. Der Kaufpreis stelle sich angesichts dessen, dass dieser nahezu vollständig durch die Pachteinnahmen des Grundstücks finanziert habe, unangemessen niedrig dar, so dass die Veräußerung an die Zedentin die Gesamtgläubigerschaft benachteilige. Die nunmehr vor dem Landgericht ... rechtshängig gemachten Anfechtungsansprüche seien auch nicht verjährt.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat die Insolvenzakten des Amtsgerichts ..., beigezogen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der an ihn abgetretenen vorprozessualen Rechtsverteidigungskosten nicht zu. Eine Anspruchsgrundlage hierfür ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass im Falle der unberechtigten aussergerichtlichen Inanspruchnahme wegen einer Geldforderung sich ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch aus Vertrag, Verzug, positiver Vertragsverletzung, culpa in contrahendo, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Delikt ergeben kann (vgl. BGH, NJW 2009, 1262; NJW 2008, 1147; NJW 2007, 1458; NJW-​RR 2005, 315).

Die Voraussetzungen, die zur Bejahung einer dieser Anspruchsgrundlagen erforderlich sind, liegen hier jedoch nicht vor.

Ein Kostenerstattungsanspruch aus Vertrag, Verzug, positiver Vertragsverletzung oder aus culpa in contrahendo (§§ 280, 286, 311 BGB) setzt voraus, dass der vermeintliche Anspruch im Rahmen einer vertraglichen bzw. vorvertraglichen Beziehung der Parteien geltend gemacht wurde (BGH, NJW 2007, 1458), was hier jedoch unstreitig nicht gegeben ist.

Der Beklagte macht in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter Anfechtungsansprüche gegen die Zedentin geltend, die nicht auf einer Vertragsgrundlage zwischen beiden beruhen. Insoweit ist die vom Kläger zitierte Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes vom 23. Januar 2008, Az.: VIII ZR 246/06 (NJW 2008, 1147), der für ein unberechtigtes Mängelbeseitigungsverlangen einen Kostenerstattungsanspruch bejaht, auf den vorliegende Fall bereits deswegen nicht anzuwenden, weil es hier - anders wie dort - an einer vertraglichen Beziehung der Parteien fehlt.

Es ist auch nicht ersichtlich - und vom Kläger auch nicht vorgetragen worden -, dass zwischen den Parteien eine Sonderverbindung besteht, aus denen sich gewisse Auskunfts-​, Schutz- und Ersatzpflichten ergeben können (vgl. Palandt/Heinrichs, Rd. 4 zu § 241 BGB; Rd. 8 zu § 280 BGB; Rd. 11 zu § 311 BGB). Allein durch die außergerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs, der tatsächlich nicht besteht oder jedenfalls nicht weiter verfolgt wird, entsteht eine solche Sonderverbindung nicht (BGH, VersR 1996, 1113). Mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm vorliegen (vgl. BGH, NJW 2007, 1458).

Auch ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 683 BGB, den der Bundesgerichtshof (BGHZ, 52, 393) als Grundlage für die Erstattung der einem Wettbewerbsverein durch den mit anwaltlicher Hilfe erfolgten Ausspruch einer Abmahnung entstandenen Kosten bejaht hat, ist hier nicht anwendbar. Die Abwehr des vermeintlichen Anspruchs des Beklagten durch den Kläger ist keine dem Interesse und mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprechende Maßnahme. Im Übrigen beruht die genannte Entscheidung auf den Besonderheiten und Gepflogenheiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und kann nicht verallgemeinert werden (vgl. BGH, NJW 1986, 2243).

Entgegen der Ansicht des Klägers besteht auch kein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Hier ist bereits nicht ersichtlich - und auch vom Kläger nicht vorgetragen worden -, dass der Beklagte in eines der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter eingegriffen und die Zedentin einen reinen Vermögensschaden erlitten hat (vgl. Haller, JurBüro 1997, 342). Ungeachtet dessen fehlt es auch an der Rechtswidrigkeit des dem Beklagten vorgeworfenen Verhaltens. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, NJW 2008, 1147), besteht der Grundsatz, dass derjenige, der sich in subjektiv-​redlicher Weise bei der Verfolgung seiner Rechte eines staatlich gesetzten Verfahrens bedient, nicht außerhalb der im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen nach dem Recht der unerlaubten Handlung für die Folgen einer Fehleinschätzung der Rechtslage haftet. Soweit ein Anspruch nicht schuldhaft unrechtmäßig geltend gemacht wird, haftet der Anspruchsteller daher grundsätzlich auch nicht nach den Grundsätzen des Rechts der unerlaubten Handlung für sein Verhalten (vgl. BGH, NJW 1983, 284). Lediglich dann, wenn der Anspruchssteller fahrlässig oder vorsätzlich in die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter durch seine außergerichtliche Inanspruchnahme eingreift, kann ein Erstattungsanspruch bestehen.

Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Beklagten ist nicht ersichtlich. Fahrlässig handelt ein Anspruchsteller, der sich einer Forderung berühmt, nämlich nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist, da die Berechtigung seiner Forderung nur in einem Rechtsstreit sicher geklärt werden kann (vgl. BGH, NJW 2009, 1262). Dessen Ergebnis vorauszusehen kann von dem Anspruchsteller im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits nicht verlangt werden. Das würde ihn in diesem Stadium der Auseinandersetzung überfordern und ihm die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren. Vielmehr entspricht der Anspruchsteller der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt schon dann, wenn der Anspruchsberühmung eine vertretbare rechtliche Beurteilung zugrunde liegt, der Anspruchsteller mithin eine sogenannte Plausibilitätskontrolle durchführt (BGH, a.a.O.).

Dies ist hier der Fall. Nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien hatte der Beklagte Grund zu der Annahme, dass die von der Insolvenzschuldnerin an die Zedentin erfolgte Grundstückszuwendung vom 05. November 2002 eine anfechtbare Handlung im Sinne von §§ 133, 134 InsO darstellt. Aufgrund dessen, dass es sich bei der Zedentin um eine nahestehende Person im Sinne von § 138 InsO handelt und des relativ geringen Kaufpreises von 100.000,00 € im Verhältnis zu den garantierten Pachteinnahmen von jährlich 72.000,00 € bis zum 31. Dezember 2009, dem Verkehrswert des Grundstückes und der Regelung der Inbesitznahme in § 6 des Kaufvertrages ist es plausibel, dass der Beklagte von einer „verschleierten Schenkung“ und damit einer anfechtbaren Rechtshandlung ausgegangen ist und diese der Zedentin gegenüber mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 angefochten hat. Dies um so mehr, als der Beklagte diesen Anspruch nunmehr vor dem Landgericht ... gerichtlich geltend gemacht hat.

Dem Anspruchsschreiben vom 23. Oktober 2007 liegt damit eine vertretbare rechtliche Beurteilung zugrunde. Auf die Frage, ob der Anspruch mittlerweile verjährt ist, kommt es bei der vorzunehmenden Plausibilitätsprüfung nicht an, da auf den Zeitpunkt des Schreibens am 23. Oktober 2007 abzustellen ist, bei dem der Anfechtungsanspruch, dessen Verjährung frühestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens - hier am 24. Januar 2007- beginnen kann (vgl. Kreft, InsO, Rd. 6 zu § 146 InsO), keinesfalls verjährt war.

Ob dieser nunmehr aufgrund Zeitablaufs mittlerweile verjährt ist, ist der Prüfung in dem nun anhängigen Rechtsstreit vor dem Landgericht ... zu überlasse. Auch steht es dem Kläger dort frei, seine Verfahrensrechte - falls er die Zedentin zu Unrecht in Anspruch genommen meint - geltend zu machen.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 3 ZPO, wobei hinsichtlich des zuletzt gestellten Feststellungsantrages wegen der zu erwartenden Quote der anzumeldenden Forderung ein Streitwert von 1/3 des Nennwerts der Forderung gerechtfertigt erschien.

Beschluss
Der Streitwert wird bis zum 16. August 2009 auf 5.586,81 € und danach auf 1.862,27 € festgesetzt.